Es ist ein seltsames Gefühl, plötzlich zu existieren. Von einem Moment auf den anderen ist man einfach da, ohne vorher gewesen zu sein... man erinnert sich an nichts und doch hat man das Gefühl, seit ewig zu existieren. Glücklicherweise muss sich sonst niemand damit herumschlagen. Eine Geburt ist etwas Anderes, während man im Mutterleib heranwächst fangen die Prozesse des Denkens allmählich an und setzen nicht plötzlich ein. Anders als bei diesem Mann hier...
Doch weitaus schrecklicher ist die Tatsache, dass das erste Gesicht, das er sah, das des Dekans war. Der Dekan machte einen neugierigen Eindruck. "Tatsächlich, es hat funktioniert", kommentierte er und trat einige Schritte zurück. "Er scheint zu leben."
Ponder Stibbons war überrascht. Aber nicht darüber, dass sein Experiment geklappt hatte. Nein, das war ihm von Anfang an klar gewesen. Überrascht war Stibbons viel mehr über die fehlerfreie Aussprache des Wortes "funktioniert" beim Dekan. "Äh. Ja."
"Wie nennen wir ihn?", fragte der Oberste Hirte gelangweilt. Er stand in der Nähe der Tür, um so schnell wie möglich rauszukommen, wenn das hier vorbei war.
Auch Ridcully war anwesend, gemeinsam mit dem Dozenten für neue Runen und aus einem unerfindlichen Grund auch dem Bibliothekar. Der Quästor war physisch gesehen auch da, in Gedanken weilte er jedoch irgendwo anders.
Ridcully nahm die Worte des Obersten Hirten zum Anlass, eine Rede zu halten. "Dies ist ein Moment, auf den wir alle gewartet haben. Wir, die wir Zauberer sind, haben es geschafft Leben zu schaffen. Wahrscheinlich mithilfe von irgendwelchen Zeit- Kontinuinuums und seltsamen Kanten..." "Quanten, meinst du", nuschelte Stibbons kurz. "Ja. Und jetzt habe ich Hunger."
"Ugh."
"Da hat er Recht, Erzkanzler. Wir haben grade erst gegessen", erinnerte ihn Stibbons.
"Na und? Ich habe auch Hunger!", meckerte der Dekan. Der Oberste Hirte war bereits durch die Tür geschlüpft, als er die ersten Anzeichen von Wir gehen gleich gehört hatte.
Ponder seufzte und versuchte das Ganze zu beschleunigen. "Wir nennen ihn einfach David."
"Was ist denn das für ein Name!", ereiferte sich der Dekan und vergaß für eine kurze Zeit seinen Hunger. "Wir nennen ihn Adam, wie den ersten Menschen!" Stibbons sah den Dekan entsetzt an. "Das können wir nicht machen! Das ist einfallslos! Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass irgendeiner der Götter ein Copyright auf diesen Namen gelegt hat!"
Ein Streit bahnte sich an. Ridcully fand Auseinandersetzungen solcher Art recht interessant und setzte sich, um das Schauspiel zu genießen. Der Bibliothekar aß Nüsse und Bananen. Der Dozent für neue Runen blickte sehnsüchtig zur Tür und war einige Sekunden darauf nicht mehr anwesend. Er hielt es nicht mehr für nötig, da zu bleiben.
Der Quästor zählte nicht zu den Anwesenden, somit blieb nur noch der Mann übrig. David. Oder Adam.
Er wusste ungefähr, worum es ging. Es ging um ihn. Und der dicke Mann und der Mann, der keinen Bart hatte aber dafür eine Brille, stritten sich darum, wie sie ihn nennen sollten.
Er nannte sich selber zurzeit insgeheim Dadam, denn Menschen brauchen einen Namen. Dadam hatte es für klüger gehalten, nichts zu sagen. Es war alles so... verwirrend. Er wusste einige Sachen, zweifellos. Aber es war nur das absolut Wichtigste, zum Beispiel: Wie muss man sich bewegen, um zu gehen? oder Wie spricht man? Er verstand, was gesagt wurde, ohne dass jemand es ihm beigebracht hätte. Hilflos sah er sich nun nach einer vernünftig wirkenden Person um. Die Streitenden kamen nicht in Frage, der Mann, der das Geschehen beobachtete auch nicht, das haarige Knäul, das aß, sah nicht nach Artgenosse, nicht nach Mensch aus. Da war aber noch Jemand... Dieser Jemand stand herum und starrte an die Decke.
Dadam folgte seinem Blick und sah... Stein.
"Es bewegt sich, es bewegt sich!", rief der Dekan und unterbrach seinen Streit mit Stibbons. Ponder sah ihn nochmal böse an. "Es ist kein es, sondern ein er, das siehst du daran, dass es ausgestattet ist."
"Was?"
Ach ja... Da war ja noch... Dadam hatte es schon bemerkt. Die anderen hatten alle etwas an, nur er war ohne Kleidung. Er fühlte Scham. "Ähm, habt ihr noch was zum Anziehen?"
"Es spricht, es spricht!"
"Du verletzt seine Gefühle, Dekan!", tadelte Ridcully und wandte sich an Dadam. "Lasst ihn doch entscheiden. Wie willst du denn heißen?" Dadam brauchte nicht zu überlegen. Er hatte sich recht schnell an seinen Mischnamen gewöhnt. "Dadam", antwortete er und fragte noch einmal: "Habt ihr Kleidung?"
Aber die anderen ignorierten ihn. "Ah, Dadam. Das war bestimmt das erste Geräusch, das er gehört hat. Sehr prägend, das erste was man hört. Notier das, Stibbons." "Um ehrlich zu sein, Erzkanzler, ich habe erst Dadam gesagt und dann den Hebel gezogen. Außerdem hat es eher wie Tadaa geklungen, was ich gesagt habe", erwiderte Stibbons.
