Broken Mirror
Everyone pays in war: Many with gold, some with blood, a few with their lives; and seldom someone has to give their soul.
Harry Potter saß alleine im Burrow, auf einem der Stühle im Esszimmer. Er wartete auf jemanden, auf Nachrichten, gleichzeitig sehnsüchtig und angsterfüllt. Er wartete schon lange dort in der Stille des verlassenen Hauses, das eigentlich so voller glücklicher Erinnerungen war, voller Freude und Witz und der Familie, die er nie hatte. Doch jetzt, alleine und unruhig, gespannt wie die Sehne einer Armbrust und zugleich kraftlos wie die Leiche einer Schlange, im flackernden Licht von einigen wenigen Kerzen, wirkte das Haus der Weasleys zum ersten Mal unheimlich. Mit zum Zerreißen gespannten Nerven, bei jedem Ächzen und Knarzen des nur durch Magie zusammengehalten Hauses aufschreckend, spielte er mit einer leblosen Schachfigur; zu nervös um etwas zu tun und zu nervös um nichts zu tun.
Er wartete auf Mr. Weasley, den Vater seines ältesten Freundes Ron und seiner Freundin Ginny, vor allem aber auf Nachrichten über ihren Verbleib, ihren Zustand. Sie war seit Mittag des Tages verschwunden, niemand wusste, wo sie zuletzt gewesen war und niemand konnte sie erreichen.
Anfangs wollte niemand wahrhaben, niemand zugeben, was jetzt alle insgeheim vermuteten und doch keiner wagte auszusprechen, als könnte allein dieser Akt ein wenig Leben in dieses Schreckensbild hauchen, das sie alle sich ausmalten, wenn sie darüber nachdachten, was wohl mit Ginny geschehen sei. Die Unwissenheit ließ den Motor der Fantasie auf Hochtouren laufen, betrieben durch ihre Angst und dem erschreckend realistisch klingenden Wissen, dass es kein Auge inmitten dieses Krieges geben könne.
Sie alle wussten, dass es immer gefährlich gewesen war mit dem Jungen-der-überlebte befreundet zu sein und wie viel gefährlicher es wurde, wenn man die Partnerin dieses Jungen wäre. Und doch hatten sie alle sich für ihn entschieden, ihn in ihre Familie aufgenommen und ihm so der Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches ein wenig nähergebracht. Und die Gefahren waren da gewesen, schon wenige Monate, nachdem sie sich das erste Mal getroffen hatten, waren sie offensichtlich geworden und seitdem immer wieder, immer größer. Aber nie waren sie vor ihm zurückgeschreckt, nie zurückgewichen, im Vertrauen auf den großen, weisen Dumbledore und in der verzweifelten Hoffnung, dass das Gute am Ende triumphieren würde.
Dafür war er ihnen, in seiner eigenen Meinung, alles schuldig und dazu gehörte auch, oder vor allem, ein siegreiches Beenden des Kampfes. Die Tatsache, dass sie ihn selbst in dieser finstersten aller Stunden für solche Gedanken gescholten hätten, sorgte nur für die Zementierung seiner Entschlossenheit, alles zu opfern, um ihnen ein Leben nach dem Krieg zu ermöglichen.
Anderthalb Jahre später saß Harry Potter wieder alleine in einem Zimmer, diesmal allerdings keinesfalls im gemütlichen Haus der Zaubererfamilie, sondern in einem Raum mit Wänden aus grob bearbeiteten Stein, auf einer einsamen Insel im Meer. Draußen wütete ein Sturm, der Regen prasselte auf die hohen Steinmauern des Gefängnisses und der Wind heulte in den engen Gängen, wie gequälter Hund. Diese Insel wäre selbst ohne das Gefängnis ein überaus unangenehmer Ort gewesen, aber die Kälte, die ein Besucher aufgrund des Regens und des Windes erfuhr, war nichts gegen die Kälte, die von den Wärtern ausging. Keine noch so detaillierte Beschreibung, ja nicht einmal eine Erinnerung in einem Denkarium, konnte einen auf diese Furcht, die bis in die innersten Gebiete der Seele vordrang, vorbereiten, diese in die Herzen der Insassen gepflanzte Panik, die einem alle Kraft und Hoffnung raubte. Azkaban wurde nicht umsonst als die Hölle auf Erden bezeichnet, eine nach Feuer und Hitze klingende Bezeichnung, die so mancher Häftling schon nach kurzer Zeit vorgezogen hätte. Doch hell und warm wurde es nie auf dieser einsamen Insel, denn immer war die Sonne verdeckt von dunklen, tiefhängenden Wolken, als ob ein Gott sich der Existenz dieser Schöpfung seiner Schöpfung schämte und befürchtete, dass diese Abscheulichkeit das reine, heilige Licht der Sonne beflecken könnte.
