Diese Geschichte ist eine überarbeitete Version meiner bereits 2013 veröffentlichten Geschichte "Evenfall" auf Animexx ( .de/fanfiction/307783/). Hier werden nur fertig überarbeitete Kapitel geposted.


E I N S


Haruno Sakura hatte lange und hart gearbeitet, um dorthin zu gelangen, wo sie heute war. Nun ja, nicht wortwörtlich, betrachtete man ihren derzeitigen Marsch durch Matsch und Regen. Sie war eine Kunoichi geworden, weil ihre Eltern Shinobi waren und Kinder von Shinobi nun eben auch auch Shinobi wurden. Eine Wahl hatte sie nie gehabt. Umso überraschender war es, dass sie sich nach all den Jahren endlich etwas gefunden hatte, für das sie Leidenschaft empfand.

Als junges Mädchen hatte sie nie verstanden, weswegen Naruto und Sasuke bis spät in die Nacht hinein quälten und prügelten und in stumme Tränen der Frustration ausbrachen, wenn sie heute nicht ein wenig besser waren als gestern.

Vielleicht war das der Grund dafür gewesen, dass sich Team Sieben aufgelöst und Sakura sich verzweifelt und verlassen winselnd vor Tsunade wiedergefunden hatte. Nun war Sakura hier, eine ausgebildete Iryōnin auf Chūninlevel an der Seite ihrer beiden Jōnin-Kameraden auf dem Weg nach Kumogakure no Sato.

Sie seufzte.

Wie sie dieses Dorf hasste. Schrille, schrullige Leute wohnten dort und überhaupt konnte sie schwören, nicht ein einziges Mal im Trockenen hier gewesen zu sein.

Tsunade wusste genau, wem sie diesen Auftrag anvertraute – Sakura bezweifelte allerdings die Umsichtigkeit dieser Entscheidung. Im Normalfall schickte sie ihren berüchtigten Chaostrupp nicht außer Landes. Sai und Sakura konnten sich wohl für ein paar Tage zusammenreißen, wenn es um eine Auslandsmission ging. Naruto stand auf einem anderen Blatt. Seine offenkundige Tendenz zur mutwilligen Zerstörung hatte ihr neu formiertes Team Sieben erst berüchtigt gemacht. Dass er als frisch ernannter Jōnin nun noch mehr Befugnisse hatte und dadurch mehr Unheil anrichten konnte, half den meisten Sachverhalten gar nicht.

»Kumogakure no Sato müsste hinter dieser Biegung endlich zu sehen sein«, informierte Sai sie. Sie waren zu früh, viel zu früh. Und niemand wollte mehr Zeit hier verbringen als unbedingt nötig. Als hätte Sai es beschworen, begann das Dorf und seine zugehörigen Plateaus sich langsam in ihr Sichtfeld zu erheben.

Sai hielt den Blick starr auf das in Sicht kommende Dorf gerichtet. »Wie lange hat sie Nara-kun eigentlich schon dort hin verbannt?«

»Drei Wochen«, antwortete Sakura, die sich an Shikamarus eingefallenen Gesichtsausdruck erinnern konnte, als Tsunade ihn zum Hauptrichter ernannt hatte – abgestellt, wenn man seinen Worten Glauben schenken wollte. Seit aufgefallen war, dass überproportional viele Genin des Austragungslandes die Prüfung bestanden, hatten die großen Shinobinationen entschieden, dass jedes teilnehmende Land einen Hauptrichter vor Ort haben musste, um die faire Beurteilung zu gewährleisten. Niemand war besser dafür geeignet, Unregelmäßigkeiten zu erkennen als Shikamaru. Selbst schuld, wenn er so klug war.

Nach einer weiteren Stunde kam das Dorf in Sicht. Sie waren nach wie vor zu früh, also vertrödelten sie einen halben Vormittag abseits der Stadttore unter einem großen Baum und wiesen pünktlich eine halbe Stunde vor Mittag ihren Missionsbescheid am Kontrollpunkt vor. Die dort stationierten Shinobi kontrollierten das Formular mit einem kurzen Blick, ehe sie den Weg ins Dorf freigaben.

Trotz Regen herrschte einiges an Trubel auf der Marktstraße, über die Planen und Tücher gespannt waren, um die Einkäufe trotz Wetterlage nicht allzu sehr zu stören. Kinder spielten in kleinen Pfützen, Marktschreier priesen ihre Waren an, Hunde liefen herum und Erwachsene drängten sich an die dicht aneinandergereihten Stände.

»Wir sollen auf direktem Weg in das Verwaltungsgebäude des Dorfes gehen«, sagte Sakura und wollte einen vorbeilaufenden Passanten nach dem Weg fragen, ehe sie sich die Frage selbst beantworten konnte. Es gab eine Beschilderung, die ankommenden Genin den Weg wies.

