Ich danke J.R.R. Tolkien, der mir eine Welt eröffnete, die so unendlich reich an Schätzen ist, dass sie mein Herz randvoll erfüllt und meine Seele taumeln lässt.
Ich danke Peter Jackson, dessen liebevolle Arbeit am Film „Herr der Ringe" es mir ermöglichte, die einzelnen Figuren während der Entstehung dieser Geschichte mit ganzem Herzen und allen Sinnen wahrzunehmen.
Ich danke Dania Dicken (Eowyn), der ich auf meinen Wanderungen durch Mittelerde begegnete und die mich durch ihre eigenen Geschichten inspirierte, die sich in meine Träume stahlen, um dort zu neuen Erzählungen verwoben zu werden. Und ich danke Dania für das jubelnde und anspornende Feedback, mit dem sie jede einzelne Szene während des Schreibens begleitete.
Ich danke Yvette Ulmer, die mit nie nachlassender strahlender Begeisterung meine ersten Schreibversuche begutachtete und die nie aufhörte, mir den Glauben an mein eigenes Talent in meinen störrischen Schädel einzuhämmern.
Ich danke Luisa Francia, die mir in mehr als einer Beziehung dabei geholfen hat, mich einfach zu trauen, egal was andere davon halten mögen.
Ich danke Frodo Beutlin, der mich entschlossen bei der Hand nahm, um mich mit sanfter Zielstrebigkeit durch diese Geschichte zu führen, und der mir so viele kostbare Einblicke in seine Seele gewährte.
EinleitungDiese Geschichte wurde inspiriert durch Eowyn von www.people.freenet.de/lotrfanfiction und basiert auf ihrer eigenen Geschichte „Die Entführung im Auenland", mit der sie eine wundervolle Fortsetzung zu Tolkiens „Herrn der Ringe" geschaffen hat.
In dieser Geschichte kehrt Frodo kurzentschlossen nach Mittelerde zurück, nachdem er es, von Heimweh geplagt, nicht übers Herz bringt, weiter übers Meer zu fahren und auf halbem Wege umkehrt, lange bevor er den Westen erreicht. Somit ist der Weg zurück noch frei für ihn. Gandalf, der sich noch immer für Frodo verantwortlich fühlt, hat sich entschieden, ihn zu begleiten, und so treffen die beiden eines Abends wieder im Auenland ein, um einen völlig verblüfften, doch überglücklichen Sam in die Arme zu schließen.
Doch währt die Wiedersehensfreude nicht lange, denn Frodo wird von furchtbaren Vorahnungen geplagt, und ein paar Tage, nachdem Gandalf sich von den Hobbits verabschiedet hat, dringt eine Horde Orks nachts in Beutelsend ein, um Frodo und Sam zu verschleppen, zunächst jedoch zu unbekanntem Ziel und Zweck...
Bald sind natürlich ihre Freunde den Entführern dicht auf den Fersen, doch gelingt es ihnen nicht, die Hobbits zu befreien. Dafür erfahren sie allmählich des Rätsels Lösung, als ihnen klar wird, dass die grausige Riesenspinne Kankra hinter dieser hinterhältigen Tat steckt, in deren Diensten die nach Saurons Sturz übrig gebliebenen Orks inzwischen stehen. Ihr Anführer ist der finstere Uruk-hai Schagrat, der einst die Orks von Mordor befehligte. Kankra hat sich nach den Wirren des Ringkrieges in den fernen Düsterwald zurückgezogen und will sich nun grausam an den beiden Hobbits rächen, die ihr damals in Cirith Ungol als Beute entgangen sind.
Sam wehrt sich unterwegs gegen die rüde Behandlung der Orks und wird daraufhin von diesen so schwer misshandelt, dass er bald darauf ernsthaft erkrankt. Frodo kümmert sich aufopfernd um ihn, was Schagrat mit Verwunderung zur Kenntnis nimmt. Der Uruk-hai, dem natürlich so etwas wie Freundschaft völlig unbegreiflich ist, kommt nicht umhin, interessiert zu beobachten, wie Frodo es fertig bringt, seine eigene Angst und Hoffnungslosigkeit im Angesicht eines furchtbaren Schicksals zu bezwingen, um seinem Freund Trost und Kraft zu geben. Doch Sam wird immer schwächer...
Und an dieser Stelle beginnt meine eigene Geschichte...
Kapitel 1
Sam und Frodo wurden unerbittlich von den Orks weitergezerrt, immer näher hin zum Düsterwald, wo die grausige Riesenspinne bereits auf ihre Opfer lauerte. Obwohl Frodo seinen Freund tapfer stützte, konnte Sam bald nicht mehr allein laufen und sank immer öfter entkräftet zu Boden. Frodo war verzweifelt. „Nicht aufgeben, Sam, komm schon, tu mir das nicht an." Doch Sam murmelte nur hoffnungslos: „Wozu weiterlaufen, Herr Frodo, wenn wir damit nur eher von Kankra getötet werden." Doch Frodo blieb hartnäckig. „Bitte, Sam, versuche es doch, bevor sie wütend werden und dich wieder schlagen." Mit großer Kraftanstrengung gelang es ihm endlich, seinen Freund wieder auf die Beine zu bringen. Doch lange würde Sam diese Tortur nicht mehr durchhalten können.
Schagrat knurrte unwillig über das langsame Tempo der nur mühsam vorwärts stolpernden Hobbits. „Reißt euch ja zusammen, ihr schwächlichen Ratten, sonst beende ich es sofort und werfe euch tot in Kankras klebriges Netz. Das wäre dann eben ihr Pech, wenn ihr unterwegs krepiert seid, verstanden?" Frodo versuchte ihn zu beschwichtigen: „Ist schon gut, Sam braucht nur eine kleine Pause, und wenn es nicht anders geht, dann werde ich ihn eben tragen." Doch Schagrat lachte nur grausam. „Das könnte dir so passen, du Wurm, dann kommen wir ja nie im Düsterwald an. Also vorwärts jetzt!"
Sam hatte jedoch wieder hohes Fieber, und es dauerte nicht lange, bis er abermals stöhnend zusammensackte, doch als Frodo sich verzweifelt über ihn beugte, um ihn wieder aufzurichten, wurde er grob von Schagrat weggerissen. „Jetzt reicht es mir, ihr verblödeten Halblinge, ich habe genug von euren Spielchen!" Frodo blinzelte verstört. Der Uruk knurrte einen Moment lang gereizt und blickte Frodo schließlich grausam funkelnd an. „Ist auch egal, dann werden wir den hier eben zurücklassen und nur dich mitnehmen. Ich werde es Kankra schon erklären, und eine halbe Beute ist besser als gar keine. Dieser elende Wurm hier krepiert sowieso über kurz oder lang. Und damit es auch sicher ist, werde ich jetzt persönlich dafür sorgen."