Und doch hielt sich der Retter der magischen Welt Großbritanniens hier auf, der doch, der Meinung der meisten englischen Zauberer und Hexen nach, seinen Platz im Paradies am ehesten verdient hätte. Sicher, das Büro und die kleinen Zimmer des Befehlshabers von Azkaban waren etwas bequemer, als die Zellen, in denen die Häftlinge vegetierten, und auch die Dementoren hatten keinen Zutritt, mächtige Banne hielten ihren finsteren Einfluss draußen, gespeist von der Magie eines Quellsteins. Aber die niedrigen Decken, der nasse, klamme Stein und der ständige Lärm des Windes, machten die Versetzung zu diesem Posten nicht zu einer Beförderung.
Selbst die Autarkie der Insel, nach dem Ende des Krieges vom Wizengamot beschlossen, um sich bei den Haftbedingungen nicht um Kleinigkeiten wie Bürgerrechte kümmern zu müssen, tat der Verhasstheit dieser Stelle, die einen praktisch zu einem uneingeschränkten Herrscher der Insel, wenn auch im Auftrag des Zaubereiministers, machte, keinen Abbruch. Und da das Ministerium ohnehin kaum genug Auroren übrig hatte, um die öffentliche Ordnung zu gewährleisten und um die sich endemisch ausbreitende Lynchjustiz unter Kontrolle zu bekommen, hatte man unter Federführung des Chiefwarlocks nicht nur eben diese Autarkie beschlossen, sondern auch öffentlich im Rahmen einer prachtvollen Inszenierung einen der wenigen lebenden Männer, die im Ruf standen Dementoren in großen Zahlen kontrollieren zu können, mit dieser verantwortungsvollen und für die Zukunft des Landes ungemein wichtigen Position belohnt.
Es war ein brillanter Schachzug, des großen Albus Dumbledore würdig. Selten hat ein Plan so vollendet funktioniert und selten waren die vielen gleichzeitig davon erschlagenen Fliegen so machtlos gewesen.
Die Ministerin war zufrieden, da sie gleichzeitig das Problem der vielen Gefangenen löste und Sympathiepunkte bei der unwissenden Bevölkerung sammelte, die Harry Potter wie einen Gott verehrten. Das Wizengamot war glücklich, da sie dadurch nicht mehr so hilflos und überfordert wirkten, sondern sich tatkräftig und pflichtbewusst, aber gleichzeitig dankbar zeigen konnten, ohne etwas von ihrem Einfluss aufgeben zu müssen.
Auch der unberechenbare politische Faktor des Jungen-der-überlebte war damit neutralisiert, da er als einziger Wächter Askaban nicht verlassen durfte, um einer Wizengamot-Sitzung beizuwohnen. Einen Stellvertreter für sich wählen zu lassen, war nämlich untersagt worden, zum Einen um die Beteiligung der Elite an der Gestaltung des Landes zu sichern, als auch um zu verhindern, dass gesuchte Kriminelle, wie die Todesser, aus der Sicherheit ihrer Wohnsitze weiterhin direkt Einfluss nehmen konnten.
Einem dermaßen beliebtem Mann konnte man nicht ohne das Risiko widersprechen, selbst beträchtlichen Schaden zu nehmen, und somit hatte sich Mehrheit der Inhaber von Sitzen im Wizengamot, die den Status Quo von vor dem Krieg widerherstellen wollte, allein dazu vereinigt den, in gewisser Hinsicht, Mächtigsten unter ihnen zu neutralisieren. Der Junge hatte seinen Job getan, jetzt sollten wieder die erfahrenen Männer die Zügel übernehmen und das Land wieder in die vertrauten Gewässer vor der Terrorherrschaft Voldemorts lenken. Natürlich kritisierten einige die Benachteiligung der magischen Kinder von Muggeln, doch viele erwiderte darauf, dass Voldemort deshalb so erfolgreich war, weil man den alten Familien der Reinblütern so viele Rechte genommen hatte.
Vollkommen überrascht, da unerfahren mit den hinterhältigen Methoden der Politiker, war Harry nichts anderes übrig geblieben, als zu lächeln und seiner Verbannung dankbar zuzustimmen. Einen Streit mit Dumbledore konnte er sich so kurz nach seinem Duell mit dem Dunklen Lord nicht erlauben, denn wenn jemand imstande gewesen wäre, was er getan hatte, um Voldemort zu besiegen, dann der alte und brilliante ehemalige Lehrer von Tom Riddle, der den späten Anstieg von Harry's magischem Potential ohnehin mit Misstrauen beobachtet hatte.