Shikamaru erwartete sie in einem Raum, den die Richter als Pausenzimmer benutzten. Er war mit Polstergarnituren, spartanischer Dekoration und gedeckten Tischen möbliert, die Naruto verheißungsvoll anvisierte.

»Frühstück«, hauchte er, gänzlich im Bann der duftenden Speisen. Sie hatten erst vor wenigen Stunden ein Picknick gemacht, auf dessen Gedeck Naruto sich unabsichtlich gesetzt hatte, ehe sie etwas davon gegessen hatten. Ihre Mägen knurrten im Kanon, was Shikamaru von einem Dokument aufsehen ließ.

»Da seid ihr ja. Hattet ihr Probleme beim Reinkommen?«

»Nein«, sagte Sakura und deutete auf die Schriftrolle, die sie zuvor beim Tor hergezeigt hatten. »Aber Tsunade-sama hätte sich ruhig etwas Schlaueres einfallen lassen können als Pilzesammeln. Das ist keine Missionsbeschreibung, sondern eine Einkaufsliste.«

Shikamaru setzte zu einer Erklärung an, die er keine Lust hatte zu geben. Ehe er ihr gelangweilt darlegen konnte, dass Kumogakure zu stolz war, um offiziell Hilfe anzufordern, und Suna und Konoha sich daher inoffiziell, wenngleich nicht gerade subtil aufdrängten, unterbrach sie ihn mit einer Geste.

»Ich weiß, ich weiß. Mein Punkt ist … gerade irrelevant. Wie lautet dein Plan?«

Wie aufs Stichwort rollte Shikamaru eine Karte über dem Tisch aus und wartete, bis sich alle Anwesenden darum versammelt hatten. »Das ist der Lageplan des Areals für die zweite Prüfungsrunde. Es wurde bereits komplett abgeriegelt, aber –«

»Das wird Akatsuki kaum aufhalten«, vervollständigte eine weibliche Stimme seinen Satz. Die zugehörige Frau betrat den Raum, dicht gefolgt von zwei Sunanin.

»Danke, Temari«, meinte Shikamaru mit einer Miene, die das Gegenteil sagte. Unwillig bat er Temari samt ihren beiden Begleitern einen Platz im Kreis der Konohanin an. Sie nahm ihm die Karte aus der Hand und markierte mit den Spitzen ihres Zeige- und kleinen Fingers zwei Punkte, um die sie je einen Radius bildete.

»Gern geschehen, Shikamaru. Die Angriffe auf die Grenzposten zu Yuki no Kuni tragen eindeutige Anzeichen von Akatsuki. Den Spuren nach zu urteilen, bewegen sie sich Richtung Norden direkt auf Kumogakure zu. Sie wollen etwas hier. Zwischen diesen beiden Punkten verläuft ihre Route, sollten sie ihre Richtung nicht ändern.«

Sakura runzelte die Stirn. Sie hatte gewusst, dass sie als Verstärkung für den Ernstfall hier waren, doch in Temaris Worten klang eine Konfrontation mit Akatsuki wie eine Unausweichlichkeit. Das konnte nur eines bedeuten.

»Das ist keine Vorsichtsmaßnahme, oder? Kumogakure hat einen Bijū und Akatsuki will ihn«, sprach Sai ihren exakten Gedankengang aus. Das erklärte Kumogakures Zurückhaltung. Kein Land wollte gerne preisgeben, dass ein Jinchūriki in ihren Reihen lebte.

Temari streifte ihren Kampffächer von ihren Schultern. »Höchstwahrscheinlich.«

Mit einem Räuspern machte Shikamaru wieder auf sich aufmerksam. »Reine Spekulation. Wir sichern das Prüfungsgelände und greifen im Ernstfall ein. Das ist alles.«

»Was schlägst du vor?«, fragte Sakura nach. Sie spürte, wie sich ihre Muskeln anspannten. Die Friedensverträge waren rigide, eine gemeinsame Mission mehrerer Nationen offiziell zu koordinieren hätte länger gedauert als das gesamte Examen. Dennoch fühlte sie sich nicht wohl bei dieser halben Doppelmission. Viel zu viel konnte schiefgehen.

