Dies ist eine Übersetzung meiner zuerst auf Englisch verfassten Geschichte. Es hat mich in den Fingern gejuckt, mal auszuprobieren, wie einfach oder wie schwer es ist, ein Buch in eine andere Sprache zu übersetzen, und zu sehen, wie das Ganze in meiner Muttersprache klingt.
Die Geschichte ist wie ein Kammerspiel aufgebaut und hat sechs Kapitel, die seit ein paar Monaten hier veröffentlicht sind. Ich werde die anderen Kapitel nachliefern - zügiger, falls die Übersetzung auf Interesse stößt, und, nun ja - gemächlicher, falls ich es nur für mich selbst tue. ;)
Die Ereignisse sind weitestgehend in Einklang mit den Originalbüchern (abgesehen von ein paar Kleinigkeiten, über die man getrost hinwegsehen kann) - abgesehen davon natürlich, dass mein Held Severus Snape überlebt hat. :)
*Nachtrag im Januar 2018: Geschichte wurde sprachlich überarbeitet*
Eine delikate Angelegenheit
Severus Snape, Hogwarts alter und neuer Lehrer für Zauberkünste, saß mit finsterer Miene an seinem Schreibtisch. Seine rote Feder kratzte über scheinbar endlose Seiten von Pergament - traurige, geistlose Versuche einer Hausarbeit über die zwölf Anwendungsmöglichkeiten von Drachenblut, welche die Dummköpfe, die er immer noch das Mißvergnügen hatte, zu unterrichten, produziert hatten. Erstaunlich geistlose Ergüsse, die er gnadenlos auseinandernahm.
Nun, da der Dunkle Lord ein und für alle Mal Geschichte war, war das Aufspüren von Intelligenz in den Köpfen seiner Schüler die einzige Suche nach verborgenem Wissen, mit der er sich noch herumquälen mußte.
Nachdem er - dank des Jungen-der-weiterhin-als-Stachel-in-seiner-Seite-lebte – von allen Anklagepunkten und Verdachtsmomenten freigesprochen worden war, hatte Minerva, die neu berufene Schulleiterin, ihm seine alte Stelle wieder angeboten. Aus Mangel an Alternativen - und ehrlicherweise auch, weil Hogwarts das einzige Zuhause war, das er je gekannt hatte - hatte er akzeptiert. Nur, bis er sein Leben wieder auf die Reihe bekommen und eine neue Perspektive gefunden hätte, so hatte er sich selbst nachdrücklich versichert – und jedem anderen, der es wagte, in darauf anzusprechen. Genaugenommen war es ein Armutszeugnis, aber für den Moment vermied er es, allzu sehr darüber nachzudenken.
Stirnrunzelnd zog er einen energischen Strich durch einen ganzen Abschnitt sinnfreien Geschreibsels auf dem Pergament vor ihm und kommentierte es mit schneidenden Bemerkungen, bis der ursprüngliche Text in einen Meer aus roter Tinte ertrank. Er war gerade im Begriff einen weiteren, sarkastischen Kommentar über die Sinnfreiheit des dargebotenen Textes zu formulieren, als ein Klopfen an der Tür die aus seiner Feder fließende Schmähtirade rüde unterbrach.
Überrascht sah er auf. Er erwartete niemanden zum Nachsitzen - er bestellte niemals Schüler an einem Freitagabend ein. Falls erzieherische Maßnahmen erforderlich waren, wurden Missetäter direkt an Filch weitergereicht. Er selbst freute sich auf ein Glas Scotch und das neuerworbene Buch 'Theorie der Zaubertränke'.
"Herein!" bellte er ungehalten, entschlossen demjenigen, der es wagte, ihn aus vermutlich völlig nichtigen Gründen zu belästigen, gehörig die Leviten zu lesen.
Die Tür zu seinem Arbeitszimmer schwang auf und gab den Blick auf eine etwas nervös und fahrig wirkende Gryffindorschülerin frei. Und nicht irgendeine Gryffindor, sondern die beste Freundin des Jungen-der-ihm-immer-noch-den-letzten-Nerv-raubte. Welche es ebenfalls häufig schaffte, ihm sämtliche Nerven blankzulegen. Aber sie war ein anderer, insgesamt ziemlich komplexer Fall.
"Miss Granger?" Er schaffte es kaum, seine Irritation zu verbergen.