Die Ironie, dass er selbst maßgeblich an der Verabschiedung der Gesetze beteiligt gewesen war, die ihn jetzt zur Untätigkeit verurteilten, war dagegen allen, auch Lord Potter selbst, bewusst.
Wenn er nicht weiterhin große Teile des beträchtlichen Vermögens der Häuser Potter und Black benutzen würde, um St. Mungo zu unterstützen und weitere Krankenhäuser für Kriegsgeschädigte zu gründen, Waisenhäuser zu eröffnen und verwundeten Auroren zu helfen, hätte man glauben können, dass er der Held einer vergangenen Epoche gewesen wäre, ein Märchen, das man Kindern erzählt, ein Gott der verehrt wird, ohne dass die Einzelheiten der Existenz oder des Verbleibs von Bedeutung gewesen wären.
Sogar seine Freundschaft mit Ron und Hermine, die im ersten Hogwartsjahr geschmiedet worden war und unzählige Abenteuer, lebensbedrohliche Situationen und einen Krieg überstanden hatte, war im weiterfließenden Fluss des Lebens zerbrochen, nachdem der feste Boden erst der Schulzeit und dann des Kampfes gegen Voldemort weggespült worden war. Sie lebten inzwischen zusammen in einem schönen kleinen Haus an der Küste, auch sie waren ja Helden. Nun würden sie ihn begrüßen und bewirten, wenn er vorbeikäme, sie würden sich alle an einen Tisch setzen und über alte Zeiten reden, über Hogwarts, über vergangene Stunden. Doch er selbst aber hatte sich nie endgültig von der Vergangenheit trennen können und wurde von seinen Entscheidungen und Opfern noch immer verfolgt, während sich und ihr Leben weiterentwickelt hatten. Ihre Schicksale hatten sich schon lange voneinander entfernt und die Vergangenheit war zu sehr mit Leid gefüllt, um allein als verbindendes Element sorgen zu können. Und die Gegenwart?
Wer kam schon gerne nach Azkaban? Obwohl er die Lebens- und Aufenthaltsbedingungen nicht uneigensüchtig stark verbessert hatte, insbesondere indem er den Einfluss der Dementoren abgeschwächt hatte, würden sie seine Enttäuschung und das Gefühl des Verratenseins nicht verstehen, sondern würden nur betonen, dass er ein Auftrag hätte, dass nur die schlimmsten Menschen nach Azkaban kämen und dass sie jede Strafe verdienten, die das Ministerium für richtig hielt.
Sie lebten in einer Märchenwelt, in der der Held das Böse besiegt und danach Frieden und Gerechtigkeit im Königreich einkehrte. Aber wer könnte es ihnen verübeln sich nach Jahren des harten Lebens und Kampfes zur Ruhe zu setzen und ein ruhiges Leben zu führen? Er hatte die skrupellose Seite Dumbledores nie zu Gesicht bekommen bis zu dem Moment, an dem er von eben diesem verdammt wurde, und selbst er, der Autoritätsfiguren aufgrund seiner Erfahrungen in der Kindheit und später mit dem Ministerium und Presse immer misstraut hatte, hätte nie ihre Existenz vorhergesehen.
In Askaban stand Harry auf und schritt zu Tür, um alles für die Ankunft der nächsten Nahrungsmittellieferung vorzubereiten. Er erwartete den Wagen immer vor den Toren der Festung, zur Dankbarkeit der begleitenden Auroren, doch das verhinderte gleichzeitig, dass sie einen Blick in die Festung warfen und das Fehlen der Dementoren in den Gängen bemerkten. Er verabscheute diese Kreaturen, für das, was sie waren und was sie unter der Herrschaft Voldemorts getan hatten. Doch das Ministerium bezeichnete sie im Hinblick auf die Gefängniswachen als alternativlos, da man die wenigen zur Verfügung stehenden Auroren nicht noch weiter belasten wollte, womit jeder Protest gegen die Tatsache, dass man mit dunklen Kreaturen zusammenarbeite, die einen schon einmal ohne Konsequenzen verraten hatten, erstickt wurde.
Dank dem Wizengamot konnte er mit den Gefangenen nahezu tun, was er wollte, solange sie Gefangene blieben. So hatte er die Dementoren gezwungen, in menschenleeren Bereichen der Festung zu verweilen und er selbst sorgte dafür, dass die Häftlinge in den Zellen blieben. Natürlich, es waren größtenteils ehemalige Anhänger Voldemorts in den Zellen, besonders seine obersten Gefolgsleute hatten überlebt. Trotzdem brachte er es nicht über sich, sie diesen schrecklichen Geschöpfen auszuliefern. Er hatte schon so viel Dunkelheit in sich, er hatte so viele böse Dinge getan, da versuchte er jedes bisschen Licht, jede kleine Flamme der kindlichen Unschuld in sich am Leben zu erhalten.