Shikamaru räusperte sich. »Suna und Konoha sind nicht die einzigen, die geheime Verstärkung geschickt haben. Heute Morgen sind zwei Jōnin aus Iwagakure angekommen, gestern Abend ein Quartett aus Kirigakure. Außerdem wird ein Trio aus Takigakure erwartet. Ich habe gestern alles mit den anderen Teams koordiniert. Konoha übernimmt den nordwestlichen Abschnitt des Prüfungsareals.«

»Wäre es nicht sehr viel einfacher, Kumogakure zu fragen, wer der Jinchūriki ist?«, warf Naruto in den Raum. »Ich meine, einfach auf Gutglück herumzurennen ist zwar meine Art, aber lustig ist das nicht.«

Verächtliches Schnauben erfüllte den Raum, dicht gefolgt von Temaris wegwerfender Geste. »Suna hat eine Anfrage gestellt, einem ausgewählten Kreis die Identität des Jinchūriki zu offenbaren, aber der Raikage weigert sich entschieden –«

»Womit er nicht unrecht hat«, unterbrach Shikamaru sie mit erhobener Hand. »Der Frieden zwischen den Nationen gründet vor allem darauf, dass alle Nationen tun, als wären sie gleichstark. Alleine die Anzahl von Jinchūriki pro Land würde das Ungleichgewicht sichtbar machen, geschweige denn konkrete Namen.«

Naruto nickte aufmerksam mit jedem neuen Wort, das er hörte. »Und wie kommunizieren wir mit den anderen? Ich würde Akatsuki gerne alleine vermöbeln, aber das wäre vielleicht nicht die beste Idee?«

Eine kleine Rauchwolke verpuffte über Shikamarus Händen, die das Fingerzeichen des Widders geformt hielten. »Optische Signale. Wenn ihr auf Akatsuki trefft, werft eine so große Rauchwolke in die Luft wie ihr könnt. Wenn ihr eine Rauchwolke seht, lasst alles stehen und liegen und rennt hin. Subtilität ist nicht notwendig, sobald Akatsuki auftaucht.«

»Verstanden«, sagte Team Sieben unisono. Sie hatten schon so viele Missionen miteinander beendet, groß wie klein, ernst wie lachhaft, traurig wie glücklich, dass es keinen weiteren Abstimmungsbedarf gab. Darum arbeitete Sakura nicht gerne mit anderen Ländern zusammen. Die Zusammenarbeit mit Konohanin fußte auf Vertrauen und Loyalität, und genau darum ging es am Ende; Loyalität. Niemand war loyaler als ein Shinobi zu seinem Heimatland.

Sakura trug ihre Bedenken nach draußen, wo der Regen mittlerweile zu feinem Nieseln verkommen war. Bis sie die Umgebungsbedingungen des Prüfungsareals ausreichend eingeschätzt hatten, war der Himmel endlich aufgezogen. Nun liefen sie auf und ab, ab und auf, und warteten darauf, dass etwas passierte.

Sie fühlte sich unvorbereitet und sie spürte, dass es Naruto und Sai ebenso ging. Eine Konfrontation mit Akatsuki war schlimm genug. Zu wissen, dass es recht wahrscheinlich dazu kommen würde und nicht einmal Fallen aufstellen zu dürften, war schlimmer. Jedwede Veränderung des Prüfungsareals war strikt untersagt, um keinem der Teilnehmer unfaire Vor- oder Nachteile zu verschaffen.

»Hey, Sakura-chan!«, rief Naruto über seine Schulter zu ihr nach hinten. »Wird schon alles gutgehen!«

Zweifelnd hob sie eine Augenbraue. »Mag sein, aber die ganze Sache macht mich unruhig.«

»Mit fünfzehn hast du diesen Sasori-Typen plattgemacht. Wenn jemand einen Akatsuki zerlegen kann, dann ja wohl du!«

Ja, vor einem halben Jahrzehnt hatte sie mit der Unterstützung einer äußerst starken Kunoichi ein Mitglied von Akatsuki ausgelöscht. Naruto hatte monatelang von nichts anderem mehr gesprochen und tat es auch heute noch immer wieder, wenn er sie aufheitern wollte. Auch diesmal funktioniert es. Sakura schaffte ein schwaches Lächeln und straffte die Schultern. »Danke, Naruto. Du hast recht.«

»Sag ich ja! Das kann nicht schiefge-«

Vier Hände schossen auf ihn zu, zwei davon pinnten ihn an den nächsten Baum, die anderen beiden hielten ihm den Mund zu.

»Du Idiot!«, fauchte Sakura. Unter ihren chakrainfundierten Händen strampelte Naruto wie eine nasse Katze, während er versuchte, in Sais Handlächen zu beißen und sich zu befreien. »Wie oft hab ich dir gesagt, dass du solche Sachen nicht laut sagen sollst! Können wir dich loslassen, ohne dass du rumbrüllst, was für ein Spaziergang das nicht wird?«

Sai entfernte seine Hand, damit sie seine verbale Zusicherung einholen konnten. Stattdessen seufzte Naruto, »Ihr glaubt doch nicht echt an diesen Quatsch vom Team Sieben Axiom.«