Sie trat ein und ließ die Tür hinter sich ins Schloß fallen. Nervös strich sie sich ihr höchst eigenwilliges Haar hinter die Ohren, in dem vergeblichen Versuch, es zu bändigen und ihm den Anschein von Ordnung zu geben.
"Guten Abend, Professor Snape", grüßte sie höflich.
Die Freundlichkeit bleib unerwidert. "Sofern Sie nicht versehentlich einen falschen Gang und einige in die verkehrte Richtung führende Treppen erwischt haben, sodass Sie hier hier im Kerker gelandet sind, kann ich mir keinen Grund vorstellen, der Ihre Anwesenheit hier unten an einen Freitagabend erklären würde", schnappte er unwirsch. Er gab sich der vagen Hoffnung hin, dass sie vielleicht wieder gehen würde, wenn er es bewußt versäumte, sie hereinzubitten und ihr einen Stuhl anzubieten. Oder zumindest hoffte er, dass sie ihren Besuch kurz machen würde.
"Aber - Sie haben doch Freitag abends Schülersprechstunde, oder?" vergewisserte sie sich, als hätte sie sich möglicherweise bezüglich Zeit und Ort geirrt.
Er seufzte schwer. Ja, offiziell stand er jeden Freitag abend seinen Schülern für persönliche Gespräche zur Verfügung - was auch der Grund war, warum er damit durchkam, Filch an diesen Abenden die Aufsicht über das Nachsitzen zu übertragen. Alle Lehrer waren angehalten, einmal in der Woche ein solches Beratungsgespräch anzubieten. Aber normalerweise drängte sich ihm niemand in dieser Form auf. Nicht mal seine Slytherins. Er war einfach nicht die Person, an die sich ein zurechnungsfähiger Schüler wandte, wenn er Rat suchte. Und niemals, in all seiner Zeit als Lehrer in Hogwarts, hatte sich ein Gryffindor freiwillig in seinem Arbeitszimmer blicken lassen. Sie waren tollkühn, aber nicht so tollkühn.
"Ja, Miss Granger, das habe ich", antwortete er zähneknirschend. "Aber ich bin mir sicher, dass Ihr eigener Hausvorstand sich gerade in diesem Moment pflichtbewußt seinen Schützlingen als Ansprechpartner zur Verfügung hält und vermutlich entzückt wäre, Ihnen jeden Rat zukommen zu lassen, den Sie brauchen."
Sie ignorierte seinen höflichen Versuch, sie hinauszuwerfen und näherte sich seinem Schreibtisch. Obwohl er sie nicht aufgefordert hatte, Platz zu nehmen, setzte sie sich auf den hölzernen Stuhl vor ihm, wo sie unbehaglich hin und her rutschte.
"Unglücklicherweise wird Professor Lupin mir in dieser etwas delikaten und ziemlich persönlichen Angelegenheit nicht helfen können, wegen der ich Sie sprechen wollte", sagte sie, und ihre Augen kreuzten kurz seinen Blick. "Sie sind der einzige, der mir helfen kann, fürchte ich." Ihre Stimme klang ein wenig kleinlaut, und es lag ein Hauch von Farbe über ihren Wangen, der - sofern sie dem Weg hier hinunter nicht gerannt war - nicht ursächlich von Überhitzung stammen konnte. Der Herbst hatte dieses Jahr sehr früh Einzug gehalten, und es war ziemlich kühl hier unten in den Burgverliesen. Abgesehen davon war sie eher blass gewesen, als sie eingetreten war - zu blass eigentlich, um gesund auszusehen. Wenn er sich nicht irrte - und er irrte sich selten, wenn es darum ging, andere zu lesen - war ihre Röte Verlegenheit geschuldet. Er musterte sie scharf, als ihm eine alarmierende Erklärung in den Sinn schoss.
"Miss Granger", sagte er in unheilvollem Tonfall, während er sich vorlehnte und sie mit seinem Blick fixierte. "Wollen Sie mir etwa sagen, dass Sie es geschafft haben, sich in jene Art von Schwierigkeiten zu bringen, die einen schwer zu brauenden, um nicht zu sagen ungesetzlichen Zaubertrank erforderlich macht, den unsere Schulkrankenschwester weder vorrätig hält, noch herausgeben würde, es sei denn, dass zwingende, medizinische Gründe dafür vorlägen?"