Außerdem wollte er nicht, dass die Auroren sich über das Fehlen seines Patronus wunderten, immerhin war seiner berühmt dafür, mächtig genug zu sein, um dutzende, wenn nicht gar hunderte Dementoren zu vertreiben. Niemand wusste, dass er schon lange die Fähigkeit verloren hatte, einen hervorzubringen und er die Dementoren jetzt auf andere Weise kontrollierte, die der Voldemorts beunruhigend ähnlich war: Die Dementoren hatten Angst vor ihm und ihre natürliche angsteinflößende Aura konnte ihm nichts anhaben. Er hatte zwei Erklärungen dafür: Nach der einen war dies eine direkte Folge dessen, was er getan hatte, um Voldemort zu besiegen, die andere war, dass seine schlimmste Erinnerung gleichzeitig seine schönste sei.
Nachdem er den Auroren die Nahrungsrationen abgenommen hatte und ordnungsgemäß im Keller der Festung verstaut hatte, hatte er nicht mehr viel zu tun. Man sollte meinen, ein Mann, der alleine eine ganze Festung mit fast zweihundert Gefangenen beaufsichtigte, wäre sehr beschäftigt, aber das Gegenteil war der Fall: Es gab kaum Papierkram, da er dem Ministerium für Zauberei keine Rechenschaft schuldig war. Der Papierkram, der anfiel, wurde schon im Ministerium selbst bearbeitet und nichts davon benötigte seine Zustimmung. Ansonsten musste er nur die Gefangenen ernähren und dafür sorgen, dass sie in ihren Zellen blieben. Ersteres erforderte dreimal täglich einen Gang durch den Gefangenentrakt, um die vorgefertigten Rationen auszuteilen und gleichzeitig alle Zellen und Insassen zu kontrollieren. Für Letzteres hatte er mit seiner beträchtlichen Kenntnis der ihm möglichen, außerordentlich mächtigen Magie, seinem Ruf als Sieger über den dunklen Lord und seiner Maßnahme des Verbannens der Dementoren gesorgt.
Viele hatten Angst vor ihm, immerhin hatte er ihren Meister getötet, der sie wie Ameisen zu seinen Füßen behandelt hatte. Und so wie die Ameisen den Stiefel des Menschen fürchten, so fürchten die Menschen den Zorn eines Gottes. Warum sollten also Ameisen nicht auch den Gott fürchten? Außerdem hatten einige schon persönlich gegen ihn gekämpften und versucht ihn umzubringen, viele waren sogar von ihm selbst gefangen genommen worden. Sie wussten also, wozu er imstande war und dass sein Sieg über ihren Herrn kein unwahrscheinlicher Glücksfall gewesen war.
Einige bewunderten ihn auch. Wer könnte Voldemort besiegen, außer ein anderer, mächtigerer Dunkler Lord? Das hatten einige schon gedacht, als er Voldemort als kleines Kind vertrieben hatte, und jetzt hatten sie sogar guten Grund dazu, wenn sie seine Geheimnisse kennen würden. Natürlich blieb ihnen das Fehlen eines patrouillierenden Patronus nicht verborgen und jeder machte sich dazu seine eigenen Gedanken. Aber der letzte bekannte Zauberer, der Dementoren ohne Patronus kontrolliert hatte, war ihr Herr gewesen…
Er kümmerte sich nicht groß darum, selbst bei denen, deren Theorien der Wahrheit gefährlich nahe kamen. Sie würden wahrscheinlich ihr Leben lang in Azkaban verbringen, und wer würde schon verurteilten Schwerverbrechern glauben, dass die Fähigkeiten des Helden der Zaubererwelt denen ihres ehemaligen Meisters sehr ähnlich waren?
Als Harry ein weiteres Mal seine Runde an den Zellen vorbei drehte, blieb er bei einer Zelle stehen, an der er sich in letzter Zeit viel zu viel aufhielt. Er stand still davor, durch kein Geräusch seine Anwesenheit verratend und blickte durch das Gitter auf die ausgemergelte Frau, die im Inneren auf einer Matratze lag, die er ihr in einem Anfall von Mitleid beschworen hatte. Sie hatte ihn damals nur erstaunt angestarrt, aber nicht nach einem Grund gefragt, wofür er ihr widersinnigerweise zutiefst dankbar war, denn er selbst hätte diese Frage bis heute nicht beantworten können.