»Natürlich nicht«, behauptete Sakura, »aber du kannst auch nicht abstreiten, dass was Wahres dran ist. Wann – und ich möchte ein konkretes Datum hören – gab es jemals keine Komplikation während einer Mission, an der wir drei gemeinsam beteiligt waren? Etwas an unserer Konstellation scheint Unruhen heraufzubeschwören. Rechnen wir lieber nicht damit, dass es diesmal anders sein könnte.«

»Außerdem kommt auch das Nara Axiom zum Tragen«, fügte Sai hinzu. »Shikamaru irrt sich nie.«

»Genaugenommen hat ja Temari gemeint – ja, ja, ist ja gut! Ich versteh schon, worauf ihr hinauswollt.« Schmollend verschränkte er die Arme. »Bin still.«

»Danke«, sagte Sakura leise. Drei Genin zogen unweit vorbei, zügig und leise wie es sich für Shinobi auf Mission gehörte. Voran preschte ein dunkelhaariges Mädchen, dicht gefolgt von ihren beiden Teamkameraden. »Schaut, da kommt das Team von Tekuno-senpai. Lasst uns verschwinden. Wenn sie uns sehen, werden sie nur nervös.«

Lautlos zogen sie sich zurück ins Dickicht, die Augen wachsam auf die drei jungen Genin gerichtet. Sakura beobachtete sie, wie sie kurz anhielten, etwas besprachen und den Weg wieder fortsetzten.

Bis zum Ende der Prüfung würden sie noch einige Blessuren davontragen, vielleicht sogar einige Tränen weinen. Keinem Geninteam, das bei der erstmöglichen Prüfung angetreten war, war jemals Gutes widerfahren. Shikamaru war der einzige, der es bei ihrer ersten Prüfung einigermaßen heil zum Chūnin geschafft hatte.

»Ich habe Mitleid mit Tekuno-senpai«, sagte Sai, als das Geninteam außer Hörweite war. »Er ist viel zu nachgiebig. Mit zwei Mädchen in einem Team wäre es verwunderlich, wenn sie diese Runde über –« Er brach ab, als eine Faust auf ihn zeigte.

»Suchst du etwa Streit?«, fragte Sakura rhetorisch.

Er hob abwehrend die Hände. »So war das nicht gemeint. Mitsuki-chan und Asuka-chan sind einfach keine guten Kunoichis. Sie sind mit Kunai und Jutsu gut, aber viel zu mädchenhaft und emotional und –« Sai setzte sein unschuldigstes Lächeln auf, als er merkte, dass seine Präzisierung auf wenig positiven Widerhall stieß. Das eine musste Sakura ihm wenigstens lassen; er merkte mittlerweile, wenn er in ein Fettnäpfchen getreten war. »Du weißt, was ich sagen will!«

»Gnade vor Recht«, murmelte sie und streckte sich. Sollten ihre beiden tollen Jōnin-Freunde doch ihre Senpais bemitleiden, wo sie als Chūnin eine sehr viel formellere Anrede zu wählen hatte. Narutos Ernennung zum Jōnin wollte ihr immer noch nicht in den Kram passen, doch sie wusste sich zu beherrschen. Erst, wenn er Herr eines Geninteams würde, würde sie auf die Barrikaden steigen. Das wäre zu viel des Guten. Tekuno war viel zu lasch und Hayama mochte niemanden unter einem Meter sechzig, nichtsdestoweniger waren sie kompetent in ihrem Job. Nicht, dass Naruto nicht gut war. Sie würde sich eher die Zunge abbeißen, als zu behaupten, Uzumaki Naruto gehöre nicht zu den besten Shinobi des Landes, aber seine didaktischen Fähigkeiten konvergierten in einer spöttischen Kurve gegen Null.

Andererseits hätte sie gerne gesehen, wie Naruto mit einem Team wie dem von Tekuno interagiert hätte. Mitglied Nummer Eins war war ein schwerknochiger Legastheniker, der Fingerzeichen prinzipiell seitenverkehrt machte, Mitglied Nummer Zwei war ein ängstliches Mauerblümchen. Und dann war da noch Asuka.

Uchiha Asuka war vor allem das; eine Uchiha. Gesegnet mit Talent und einem einflussreichen Namen, war ihr Selbstbewusstsein größer als gut für sie war. Darüber hinaus war sie eine weinerliche Göre, die sich mehr um eine aufregende Pose bei einem Jutsu als die korrekte Fingerzeichenabfolge sorgte.

Sie war, so musste Sakura sich eingestehen, ihrem zwölfjährigen Ich sehr ähnlich.