Bei Merlin, sie konnte nicht so unvorsichtig und dumm gewesen sein! Nicht sie, die seine Kollegen als die klügste Hexe ihres Alters priesen. Unglücklicherweise, so erinnerte er sich, gab es auch Gerüchte, denenzufolge sie mit Arthur Weasleys jüngstem Sohn liiert gewesen war. Was genaugenommem mit ersterer Aussage nicht in Einklang zu bringen war. Er fühlte einen Anflug von Übelkeit in sich aufsteigen. Die Vorstellung, dass sie mit einem Kind des kläglichen Kumpanen des Jungen-der-immer-für-Ärger-gut-war schwanger war - zweifellos einem weiteren, rothaarigen Dummkopf - stieß ihn mehr ab, als es vermutlich sollte.
Sie sah ihm mit einem Ausdruck der Überraschung an. "Von was für Schwierigkeiten... oh! Sie denken..." Sie brach ab, als ihr klar wurde, was ihm durch den Kopf gegangen sein mußte. "Selbstverständlich nicht, Sir!" sagte sie, wobei sie leicht gekränkt klang. "Wenn ich sexuelle Beziehungen hätte, wäre ich verantwortungsvoll genug, entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Ich kam hierher, weil ich Sie etwas fragen muß."
Seine Anspannung wich, und er lehnte sich zurück, sorgsam darauf bedacht, weder seine Erleichterung zu zeigen noch einen Gedanken an die ziemlich intime Information zu verschwenden, die sie offenbart hatte. Wenn sie sexuelle Beziehungen hätte?
"Natürlich", antwortete er trocken. "Eine Frage. Welch eine Überraschung! Nun denn, stellen Sie Ihre Frage, Miss Granger, damit Sie danach gehen und mich wieder in Ruhe lassen können."
Ihr kurzer Moment rechtschaffener Empörung war verflogen. "Wenn Sie nichts dagegen haben, Sir, würde ich Ihnen vorher gerne etwas erklären...", sagte sie, nun eher zaghaft klingend. "Andernfalls werden Sie mich vermutlich sofort aus Ihrem Büro werfen, und was ich zu sagen haben, ist aus verschiedenen Gründen sehr wichtig."
Eine nervöse und offenbar sehr verzagte Hermine Granger - das war neu. Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, sie je unsicher oder schüchtern erlebt zu haben. Sie war normalerweise sehr bestimmend, extrem irritierend, unerträglich rechthaberisch und rundum unerträglich. Allein deshalb sollte er sie eigentlich darauf hinweisen, dass seine Zeit wertvoll war und er besseres zu tun hatte, als sie an eine Gryffindor zu verschwenden, die das Bedürfnis verspürte, ihr Herz auszuschütten. Er sollte sie wissen lassen, dass er keinerlei Interesse hatte an was auch immer sie erzählen wollte, und dass ihm ihre Probleme völlig gleichgültig waren.
Aber die Wahrheit war, dass er nichts besseres zu tun hatte, dass das, was sie zu sagen hatte, ihn durchaus interessierte und dass er keineswegs gleichgültig war. Was ihn, alles in allem, extrem irritierte.
"Meinen Glückwunsch, Miss Granger," sagte er entnervt. "Sie haben sich erfolgreich meiner ungeteilten Aufmerksamkeit versichert. Was kann es also sein, das Sie erklären müssen, ehe Sie es wagen können, mir diese Frage von höchster Wichtigkeit zu stellen?"
Sie atmete tief ein und sagte: "Ich habe einen Eid geleistet. Einen Opferungseid, um genau zu sein."
Er starrte sie mit perplexem Gesichtsausdruck an, unschlüssig, ob er es lachhaft oder alarmierend finden sollte. Opferungseide waren genaugenommen ein wenig von beidem.
Sie seufzte. "Es war eine eher spontane Eingebung. Die Idee kam uns am letzten Tag des vergangenen Jahres. Wie Sie wissen, war es ein ziemlich schwieriges Jahr für uns..."
Das mußte die Untertreibung des Jahrhunderts sein. Das vergangene Jahr war die Hölle gewesen. Während er - wenig erfolgreich - versucht hatte, die Carrows daran zu hindern, Hogwarts in eine Folterkammer zu verwandeln, war das Goldene Trio auf der Suche nach den Horcruxen draußen in der Wildnis umhergeirrt, und hatte - ebenso erfolglos - versucht, sich Todessern und Greifern zu entziehen.