Plötzlich drehte sich ihr Kopf und ihre trockenen, gerissenen Lippen teilten sich zu einem schrecklich aussehenden Grinsen. „Es ist schon wieder Abendessenszeit?" krächzte sie mit ihrer gebrochenen, heiseren Stimme. „Ich dachte mir, ich hätte mal wieder etwas Angenehmes gerochen und hier kann das nur das Essen sein."
Harry betrachtete die Gefangene, als sie die Mahlzeit, einen grauen Brei, in sich hineinstopfte, als wäre es Nektar und Ambrosia, ausgehungert von den Strapazen der Gefangenschaft auf einer Insel mitten im Meer. Er versuchte oft seine Handlung damals rational zu begründen, aber nichts vermochte das merkwürdige Gefühl der Verbundenheit zu erklären, dass seit damals mit jeder weiteren Begegnung, jeder weiteren vernünftigen Konversation nur weitergewachsen war und sich unerklärlicherweise in eine Art der Vertrautheit entwickelt hatte.
Immerhin war sie eine der verhasstesten Hexen des Landes und auch er selbst hatte viele gute Gründe sie zu verabscheuen. Bellatrix Lestrange hatte ihm seit dem Tod Sirius', der ebenfalls von ihr verursacht worden war und der ihn dazu gebracht hatte, tief in den Abgrund der Magie seines Feindes hineinzublicken, mehrmals gegenübergestanden und sie hatten immer mit allen Mitteln versucht sich gegenseitig und ihre jeweiligen Verbündeten umzubringen.
Sie war eine der treuesten und ältesten Anhängern Voldemorts gewesen, mächtig und unglaublich talentiert. Selbst die erfahrensten Auroren hatten Angst davor gehabt sich mit ihr duellieren zu müssen, denn nur wenige konnten der einmaligen Mischung aus angeborenen Talent, Durchhaltevermögen, Furcht- und Rücksichtslosigkeit und Fanatismus für mehr als einige Sekunden etwas entgegensetzen. Aber in Wirklichkeit hatte ihr der Wahnsinn, der sich begann zu entwickeln, kurz nachdem sie sich dem Dunklen Lord angeschlossen hatte, einige ihrer Fähigkeiten genommen: Sie verlor ihre List und auch ihr früherer Variantenreichtum, was Zauber anging verschwand langsam, um ersetzt zu werden durch Rücksichtslosigkeit, auch sich selbst gegenüber, und einer gefährlichen Unberechenbarkeit, die bei allen bis auf die raffiniertesten Gegner ihre Mängel ausglich.
Als sie Harry Potter das erste Mal gegenüberstand, war sie enttäuscht gewesen. Dieser Junge, ein Kind ohne besondere Fähigkeiten im Kampf und ohne besonders viel magische Stärke, sollte der Junge-der-überlebte sein? Er war schwach und leicht zu manipulieren gewesen und war von seinen Gefühlen kontrolliert. Nachdem sie ihren Cousin getötet hatte, war er ihr bedenkenlos hinterhergerannt, ohne darauf zu achten, dass sein Tod oder seine Gefangennahme den Tod Sirius' völlig ad absurdum führen würde. Nur das Opfer seiner Mutter, seine eigene Opferbereitschaft und Dumbledores Hilfe schienen ihn bis zu dem Zeitpunkt am Leben gehalten haben. Als sie später von Snape gehört hatte, dass er in einem Wutanfall Dumbledore's Büro verwüstet hatte, fühlte sie sich nur in ihrer Annahme seiner Arroganz und Überheblichkeit bestätigt.
Aber vor etwas mehr als einem Jahr hatte er sich verändert oder etwas in ihm hatte sich verändert. Sie wusste natürlich, was dafür verantwortlich war, immerhin war sie dabei gewesen, als sie seine Freundin überrascht und gefangengenommen hatten. Snape hatte berichtet, dass der Junge kontrollierter geworden war, sogar ein fähiger Okklumentiker. Einige Ordensmitglieder sollen sogar ob seiner Gefühlskälte und Fokussierung besorgt gewesen sein und sich darum mit Dumbledore gestritten haben.