Er zückte seinen Dolch und ging langsam auf Sam zu, aber Frodo stellte sich ihm verzweifelt in den Weg. „Bitte, das darfst du nicht tun..." Doch der Uruk stieß Frodo brutal zu Boden und griff entschlossen nach Sam, der sich vor Schwäche kaum wehrte. „Nein!", schrie Frodo in höchster Not und klammerte sich panisch am Bein des Riesen fest. Er war halb wahnsinnig vor Angst um seinen Freund und konnte nur schluchzend flehen: „Schagrat, ich bitte dich, tu das nicht, laß ihn am Leben, bitte..." Der Uruk war einen Augenblick lang verblüfft über Frodos Verhalten, doch dann schüttelte er ihn knurrend ab und herrschte ihn drohend an: „Was für ein Spiel ist das hier? Sage mir sofort, warum du dich so komisch benimmst, anstatt froh zu sein, dass ich ihn und nicht dich abmurkse." Frodo schluckte und konnte nur ganz schlicht erklären: „Weil er mein Freund ist." Offensichtlich verärgerte Schagrat diese Antwort, denn er riss Frodo direkt vor sein wütend verzerrtes Gesicht und brüllte: „Das ist Blödsinn, verkaufe mich nicht für dumm, du widerliche kleine Ratte!" Damit ließ er den Hobbit unsanft zu Boden fallen, wo er weinend und zitternd liegen blieb.
Die anderen Orks kicherten hämisch, bis Schagrat sie anfuhr: „Seid sofort still, ihr Würmer, sonst verfüttere ich euch auch noch an Kankra." Er wandte sich ab und brummte eine Weile unschlüssig vor sich hin. Doch plötzlich drehte er sich wieder zu Frodo um und verkündete: „Dieser kranke Halbling ist eine Last. Wir werden ihn hier zurücklassen und nur dich mitnehmen. Ich werde ihn nicht umbringen, da er sowieso in ein paar Stunden tot ist. Also komm jetzt weiter!" Frodo war am Boden zerstört, und doch glomm ein Funken Hoffnung in ihm, dass Sam auf diese Weise vielleicht noch eine Chance hatte. Unter dem Vorwand, sich von seinem Freund verabschieden zu wollen, gelang es Frodo, heimlich etwas linderndes Königskraut unter Sams Hemd zu stecken, bevor er wieder hochgezerrt wurde.
Weiter ging die qualvolle Reise, und um seine Todesangst zu unterdrücken, klammerte sich Frodo verzweifelt an den Gedanken, dass die anderen hoffentlich nahe genug waren, um Sam noch rechtzeitig finden zu können. Einzig diese lichtvolle Vision gab ihm Kraft und hielt ihn ruhig. Schagrat wurde nicht schlau aus diesem rätselhaften Halbling und ärgerte sich über jeden Gedanken, den er an ihn verschwendete. Doch irgendwann riss ihm der Geduldsfaden und er knurrte Frodo gereizt an: „Wieso bist du so still, Winzling? Hast du denn überhaupt keine Angst?" Der Hobbit entgegnete gefasst: „Doch, Schagrat, ich habe große Angst, denn ich habe furchtbare Erinnerungen an Kankra. Jedoch tröstet mich der Gedanke, dass Sam ihr nun entkommen ist. Und wenn Kankra mein Schicksal ist, werde ich es hinnehmen müssen, egal wieviel Angst ich davor habe." Schagrat brummte nur unwillig über diesen vermeintlichen Blödsinn, doch dann fauchte er Frodo warnend an: „Ich weiß nicht, was du im Schilde führst, du halbe Portion, und das ärgert mich gewaltig. Treibe es lieber nicht zu weit, denn um die Wahrheit zu sagen, würde ich dich lieber selbst fressen, wenn du nicht ausgerechnet für Kankra gedacht wärst. Hast du das verstanden?" Frodo nickte ängstlich und sagte nichts mehr.
Als dem Hobbit endlich eine Pause vergönnt war, ließ er sich erschöpft zu Boden sinken und war bald fest eingeschlafen. Die Orks hielten derweil blutige Mahlzeit und verschlangen alles, was sie unterwegs erwischt hatten, und so hatte Frodo Glück, dass er ihnen nicht bei ihrem grausigen Gelage zusehen musste. Bald wollte Schagrat den Hobbit wieder antreiben, aber er zögerte verwirrt, als er ihn im Schlaf lächeln sah. Als er Frodo schließlich unsanft anstieß, fuhr dieser erschrocken zusammen, und das Lächeln verschwand. „Los, komm weiter, kleine Ratte." Frodo kam zitternd auf die Beine, weil ihn schließlich doch der Mut zu verlassen drohte und die Angst wieder von ihm Besitz ergriffen hatte. Doch unerbittlich wurde er vorwärts getrieben.
Nach einem weiteren Tag hatte Schagrat endlich genug von der langsamen Gangart des Hobbits. „Das reicht jetzt, du lahme Schnecke. Du willst doch wohl nicht, dass Kankra inzwischen verhungert." Er lachte brüllend über seinen eigenen Witz und packte den Hobbit, um ihn wie ein Beutetier über seine rechte Schulter zu legen. Frodo ließ die Prozedur willenlos über sich ergehen, hatte er doch ohnehin nicht die geringste Chance, sich gegen die finstere Übermacht der Orks zu wehren. Während Schagrat ihn trug, ergab sich der Hobbit seiner lähmenden Hilflosigkeit, die ihm jedoch half, seine furchtbare Angst und Verzweiflung ein wenig zu betäuben.
Auf diese Weise vergingen die nächsten Tage, in denen Frodo sich immer stärker mit seinem Schicksal abzufinden schien. Von seinen Freunden war nirgends eine Spur zu entdecken. Vielleicht waren sie ja aufgehalten worden, weil sie Sam gefunden hatten. Doch eigentlich glaubte Frodo nicht mehr daran, zu sehr hatte er sich inzwischen der Hoffnungslosigkeit ergeben. Wenigstens ließen die Orks ihn jetzt in Ruhe. In der Tat hatten sie aufgehört, ihn bei jeder Gelegenheit herumzustoßen, stellte der Hobbit fest. Warum das allerdings so war, konnte er nicht ausmachen. Denn eigentlich lag es zu sehr in ihrer Natur, sich an der Angst ihrer Opfer zu weiden. Hatte Schagrat es ihnen vielleicht untersagt? Frodo ließ diesen Gedanken jedoch gleich wieder fallen, da er ihm doch ziemlich abwegig erschien.
Endlich erreichten die Orks die Tiefen des Düsterwaldes und eilten nun ohne weitere Rast zur Behausung der Riesenspinne. Schagrat setzte seinen Gefangenen vor dem Eingang der Höhle ab, um ihn lieber zu fesseln, bevor er ihn seiner Herrin übergeben würde. Doch kaum hatte Frodo die schwarze Öffnung im Felsen erblickt, da überrollte ihn die grausige Erinnerung an seine erste Begegnung mit Kankra, und er verlor völlig die Fassung. Panisch versuchte er wegzulaufen, was vollkommen sinnlos war, denn Schagrat hatte ihn fest im Griff. Dafür begann der Hobbit plötzlich aus Leibeskräften zu schreien und um sich zu treten mit aller Kraft, die er jetzt noch aufbringen konnte. Natürlich war er körperlich nicht in der Lage, sich gegen den Riesen zu behaupten, der ihn jetzt an den Armen packte, doch reichte sein Ausbruch, um den Uruk für einen Moment zu verblüffen. Schagrat schien nachzugrübeln, was er wohl mit diesem wild tobenden Wesen anfangen sollte.
