Tuz
Lachend schlenderten Kathryn und Chakotay durch eine Parkanlage auf einem Planeten, bei dem sie auf dem Weg nach Hause Halt gemacht hatten um Nahrungsmittel aufzunehmen und andere Tauschgeschäfte mit den Einheimischen zu betreiben.
Nachdem der diplomatische Teil ziemlich schnell und zur Zufriedenheit aller abgeschlossen war, hatte man die Crew der Voyager eingeladen etwas Landurlaub zu genießen und Land und Leute kennenzulernen. Noch im Konferenzraum hatte Lisard, der zuständige Diplomat der Tuz (Kathryn hatte selten so einen kurzen Namen für eine ganze Welt gehört) den Captain kurzerhand bei der Hand genommen, einen Gleiter bestiegen und sie dann nahe der Stadtgrenze zu einem phänomenalen Naturgebiet geflogen, wo es sowohl Wälder als auch Gärten gab, die alle eine paradiesische Struktur hatten. Kathryn war staunend mit Lisard durch einen Teil dieser Anlage gewandert und hatte sich an der Schönheit der kleinen Flüsse, Wiesen, Blumen und Bäume nicht satt sehen können.
Hier muss ich unbedingt Chakotay mit herbringen, dachte sie, als sie an einem besonders alten, dicken und merkwürdig verschlungenem Baum vorbeikam, der sie unwillkürlich an Chakotays indianische Abstammung erinnerte.
Als sie später wieder auf der Voyager war und ihrem ersten Offizier von diesem Ort erzählte war er nur zu gern bereit, einen Tag Landurlaub mit seinem Captain dort zu verbringen.
So waren sie also am nächsten Morgen gleich hinuntergebeamt und auch Chakotay war überwältigt von der Pracht und Schönheit dieses Ortes.
„Meinen Sie, einige dieser Blumen und Pflanzen würden wir mitnehmen können?", fragte Chakotay gerade und beugte sich zu einer Blume herunter, dessen riesige Blütenkelche einer Lilie ganz ähnlich waren. Vorsichtig schnupperte er um dann einen tiefen Atemzug von diesem würzigen Duft zu kosten.
„Ich denke, das sollte machbar sein, die Tuz waren bisher mit allem sehr großzügig", antwortete sie und trat neben ihn, um ebenfalls an der Blume zu riechen.
Verstohlen betrachtete er sie von der Seite, als sie die Augen geschlossen hatte und ein glückliches Lächeln auf ihrem Gesicht erschien. Sein Herz pochte ein wenig schneller und wie so oft war dies ein Moment, in der sie noch schöner aussah als sonst.
„Das riecht ein wenig nach Vanille", stellte Kathryn fest und holte damit Chakotay aus seinem kleinen Tagtraum.
„Vielleicht gibt es hier auch einige Kräuter, die für Crewman Hamilton interessant wären. Ich finde, er kocht ausgezeichnet und wenn er etwas Neues bekommt kann er sehr kreativ sein", meinte Chakotay und blickte sich um.
„Was ist das dort hinten für ein abgezäuntes Gebiet?", fragte er dann und deutete in Richtung eines kleinen Plateaus, das fast hinter einer Trauerweide verschwand und man nur noch ein Eingangstor ausmachen konnte.
Kathryn zuckte die Achseln. „In dem Teil hier war ich selber noch nicht", sagte sie dann und ging auf das versteckte Eckchen zu. Chakotay folgte ihr.
Sie mussten ein wenig klettern, um dorthin zu gelangen, die Steinstufen waren teilweise zerfallen und als sie endlich dort ankamen versperrte ihnen noch ein kleiner Graben den Weg. Kathryn maß die Entfernung mit den Augen ab und sprang dann einfach hinüber. Chakotay folgte ihr und dann standen sie vor einem verfallenen Eisentor.
„Dort hängt noch ein Schild", meinte Chakotay und rückte es wieder gerade, da die Aufhängung an einer Seite gebrochen war.
„Ich kann nicht lesen was das bedeuten soll", meinte er dann. „Die Schriftzeichen sind zu ausgewaschen."
„Vielleicht ein Hinweis darauf, was hier für Pflanzen wachsen", meinte Kathryn nur und öffnete unter einigen Mühen die ebenfalls verrostete Pforte.
Als die Öffnung breit genug war schlüpften sie hindurch und wurden mit einem Anblick belohnt, der sie fast alles vergessen ließ, was sie bisher gesehen hatten.
Die Blumen hier schienen nicht einfach nur zu blühen, sie schienen fast zu strahlen. Ein süßlicher Duft ging von ihnen aus und die beiden Offiziere hatten das Gefühl, als schwebten sie auf Wolken.
Es war fast wie ein Rausch, in dem sie sich befanden. Ihre Umgebung schien surreal zu werden und sämtliche Farben, Dürfte und Geräusche wurden intensiviert. Kathryn und Chakotay nahmen nicht anderes mehr wahr außer diese Symphonie der Sinne.