Als sie ihm das nächste Mal gegenübergestanden hatte, hatte sie ihn wieder mit ihrer Imitation einer Babystimme verspottet und sich damit gebrüstet seinen Paten umgebracht zu haben. Dies war das erste Mal, dass ihre Arroganz fast ihr Verderben gewesen war. Er reagierte nicht wie von ihr erwartet, brüllte nicht auf vor Wut und schleuderte ihr brutale, aber schlecht gezielte Zauber entgegen, sondern biss den Kiefer zusammen und ließ eine Kaskade von mächtigen Zaubern auf sie herabregnen. Da sie nicht darauf vorbereitet war sich schützen zu müssen, hatte sie keine andere Möglichkeit gehabt, als in Deckung zu springen, was den Spott einiger Todesser anregte. Aber sie hatte einige der Zauber erkannt und wusste, was für eine Macht damals auf ihr eilig hochgezogenes und somit in dieser Situation völlig ungenügendes Schild eingeprasselt war. Schon die ersten hatten ihr Schild überwältigt und sie konnte die Macht, die plötzlich von dem Jungen ausging, physisch spüren. Sie hätte es natürlich nie zugegeben, aber sie war von dem Repertoire an Zaubern und seiner perfekten Kontrolle, ganz zu schweigen von seiner beträchtlichen Macht beeindruckt gewesen. Niemals hatte sie ihn nach diesem Tag verspottet oder im Kampf nicht ernst genommen. Sie wusste, dass genau das Sirius' letzter Fehler gewesen war.
Mehrere Monate später war der Krieg plötzlich vorbei gewesen. Sie war mit anderen Anhängern des Dunklen Lords auf einer Mission gewesen, so wichtig, dass der Erfolg ihren endgültigen Sieg in greifbare Nähe gerückt hätte. Doch mitten im Kampf gegen ein paar hoffnungslos unterlegene Auroren, hatte ihr dunkles Mal angefangen zu brennen und sie und alle anderen Todesser hatten sich vor Schmerzen auf dem Boden liegend gewunden. Das dunkle Mal war an diesem Tag verschwunden, war verblasst, nachdem es die Todesser noch ein letztes Mal für ihre Unzulänglichkeit bestraft hatte.
Später im Gefängnis erfuhr sie, dass ihre Gegner einen verzweifelten Versuch unternommen hatten, der Schlange den Kopf abzuschlagen, also direkt ihren Anführer zu töten. Sie hatten mit allen verfügbaren, kampffähigen Zauberern und Hexen einen Überraschungsangriff gewagt und die wenigen Todesser, die dabei gewesen waren und überlebt hatten, erzählten, dass das Duell zwischen dem Dunklen Lord und Harry Potter, wie das Zusammentreffen zweier Naturgewalten gewesen war. Alle anderen Kämpfer waren neben ihnen verblasst und die Kollateralschäden ihrer Zauber hatten mehr Schaden verursacht, als die Zauber aller anderen Anwesenden. Dumbledore war zwar auch da gewesen, war aber dem Kampf mit Voldemort aus dem Weg gegangen. Einige sagten, dass er durch einen Fluch stark geschwächt gewesen war und deshalb lieber geholfen hatte die wenigen Todesser beschäftigt zu halten.
Niemand wusste, wie der junge Potter in so kurzer Zeit so mächtig geworden war, obwohl einige dunkle Rituale vermuteten. Doch konnte sich niemand ernsthaft vorstellen, dass der Held des Lichts zu solchen Mitteln greifen würde oder überhaupt von solchen Dingen Kenntnis hätte. Allerdings waren alle, die bei dem Duell nahe genug gewesen waren, um Einzelheiten zu erkennen, umgekommen oder hatten ihr Gedächtnis verloren, und so gab es niemanden, der fundierte Informationen und nicht nur Gerüchte und Vermutungen liefern konnte.
Sie war damals zusammen mit den anderen Todessern gefangen genommen worden und kurze Zeit später zum zweiten Mal zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Einige Tage schon hatte sie in ihrer Zelle unter der Anwesenheit der Dementoren gelitten, als diese sich plötzlich zurückzogen. Einige Todesser in benachbarten Zellen nahmen das zum Anlass in Jubel auszubrechen und zu glauben, dass ihr Herr zurückgekommen sei, um sie zu befreien. Als sie alle dann die Schritte einer einzelnen, bedächtigen Person die Treppe zum Zellentrakt heruntersteigen hörten, war sogar sie selbst kurz davon mitgerissen worden. Aber als die Schatten der Treppe Potter höchstpersönlich enthüllt hatten, war der Lärm so plötzlich wieder verschwunden, wie er aufgekommen war und war stattdessen einer gespannten und gefährlichen Stille gewichen. Der Junge hatte sie nur mit einer trockenen Bemerkung bedacht: „Ich hätte nie gedacht, dass meine Anwesenheit Todesser zum Jubeln bringen würde." Dann hatte er die Mahlzeiten verteilt ohne irgendeinen seiner Gefangenen wirklich wahrzunehmen.
Dieser Umschwung von neu erwachter Hoffnung zu Enttäuschung innerhalb weniger Sekunden, hatte die meisten entkräftet auf ihre zerschlissenen Laken sinken lassen und einige der Jüngeren in Tränen ausbrechen lassen.