"Dann notier, dass das vorerste Geräusch prägend wirkt, Stibbons", meinte Ridcully und ignorierte den Teil mit Tadaa. Ponder zuckte mit den Schultern. Er kritzelte irgendwas auf irgendeinen Block, um den Erzkanzler glücklich zu stimmen. Dann wandte er sich an Dadam, um ihm das Wichtigste zu erklären.
"Also, ähm. Dadam, meine ich. Du existierst seit ungefähr sieben Minuten und wurdest durch uns gezeugt. Äh. Sozusagen. Wir haben mithilfe thaumaturgischer Energie und..."
"Stibbons, ich habe Hunger", verkündete Ridcully. "Überspringen wir das", sagte Ponder missmutig. "Du bist so gesehen unser Experiment, wenn dich das nicht verletzt. Du kennst und kannst das Wichtigste und wir wollen sehen, wie du auf Ankh-Morpork und seine Einwohner reagierst, das ist alles."
Der Dekan schien sich verpflichtet zu fühlen, noch etwas hinzuzufügen. "Vor deiner Entstehung haben wir besprochen, dass wir dir besser nicht sagen, dass du nur 24 Stunden leben kannst."
"DEKAN!", riefen Stibbons und Ridcully empört. Außerdem war noch ein undeutliches "Iekh!" zu hören, entsprungen aus einem vollen Orang-Utan Mund.
24 Stunden = 1 Tag, dachte Dadam. Diese Erkenntnis erschütterte ihn jedoch nicht weiter, denn er wusste noch nicht, wie kurz ein Tag war. Die anderen Männer stritten schon wieder, recht häufig kamen Begriffe wie "unhöflich" und "Ugh" darin vor, denn selbst der Bibliothekar stritt mit. Nur der Quästor träumte noch...
Dadam ging unbemerkt in dessen Richtung.
Allmählich begann er, die Umgebung zu sehen. Richtig zu sehen, nicht nur zu bemerken. Das was er sah, war nicht gerade gemütlich. Überall lagen verschiedenste Metallteile und die Wände und der Boden mochten mal weiß gewesen zu sein, mittlerweile waren sie rußgeschwärzt. Feuerschäden, dachte Dadam. Und er hatte Recht: Dies war ein recht kleiner Raum, indem Stibbons ab und zu kleine, oder wie in diesem Fall auch größere, Experimente durchführte. Explosionen blieben nicht aus.
Einige auseinandergebauten Maschinen standen träge und nutzlos herum, die einzige, die in Betrieb war, war die, aus der Dadam gerade ausgestiegen war. Sie hatte die Form eines Zylinders und an einer Seite war ein roter Hebel angebracht; Massiver Stahl umschloss sie, bis auf einen recht breiten Spalt. Die Zauberer hätten sicher nicht durch gepasst.
Dadam erreichte den Quästor. Er stupste ihn an und fragte: "Hast du Kleidung?"
Der Quästor schien aus einem Traum zu erwachen und hörte auf, die Decke zu fixieren. "Äh, ja", antwortete er verwirrt.
"Gibst du mir welche?"
"Wenn du willst...", antwortete er und fing an, an seinem Gürtel herumzufingern.
"Äh, nein, nein, nicht nötig. Ich laufe gerne nackt durch die Gegend, weißt du?", sagte Dadam schnell. Er besaß schon einen gewissen Grad an Anstand und der sagte ihm jetzt: Lieber läufst du nackt herum, als dass du den seltsamen Mann da ohne Kleidung siehst.
"Ehrlich?", fragte der Quästor skeptisch. Dadam überlegte kurz. "Ich hätte gern frische Kleidung."
"Dann komm mit!", sagte er und packte Dadam am Handgelenk, um ihn mitzuziehen. Der Quästor lief gegen die Tür. Er prallte zurück und lief nochmal gegen die Tür. Dann erinnerte er sich, dass man die Klinke benutzen musste und gelangte endlich heraus aus dem Raum, Dadam im Schlepptau.
Die Tür fiel ins Schloss. Ridcully blickte auf. "Hey, Dadam ist weg!"
"Was?", fragte Stibbons und bemerkte auch, dass die Maschine leer war.
"Ugh!"
"Nein, er kann nicht durch den Spalt gekommen sein, der ist zu schmal. Wir haben doch extra den Dekan als Maß benutzt", sagte Ridcully.
"Aber der Dekan ist recht, nun, breit!", gab Stibbons zu bedenken. Der Dekan wirbelte herum (sein Schwabbelbauch wirbelte noch etwas weiter, um dann nach und nach von links nach rechts schwenkend wieder in die richtige Position zu kommen) und starrte Stibbons böse an. "Das sagst du nur, weil wir uns gestritten haben! Erzkanzler, er hat mich beleidigt!"
"Lass das in Zukunft bleiben, Stibbons. Wahrscheinlich ist irgendwas schief gelaufen und Dadam hat nur 10 Minuten gelebt. Außerdem habe ich Hunger." Er drehte sich Richtung Tür. "Und viel wichtiger ist: Der Quästor ist weg! Und er hat seine Froschpillen liegen lassen! Wir suchen ihn, wenn wir mit dem Essen fertig sind." Damit ging Ridcully zum Speisesaal, den meist-frequentierten Raum in der Unsichtbaren Universität, dicht gefolgt vom Dekan, der Stibbons nochmal die Zunge rausstreckte und fast in der Tür stecken blieb. Ponder selbst ließ erst den Bibliothekar vor und nahm dann leicht deprimiert die Froschpillendose vom Boden, um den anderen zu folgen.