„Captain", hörte Kathryn eine leise Stimme. Woher kam sie nur?
„Captain, können Sie mich hören?", wurde die Stimme fordernder und auch lauter. Der süßliche Duft wich langsam und die Farben verblassten wieder. Verwirrt bemerkte sie, dass sie auf dem Rücken lag und über ihr das Gesicht ihres Sicherheitsoffiziers auftauchte, der sie besorgt ansah. Direkt daneben war ein fremdes Gesicht erschienen, das sie nach einigen Sekunden als einen Tuz-Angehörigen ausmachen konnte.
„Sie kommt wieder zu sich", hörte sie Ayalas Stimme und endlich schien sie wieder wach zu werden.
„Was ist passiert?", fragte sie verwirrt und ließ sich von ihm hoch helfen.
„Es tut mir leid, dass wir Sie nicht gewarnt haben, Captain, allerdings hätten wir nicht gedacht, dass Sie den Teil des Gartens überhaupt sehen würden", sagte der Tuz etwas zerknirscht.
Ayala half mit einer Erklärung etwas nach.
„Als Sie sich nicht gemeldet haben ließen wir nach Ihnen suchen und fanden Sie schließlich in dem abgesperrten Bereich. Die Pflanzen, die dort wachsen sondern ein starkes Halluzinogen ab, das die Tuz für medizinische Zwecke verwenden. Man sollte dort nur mit einem Schutzanzug hereingehen, sonst passiert das, was Ihnen passiert ist – man bekommt einen Rausch und wird irgendwann ohnmächtig."
„Wo ist Chakotay?", fragte Kathryn dann und sah sich suchend um.
Ayala kniff die Augen leicht zusammen. „War er mit Ihnen zusammen hier? Sie waren hier nämlich alleine."
Kathryn fuhr der Schreck in alle Glieder und reflexartig tippte sie auf ihr Combadge.
„Janeway an Chakotay."
Doch eine Antwort blieb aus. Stattdessen rief der Tuz, der noch einmal in den Garten gegangen war um nach Chakotay zu suchen einige Sekunden später: „Gehört das ihrem Crewmitglied?", und kam mit einem Combadge wieder heraus.
Ayala nahm es und drehte es herum. Dann blickte er seinen Captain ernst an und sagte: „Es ist der vom Commander."
„Aber, wo ist Chakotay?", fragte Kathryn und blickte sich noch einmal um.
Dann tippte sie erneut auf ihr Combadge und wenig später lief an Bord der Voyager eine Suchaktion nach dem Commander an, der wie vom Erdboden verschwunden schien.
Während Ayala auf der Voyager die Suche koordinierte hatte sich Janeway noch einmal mit Lisard getroffen. Geduldig hörte er sich an, was im Garten passiert war.
„Können Sie uns vielleicht helfen, Botschafter? Wissen Sie, wer dahinterstecken könnte oder wenigstens, was es für ein Motiv geben könnte, mein Crewmitglied zu entführen?", fragte sie dann und hatte Mühe, ihre Rastlosigkeit und Ungeduld im Zaum zu halten. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte persönlich jeden Winkel des Planeten nach ihrem ersten Offizier abgesucht, doch das war natürlich unmöglich. Aber sie wollte irgendetwas tun, anstatt hier herumzusitzen.
Lisard antwortete nicht. Jedenfalls nicht sofort. Stattdessen stand er auf, drehte sich vom Captain weg, ging zu einem der vielen Fenster und starrte hinaus. Noch in der Drehbewegung hatte Janeway bemerkt, dass er seine Hand mehrmals über den Mund gestrichen hatte was für sie nur bedeuten konnte, dass er etwas wusste. Und es würde nichts Gutes sein.
„Lisard, bitte", sagte sie gezwungen sanft und leise. „Sie wissen doch etwas, nicht wahr?"
Es kostete sie viel Kraft und Selbstbeherrschung, nicht aus ihrem Sessel aufzuspringen, den Tuz am Kragen zu packen und zu schütteln. Stattdessen wartete sie ab.
Schließlich wurde ihre Geduld belohnt und der Botschafter wandte sich wieder zu ihr um, blieb jedoch auf Distanz stehen.
„Captain, ich weiß wirklich nicht, wo sich Commander Chakotay befindet", sagte der dann und stockte erneut.
Kathryn kniff die Augen leicht zusammen und bohrte weiter: „Aber Sie haben einen Verdacht?"
Er schaute ihr kurz in die Augen um dann den Blick wieder auf den Boden zu richten.
„Es ist nicht das erste Mal, dass jemand einfach spurlos verschwindet", gab er dann zu. Vor ein paar Monaten verschwanden innerhalb von 5-6 Wochen fast ein Dutzend Tuz. Einfach so. Wir konnten sie nicht aufspüren. Jedoch gab es einige Augenzeugen, die meinten einen Lichtschein gesehen zu haben, in dem die Leute einfach verschwanden."
Janeway wurde hellhörig.