»Moment mal«, wisperte Naruto. Panik hatte sich auf seinem Gesicht breitgemacht. »Wenn die kleine Uchiha hier ist …«

Sakura schluckte hart. »Verdammt, du hast recht. Selbst wenn sie kein Jinchūriki ist … Wenn ihr etwas zustößt –« Die drei schauderten synchron. »– häutet Fugaku-san uns bei lebendigem Leib.«

Naruto wimmerte bei der Erinnerung an die Drohung, die Uchiha Fugaku vor zwei Jahren über sämtliche Konohanin ausgesprochen hatte, als seine Nichte Genin geworden war. Wörter wie Eingeweide, kochen und versalzene Konsommee waren darin vorgekommen, was sowohl Furcht als auch eine gehörige Portion Verwirrung gestiftet hatte. Der Himmel wusste, wieso er dieses Mädchen derart protegierte.

Neben Tekunos Team gab es noch zweiunddreißig weitere, die dieses Jahr zur Prüfung antraten. Auf dreiunddreißig Genin in einem hinreichend weitläufigen Wald aufzupassen, war an sich schon schwierig. Nun wurde der Regen auch wieder stärker.

Wahrlich, Sakura mochte diese Mission nicht.

Dennoch lief sie gemeinsam mit Naruto und Sai brav auf und ab, hin und her, rüber und zurück, bis die den Nordwesten des Waldes gut zwei Dutzend Mal durchstreift hatten. Das Zeitlimit dieser Prüfungsrunde betrug drei Tage. Aus zwei Dutzend Mal würde noch viel mehr werden.

Gegen Abend legte Sakura eine Pause ein, um ihren Kalorienbedarf mit Kraftriegeln zu decken und ein kurzes Nickerchen zu machen. Nach drei Stunden löste sie Sai ab, weitere drei Stunden später löste dieser Naruto ab. So ging es die Nacht hindurch, bis das Morgenlicht vereinzelt durch die Baumkronen blinzelte, ehe es wieder von der dicken Wolkendecke verschlungen wurde.

»Es beginnt schon wieder zu regnen«, beschwerte sie sich und trat an Naruto heran, der mit einem seiner Kunai spielte. Sie hatten nur einen kurzen Halt eingelegt, um einem nahen Geninteam Vorsprung zu geben.

»Sakura, Naruto. Seht euch das an. Sie sind hier.«

Das hatte Sakura befürchtet. Eine Inspektion der Schuhabdrücke, die Sai gefunden hatte, ergab schnell, dass das Profil nicht zu handelsüblichen Shinobistiefeln passte.

»Die Spur ist nicht durchgehend«, schloss Sai seine Untersuchung ab. »Sollen wir die anderen verständigen?«

»Zu spät«, entschied Naruto. Seine Augen waren auf einen Punkt zwischen den Bäumen gerichtet. »Der Regen verwischt den Geruch, aber ich kann die vage Richtung erahnen.«

»Wo?« Es war Sai, der angespannt sprach, eine seiner unzähligen Schriftrollen bereit zum Einsatz.

Zur Antwort lief Naruto in eine scheinbar willkürliche Richtung davon. Seine Kameraden folgten ihm lautlos, ihr Chakra bis zur Unkenntlichkeit unterdrückt. Sakura hielt ihr Schaudern zurück, als der niederprasselnde Regen ihre Chūninkleidung durchweichte und ihre Haut erkalten ließ.

Es dauerte keine Minute, bis Naruto schlagartig auf einem Ast an der unteren Baumkrone einer Eibe stoppte. Ein paar Blätter raschelten, doch ihr sanftes Wispern wurde von einem Horrorschrei übertönt.

»Haut ab!«

Es war Uchiha Asukas Teamkameradin, die verzweifelt schrie. Sie und Asuka hatten sich vor ihrem bewusstlosen Teamkameraden aufgebaut, um eine Kohorte Iwanin von ihm fernzuhalten. Ihre zittrigen Finger umklammerten eine kleine Urne. Eine Box, die wohl ebenfalls Teil der Prüfung war, lag geöffnet abseits der Szene.

»Ich warne euch!« Die Stimme der jungen Kunoichi zitterte nicht weniger als Asukas Finger, die das kleine Gefäß beinahe zerdrückten. Es sah fragil aus, hielt dem Druck jedoch einwandfrei stand.

Sakura warf ein flüchtiges Auge auf das Szenario, das sie schmerzlich an jene Prüfung erinnerte, in der Orochimaru aufgetaucht war. Mit Iwanin war nicht zu spaßen. Sie waren mindestens so hart wie der steinerne Boden, aus dem sie kamen.

»Wir haben keine Zeit zum Babysitten, Naruto.«

»Ja, ja«, machte er abwesend, die Augen fest zusammengepresst. Er atmete tief ein. »Sie müssen hier in der Nähe sein.«

Angespannt straffte Sakura ihre Schultern. Obwohl ihre Augen auf das halbernste Kampfgeplänkel der Genin gerichtet waren, waren ihre Sinne auf die Umgebung fokussiert. Keine fremden Chakrasignaturen, keine ungewöhnlichen Geräusche, nur ein wenig Taijutsu, Kawarimi und Waffenwerfen zwischen den Geninteams.