Er kannte das Ausmaß der Entbehrungen und der Mühsal nicht, die sie durchlebt hatten, aber nach den Spuren zu schließen, die beides hinterlassen hatte, mußte es die Hölle gewesen sein. Sie war noch immer viel zu dünn, und die dunklen Ringe unter ihren Augen sprachen von allzu vielen Nächten mit viel zu wenig Schlaf. Aber schlimmer noch als die Schatten unter ihren Augen waren die Schatten darin. Augen, die zuviel gesehen hatten. Die Schrecken des Krieges, die Verluste und die Trauer hatten viele Kinder ihrer Unschuld beraubt. Sie war keine Ausnahme.
Mit einem leichten Kopfnicken nahm er ihre Aussage zur Kenntnis, und sie fuhr fort - gelassener, als es den Ereignissen, die sie beschrieb, angemessen war. "Wir waren gefühlte Ewigkeiten dort draußen, hungrig, kalt und die meiste Zeit ziemlich elend. Harry war gerade erst knapp mit den Leben davongekommen, nachdem uns Nagini in Godric's Hollow angegriffen hatte, und der Vorfall hatte uns plötzlich eindrucksvoll vor Augen geführt, was bis dahin eine recht abstrakte Vorstellung gewesen war: Die Tatsache, dass wir den Krieg vielleicht nicht überleben würden.
Die Konfrontation mit Voldemort rückte immer näher, und wir hatten, um ehrlich zu sein, eine Scheißangst. Jemand - ich glaube, es war Harry - fragte uns, ob wir irgendetwas bedauern würden, falls wir im Kampf sterben würden... ob es Dinge gäbe, die wir gerne getan hätten; Dinge um die es uns leid täte, wenn wir keine Chance mehr hätten, sie je zu tun. Und mir fiel ein, dass ich irgendwann zufällig von diesem magischen Ritual gelesen hatte - etwas, womit ein Zauberer die Erfolgsaussichten eines Vorhabens erheblich verbessern kann, sofern er bereit ist, im Gegenzug etwas zu versprechen."
"Zufällig gelesen, Miss Granger?" meinte er, und hob skeptisch die Augenbraue. Er fragte sich, ob es auch nur ein einziges Buch in der Bibliothek von Hogwarts gab, das sie in den sechs Jahren, die sie auf der Schule gewesen war, nicht verschlungen hatte. Da Opferungseide ungeachtet ihres Namens nicht zu den dunklen Künsten zählten, hatte das Buch, in dem sie darüber gelesen hatte, vermutlich nicht einmal in der verbotenen Abteilung gestanden. "Und Sie konnten der Versuchung nicht widerstehen, mit potentiell gefährlicher Magie herumzuexperimentieren, die Sie nicht völlig verstanden haben?"
"Ich glaube, ich habe das Prinzip sehr wohl verstanden, Sir. Im Grunde ist es ein Wunschzauber, der auf einem Tauschprinzip basiert. Muggel haben etwas Ähnliches."
"Wenn Sie damit hastig gegebene Versprechen meinen wie: 'Lieber Gott, wenn du mich bloß diesen Kater überleben lässt, schwöre ich, dass ich nie wieder einen Tropfen Alkohol anrühre!' dann irren Sie sich gewaltig. Bei Muggeln ist keine Magie involviert, die sie an ihr Versprechen bindet."
"Muggel geben solche Eide durchaus auch in sehr ernsten Situation und für Dinge, die ihnen wirklich wichtig sind," widersprach sie. "Und jene, die an eine höhere Macht glauben, betrachten sie sehr wohl als bindend. Es gibt Leute, die Kirchen errichtet oder Pilgerfahrten unternommen haben, um ihre Eide zu erfüllen. Sie mögen es Aberglaube nennen, aber nichts anderes als Aberglaube ist meiner Meinung nach Hellsehen und Wahrsagerei. Sie beziehen ihre Kraft aus dem Glauben der Menschen daran."
"Aber es ist eine sehr reale Kraft am Werk, wenn man es mit Magie zu tun hat, ob man daran nun glaubt oder nicht", stellte er klar. "Und es ist nichts, womit man herumspielen sollte."
"Ich hatte den Eindruck, dass das Ritual weder als ernstzunehmende Zauberei betrachtet wird, noch als verlässliches Mittel gilt, um den erfolgreichen Ausgang einer Unternehmung zu gewährleisten."