Frodo versuchte noch immer, sich schreiend aus dem Griff des Uruks zu winden, der ihn jedoch plötzlich hinter ein dichtes Gebüsch schleifte, offenbar, um den hämischen Blicken der anderen Orks zu entkommen. Dort begann Schagrat, den Hobbit heftig zu schütteln, um ihn wieder zu sich zu bringen, und brüllte ihn zornig an: „Sei endlich still, du verdammte Ratte!" Doch gleichzeitig drückte er ihm eine kleine Flasche mit einer schwärzlichen Flüssigkeit in die Hand. Augenblicklich verstummte Frodo und blickte den Uruk statt dessen verstört an. Schagrat knurrte leise: „Das wird dir helfen, damit es schneller geht. Du brauchst dann nicht so lange zu leiden, wie sie es wohl gern hätte. Doch mehr kann ich nicht für dich tun. Also trinke es lieber, wenn du mich fragst." In seiner Verwirrung nahm Frodo einen großen Schluck und musste sofort husten, jedoch spürte er im selben Moment, dass er plötzlich ruhiger und teilnahmsloser wurde.
Schagrat brachte den Hobbit, der sich jetzt nicht mehr wehrte, tief in die Höhle hinein. Er folgte verzweigten Gängen, bis er eine riesige Grotte erreichte, in die durch eine winzige Öffnung an der Decke ein schmaler Lichtstreifen fiel, so dass Frodo verschwommene Schatten erkennen konnte. Der Uruk legte ihn in der Mitte der Grotte auf den kalten Steinboden, und der Hobbit war inzwischen so apathisch, dass er einfach reglos liegen blieb. Er sah, dass Schagrat sich tief verbeugte und hörte ihn rufen: „Ich habe deinen Auftrag erfüllt. Der andere ist leider unterwegs krepiert, doch der hier wird es auch tun, wo er dir doch damals entkommen ist. Er ist es nämlich, den du schon einmal in deinen Klauen hattest."
Ein grauenvolles Zischen und Rasseln ertönte als Antwort, und die riesige Spinne kam langsam aus einem Seitengang gekrochen. Da war sie, Kankra, die Herrin der Finsternis dieser Höhle, so riesig und furchterregend, dass selbst Schagrat vor ihrem Anblick erschauerte. Eines ihrer acht haarigen Beine zog sie hinkend nach, wohl ein Überbleibsel der Wunde, die ihr Sam in Cirith Ungol beigebracht hatte. Sie zischte durchdringend, denn offenbar war sie verärgert darüber, dass ihr diese Beute nun auf immer entgangen war. Doch da war ja noch der andere, den sie damals gar schon in ihre klebrigen Fäden eingesponnen hatte, und der ihr dann doch noch durch eine Laune des Schicksals entwischt war. Sie kroch zielstrebig auf Frodo zu und stellte sich direkt über ihn, um ihre hilflose Beute erst einmal in Augenschein zu nehmen.
Durch ihr Zischen aufgeschreckt, schien Frodo plötzlich aus seiner Betäubung zu erwachen und versuchte panisch vor ihr wegzukriechen. Doch Krankra setzte ihm eine ihrer scharfen Klauen auf die Brust und hielt ihn so mühelos am Boden fest. Langsam kam sie mit ihrem Giftstachel näher an Frodos Hals heran, und obwohl es völlig sinnlos war, hob der Hobbit seinen rechten Arm, um sich vor dem gefährlichen Stachel zu schützen. Kankra riss ihm mit einer anderen Klaue den Arm auf, aber der Schmerz war nicht so schlimm, wie der Hobbit es erwartet hätte. Offenbar wirkte Schagrats Trank betäubend auf all seine Sinne. Dafür konnte er jedoch nicht klar denken, und schließlich gab er erschöpft auf und schloss hilflos die Augen in Erwartung eines hoffentlich schmerzlosen Endes. Doch im nächsten Moment vernahm Frodo einen brüllenden Aufschrei von Schagrat, gefolgt von Krankras drohendem Zischen. Er spürte noch, wie er grob hochgerissen wurde, und dann gar nichts mehr. Er war ohnmächtig geworden.
Kapitel 2Als Frodo wieder zu sich kam, war es tiefe Nacht. Er lag unter einem Baum, und jemand hatte ihn in ein paar zerfetzte Lumpen gehüllt. Der Hobbit hatte schreckliche Kopfschmerzen von dem Orktrank. Plötzlich griff im Dunkeln jemand nach seinem Arm, und er erkannte den riesigen Uruk neben sich. Frodo schrie vor Angst auf, doch Schagrat hielt ihm sofort den Mund zu, und seine Augen glitzerten gefährlich.
„Wage es nicht zu schreien, du Wurm, oder es war das letzte Mal!" Frodo nickte schnell, und der Uruk ließ ihn knurrend los und wandte sich wieder seinem Arm zu. Frodo beobachtete irritiert, wie Schagrat ein schmutziges Tuch mit einer schwarzen Flüssigkeit tränkte und damit über die von Kankra gerissene Wunde strich. Der Hobbit zuckte vor brennendem Schmerz zusammen, hielt jedoch still. Als der Uruk anschließend den Arm ungeschickt mit ein paar Lumpen verband, hielt es Frodo nicht mehr aus. „Was ist passiert, wo ist Kankra, wieso bin ich hier?" „Halt den Mund!", fauchte Schagrat, ohne Frodo anzusehen und setzte seine Tätigkeit fort. Da bemerkte Frodo, dass auch der Uruk verletzt war, seine linke Schulter war blutverkrustet. Allerdings schien er keinen Schmerz zu verspüren.
Der Hobbit war verwirrter denn je und konnte seine Augen nicht von dem Uruk abwenden. Schagrat spürte den fragenden Blick und funkelte Frodo wiederum wütend an. „Was gibt es da zu glotzen, du kleine Ratte?" Aber Frodo ließ sich diesmal nicht beirren. „Warum hast du mich vor Kankra gerettet? Bitte, sag es mir." Doch Schagrats Knurren hatte wieder eine gefährliche Schärfe angenommen, und statt einer Antwort schlug er Frodo so hart ins Gesicht, dass er ihn sofort in die Bewusstlosigkeit zurückschickte. Er sprang brüllend auf und begann wie im Wahn Äste von den umstehenden Bäumen zu reißen. Dann packte er den leblosen Hobbit, hob ihn hoch über seinen Kopf, um ihn am nächstgelegenen Felsen zu zerschmettern und... hielt mitten in der Bewegung inne.