»Naruto«, murmelte Sakura ungeduldig. Mehrere dicke Regentropfen schlugen gegen ihren Kopf.

Naruto schlug die Augen auf. »Da!«

Noch ehe die Silbe verklungen war, flutete entfesseltes Chakra einer Welle gleich über die Lichtung, auf der die Genin ihren Disput ausfochten. Donnergrollen ertönte, und wo zuvor Asuka eine Attacke eines Iwanin geblockt hatte, standen plötzlich breitbeinig vier Shinobi in einer Parade verschränkt. Es war ein Reflex gewesen, sodass Sakura im Nachhinein nicht mehr wusste, wie genau sie Asuka und ihre Kameraden aus der Schusslinie gezogen hatte. Sai war demselben Instinkt gefolgt und hatte die Iwanin beiseitegestoßen. Indes hatte Naruto sich zusammen mit einer blonden Kunoichi in die Blockade gegen die beiden Akatsuki verkeilt. Sein Kunai war nur knapp unter ihrem Wakizashi gegen eine überdimensionierte Sense des einen Akatsuki geprallt. Sein Partner war von Narutos Kagebunshin pariert worden.

Bevor Sakura sich um die Szene vor ihr oder die verletzten Genin um sie herum kümmerte, formte sie das Fingerzeichen, das Shikamaru ihnen gezeigt hatte. Die dicken Rauchschwaden, die aufstiegen, wurden vom herabkommenden Regen niedergeschlagen. Hoffentlich sah jemand das Signal. Erst dann wandte sie sich den Verletzten zu.

»Alles in Ordnung, Asuka-chan?«, fragte sie das Mädchen, das ihre dunkelblauen Augen geschockt geweitet hatte. »Asuka-chan, hör mir zu. Ihr müsst von hier verschwinden. Nehmt euren Freund und lauft, hast du verstanden?«

»J-ja«, hauchte das Mädchen. Ihre Lippen waren blutig gebissen, ihr blasser Teint aschfahl. Die schwarzen Stirnfransen klebten nass und verschwitzt an ihren Schläfen, und obwohl sie gesprochen hatte, bewegte sie sich kein Stück.

Während Sakura versuchte, Asuka zum Reagieren zu bewegen, hatte Sai sich aus Mitsukis hilfesuchenden Klammergriff befreit und war Naruto zu Hilfe geeilt. Er ließ die Fronten mit einem Tintenlöwen auseinanderstieben, sodass die beiden Akatsuki nach rückwärts taumelten.

»Sind sie hinter dir her?«, rief er der Kunoichi zu, deren Hitai-ate sie als Kumonin auswies.

Sie griff ihr Wakizashi um, während sie ihren Stand festigte. »Ja. Ich konnte sie auf halber Höhe abhängen, doch sie müssen mich wieder aufgespürt haben!«

»Yugito-san!«, drang plötzlich ein Männerchor durch die Bäume. Vier Kumonin hechteten auf die Lichtung; sie wurden mit einer flüssigen Sensenbewegung aus dem Weg gewischt. Wie leblose Fliegen klatschten sie an umstehende Baumstämme, die verheißungsvoll im Kanon mit ihren Knochen knackten. Der grauhaarige Akatsuki war stark.

»Kakuzu«, sagte er mit einem verstörenden Lächeln auf den Lippen. »Lass sie uns töten.«

Seine Worte waren wenig überraschend. Furchteinflößender war sein verzerrtes Grinsen. Wenn sein Partner Kakuzu hieß, war er selbst Hidan. Sarutobi Asumas Mörder. Naruto schien es im selben Moment realisiert zu haben, denn er sprengte nach vorne und rammte ihm mithilfe zweier Kagebunshin ein provisorisches Rasengan in den Magen. Zumindest versuchte er es; Hidan wich mit einem Seitenschritt aus, dann ging alles ganz schnell.

Die Bewegungen, die jeder einzelne anwesende Shinobi in dem blutigen Reigen vollführte, waren mit ungeübtem Auge kaum zu erkennen. Sakura, die am Rand der Lichtung Asuka im Arm hielt, erfasste nur einen Bruchteil dessen, was geschah, bis ein gellender Schrei die angespannte Atmosphäre zerriss. Ein einziger Angriff hatte die Machtverhältnisse gedreht.

Sai war zu Boden gegangen, Yugito ausweichend zurückgesprungen, die beiden Akatsuki lenkten Narutos Rasen Shuriken ab als wäre es ein Lufthauch und ein Schrei ertönte. Sakura sah sich um. Solange sie nicht wusste, dass niemand ihre akute medizinische Versorgung benötigte, konnte sie nicht in den aktiven Kampf eingreifen. Dann sah sie das Bündel einige Meter abseits.