"Nein, das ist es nicht, und es gibt keine Garantie, dass es funktioniert." Er seufzte abermals, und rieb sich die Nasenwurzel zwischen Daumen und Zeigefinger um den aufkommenden Kopfschmerz zu vertreiben. Er verspürte nicht die geringste Lust, die Theorie von Opferungseiden mit ihr zu diskutieren. "Wie dem auch sei: Das Ritual basiert auf einem Zauberereid, und egal, wie profan das Anliegen sein mag: Wenn man diesen Eid nicht vorsichtig formuliert, kann das sehr gravierende Folgen haben, Miss Granger."
"Ich war mir dessen bewusst, Sir," sagte Hermine ruhig. "Und ich habe das auch allen anderen klar gemacht, die involviert waren. Ich weiß dass man, wenn der Wunsch erfüllt werden soll, willens sein muß, eine Tat zu vollbringen, die der Wichtigkeit des Anliegens Rechnung trägt." Sie lächelte. "Luna hat das sehr einleuchtend erklärt..."
Er hob die Brauen. "Miss Lovegood? Will ich es wissen?" Das Lovegood-Mädchen trug ihren Spitznamen 'loony Luna' nicht ohne Grund. Obwohl sie auf ihre Weise durchaus intelligent war, schien sie doch nicht ganz in der gleichen Sphäre zu leben wie die übrigen Sterblichen. Ihre Zaubertränke waren normalerweise gut und brauchbar, ihre Aufsätze jedoch meist unbeschreiblich komisch. Er hob sie sich immer für Abende auf, an denen er einen guten Lacher gebrauchen konnte.
"Sie klang sehr überzeugend", sagte Hermine, bemüht, keine Miene zu verziehen. "Es ist nämlich so: Wenn man einen Opferungseid spricht, weckt man die Nimmerfeen. Je interessanter die Tat ist, die man verspricht im Austausch gegen die Wunscherfüllung zu vollbringen, desto mehr Feen werden angezogen. Sie helfen einem, zu erreichen, worum man bittet, aber obwohl sie sehr eifrig sind, so sind doch ihre Kräfte begrenzt. Trotz all ihrer Bemühungen klappt es nicht immer. Deshalb sollte man sicherstellen, dass das Opfer, das man bereit ist zu erbringen, möglichst inspirierend ist. Die Nimmerfeen sind schnell gelangweilt und lieben Drama. Und sie sind sehr schnell eingeschnappt, wenn man nicht liefert. Luna sagt, sie können einem das Leben richtig zur Hölle machen."
Mit einem Ausdruck ungläubiger Verwunderung schüttelte er den Kopf. "Nun, ich vermute, diese Erklärung ist ebenso gut wie jede andere", meinte er schließlich. Das galt für die meisten von Miss Lovegoods Ansichten. Wenn man ihr Glauben schenken wollte, so war alles, was in der Welt geschah, auf das Treiben von unsichtbaren Wesen zurückzuführen - Wesen, die niemand je gesehen hatte und deren Existenz niemand belegen konnte. Dennoch war es unmöglich und reine Zeitverschwendung zu versuchen, ihr das Gegenteil zu beweisen. Das wußte er aus eigener Erfahrung.
"Und was für eine aufregende Tat haben Sie versprochen, um die Nimmerfeen anzuziehen?" fragte er, und gab sich keine Mühe, seinen Sarkasmus zu verbergen.
Ihre Miene wurde wieder ernst. "Wir haben geschworen, dass wir den Mut finden würden, das zu tun, was wir am meisten bedauern würden, niemals getan zu haben: Ein Begehren, das wir nie wagten, laut zu äußern, eine Schuld, für die wir nie Abbitte geleistet haben, eine Wahrheit, die wir nie gesprochen haben oder eine Tat, für die wir nie genug Mut aufbringen konnten."
"Wie überaus - Gryffindor," schnaubte er. "Und was davon haben Sie gewählt?"
"Ein wenig von alledem, denke ich", sagte sie wieder leicht errötend, und rutschte auf ihrem Stuhl herum. Er konnte eine gewisse aufkeimende Neugier nicht leugnen. Wenn ihr Versprechen alle der genannten Kriterien erfüllte, klang es nach einem würdigen Opfer, jedoch schien das, was sie geschworen hatte, sie unbehaglich zu machen und ihr peinlich zu sein. Was ihn wiederum sich wundern ließ, was sie überhaupt dazu gebracht haben mochte, einen Opferungseid zu leisten.