Wie unter einem Bann legte er Frodo fast sanft ins Gras zurück und bedeckte ihn wieder mit den Lumpen. Dann versorgte er seine eigene Wunde, und dabei schoss ihm durch den Kopf, dass er sich zuerst um den verletzten Halbling gekümmert hatte, um eine wertlose Ratte aus dem Auenland, die kaum groß genug für ein ordentliches Uruk-Frühstück war. Der Gedanke ließ ihn wieder wütend werden, und er nahm Frodos Kopf in seine große Pranke und dachte: Was wäre das hier schon, nur eine kleine Drehung, knacks und vorbei. Aber wo bliebe da der Spaß, wenn das Würmchen gar nichts davon spüren würde. Also vielleicht später... Statt dessen hob er den Hobbit wieder hoch und setzte sich in Bewegung in eine Richtung, die sie weiter von Kankras Höhle und den anderen Orks wegbrachte.
Als Frodo das nächste Mal erwachte, stöhnte er auf vor Schmerz, denn Schagrats Schlag war alles andere als eine Ohrfeige gewesen. Der Uruk kümmerte sich nicht darum, sondern hielt dem Hobbit statt dessen ein Stück rohes Fleisch vor die Nase. Frodos Magen verkrampfte sich sofort, und er schüttelte unendlich vorsichtig den Kopf, um den cholerischen Riesen nicht wieder zu verärgern. „Bitte, ich kann das nicht essen..." Diesmal blieb Schagrat gelassen. „Dann habe ich eben mehr davon, und von mir aus kannst du vor Hunger krepieren." Frodo war in der Tat ganz schwach vor Hunger, also wagte er sich behutsam weiter vor. „Ich wollte nicht undankbar sein, es ist nur, ich vertrage solche Nahrung einfach nicht. Aber es gibt in der Nähe sicher Pilze und Beeren, und wenn du mir erlauben würdest, mir ein paar zu suchen..." Schagrat verzog angeekelt das Gesicht. „Du gehst mir gewaltig auf die Nerven wie ein lästiger Floh. Also troll dich und such dir deinen Rattenfraß zusammen, aber verschone mich mit deinen Reden." Frodo stand langsam auf. „Ich werde auch bestimmt nicht weglaufen." Schagrat lachte hämisch. „Von mir aus kannst du bis nach Hause laufen, ist mir egal. Ich habe sowieso keine Verwendung mehr für dich, und wir sind inzwischen ohnehin schon ein ganzes Stück in Richtung Auenland weitergekommen."
Frodo erstarrte mitten in der Bewegung und vergaß schlagartig seinen Hunger. „Wir sind auf dem Weg ins Auenland?", rief er aus, doch im selben Moment sprang der Uruk wie ein Raubtier auf die Füße und setzte zum Sprung an. Frodo hob beschwichtigend die Hände und flüsterte panisch: „Ist schon gut, tut mir leid." Schagrat setzte sich wieder auf den Boden, doch sein funkelnder Blick sagte Frodo, dass er sich mit jedem weiteren Wort sicher wieder Kopfschmerzen, wenn nicht gar Knochenbrüche einhandeln würde.
Aber er musste jetzt alles auf eine Karte setzen. Mit dem hobbittypischen Mut der Verzweiflung ging er ganz langsam auf den Uruk zu, der Frodos Verhalten mit sichtlicher Verwirrung zur Kenntnis nahm. Der Hobbit blieb dicht vor Schagrat stehen und legte ihm vorsichtig eine Hand auf den Arm. Schagrat zuckte zusammen, als hätte Frodo ihn mit glühender Lava berührt, und fletschte knurrend die Zähne. Frodo zitterte vor Angst, ließ seine Hand jedoch liegen und blickte dem Uruk unverwandt in die Augen. Schagrat hielt seinen Blick fest, doch in seinen Augen glomm ein dunkles Feuer, ein Vulkan, der jeden Augenblick wieder auszubrechen drohte. Die Spannung wurde unerträglich.
Frodos Stimme war nur ein flehendes Flüstern, um den Vulkan zu besänftigen. „Warum tust du das? Bitte, ich möchte dich doch nur verstehen." „Es gibt nichts zu verstehen, laß mich in Ruhe!" grunzte Schagrat und schüttelte unwirsch Frodos Hand ab. „Du hast Schmerzen", sagte Frodo leise, „und ich würde dir gern helfen, wenn ich kann." Der Uruk schüttelte fast belustigt den Kopf. „Du redest nur Blödsinn, Würmchen, denn die Uruk-hai spüren kaum Schmerzen, wenn sie verwundet werden und sind nicht solche Wimmerlinge wie deine verweichlichte Rasse." Frodo versuchte es noch einmal. „Ich meine nicht die Wunde, die dir wahrscheinlich Kankra beigebracht hat. Es ist deine Seele, die leidet..."
Er wusste nicht, was es diesmal war, aber der verletzte Riese war selbst für einen Hobbit zu schnell. Er griff blitzartig nach Frodo, riss ihn zu Boden, setzte ihm ein Knie auf die Brust und legte seine Pranke um Frodos Hals. Dem Hobbit blieb die Luft weg, und er hatte das Gefühl, zerquetscht zu werden. Er konnte nur mühsam keuchen, solange er noch Atem hatte. Der Uruk über ihm hatte einen riesigen Stein vom Boden aufgenommen und drohend die andere Hand erhoben. Die Zeit wurde knapp.
Frodo spielte um sein Leben, denn Schagrat war unberechenbar in seiner ungezähmten Wildheit. Der Hobbit konnte vor Schmerzen und Luftmangel kaum sprechen. „Tu es jetzt, wenn du mich töten willst... aber was ist dann? Willst du zurück gehen in den Düsterwald und es erklären? Glaubst du, Kankra und deine Orks würden verstehen, was du getan hast? Bitte, Schagrat, ich bekomme keine Luft mehr!" Der Uruk lockerte seinen Griff um Frodos Kehle, zielte aber weiter mit dem Stein auf seinen Kopf. Frodo verzog schmerzhaft das Gesicht. „Du zerquetschst mich!" Aber dabei ließ sich Schagrat nicht erweichen. „Sag, was du zu sagen hast, du dreckige Ratte von einem Halbling, und wenn ich dich zerquetsche, bevor du fertig bist, dann hast du eben Pech gehabt."
Frodo fühlte Panik in sich aufsteigen, denn er hatte nicht die geringste Chance gegen die Riesenkräfte eines Uruk-hai. Ihm wurde übel vor Schmerzen, Schagrats Gewicht auf seiner Brust musste ihn jeden Augenblick zermalmen. Das Schlimmste war, dass er in diesem Zustand keinen klaren Gedanken fassen konnte... „Frodo, mein Name ist Frodo", redete er einfach drauflos. In der Miene des Uruks spiegelte sich ein Hauch von Unsicherheit. „Was? Was soll das?" Frodo keuchte gequält. „Ganz einfach, ich heiße nämlich nicht kleine Ratte oder Wurm oder halbe Portion, versuche es mit Frodo, das wäre mal ein Anfang..." Auf jeden Fall erreichte er damit, dass Schagrat für einen Moment aus dem Konzept gebracht war, was ihm allerdings nur kurzen Aufschub gewährte.