Mit einer kräftigen Bewegung stieß sie Asuka hinter einen Baum in Deckung, sprang auf und hastete zu ihrer Teamkollegin, die blutüberströmt auf dem nassen Erdboden zusammengebrochen war. Die charakteristischen Verletzungen ihrer Haut, die vom strömenden Regen reingewaschen wurde, ließen nur auf eines schließen. Während Naruto und Yugito mit geballter Schlagkraft nach vorne stürmten, schleifte sie Mitsukis schlaffen Körper an den Rand des Schlachtfeldes.

»Kannst du mich hören? Wie ist dein Name? Hey!«, rief sie. Rasen Shuriken war übel, vor allem, wenn der Getroffene nicht einmal versucht hatte, es zu blocken. Die Verletzungen waren nicht so tief wie bei einem direkten Treffer, doch die Ausläufer der Jutsu hatten lebensbedrohliche Spuren hinterlassen. Hoffentlich kam Naruto alleine klar.

»M-Mitsuki …« Ihr schwaches Säuseln war Musik in ihren Ohren. Die leeren braunen Augen des Mädchens schweiften hin und her, ohne etwas zu fokussieren. Sie war an der Kippe zur Bewusstlosigkeit.

»Du hast sehr viel Blut verloren, Mitsuki-chan«, erklärte Sakura. »Du musst wachbleiben, hörst du?«

»Wieso … rauscht es so?«

Ihr Wimmern war herzzerreißend, doch Sakura hatte Übung darin, Störvariablen auszublenden. »Du bist tapfer, Mitsuki-chan. Willst du Chūnin werden? Deshalb bist du doch hier. Wenn du deine Augen offenhältst, bist du einen Schritt näher an deinem Ziel. Asuka-chan ist dort hinten, sie macht sich Sorgen, und dein Freund – wie heißt er? Kannst du mit den Namen deines Teamkameraden sagen?«

Der Name, den sie wisperte, war im erbarmungslosen Strömen des Regens unverständlich. Noch bevor sie zum schwierigen Teil der Behandlung übergehen konnte, begannen Mitsukis Lider über den nach innen verdrehten Iriden zu beben.

»Mitsuki-chan, sieh mich an!«, blaffte sie ihre Patientin an, erfolglos. Mitsukis leerer Blick verflüchtigte sich in eine andere Realität.

Gerade als sie das Chakra in ihren Handflächen zu einer stärkeren Jutsu formierte, durchschnitt ein Schrei ihre Konzentration. In der Peripherie ihres Sichtfeldes sah sie die Kunoichi aus Kumogakure auf dem Boden aufschlagen und regungslos mit von sich gestreckten Gliedmaßen liegenbleiben. Das bedeutete Naruto gegen Kakuzu und Hidan. Ein kürzlich zum Jōnin ernannter Konohashinobi gegen zwei S-Klasse Nukenin. Naruto war stark, aber er konnte nicht gewinnen. Für einen Sekundenbruchteil befand Sakura sich in einem Dilemma – Mitsukis Leben oder Narutos?

Dann tauchten sie auf.

Ihre Präsenz explodierte auf der Lichtung wie eine Sprengfalle der Hoffnung. Sie hatten ihre Chakrasignaturen so perfekt unter jeder merkbaren Schwelle gehalten, dass Sakura sie nicht hatte kommen spüren. Eine Woge der Erleichterung schwappte über sie hinweg. Jemand hatte ihr Signal gesehen! Nein, nicht jemand –

Sie.

Unter allen elitären ANBU Einheiten Konohas, hatte es ausgerechnet diesen Kader nach Kumogakure verschlagen.

»Teme!«

Naruto raffte sich auf, blutüberströmt, und wischte sich ein rotes Rinnsal Blut vom Kinn. Noch vor einer Minute hatte er gewirkt, als sei er fertig mit der Welt. Uchiha Sasukes Auftauchen gab ihm neue Energie; wütende, rivalisierende Energie, die Sasuke zumindest oberflächlich völlig kalt ließ. Keiner der Konohanin brauchte die Gesichter hinter den Masken der restlichen ANBU zu sehen, um zu wissen, wer sie waren. Selbst wenn Zweifel bestanden hätten, verriet Asukas erleichtertes Japsen ihre Identität.

Naruto schien sich nichts aus dem eindrucksvollen Auftreten des berühmten Quartetts zu machen. Mit neuem Kampfgeist preschte nach vorne, direkt auf Hidan zu, dicht gefolgt von Sasuke. Auf ein Handzeichen ihres Captains hin setzten die anderen beiden Mitglieder des Teams samt ihm selbst nach.