"Sie mögen es für ein harmloses Spiel gehalten habe", wies er sie zurecht. "Etwas Lachhaftes, woran nur Miss Lovegood glaubt. Aber man treibt keinen Schabernack mit Zauber-Eiden. Was in aller Welt könnte so wichtig gewesen sein, dass sie bereit waren, dafür einen Opferungseid zu riskieren? Immerwährende Liebe? Ein 'Ausgezeichnet' in Ihren Zaubertränkeprüfungen?"
"Wir haben uns gewünscht, den Krieg zu überleben", sagte Hermine nüchtern und schaffte es, ihn für einen Moment sprachlos zu machen.
"Sind Sie von allen guten Geistern verlassen?" fuhr er sie an, als er seine Stimme wiedergefunden hatte. "Ist Ihnen nicht klar gewesen, dass in dem Moment, als Sie um ihr Leben baten, genau dieses Leben zum Pfand wurde, der bezahlt werden muß, falls Sie Ihr Versprechen nicht einlösen? Wenn Sie Ihren Teil des Abkommens nicht einhalten - was immer das sein mag - ist Ihr Leben verwirkt! Sie werden sterben, Miss Granger!"
"Ja, das war uns allen bewusst," sagte sie ernst. "Im Standardbuch der Zauberer-Eide steht klar und deutlich geschrieben, dass die Konsequenzen einer Nicht-Einhaltung des gemachten Versprechens durch das definiert werden, was ursprünglich Gegenstand des Rituals war."
Es war die kleine Miss Neunmalklug, die da sprach. Sie hatte immer schon die Fähigkeit besessen, beinahe wörtlich aus einer Vielzahl von Büchern zitieren zu können. In diesem Falle jedoch war er sich nicht sicher, ob sie die Bedeutung dessen, was sie gelesen hatte, auch wirklich verstanden hatte. Wie sonst hatte sie so ein Risiko eingehen können?
Aber erneut überraschte sie ihn. Ein amüsiertes Lächeln zuckte über ihr Gesicht als sie erläuterte: "Oder, wie Luna es uns erklärt hat: Wenn man sein Versprechen bricht, nehmen einem die Nimmerfeen das wieder weg, worum man gebeten hat."
"Muss ich mich also darauf vorbereiten, der Schulleiterin in naher Zukunft erklären zu müssen, dass Sie und Ihre Freunde von den Nimmerfeen geholt worden sind? Ich hoffe wirklich, dass dem nicht so ist - das Ausfüllen der Formulare würde eine Qual."
Sie grinste. "Ich glaube, das wird nicht nötig sein. Bisher haben alle ihre Versprechen gehalten. Harry hatte sein Coming-Out..."
"Als würden wir uns nicht alle daran erinnern!" Er rollte mit den Augen als er an den Auffuhr zurückdachte, den Potter gegen Ende des letzten Willkommensfestes verursacht hatte, als er auf die Bank gesprungen war und der versammelten Schüler- und Lehrerschaft erklärt hatte, er sei schwul, vielen Dank für die Aufmerksamkeit und weiterhin viel Freude am Festbankett.
Hermine zog eine Grimasse. "Nun ja, Harry hatte versprochen, dass er offen zu seinem meist gehüteten Geheimnis stehen würde, aber als es soweit war, war er unsicher, was genau 'offen' implizierte. Er wollte auf Nummer sicher gehen."
"Ich verstehe. Nun, wir können getrost davon ausgehen, dass die Bedingungen für 'offen' erfüllt waren, als der Tagesprophet es am nächsten Morgen dem Rest von Britanniens zaubernder Einwohnerschaft enthüllte", kommentierte er trocken. "Gehe ich recht in der Annahme, dass Mr. Weasley sich ebenfalls mit den Nimmerfeen eingelassen hat?"
"Natürlich." Hermine seufzte. "Aber er war nicht vorsichtig genug in der Formulierung seines Versprechens."
"Stellen Sie sich meine Überraschung vor!" Der jüngste Weasley war, seiner Meinung nach, der Schlimmste der ganzen Brut. Während seine Geschwister wenigstens Spuren von Intelligenz aufwiesen, hatte Severus für Potters Schatten nichts als Verachtung übrig. Alles, was er fertigbrachte, war, sich kopfüber in Gefahr zu stürzen, ohne auch nur einen Moment innezuhalten und kurz sein Gehirn anzuwerfen. Es grenzte an ein Wunder, dass er überhaupt so lange überlebt hatte. Er mußte eine ganze Schar von Nimmerfeen angezogen haben, um es durch das letzte Jahr zu schaffen.