Der Uruk wurde gleich wieder zornig, und er riss an Frodos Haaren, dass dem Hobbit schwarz vor Augen wurde. Er brachte sein Gesicht ganz nah an Frodos und brummte mit bedrohlicher Ruhe: „Schluss mit den Spielchen. Die Zeit ist um. Wenn du mir nur einen einzigen wirklich guten Grund nennen kannst, warum du mir helfen willst, dann reiße ich dich vielleicht nicht in Stücke. Kannst du das nicht, werde ich dir den Schädel einschlagen und mich ein für allemal von dieser Plage befreien. Und komme mir nicht mit Dankbarkeit, weil Kankra dich nicht gefressen hat, denn ich glaube nicht an Dankbarkeit. Du hast nur eine Chance, also überlege dir genau, was du jetzt von dir gibst. Warum hast du gesagt, dass du mir helfen willst?" Frodo war totenbleich im Gesicht, als er mit letzter Kraft flüsterte: „Weil die Uruk-hai einmal Elben waren, die schönsten und reinsten aller Lebewesen..."
Kapitel 3Schagrat ließ langsam den Stein sinken. Er nahm sein Knie von der Brust des Hobbits und schüttelte ihn unsanft aus seiner Benommenheit, um ihn wieder zum Atmen zu bringen. Frodo nahm einen gierigen Atemzug und rieb sich die schmerzhaft gequetschten Rippen. Als das Flimmern vor seinen Augen nachließ, sah er, dass der Uruk immer noch neben ihm am Boden kauerte, ohne ihn jedoch anzusehen. Er schien vielmehr ganz tief nach innen gekehrt zu sein. Frodo wagte es nicht, ihn anzusprechen oder sich anderweitig bemerkbar zu machen. Endlich wandte ihm Schagrat wieder seinen Blick zu. Keine Wut, kein Zorn, keine Wildheit lagen darin, nur eine große Müdigkeit, so schien es Frodo. „Du kannst mir nicht helfen, Halbling, denn ich bin ein Verdammter!" Darauf wandte er sich wieder ab und stand auf, aber für einen Moment schien ihn all seine Kraft verlassen zu haben, denn er stand nur unsicher auf seinen Füßen. „Warte, Schagrat", rief Frodo und erhob sich mühsam. Der Uruk hatte ihm noch immer den Rücken zugekehrt. Frodo sprach leise und eindringlich: „Du bist kein Verdammter. Das ist nicht wahr, Schagrat, ich habe gespürt, dass du noch einen elbischen Funken in dir hast. Warum sonst hättest du mir helfen sollen? Laß dich nicht von dem zerstören, was Sauron aus dir gemacht hat. Du kannst ein anderes Leben geschenkt bekommen, wenn du nur daran glaubst."
Doch der Augenblick der Ruhe war vorbei. Der Uruk fuhr herum und brüllte wieder wie ein Tier. „Du verdammte Missgeburt, was hast du vor? Was für ein elender Zauber ist das, den du über mich verhängt hast. Denn alles, was geschehen ist, seit du meinen Weg gekreuzt hast, habe ich gegen meinen Willen getan, du widerlicher kleiner Teufel!"
Doch in diesem Augenblick verlor auch Frodo die Fassung und schrie ihn völlig entnervt an: „Natürlich hast du das gegen deinen Willen getan, die dämliches Ungetüm, denn du hast doch gar keinen eigenen Willen. Du hast immer nur fremden Mächten gedient. Wie wäre es, wenn du endlich mal für dich selbst denken würdest? Du willst Macht haben? Du kannst dich ja nicht mal entscheiden, ob du mich erschlagen, in Stücke reißen, fressen oder lieber am Leben lassen willst. Und weißt du was, ich bin es leid, immer Angst vor deinem nächsten Ausbruch zu haben. Ja, ich habe Angst vor dir, weil mein Leben in deiner Nähe in ständiger Gefahr ist, völlig abhängig von deinen unberechenbaren Launen. Ich halte das nicht mehr aus, also vielleicht könntest du einfach Bescheid sagen, wenn du dich endlich entschieden hast, was..." Er hielt mitten im Satz inne, als er sah, wie Schagrat langsam sein Kampfschwert aufhob und auf ihn zukam. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen starrte Frodo ihn an, als hätte ein Kaninchen eine Schlange erblickt. Der Schreck lähmte seine Glieder und er konnte sich keinen Millimeter rühren. Doch der Uruk blieb drei Schritte vor ihm stehen und knurrte nur: „Ich werde auf die Jagd gehen. Vielleicht habe ich ja Glück und du bist verschwunden, wenn ich wiederkomme." Er verschwand im dämmrigen Licht des Waldes und ließ Frodo einfach allein zurück.
Frodo zitterte am ganzen Körper und sein Herz raste. Vor plötzlicher Schwäche wegen des eben durchlittenen Schreckens gaben seine Beine nach und er sackte kraftlos zu Boden. Er weinte vor Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit. Es war purer Wahnsinn gewesen, einen Uruk auf diese Weise herauszufordern. Er hatte einfach nicht nachgedacht, weil seine Nerven blank lagen. Oder war es vielleicht doch kein Wahnsinn? Frodo versuchte, klar zu denken. Hatte er vielleicht instinktiv das Richtige getan? Schagrat hatte ihn immerhin nicht mit dem Schwert geköpft. Aber Frodo erkannte seufzend, dass das vielleicht gar nichts zu bedeuten hatte. Vielleicht hatte Schagrat gar nicht richtig verstanden, was er zu ihm gesagt hatte. Manchmal bezweifelte er, dass ein Uruk überhaupt irgendetwas begreifen würde. Auf der anderen Seite hatte ihm Schagrat jetzt zum zweiten Mal die Chance gegeben zu entkommen. Warum lief er nicht einfach los? Selbst wenn es sich Schagrat inzwischen anders überlegt hatte, hätte ein einzelner Uruk wohl kaum die Chance, einen flinken Hobbit im dichten Unterholz einzufangen. Mit etwas Glück würde er es in einer Woche bis nach Bruchtal schaffen, nachdem die Straßen nicht mehr so gefährlich waren wie zu Saurons Zeiten. Und wenn jemand etwas über Sams Schicksal wissen würde, dann dort. Außerdem mussten doch die anderen in der Nähe und längst auf seiner Fährte sein. Frodo stand entschlossen auf... und setzte sich wieder hin.
Warum konnte er es nicht tun? Wieso kam es ihm wie Verrat vor, wenn er jetzt gehen würde? Doch er kannte die Antwort längst. Weil dieser Uruk von nun an ein Ausgestoßener sein würde, völlig allein und von Feinden umgeben, denn die Uruks waren überall in Mittelerde verhasst. Er konnte nirgends hin, denn ein Zurück gab es für ihn nicht. Frodo fühlte, wie Mitleid in ihm aufstieg. Er seufzte und schüttelte traurig den Kopf, weil er sich hilflos und überfordert fühlte. Dieses Gefühl kam ihm nur allzu bekannt vor. Wieder stiegen ihm Tränen in die Augen. Wieso bin ich bloß nach Mittelerde zurückgekehrt, dachte er verzweifelt, ich hätte das alles nicht mehr erleiden müssen. Gleich darauf rief er sich wütend zur Ordnung, denn ihm fiel ein, dass sie Sam so oder so erwischt hätten, ob er da gewesen wäre oder nicht, und ohne ihn wäre es für Sam viel schlimmer geworden. Er schämte sich seiner egoistischen Gedanken. Doch plötzlich schoss ihm durch den Kopf, dass Schagrat vielleicht gar nicht wiederkommen würde. Wieso sollte er? Aber schließlich hatte er ihn bis hierher gebracht, den halben Weg zurück nach Hause. Und trotzdem, Gollum würde es ihm nicht danken, er würde ihn verraten. Frodo zuckte zusammen. Wieso Gollum? Er erschrak, als er merkte, wohin ihn seine Gedanken geführt hatten. Woran rührte seine Erinnerung? Frodo ließ sich erschöpft in das feuchte Gras sinken, krampfhaft bemüht, die wirren Bilder zu verjagen, und fiel kurz darauf in einen unruhigen Schlaf.