Ein Lichtstrahl? Vielleicht wurden sie fortgebeamt, überlegte sie und hatte damit auch gleich eine mögliche Erklärung dafür, warum die Tuz das für Hirngespinste hielten. Sie hatten die Transportertechnik noch nicht erfunden. Tatsächlich hatten sie vor ein paar Monaten erst den ersten Warpflug durchgeführt und waren somit noch „Neulinge" was die Entdeckung des Weltraums anging. Ebenfalls waren sie auch gar nicht so erpicht darauf, alles zu erforschen. Es hatte ihnen gereicht, eine Nachbarwelt zu erreichen, wo sie nicht sonderlich freundlich empfangen worden waren. Danach verloren sie den Enthusiasmus, noch andere Welten zu erforschen. Warum sollten sie sich auch mit unfreundlichen Nachbarn abgeben, wenn sie hier ihr eigenes Paradies hatten? Die Tuz waren ein glückliches, gesundes und zufriedenes Volk. Tatsächlich war die Voyager erst ihr zweiter Kontakt mit einer fremden Spezies oder in dem Falle, mit einem Raumschiff, auf dem verschiedene Angehörige fremder Welten in Harmonie lebten.
Lisard hatte Kathryn während des Spaziergangs im Garten anvertraut, dass er durch ihre Begegnung neue Hoffnung geschöpft hatte und dass es sich vielleicht doch lohnen konnte das Universum ein wenig mehr zu bereisen. Aber das würde er der Jugend überlassen, für so ein Abenteuer fühlte er sich schon zu alt.
„Nehmen wir einmal an, ihre Augenzeugen haben Recht mit dem, was sie gesehen haben. Ist ihnen noch etwas anderes aufgefallen vielleicht?", hakte Kathryn nach.
Lisard überlegte. „Ich kann mich daran erinnern, dass irgendjemand behauptet hat, er habe zur gleichen Zeit eine Sternschnuppe gesehen. Allerdings war sie viel zu weit oben, Sternschnuppen gibt es in dieser Höhe nicht. Er hat sich vermutlich getäuscht oder es war nur ein Stern, der geblinkt hat", tat Lisard die Geschichte ein wenig ab. Es war ihm unangenehm, der Frau die Ammenmärchen seines Volkes zu erzählen, wo sie doch wirkliche Hilfe brauchen konnte.
„Botschafter, wissen Sie noch, wer diese Sternschnuppe gesehen hat?", fragte sie nach.
„Captain, bei allem Respekt, aber denken Sie wirklich, an der Geschichte könnte etwas dran sein?"
Allerdings", antwortete sie und fügte erklärend hinzu: „Ich vermute, der Tuz hat vielleicht ein fremdes Schiff gesehen, das in der Umlaufbahn oder zumindest weit oben in der Atmosphäre die Triebwerke gezündet hat. Ich glaube ferner, dass ihre Leute transportiert wurden – auf ein Raumschiff."
„Aber… wer sollte so etwas machen? Und warum? Wir sind ein gastfreundliches Volk und teilen unsere Reichtümer gerne, sofern es nicht unser Überleben bedroht."
Lisard schaute sie etwas ungläubig an.
„Ich würde gerne mit dem Augenzeugen sprechen, wäre das möglich?"
Der Tuz nickte zögerlich. „Also gut, wenn Sie sich etwas davon versprechen. Ich werde eben nachsehen, wer das war. Warten Sie bitte einen Moment hier."
Kathryn nickte und Lisard verließ den Raum um nach einer viertel Stunde wiederzukommen.
„Es war eine junge Frau, die in den Bergen lebt. Wenn Sie möchten, fliegen wir gleich dorthin."
„Danke, Botschafter. Sehr gern." Sie folgte ihm hinaus, wo ein Gleiter wartete.
Beamen wäre sicher schneller, dachte sie mit einem Seufzen, aber sie wollte die Tuz nicht noch mehr erschrecken.
Bevor sie einstieg informierte sie noch die Voyager über ihr Vorhaben und die Spur, die sie vielleicht gefunden hatte.
„Scannen Sie nach allen erdenklichen Spuren eines fremden Antriebes innerhalb der Atmosphäre und außerhalb. Wenn wir mit der Befragung hier unten fertig sind werde ich mir von Lisard noch die Koordinaten aller Welten geben lassen, die sie besucht haben", sagte sie mit einem Seitenblick auf den Botschafter, der zur Bestätigung nur kurz nickte.
„Das wäre vorerst alles. Melden Sie sich, sobald Sie etwas gefunden haben. Janeway Ende."
„Wir haben nur eine fremde Welt besucht, Captain, Sie dürften also nicht viel Arbeit haben. Die Koordinaten werde ich Ihrem Schiff sofort übermitteln lassen. Doch jetzt sollten wir besser starten, wir müssen zwei Zeitzonen passieren und ich möchte bei dem Bergvolk nicht mitten in der Nacht auftauchen."
Er hielt galant einen Arm ausgestreckt und ließ Janeway somit den Vortritt. Sie stiegen ein und kurz darauf hob der Gleiter schon ab.