"Ron hat versprochen, dass er alles in seiner Macht Stehende tun würde, um seiner Freundin zu beweisen, dass er es ernst meint, und dass er sie nie wieder verlassen würde."
Die Verbitterung, die in ihrer Stimme mitschwang, blieb ihm nicht verborgen. "Wieder verlassen?" fragte er ahnungsvoll, wohl bewusst, wer zum betreffenden Zeitpunkt die besagte Freundin gewesen war. Was hatte der Dummkopf diesmal angestellt?
"Ron hat uns verlassen, während wir nach den Horcruxen suchten", erklärte das Mädchen und wandte den Blick ab. "Es war - eine schwierige Zeit." Sie führte es nicht weiter aus, aber er brauchte keine Legilimentik um zu verstehen, was sie nicht sagte. Es stand klar in ihrem Gesicht zu lesen, und in ihrer Körpersprache. Sein Handeln hatte sie verletzt. Sehr verletzt. Also hatte der Junge ein Versprechen geleistet, um es wiedergutzumachen... und er lebte noch. Das bewies entweder, dass der ganze Zauberspruch abergläubischer Blödsinn war, oder aber dass Mr. Weasley es irgendwie geschafft haben mußte, ihr zu beweisen, dass es ihm ernst war mit ihr und er bereit war, sich dauerhaft zu binden.
Er konnte nicht klar sagen, wo die leichte Übelkeit herrührte, die er in seiner Magengegend spürte, als ungebeten ein Bild von Hermine vor seinem inneren Auge auftauchte: in einer Küche stehend und Molly Weasley verdächtig ähnelnd, mit mindestens drei rotznasigen Rotschöpfen, die an ihrer Schürze hingen. Vermutlich war es Abscheu.
"Gehe ich also recht in der Annahme, dass Sie die nächste Mrs. Weasley sein werden und Glückwünsche angebracht sind?" fragte er finster. Er bemühte sich, seine Stimme gleichmütig klingen zu lassen, auch, wenn er sie am liebsten angeschrieen hätte.
"Zur Hölle, nein!" rief Hermine aus, und zum zweiten mal an diesem Abend atmete er mit einem Gefühl von Erleichtung aus, das ihn selbst überraschte. Anscheinend machte ihm die Vorstellung von Miss Granger und Mr. Weasley als Paar zu schaffen. Er dachte kurz darüber nach und versuchte, das Gefühl zu analysieren. Nun ja, es wäre eine Ehe, die zwingend im Desaster enden mußte. Der Junge war ihr intellektuell in keiner Form gewachsen, und sie würde zweifelsohne dahinwelken wie eine ungegossene Pflanze wenn sie gezwungen wäre, für den Rest ihres Lebens geistloses Gerede über Quidditch und andere Profanitäten über sich ergehen lassen zu müssen.
"Das ist der Punkt, an dem Ron einen Fehler gemacht hat. Er hat mich zu dem Zeitpunkt, als er den Schwur machte, noch immer als seine Freundin betrachtet, aber..."
"Aber Sie haben seine Gefühle nicht erwidert?"
Hermine schüttelte den Kopf. Sie konnte nicht glauben, dass sie gerade ihr Liebesleben mit Snape diskutierte - ausgerechnet!
"Ich hatte im sechsten Jahr einmal was für ihn übrig - bevor alles den Bach runterging - aber er hat mich nie wirklich wahrgenommen. Und letztes Jahr, gerade als er anfing, Interesse zu zeigen und ich dachte, dass die Dinge eine Chance hätten, sich in eine solche Richtung zu entwickeln, hat er uns einfach verlassen. Ich weiß, dass er Angst hatte und das Gefühl hatte, als würde ihm alles über den Kopf wachsen - aber das galt genauso für uns. Zu dem Zeitpunkt empfand ich es als Verrat. Mir wurde klar, dass wir einfach nicht zusammen passen. Unglücklicherweise hatten wir die Dinge zwischen uns nicht geklärt - ich war zu feige, es anzusprechen und Ron... nun ja, mir war nicht klar, dass er sich noch immer Hoffnungen machte und meinte, wir könnten da weitermachen, wo wir aufgehört hatten. Bis zum Silvesterabend..." Sie räusperte sich. "Jedenfalls... Nach dem Krieg, als alles vorbei war, ist Lavender Brown mit erneuertem Interesse auf Ron zugegangen. Am Ende des Sommers war sie offiziell seine Freundin. Zu dem Zeitpunkt fing er an, wegen des Schwurs nervös zu werden, weil er noch nichts Spektakuläres getan hatte, um sein Versprechen zu erfüllen."
