Mein Name ist Charlene Forte. Ich bin 20 Jahre alt und lebe in Dansington Beach, Cornwall. Ich arbeite in der Galerie ´Seadreams ´als Verkäuferin.

Meine Eltern starben vor 3 Jahren bei einem Autounfall, seitdem lebe ich allein in diesem kleinen Häuschen, wo man das Wellenrauschen hören kann.

Ich trinke gern Grünen Tee, lese dabei, treffe jeden Samstag meine Freunde und gehe mit ihnen ins Kino. Ab und zu fahre ich nach London und gehe shoppen .

Ob ich glücklich bin? Ich denke schon.

Mein Tag begann, wie jeder andere auch. Doch enden sollte er, wie ich es mir nie erträumt hätte.

Der Wecker klingelte pünktlich um halb sieben und riss mich auf höchst unsanfte Weise aus dem Schlaf. Die Nacht war viel zu kurz gewesen und ich hatte überhaupt keine Lust aufzustehen. Ein warmer Sonnenstrahl kitzelte meine Nase , so dass ich mir knurrend meine warme Bettdecke über den Kopf zog. Blind tastete ich nach diesem bescheuerten Ding – wer hat den Wecker erfunden ? Gebt mir die Adresse !- , um es abzustellen und erwischte die Radiotaste . Prompt ertönte die Stimme eines widerlich gut gelaunten Radiomoderators:

„ Guten Morgen , Dansington Beach ! Heute gibt´s herrliches Frühlingswetter , Sonnenschein und blauer Himmel ! Raus aus den Federn mit unserem Hit der Woche , ´I´ve been there all´ von-"

„ –von Dina McMillan , ich weiß!" , maulte ich genervt . Seufzend ergab ich mich, setzte mich auf und tastete nach meiner Brille , die auf dem von Büchern überfüllten Nachtkästchen lag. „ Hallo, Welt.", murmelte ich , immer noch verschlafen , und warf einen Blick aus dem Fenster .Widerwillig musste ich dem Moderator zustimmen , es war viel zu schön draußen , um sich im Bett zu verstecken .

Gähnend tapste ich ins Bad, auf dem Weg dorthin kollidierte ich mit einem Bettpfosten, der zu allem Überfluss einen blauen Fleck auf meinem bemitleidenswerten Oberschenkel hinterließ. „ Dein Fehler", ermahnte mich mein anklagend blickendes Spiegelbild , „ Du musst besser aufpassen , Tollpatsch."

In meiner heiß geliebten, alten Karobluse und den ausgewaschensten Jeans, die ich hatte finden können , fühlte ich mich gleich besser und die Marmeladenbrote hoben meine Stimmung zudem gewaltig .Mein Stimmungsbarometer erhielt gleich nochmal einen Schub nach oben, als mein uralter VW-Käfer beim ersten Versuch anspring und ich ausnahmsweise nicht zu spät zur Arbeit kam .

„ Hi, Charlie."

„ Morgen, Mike. Wie war dein Fang ?"



Mike, der gute , alte Mike, grinste sein zahnloses Grinsen und deutete auf seinen voll beladenen Kutter. Anerkennend pfiff ich durch die Zähne , winkte zum Abschied und ging weiter.

Die kleine, aber feine Kunstgalerie ´Seadreams´ lag im Zentrum von Dansington Beach, ein traumhafter Platz für solch eine Tourifalle, wie es das ´Seadreams´ war . Wir, das hieß Josy, die Besitzerin, Dan und ich, verkauften kitschige Bilder von Sonnenuntergängen auf hoher See und andere Souvenirs , die die Touristen, die sich hierher verirrten, liebten . Hört sich jetzt wohl ziemlich langweilig an, hm? Aber ich mochte den Job, was nicht zuletzt an der lockeren Stimmung und der guten Freundschaft zwischen uns dreien lag.

„ Charlie ? Was machst du denn schon hier?"

Mit gespielter Verblüffung wurde ich von Josy empfangen, die mit erstaunlichem Geschick Bilder im Schaufenster drapierte, dass sie fast weniger geschmacklos aussahen.

„ Haha. Sehr witzig."

Ich band mir meine mausbraunen Haare zu einem nachlässigen Pferdeschwanz – eher ein ´Pferdeschwänzchen´ bei meiner Haarlänge- und half ihr beim Aufstellen der Bilderrahmen.

„Dann ist krank. Kannst du länger bleiben?"

„ Klar. Hat er so einen Kater, dass er bei dem Wetter daheim bleibt?"

Josy kicherte.

„ Nee, es geht ihm wirklich miserabel."