Kapitel 4Er erwachte mitten in der Nacht, als er Schagrat zurückkommen hörte. „Du bist also noch da, Winzling", stellte der Uruk nüchtern fest, als er ein totes Reh auf den Boden warf und sich daran machte, ein Feuer zu entfachen. Frodo beobachtete ihn erstaunt. „Ist es nicht ein bisschen gefährlich, mitten in der Nacht Feuer zu machen?" Schagrat knurrte unwirsch, was der Hobbit schon fast gewohnheitsmäßig zur Kenntnis nahm. „Hör mal, Würmchen, ich denke, du kriegst kein rohes Fleisch hinunter. Aber wenn du willst, dann zeige mir ruhig, wie du das Vieh hier ohne Feuer braten kannst, großer Hexenmeister!" Frodo runzelte die Stirn, weil er nicht genau ausmachen konnte, ob dieser Satz scherzhaft gemeint sein sollte oder ob Schagrat schon wieder verärgert war. Vorsichtshalber entschied er sich für die zweite Möglichkeit und beschloss, vorerst nichts mehr zu sagen. Dafür sah er dem Uruk weiter interessiert zu, wie er sich mühte, das Feuer in Gang zu bringen, denn Uruks waren nicht unbedingt bekannt dafür, dass sie sich viel aus Feuer machten, wo sie nun mal am liebsten rohes Fleisch aßen. Aber als Schagrat schließlich sein Schwert nahm und begann, das Reh brutal in große, blutige Stücke zu hauen, bekam Frodo eine Gänsehaut und wandte angewidert den Blick ab. Seufzend erkannte er, dass sich die Begriffe ‚orkisch' und ‚ästhetisch' wirklich in keinerlei Zusammenhang miteinander bringen ließen, schon gar nicht beim Essen. So etwas musste jeden Hobbit schütteln!
„Was ist, hat es dir die Sprache verschlagen, kleine Kröte?" Frodo schnaufte verärgert, da er ja als Hobbit jede Form von Unhöflichkeit ohnehin ablehnte. Kleine Kröte, das war ja mal was Neues. Doch irgendwie hatte er das Gefühl, dass es diesmal nicht böse gemeint war. Aber er wollte es genau wissen, nahm deshalb all seinen Mut zusammen und erwiderte: „Nein, du großes tollpatschiges Ungeheuer, aber ich habe übelsten Hunger, also sieh gefälligst zu, dass du das Essen fertig bekommst!" Er hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, denn sicher würde sich Schagrat gleich wieder auf ihn stürzen oder ihn gar gleich ins Feuer werfen. Doch statt dessen zuckte Frodo erschrocken zusammen, als er den Uruk plötzlich in dröhnendes Lachen ausbrechen hörte. „Na, sieh mal einer an, du kannst ja auch normal reden, wer hätte das gedacht." Frodo schüttelte sich innerlich, weil es ihm gelungen war, Schagrats Eis für einen Moment zu brechen, indem er sich der Ausdrucksweise eines Orks bedient hatte. Bei den Valar, was würde als nächstes kommen? Aber wenigstens war das im Moment wirklich die angenehmere Lösung. Frodo seufzte ergeben.
Die nächste Stunde sah den riesigen Uruk und den kleinen Hobbit einträchtig am Feuer sitzen und essen, als wäre es immer so gewesen. Niemand störte ihre Ruhe. Natürlich verschlang Schagrat seinen Anteil roh und blutig, aber Frodo trug es mit Fassung, denn er war selbst so ausgehungert, dass es ihm im Moment völlig egal war, was der Uruk tat oder nicht tat. Doch als Frodos dringendstes Bedürfnis nach Nahrung befriedigt war, begann er wieder fieberhaft nachzudenken. Irgendetwas musste geschehen, aber was?
Schagrat bemerkte Frodos angestrengten Gesichtsausdruck und grunzte: „Dir ist wohl schlecht geworden von dem Fraß!" Frodo stöhnte innerlich über die ‚Sensibilität' des Uruks, riss sich aber zusammen. Er musste es noch einmal versuchen, und er wusste, dass es schwierig sein würde. „Schagrat, was hältst du davon, wenn wir zusammen nach Bruchtal gehen?" Die Augen des Uruks verengten sich sofort misstrauisch. „Wozu sollte das gut sein?" Frodo sprach weiter: „Dort sind Elben, die dir vielleicht helfen können, damit du..." Schagrat fauchte warnend wie eine Wildkatze, doch Frodo ließ sich diesmal nicht beirren und seine Stimme wurde schärfer. „Verdammt, jetzt hör mir doch mal zu, ohne gleich zu explodieren, kriegst du das hin?" Schagrat knurrte immer noch unterschwellig, doch als der Hobbit unwirsch die Hand hob, ließ ihn das verstummen. Frodo war einen Moment verblüfft über die Wirkung dieser einfachen Geste, hatte aber keine Zeit, jetzt weiter darüber nachzusinnen.
„Jetzt versuche doch wenigstens einmal nachzudenken. Was willst du denn tun? Du musst doch irgendwo hin. Oder willst du allein durch die Wälder streifen, bis deine Orkbrüder dich finden?" „Ich habe keine Brüder, aber wenn diese Dummköpfe auftauchen, werde ich schon mit ihnen fertig", unterbrach ihn Schagrat, und seine Augen begannen wieder zu glühen, „und was geht es dich an, warum kümmert es dich überhaupt?" Frodo blickte ihn mitleidig an. „Ich fühle mich für dich verantwortlich, weil du es mir zu verdanken hast, dass du jetzt in dieser Lage bist..." Schagrat lachte bitter. „Du redest wieder wirres Zeug, Schwachkopf, und scheinbar hast du vergessen, dass ich es war, der dich erst zu Kankra gebracht hat." „Nein, Schagrat, das habe ich nicht vergessen, aber das ist nicht mehr wichtig. Alles ist jetzt anders." Der Uruk war wieder irritiert. „Denkst du, ich falle darauf herein und weiß nicht, dass du dich dafür rächen wirst, wenn du erst wieder deine Leute um dich hast? Hältst du mich für so dumm?" Frodo seufzte und schüttelte den Kopf. Es war hoffnungslos.