"Warum glaubte er, etwas Spektakuläres tun zu müssen? Wegen Mr. Potters unglücklicher Vorstellung? Oder meinte er, die Nimmerfeen verlangten nach noch mehr Drama?"
"Ich denke, ihm fiel einfach nichts Überzeugenderes ein, Lavender zu beweisen, dass es ihm ernst war, als ihr einen Heiratsantrag zu machen."
"Ach herrje!" sagte er sarkastisch. "Ist ihm denn nicht klar, dass er aufgrund seines Schwurs nicht lebend aus dieser Verlobung herauskommt - es sei denn, Miss Brown wäre diejenige, die sie auflöst?"
"Ich glaube nicht. Und wir haben es noch nicht übers Herz gebracht, es ihm zu sagen. Hoffentlich wird es nicht nötig werden. Sie scheinen glücklich miteinander."
"Was uns zu Ihnen zurückbringt, Miss Granger. Haben Sie Ihr Versprechen eingehalten?"
"Nein. Es war bisher nicht möglich... Sehen Sie, ich musste dazu mit Ihnen sprechen, und – nun ja, da Ihre Genesung so langwierig war und niemand wußte, wo Sie waren..."
Nach Naginis Attacke hatten alle ihn für tot gehalten. Schließlich hatten sie ihn sterben sehen. Es war ein Augenblick, den sich noch immer jede Nacht in ihren Alpträumen erneut durchlebte. Niemand wußte, was mit seinem Körper geschehen war. Als sie zur heulenden Hütte zurückgekehrt waren, war er auf mysteriöse Weise verschwunden gewesen. Sie hatte sich an die vage Hoffnung geklammert, dass er es irgendwie geschafft hatte, sich zu retten. Er war seither ständig in ihren Gedanken gewesen, und sie hatte mit immenser Erleichterung und Dankbarkeit vernommen, dass er von Draco Malfoy in Sicherheit gebracht worden war. Er war eine ganze Weile in St. Mungos gewesen, aber spurlos aus der Zaubererwelt verschwunden, nachdem sein Name reingewaschen worden war. Es war eine große Überraschung für alle gewesen, als Schulleiterin McGonagall verkündet hatte, dass Severus Snape als Zaubertränkeprofessor nach Hogwarts zurückkehren würde.
Allgemein war die Nachricht mit sehr verhaltenem Jubel aufgenommen worden. Kriegsheld hin oder her, das letze Jahr hatte bei vielen Schülern tiefe Spuren hinterlassen, und zu erfahren, dass er die ganze Zeit über bewußt die Rolle des Bösewichts gespielt hatte, um Voldemort hinters Licht zu führen, machte es nicht leichter, alles, was er getan hatte, zu vergessen und zu vergeben.
Abgesehen von den Slytherins war Hermine die einzige gewesen, die wirklich glücklich war über seine Rückkehr. Sie hoffte, dass die Einlösung ihres Versprechens ihr endlich erlauben würde, mit den Ereignissen abzuschließen und Frieden zu finden.
"Ich denke, wir kommen jetzt zu dem Teil, wo Sie mir erklären, was genau ich mit Ihrem Schwur zu tun habe...", sagte Professor Snape, sein Gesicht ausdruckslos wie immer, kein anderes Gefühl preisgebend als den leichten Anflug von Verärgerung, der darin immer präsent war.
Falls er Neugier empfand oder gar Mißtrauen, so verbarg er es gut hinter Sarkasmus und kühler Abgeklärtheit. "Lassen Sie mich raten...", wagte er sich vor und hob die Augenbraue. "Sie haben das Leben Ihres Erstgeborenen verpfändet und erhoffen sich nun von mir, dass ich mit Hilfe der dunklen Künste den Handel breche?"
"Nein, nichts derartig Schlimmes." Sie holte tief Luft und wappnete sich für den Sturm. Es gab keinen Ausweg. Sie mußte es irgendwann aussprechen, auch, wenn sie im Moment nicht sicher war, ob tot umfallen nicht vielleicht doch die bessere Lösung wäre.
"Ich habe geschworen, dass ich, falls ich den Krieg überlebe, Sie bitten werde, mich... zu küssen."
