Zurück ins Leben
1. Ein Traum zerplatzt
„Ich habe dich Kowalski doch nicht ausgespannt, damit du mich jetzt nicht 'ranlässt." Lisa saß auf ihrer Fensterbank und dachte an den vergangenen Abend mit David. Rokko hatte ihr alle Zeit der Welt versprochen… Und David? Für ihn war sie nur eine Trophäe, ein weiteres Betthäschen. Eine Woche waren sie jetzt zusammen und heute wollte er, dass sie mit zu ihm kommt. Kaum hatte er die Tür hinter ihnen geschlossen, wollte er mehr als nur Küsse. Soweit war sie noch nicht und sie war sich nicht sicher, ob sie je soweit sein würde. David war sichtlich aufgebracht, als sie ihn von sich schob. Lisa kam nicht einmal dazu, ihm auch nur ansatzweise zu erklären, warum sie nicht konnte. „Dann hat das mit uns wohl keinen Sinn. Werde erwachsen und wenn du dann nicht mehr so entsetzlich prüde bist, dann kannst du gerne noch einmal kommen." Völlig aufgewühlt und durcheinander hatte Lisa die Villa Seidel verlassen. Ihr Traum von David war zerplatzt, sie hatte gehofft, er wäre verständnisvoller, einfühlsamer, ein bisschen mehr wie Rokko.
Alle hatten sie gewarnt, zu allererst Rokko, dass David nicht der Richtige für sie war. Aber sie hatte ja nicht hören wollen, sie hatte gedacht, wenn sie nur genug lieben würde, dann würde sie sich David öffnen können und zurück ins Leben finden, aber die Realität sah anders aus… Männer sind alle gleich, sie sind wie Tiere: Sie erbeuten etwas, dann benutzen sie es und dann werfen sie es weg, dachte Lisa bei sich, und David ist da keine Ausnahme… Aber David hatte nicht bekommen, wonach er verlangt hatte. Es war zu früh, sie war noch nicht bereit. Sie wollte es ihm erklären, aber er hatte ihr nicht zuhören wollen. Prüde und frigide hatte er sie genannt. Lisa hatte in dem Moment begriffen, dass David sie nicht so liebte wie er es vorgab, sondern es einfach nicht ertrug, sie mit Rokko zu sehen. Und ich blöde Kuh habe mich von Rokko getrennt, um diesem Traum hinterher zu rennen! Sie sah zu ihrem Bett und da war er wieder, der Abend, an dem sie Rokko mit nach Hause genommen hatte: „Auch wenn wir jetzt nicht…?" hatte sie gefragt. „Wir haben doch alle Zeit der Welt", hatte Rokko ihr versichert und war gegangen. Aber auch er hätte irgendwann die Geduld verloren, sie irgendwann nur noch dafür verachtet, wie sie war und sich womöglich noch vor ihr geekelt.
Lisa war wütend: Auf David, auf den Tag im November vor 5 Jahren, der ihr Leben für immer verändert hatte, auf die Justiz und vor allem auf sich selbst. Sie wusste, es brachte nichts, zu grübeln. Sie musste mit jemandem reden und es gab nur Wenige, die sie in dieser Situation verstehen würden, nur ihre Mädels würden verstehen, was in ihr vorging und heute war Donnerstag. Die Sitzung hatte zwar schon angefangen, aber wenn sie sich beeilte, dann würde sie zumindest noch kurz mit Stella sprechen können.
„Lisa, du warst ja lange nicht hier." Als Lisa das Zimmer im Göberitzer Pfarrhaus betreten hatte, waren „die Mädels" schon da und hatten mit der Sitzung begonnen. Lisa hatte sich still dazugesetzt und aufmerksam zugehört. Angesichts der Probleme, die da diskutiert wurden, schien ihr der Abend mit David eher banal. Darum hatte sie sich nicht beteiligt. Nach der Sitzung bat Stella sie zu sich: „Was ist denn los? Du machst keinen sehr glücklichen Eindruck." Lisa erzählte Stella, was alles passiert war seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. „Dann war es nicht die große Liebe." Stella sah Lisa direkt an. „Wenn sie es gewesen wäre, dann hätte dein David sich nicht sofort von dir getrennt." Es fiel ihr nicht leicht, ihre kleine Lisa zu desillusionieren, aber sie war ihre Therapeutin und hatte genug Abstand zu all dem. „Weißt du, die Zeit heilt alle Wunden und auch du wirst jemanden finden, der dich liebt wie du bist und der damit umgehen kann, was dir passiert ist. Und dein David ist nicht diese Person." – „Die Zeit heilt alle Wunden, das erzählst du mir jetzt seit 5 Jahren. Wann kommt denn endlich diese Heilung, he?" Stella musste schmunzeln. So schlecht konnte es Lisa nicht gehen, wenn sie die Dinge schon wieder mit ihrer ganz eigenen Logik betrachten konnte. „Vielleicht solltest du einfach mal etwas für dich tun. Lass die Firma Firma sein. Vergiss dieses Rokko-David-Debakel. Geh mal zum Friseur, kauf dir 'was Nettes zum Anziehen, mach mal einen Tag frei oder so. Ich meine, hör auf dich unter Druck zu setzen. Du kannst nun einmal nichts erzwingen…"