Doch bevor er aufgab, fiel ihm ein, dass Schagrat ihm eine Frage noch immer nicht beantwortet hatte, oder anders ausgedrückt, Frodo konnte sich noch ziemlich genau an die schlagkräftige Antwort des Uruks erinnern, und die Erinnerung daran jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Doch zäh, wie Hobbits nun einmal sind, wagte er es schließlich doch, Schagrat noch einmal darauf anzusprechen. „Und willst du mir inzwischen sagen, warum du mich eigentlich vor Kankra gerettet hast?" Der Uruk ballte augenblicklich seine riesigen Pranken zu Fäusten und fletschte seine Zähne zu einer grausigen Grimasse. Frodo duckte sich in Erwartung eines fürchterlichen Schlages. Doch statt dessen sprang Schagrat brüllend auf und fing an, rasend wie ein wildes Tier links und rechts Büsche aus dem Boden zu reißen. Frodo erbleichte bei diesem Anblick. Er konnte es sich nicht erklären, doch offensichtlich litt der Uruk wirklich fürchterliche Qualen, wenn es um diese Frage ging. Vielleicht war ihm auch das von Sauron angezüchtet worden, dass jeder noch so winzige Gedanke an Mitgefühl ihm höllische Schmerzen verursachte. Und das Schlimmste war, dass er wahrscheinlich nicht einmal wusste, dass er Schmerzen hatte, dass er gar nicht begreifen konnte, was man ihm angetan hatte. Denn er war ja einzig zu dem Zweck geschaffen worden, für einen dunklen Herrscher zu kämpfen und zu töten. Frodo empfand plötzlich überwältigendes Mitleid mit dieser gestörten Kreatur, fühlte sich aber gleichzeitig unendlich hilflos, weil er nicht die geringste Ahnung hatte, was er tun sollte.
In diesem Moment erinnerte sich der Uruk wieder an Frodo, und er stürzte wie ein Stier auf ihn zu. Frodo blinzelte vor Panik und versuchte zurückzuweichen, doch Schagrat griff nicht nach ihm, sondern schrie nur: „Was ist? Was glotzt du so, du verdammter kleiner Mistkäfer?" Frodo versuchte verzweifelt, den rasenden Uruk zu beruhigen. „Schagrat, es tut mir leid, ich werde dich nicht mehr fragen, ich verspreche es dir. Bitte sei mir nicht böse." Wie durch Zauberhand gelenkt, verebbte der Wutanfall des Ungetüms schlagartig, und Frodo atmete vorerst erleichtert auf, auch wenn seine Nerven zusehends angeschlagen waren. Das hier kostete ihn einfach zu viel Kraft. Wieder fühlte er sich klein und schwach gegen diese Übermacht des Bösen. Aber er konnte doch immer noch einfach gehen. Doch sofort schob Frodo diesen Gedanken als sinnlos beiseite. Er würde es nicht können, und er wusste es. Ihre beiden Schicksale waren inzwischen viel zu eng miteinander verknüpft...
Kapitel 5Als Frodo am nächsten Morgen erwachte, stellte er fest, dass der Uruk ihn während der Nacht schon wieder ein ganzes Stück weitergetragen hatte. Scheinbar mussten diese Geschöpfe nie wirklich schlafen, genau wie Elben. Doch der Hobbit konnte sich überhaupt nicht erklären, wieso er nichts davon gespürt hatte, er konnte doch in dieser unsicheren Lage unmöglich einen solch festen Schlaf haben. Waren das etwa besondere Fähigkeiten dieser großen Kampforks, jemanden in eine Art Trance und damit außer Gefecht zu setzen? Wenn es so wäre, wären sie doch den Elben wieder ähnlicher als die kleineren Höhlenorks. Trotzdem verursachte der Gedanke an die Möglichkeit einer solchen Gabe Frodo ein ziemliches Unbehagen, denn alles in allem war er Schagrats Gnade noch immer völlig ausgeliefert. Und doch tröstete ihn der Glaube, dass es ja vielleicht auch anders war, dass der elbische Funke in Schagrat erwachte und sich unmerklich weiter ausbreitete. Frodo klammerte sich seufzend an diese Vorstellung.
Der Uruk riss ihn aus seinen Gedanken, indem er verkündete, dass er wieder auf die Jagd gehen würde. Frodo nickte abwesend und war froh, seiner Gesellschaft für ein paar Stunden zu entkommen. Wieder schlichen sich Zweifel in sein Herz, ob das alles je zu etwas Vernünftigem führen würde. Er hatte noch immer keinen Schimmer, wie es mit Schagrat weitergehen sollte. Gleichzeitig machte er sich bittere Vorwürfe, weil er in den letzten Tagen so wenig an Sam gedacht hatte. Wenn er doch nur wüsste, ob sein treuer Freund überlebt hatte. Es ging einfach so nicht weiter, er musste dringend etwas unternehmen. Schagrat schleppte wieder irgendeine blutige Masse heran, und Frodo wollte lieber nicht wissen, um was für ein Tier es sich handelte. Denn Uruks war ja jede Sorte Fleisch willkommen. Aber da Frodo großen Hunger hatte, waren Kompromisse wohl unvermeidlich. Der Hobbit unterdrückte tapfer einen Würgereiz.
Als das Feuer wieder entfacht war, sprach er den Riesen entschlossen an. „Schagrat, ich habe mir etwas überlegt. Ich muss unbedingt so schnell wie möglich nach Bruchtal, und wenn du wirklich nicht mitkommen willst, dann ist es wohl doch das Beste, wenn wir uns an der nächsten Abzweigung trennen. Denn ich kann nur dort auf dem schnellsten Wege etwas über das Schicksal meiner Freunde erfahren. Und ob du das verstehst oder nicht, das ist mir wirklich wichtig. Diese lange Ungewissheit ertrage ich einfach nicht länger..." „Jetzt mal schön mit der Ruhe, Würmchen," knurrte der Uruk dazwischen, „ich meine, du kommst mit mir viel schneller vorwärts als auf deinen eigenen komischen Füßen, oder wie sehe ich das?" Frodo wollte Schagrat nicht wieder erzürnen und beeilte sich zu sagen: „Das hat gar nichts mit dir zu tun, aber ich glaubte, dass dir der Gedanke an Bruchtal so gar nicht behagt. Außerdem weiß ich nicht, ob sie nicht vielleicht schon in der Nähe sind, und das könnte ja auch für dich gefährlich werden, wenn wir auf sie stoßen, denn sie können ja nicht wissen, dass...", er suchte eine ungefährliche Formulierung, „dass du mir vielleicht nicht mehr ganz so feindlich gesonnen bist." „Wie kommst du denn darauf?" fragte Schagrat wieder etwas schärfer.