Skeptisch hob ich eine Augenbraue.

„ Natürlich."

Es war ein ruhiger Morgen , abgesehen von einem älteren Ehepaar aus Amerika, die auf der Stelle drei Bilder von Fischerbooten kauften und absolut begeistert waren .Noch konnte ich ja nicht ahnen, wer mich heute noch besuchen würde.

Ich war allein im Laden und versuchte erfolglos mittels Telekinese den Zeiger an der Uhr zu drehen, um endlich in die wohlverdiente Mittagspause zu gehen, als sie kamen.

Die junge Frau betrat als erstes die Galerie.

Ich weiß noch, wie ich sie unhöflich anstarrte, weil mich ihre ganze Erscheinung so faszinierte. Sie war ziemlich groß und sehr durchtrainiert, ihre Haut erinnerte mich an die Farbe geschmolzener Zartbitterschokolade und ihre ovalen Augen waren wie aus Bernsteinen gemacht.



Dann kam er, karottenrotes Haar, schlaksig und mit diesem wachen Blick, den man für gewöhnlich bei Leibwächtern oder besonders aufmerksamen Personen sieht.

Beide waren in Umhänge gekleidet, die ihnen bis zu den Knöcheln gingen, sie in einem violetten Ton, er in Dunkelblau.

Ich musste fast losprusten, weil sie mich an Schauspieler aus einem Fantasyfilm erinnerten, die ihre Rollen furchtbar ernst nehmen und die ganze Zeit in ihren Kostümen herumrennen.

Sie musterte mich von oben bis unten, ihr Blick brannte auf meiner Haut, dann nickte sie ihrem Begleiter zu, der zu Boden schaute.

„ Herzlich Willkommen ! Kann ich Ihnen behilflich sein?"

Doch das seltsame Pärchen ignorierte mich einfach und tuschelte leise.

„ Oh, George! Sie ist es!"

„Ich weiß, Angelina .Und was machen wir jetzt? Auf Oliver warten oder sie gleich mitnehmen?"

Da ich ja ein furchtbar netter Mensch bin, tat ich so, als würde ich meine abgeknabberten Fingernägel inspizieren, um zu verbergen, dass ich ihren Überlegungen ungewollt zuhörte.

„ Wir haben Zeit, wir warten auf ihn."

„ Wenn du meinst .Bringt er ihren Zauberstab mit?"

Ich räusperte mich vernehmlich, um dieses höchst merkwürdige Gespräch zu unterbrechen und meine Arbeit zu erledigen.

„ An was für ein Motiv haben Sie denn gedacht?"

Schmunzelnd kam er näher beugte sich vertraulich zu mir:

„ Wie heißen Sie?"

Völlig verwirrt legte mir den Kopf schief- ein Fehler, denn die Frau schniefte plötzlich geräuschvoll.

„ Ich wüsste nicht, was das zur Sache tut-"

„ Bitte, sagen Sie mir ihren Namen." Diese Bitte klang wie ein einziges Flehen.

Ich machte einen Schritt von ihm weg. Diese Situation war wie aus einem schlechten Film und die beiden jagten mir ernsthaft Angst ein.

„ Charlene Forte ."

„ Das ist ihr Name?" Hörte er sich etwa belustigt an?

„ Ich finde ihn sehr schön.", erwiderte ich spitz, doch die beiden hatten sich bereits zur Tür gedreht und schenkten mir keine Beachtung mehr.



„ Soll ich Ihnen etwas verraten, Miss Forte?" Sie hatte eine wunderbar samtene Stimme, die mir trotzdem einen Schauer über den Rücken jagte.

Mit zusammengepressten Lippen schaffte ich es, zaghaft zu nicken.

„ Das ist nicht ihr Name."

Hinter ihnen fiel die Tür ins Schloss und ich blieb völlig verdattert zurück. Was war DAS denn bitteschön gewesen? Mully und Sculder vom FBI oder was ? Kopfschüttelnd versuchte ich mich wieder in den Griff zu kriegen. Und dann über meinen Namen herziehen! Unverschämtheit ! Bestimmt hießen die beiden Rüdiger und Waltraud, genau!

Aber was hatten sie damit gemeint, dass das nicht mein Name sein? Ich musste mit Grübeln aufhören, vermutlich waren diese Leute aus der Irrenanstalt ausgebrochen und machten sich einen Spaß daraus, unschuldige Verkäuferinnen in den Wahnsinn zu treiben.

Doch sie waren mir so vertraut vorgekommen. Wie- Wie Menschen aus einem anderen Leben …