Seitdem war er das einzige menschliche Wesen außerhalb von Gitterstäben gewesen, dass sie und die anderen Häftlinge zu Gesicht bekommen hatten, dafür aber mit großer Regelmäßigkeit dreimal täglich. Er erklärte nie, weshalb er in Azkaban war oder weshalb die Dementoren nur noch abseits ihrer Zellen patrouillierten, bis er sie allein eines Tages in eine der oberen Zellen verlegte. Diese waren etwas größer, sowohl in der Breite, als auch in der Höhe, und hatten vor allem zwei größere Fenster, waren allerdings gleichzeitig auch sicherer. Somit war der Kontakt mit ihren Mitgefangenen vollständig abgebrochen, was sie zwar nicht übermäßig störte – irgendwann erschöpften sich nun mal die Geschichten, die Häftlinge sich gegenseitig zu erzählen hatten und die anderen hatten sie zunehmend angewidert – doch nun war sie vollkommen alleine, ohne irgendeine Beschäftigung außer Schlafen, Essen und aus den Fenstern in die unerreichbare Freiheit schauen.
Als sie schon vermutet hatte, dass Einsamkeit und Isolation seine persönliche Rache an ihr war, begann er sich mit ihr zu unterhalten, wenn er vorbeikam, um ihr das Essen zu bringen. Meistens stellte er Fragen zu ihrem Leben, bevor sie Anhängerin von Voldemort wurde, aber sein Interesse schien auch ihrem Leben danach zu gelten. Sie beantwortete alle seine Fragen bereitwillig, fast schon dankbar dafür, irgendetwas tun zu können. Außerdem hatte sie, anders als manche der unten eingesperrten Todesser, ihren Hass und ihre Verachtung für den Jungen verloren. Was hatte es denn auch für einen Zweck? Ihr Leben in Freiheit war vorbei, es gab keinen Anführer mehr, dem sie folgen könnte und so sah sie keinen Grund darin ihre Kraft mit Hass oder dem Planen ihres unmöglichen Ausbruchs zu verschwenden. Sie hatte mit ihrem Leben abgeschlossen und verfolgte kein höheres Ziel mehr, als zu essen und dahinzuvegetieren.
Manchmal erzählte er auch von sich, zum Beispiel wie er zu dem Posten in Azkaban gekommen war oder was in der Welt außerhalb der Gitterstäbe vor sich ging, nur das Thema des vergangenen Krieges mied er. So erfuhr sie von dem Verrat Dumbledores und der Isolation, in der er sich selbst befand und es entging nicht ihrer Aufmerksamkeit, dass sich bald eine merkwürdige Art von Kameradschaft zwischen ihnen einstellte. Er verweilte jeden Tag mindestens einmal an ihrer Zelle, wenn er das Essen verteilte und jeden Tag lernte er ein wenig mehr über Bellatrix Lestrange, während sie immer ein wenig mehr über den Mann, zu dem Harry Potter sich entwickelt hatte, erfuhr.
Er war ein sehr ernster, merkwürdig besorgter Mann geworden, als wüsste er als einziger über eine drohende Gefahr Bescheid. Ein Teil davon konnte sie sich mit dem Krieg und dem, was er gesehen und getan hatte, erklären, aber als sie ihn direkt danach fragte, verschloss sich sein Gesicht und er fuhr mit seiner Runde fort. Sie fragte ihn nicht nochmal, um ihre einzige Quelle der Ablenkung und Information nicht zum Versiegen zu bringen, doch sie wusste, dass irgendetwas dahinterstecken musste und so verbrachte sie ihre Zeit damit nachzugrübeln, was er getan haben könnte, das sein Verhalten rechtfertige.
Während er vor ihrer Zelle stand, schlang sie den Brei herunter ohne ihn zu beachten und erfreute sich an seinem leicht verwirrten Gesichtsausdruck. Als sie ihre Portion vernichtet hatte, hob er eine Schale hinter seinem Rücken hervor, auf der sorgfältig Früchte und frisches Gemüse drapiert waren. Er reichte ihr den Teller durch die Gitterstäbe, diesmal selbst an der Reihe, unschuldig zu tun und vorzugeben, ihren fassungslosen Blick nicht wahrzunehmen. „Hättest du mir das nicht geben können, bevor ich mich mit diesem Fraß vergiftet habe? Ich weiß, dass dieses Hotel sensationell billig ist, aber selbst dafür ist das Mittagessen eine Schande." „Ich hoffe einfach, dass ein wenig gesünderes Essen deine Heilung vom Wahnsinn beschleunigen und außerdem meine einzige Quelle der Unterhaltung länger am Leben halten würde", erwiderte er trocken. „Ein köstliches Essen und Komplimente? Ich hatte schon lange kein Date mit einem so gut aussehenden, jungen Mann", erwiderte sie mit einem verschlagenen Grinsen.