Frodo ließ diesen Gedanken fallen und bog schnell in eine andere Richtung. „Es ist nur, mich quält der Gedanke, dass ich nicht weiß, was aus Sam geworden ist..." „Wer ist Sam?" Frodo verdrehte die Augen, doch erklärte geduldig: „Sam, mein Freund, der andere Halbling, den ihr verschleppt hattet..." Der Uruk warf einen kleinen Stein nach Frodo, offensichtlich nicht, um ihn zu verletzen, sondern vielmehr war es wohl seine Art, ihn auf diese Weise aufmerken zu lassen. „Was hast du denn wieder für einen Krötendreck im Hirn, diese andere Ratte ist doch längst krepiert, hast du das vergessen?" Frodo widerstrebte es plötzlich sehr, weiter mit Schagrat darüber zu sprechen, trotzdem redete er weiter. „Das kannst du nicht wissen, vielleicht wurde er rechtzeitig gefunden und hat die richtige Medizin bekommen." „Blödsinn", geiferte der Uruk wieder, „er ist tot und verrottet und die Würmer haben ihn längst gefressen, hast du das kapiert?" Frodo erbleichte unter der grausig endgültigen Feststellung des Ungetüms und rang um seine Fassung. Leise sagte er: „Ich habe trotzdem noch Hoffnung..." Schagrat fletschte die Zähne. „Hoffnung? Was ist das?"
Frodo gab auf und ließ resigniert den Kopf sinken. Er hatte keine Kraft mehr, sich dieser dunklen Macht entgegenzustellen, die ihm jeden hellen Lichtfunken aus der Seele zu pressen schien. Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und wollte nichts mehr sehen und hören. Aber die Dunkelheit, die sich plötzlich auf sein Gemüt gelegt hatte, ließ ihn nicht aus ihren Krallen. Vielmehr hatte er das Gefühl, in einen gähnenden Abgrund zu stürzen. Schwindel und Übelkeit überrollten ihn, er zitterte und ihm brach kalter Schweiß aus. Er hatte das Gefühl, als würde sein Herz mit einer eisigen Zange zusammengepresst werden. Er konnte nicht mehr atmen und meinte zu ertrinken, denn unaufhörlich wurde er in die Tiefe gezogen. Unheimliche Stimmen und wildes Zischen drangen auf ihn ein. Dreckiger Dieb, Beutlin! Glühende Augen und überall Spinnweben. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Schwarze Schwingen, die über ihn hinweg fegten. Grauenvolle Schreie aus der Vergangenheit schienen sein Gehirn zu durchbohren, er kannte diese Schreie, diese gesichtslosen schwarzen Gestalten, die mit skelettartigen Klauen nach ihm griffen. Lasst mich in Ruhe, ich habe ihn nicht mehr... Doch die Klauen hielten ihn unerbittlich fest. Frodo schrie und weinte, als er verzweifelt versuchte, sich zu befreien, doch er wurde endlos weitergeschüttelt und würde sich sicher im nächsten Moment übergeben... Wieder eine Stimme, diesmal von ganz weit her, immer wieder... „Wach auf, verdammt, komm zu dir!"
Frodo bekam plötzlich wieder Luft und hatte das Gefühl, empor gehoben zu werden. Er blinzelte benommen und versuchte den Nebel zu durchdringen, der ihm noch immer die Sicht nahm. Langsam begriff er, dass Schagrat ihn gepackt und hochgezogen hatte und ihn nun mit undeutbarem Gesichtsausdruck anstarrte. „Was ist mit dir? Geht es dir nicht gut?" Frodo erinnerte sich wieder, wo er war, doch das beruhigte ihn im Moment überhaupt nicht. Er wollte nicht hier sein und versuchte verbissen, sich aus dem Griff des Uruks zu winden. „Lass mich in Ruhe!", kreischte er panisch. Schagrat ließ ihn verstört los und trollte sich brummend ans Feuer zurück. Frodo hingegen griff nach einem in der Nähe liegenden schmutzigen Fell, um sich schluchzend darunter zusammenzukauern.
Er keuchte vor Schwäche, und sein Herz schlug immer noch wie wild. Trotzdem verspürte Frodo fürs erste eine gewisse Erleichterung, dass der Alptraum von ihm gewichen war, und langsam wurde er wieder ruhiger. Und erst in diesem Moment fiel ihm ein, was Schagrat ihn gefragt hatte, und dem Hobbit stockte der Atem. Nur wagte er kaum zu hoffen, dass der undeutbare Ausdruck im Gesicht des Uruks so etwas wie Besorgnis gewesen sein könnte. Frodo wandte seinen Blick vorsichtig in Richtung Feuer und sah Schagrat dort reglos sitzen. Doch die Miene des Riesen war finsterer den je. Frodo fröstelte und zog das Fell enger um sich. Schließlich übermannte ihn die Müdigkeit und er schlief erschöpft ein.
Er erwachte, als er die riesige Pranke des Uruks auf seiner Stirn fühlte. Frodo blinzelte verwirrt und setzte sich auf. Schagrat kniete neben ihm. „Hast du endlich ausgeschlafen, kleine Kröte?" Doch ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete Schagrat die andere Hand und ließ etwas vor die Füße des Hobbits fallen. Es waren Pilze. Frodo blickte verwundert auf und sah Schagrat vorsichtshalber erst einmal nur fragend an. „Na, was glotzt du denn schon wieder wie ein Kaninchen, du musst doch Hunger haben, hast schließlich nach deinem Geschrei gestern nichts mehr gegessen, oder? Und wenn ich das richtig mitbekommen habe, bist du doch ganz wild auf diesen Schneckenfraß!" Frodo lächelte vorsichtig. „Danke, Schagrat", sagte er leise. Doch der Uruk knurrte nur unwirsch. Natürlich, was sollte er auch sonst tun, dachte Frodo, er kann ja mit Dankbarkeit nichts anfangen. Nichtsdestotrotz gab sich der Hobbit dem warmen Gefühl hin, dass ihn plötzlich durchströmte.
Schagrat hatte sich schon wieder abgewandt, doch Frodo sprang auf und rief ihm hinterher: „Warte, ich muss dir etwas sagen." „Willst du mir wieder auf die Nerven gehen?", brummte der Riese, drehte sich jedoch zu Frodo um, um zu hören, was es gab. „Es tut mir leid, dass ich dich gestern angeschrieen habe, doch es ging mir wirklich nicht gut", erklärte der Hobbit schlicht. „Und wenn schon, wen interessiert das?" „Dich hat es interessiert..." Schagrat war für einen Moment verblüfft und wollte wieder lospoltern. „Du redest schon wieder..." „...Blödsinn, kleine Kröte, ich weiß" fiel Frodo ihm ins Wort und beendete den Satz für ihn. Der Uruk war nun völlig aus dem Konzept, und da er nicht wusste, was er antworten sollte, nahm er einfach wieder sein Schwert vom Boden auf. Doch diesmal zuckte Frodo nicht zusammen. „Ich gehe wieder auf die Jagd, denn ich kann mich ja unmöglich von Schneckenfraß ernähren", grummelte Schagrat und stapfte zielstrebig los. Fast sah es wie eine Flucht aus. Doch bevor er im dichten Wald verschwand, drehte er sich noch einmal um und sah den Hobbit dort stehen, breitbeinig, mit verschränkten Armen und einem unverkennbar verschmitzten Ausdruck im Gesicht, mit dem der Uruk natürlich so gar nichts anfangen konnte. Verwirrt schüttelte er den Kopf und verschwand im dichten Unterholz.
Frodo lächelte still vor sich hin, als der Uruk außer Sichtweite war. Er wusste plötzlich wieder, was Hoffnung war...
wird fortgesetzt...