All das war in nicht einmal zehn Sekunden geschehen und es gab Sakura die Freiheit, sich völlig auf ihre Patientin zu konzentrieren. Sie sah nicht, wie Naruto an der Seite der vier ANBU gegen Kakuzu und Hidan kämpfte; blendete die pulsierende Chakrawellen aus, die bei jedem Aufeinandertreffen freigesetzt wurden. Für sie stand etwas ganz anderes als der Sieg auf dem Spiel.

Es waren bange Augenblicke, in denen sie begann, ihr eigenes Chakra mit Mitsukis zu verweben. Diese Methode hatte sie noch kein einziges Mal an einem lebendigen Menschen geübt, aber welche Wahl hatte sie schon? Während sie ihr Chakra mit Mitsukis harmonisierte, versuchte sie mit halben Ohr die scharfen Kommandos des ANBU Captains zu hören. Solange er alles im Griff hatte, konnte sie sich um ihre Patientin kümmern. Vor, Angriff, Formieren!, vernahm sie am Rande ihres Fokus.

Dann, plötzlich, Stille. Captain Uchiha Itachis Stimme.

»Sasuke, Naruto, folgt Hidan! Yūgao, Shisui, übernehmt Kakuzu! Ich kümmere mich um Yugito-san.«

Sakura hatte das vibrierende Chakra nicht einmal ansatzweise bemerkt. Es waren zu viele Präsenzen, als dass sie sie hätte ausdifferenzieren können. Die Überraschung, mit der sie Yugitos chakraumhüllten Körper sah, hätte tödlich sein können. Panik schlug ihr ins von Emotionen leergefegte Gesicht; sie brachten es einem bei, keine Emotionen zu zeigen. Es war schwach. Sie war nicht schwach. Doch sie war überfordert. Mitsuki, Sai, Asuka, die Iwanin – es waren zu viele Verletzte für eine Iryōnin.

»Das Chakra von Nibi drückt durch ihr eigenes«, riss Itachi sie aus ihrem kurzen Schock. »Bist du verletzt, Sakura-san?«

Sie schüttelte panisch den Kopf. »Aber alle anderen. Ich kann sie nicht alle auf einmal heilen!«

Itachi festige seinen Stand, einen Kunai gezückt, als das Ding, das Yugito gewesen war, sich ihnen näherte. Es war wie damals, als rotes Chakra Naruto umwabert hatte; todbringend und giftig für ihn selbst. Sie hatte einen ellenlangen Bericht darüber geschrieben.

»Sakura-san, wenn du ihren Körper heilst, geht das Chakra des Bijū zurück, ist das korrekt?«

»Ja, aber wie soll ich …«

»Ich halte sie fest.«

Sie würde sich später über den Befehlston brüskieren. Für den Moment war sie froh, Uchiha Itachi als Frontmann zu haben. Als dieser schnellte er vor, wich einer willkürlichen Attacke von Yugito aus, umrundete sie und schlug sie zu Boden. Die formlose Andeutung eines Schwanzes wurde klarer durch die zugefügten Verletzungen und das knapper werdende Chakra.

Es war riskant, Mitsuki ihrem Schicksal zu überlassen, wenn auch nur für kurz, und Sakura spürte im Aufstehen, dass es für sie selbst ebenfalls keine gute Idee war. Ihre Beine zitterten vom Chakraverlust, ihr Herz raste. Yugito hatte sich wieder aufgerafft und wütete in einem schnellen Zweikampf mit Itachi.

Reiß dich zusammen!, schalt sie sich. Ihr Gang wurde schneller und fester; Schwäche zu zeigen war keine Option. Nicht vor Uchiha Itachi, nicht vor ihrem Team und schon gar nicht vor ihr selbst. Endlich fand sie eine Öffnung, stieg in den Kampf ein und lenkte Yugito gerade so weit ab, dass Itachi sie zu Boden schmettern konnte. Mit einer chakrainfundierten Hand, einem ebensolchen Knie und Uchihas Hilfe pinnte Sakura die wild strampelnde und fauchende Jinchūriki auf das feuchte Gras.

Itachis kritischem Blick ignorierend, machte Sakura sich kontrolliert hektisch an die Arbeit. Eine Dosis Shōsen no Jutsu und ein paar Gefäßreparaturen reichten, um das wildgewordene Chakra zurückzudrängen. Erst als der letzte Funken verschwunden war, ließ Sakura von ihr ab. Sie wollte sich erschöpft zurückfallen lassen, Arme und Beine von sich strecken, aber Mitsuki lag dort und ein halbes Dutzend anderer Verletzter.

Wenn sie schon vor dem älteren Uchihabruder keine Schwäche zeigen durfte, würde sie es vor dem gerade zurückgekehrten jüngeren noch weniger.

Und doch konnte sie sich nicht dagegen wehren, als ihre

Muskeln nachgaben und sie zu Boden fiel.