Früher hätte ihn so eine anzügliche Bemerkung entweder erröten oder erbleichen lassen, aber inzwischen hatte er sich an ihren Humor gewöhnt und ihn schätzen gelernt. Selbst als sie sich lasziv die Lippen leckte und fragte, was sie tun müsse, um ein Glas Wein zu erhalten, wahrte er seine Fassung und lenkte das Gespräch elegant in unverfänglichere Themen. Immerhin war er trotz allem ein 18 jähriger Mann, der ein Mal in seinem Leben eine romantische Beziehung gehabt hatte, deren Dauer sehr begrenzt gewesen war. Und da er sein restliches Leben größtenteils damit beschäftigt war, am Leben zu bleiben oder einen absurd mächtigen Dunklen Zauberer zu bekämpfen, war er mit dem anderen Geschlecht nicht so vertraut, wie es sich einem Helden geziemte. Und jetzt da er frei von Voldemort war, verhinderten sein Ruf und sein Arbeitsplatz jegliche ernsthafte Beziehung. Je länger er darüber nachdachte, desto sicherer wurde er, dass die Zerstörung seiner Kindheit und Jugend eins der größten Verbrechen Voldemorts gewesen war. Immerhin hatte er ihm praktisch die schönste Zeit des Lebens gestohlen und ihm die Möglichkeit der normalen Entwicklung verwehrt.
„Glaub es oder nicht, aber ich hang immer sehr an meinen Schwestern. Selbst Andi, die schon mit 14 der Rebell der Familie geworden war, unterhielt ich noch nach ihrer Enteignung sporadisch Kontakt. Erst als ich Lestrange heiratete, musste ich alle Kontakte zur Familie abbrechen, auch zu meinen Eltern und Narcissa. Da du ein Black bist, wenn auch nur durch Adoption, solltest du wissen, dass uns Familie alles bedeutet. Wir haben nicht jahrhundertelang überlebt, indem wir uns mächtigeren Männern angedient und unterworfen haben, sondern indem wir uns immer eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt haben, und nur der Familie die Treue hielten. Damals hörte ich endgültig auf eine Black zu sein…" „Aber erst Sirius hat dich aus dem Familienstammbaum gelöscht, also haben vielleicht deine reizende Tante Walburga oder dein Vater dich immer noch zu ihrer Familie gezählt." „Oder sie waren einfach stolz darauf, was ich getan habe", erwiderte sie trocken. „Nun, ihrem Portrait nach zu urteilen, kann das tatsächlich der Fall gewesen sein."
Nach einer kurzen Pause, wagte Harry sich vor: „Wie lebst du damit, was du getan hast? Ich meine, ich war einer der Guten"- hier grinste er humorlos- „und fühle mich… beschmutzt und schuldig."
Das erste Mal an diesem Tag saß Bellatrix sich gerade hin und blickte ihn aufmerksam an bevor sie antwortete:
„Meinst du nicht du fragst die Falsche? Wir sind zwei fundamental unterschiedliche Fälle:
Du bist der Meinung, dass alles, was du getan hast, um den Dunklen Lord zu besiegen, grundsätzlich durch den Erfolg gerechtfertigt wurde, dass diese Opfer, die andere Personen dafür bringen mussten, selbst wenn du sie geopfert hast, richtig waren."
Hier unterbrach Harry sie protestierend:
„Ich habe nie…"
So weit kam er bevor die gehobene Hand der ihm gegenübersitzenden Frau ihn innehalten ließ:
„Es gibt eine einfache Frage, die den Unterscheid klar zeigt: Wenn du die Möglichkeit hättest ihn der Zeit zurück zu reisen, und du hättest die Möglichkeit alles noch einmal genauso zu tun, wobei du das Ergebnis des Tods des Dunklen Lords kennst, oder etwas zu ändern, einen anderen Weg zu finden…"
„Natürlich würde ich einen anderen Weg finden! Ich…"
Wieder brachte sie ihn mit ihrer Hand zum Schweigen, nachdem er sie unterbrochen hatte:
„Einen anderen Weg zu finden, zum Beispiel, um Leben zu retten, bei dem du das Ergebnis also nicht kennst. Anders gefragt, würdest du das Überleben oder sogar den Sieg des Dunklen Lords riskieren, vielleicht auch noch mehr Tote, für die Möglichkeit Dinge nicht zu tun, Personen nicht umzubringen, Menschen nicht sterben zu sehen?"
Das brachte Harry zum Schweigen.
„Und denkst du ich würde nicht alles dafür geben diese Chance zu haben, selbst wenn ich alles riskieren würde?"
A/N: Revised: 4.10.16
