1. Kapitel: Jetzt oder nie
Es war ein sonniger Donnerstag und ein Quidditch-Spiel stand bevor: Hufflepuff gegen Slytherin. Jessy Bodes, eine Slytherin im 7. Jahr, zeigte herzlich wenig Interesse an dem Spiel, es waren gerade 5 Minuten vergangen und Jessy hielt es kaum noch aus. Die Aufregung kribbelte überall in ihr, doch das lag nicht an der Tatsache, dass Slytherin bereits 30:0 führte, sondern daran, dass jetzt der günstigste Zeitpunkt war. Der günstigste Zeitpunkt zum Stehlen...
Alle Lehrer waren auf den Tribünen des Quidditchfeldes und niemand würde sie beachten. Sie blickte sich um und sah Snape im Lehrerblock, wie er mit Lucius Malfoy redete. Jessy dachte nach. Snape... Wenn er sie erwischen würde, hätte sie keine Chance mehr, weiterhin auf die Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei zu gehen. Professor Severus Snape war der meistgehasste und meistgefürchtetste Lehrer überhaupt, niemand hätte sich in einer so heiklen Sache mit ihm angelegt. Doch Jessy musste es tun, sie konnte nicht anders. Sie war abhängig, abhängig vom ,Dunklen Morgen'. Es war ein Zaubertrank, der vergessen ließ, der träumen ließ, der dafür sorgte, dass man glücklich sein konnte, wenn auch nur für eine bestimmte Zeit.
Jessy hatte diesen bittersüßen Trank zum ersten Mal probiert, als sie während einer Zaubertränkestunde bestimmte Unterrichtsmaterialien aus Snapes Büro holen sollte. Sie hatte ein kleines Fach voll von diesen Phiolen entdeckt und zum Testen der silbrigen Flüssigkeit drei Phiolen mitgenommen. Snape hatte es anscheinend nicht bemerkt und Jessy war mehr als froh darüber. Doch nach drei Wochen waren die Phiolen leer und Jessy brauchte unbedingt weitere Phiolen, sie wurde depressiv, wenn sie die silbrige Flüssigkeit nicht zu sich nahm. Also musste sie in Snapes Büro einbrechen, weil sie im Unterricht keine weitere Gelegenheit bekommen hatte. Erst dachte sie, Snape schöpfe Verdacht, doch er äußerte keinem Schüler gegenüber etwas dergleichen. Und so war Jessy bei einem Quidditch-Spiel vor einem Jahr in Snapes Büro eingebrochen und hatte sich die entsprechenden Phiolen genommen. Es war nicht einfach gewesen, weil Snape seine Bürotür mit zahlreichen Flüchen belegt hatte, doch nach einigen Minuten war es Jessy gelungen, jeden einzelnen zu brechen. Sie wurde abhängig vom Dunklen Morgen und mit der Zeit wurde sie unvorsichtiger. So kam es, dass Professor Lupin (der damalige Lehrer in Verteidigung gegen die dunklen Künste) sie einmal fast erwischt hätte, als sie nachts versucht hatte, in Snapes Büro zu gelangen. Sie konnte sich gerade noch rechtzeitig aus der ganzen Sache herausreden, doch Lupin war ihr von dem Zeitpunkt an immer misstrauisch gegenübergetreten. Sie war froh, als an seiner Stelle Professor Moody eingestellt wurde.
Nun war wieder ein Quidditch-Spiel im Gange und Jessy machte sich auf den Weg ins Gebäude. Sie ging hinunter zu den Kerkerräumen und nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand in ihrer Nähe war, brach sie einen Fluch nach dem anderen. Irgendwann ließ sich Snapes Bürotür öffnen und Jessy beeilte sich, fünf Phiolen herauszunehmen und nacheinander jeden Fluch wieder auf die Tür zu legen. Es verlief alles gut, niemand hatte sie gesehen, soweit sie das beurteilen konnte und so machte sie sich auf den Weg zum Mädchenklo, um die erste Phiole zu leeren. Auch hierbei sah sie niemand, was auch nicht weiter schlimm gewesen wäre, denn ein Besuch auf dem Klo war schließlich nicht verboten. Die bittersüße Flüssigkeit bahnte sich ihren Weg durch Jessys Körper und sie fühlte direkt, wie es ihr besser ging. Sie fühlte sich mit einem Mal leicht, frei, unbeschwert. Doch sie wusste, sie musste aufpassen. Denn in diesem Zustand war sie in vielerlei Hinsicht anders als sonst. In "nüchternem Zustand" war sie ruhig, nachdenklich, fast immer schlecht gelaunt, unbeteiligt, gelangweilt und, wenn man sie reizte, aggressiv. Manchmal sogar sehr aggressiv. Doch wenn sie den Dunklen Morgen verinnerlicht hatte, war sie immer wie ausgewechselt, ein ganz neuer Mensch. Sie war gut gelaunt, fröhlich, unternehmungslustig und sehr aufgeschlossen. Sie wusste, wie gefährlich das für sie war. Am stärksten wurde es ihr bewusst, wenn die Wirkung des Trankes nachließ. Einige Schüler sprachen dann oft von Geschehnissen, die Jessy nur noch vage oder überhaupt nicht mehr in Erinnerung hatte. Und nach jeder Phase des Glücks folgte eine lange Phase der Verzweiflung, der Sehnsucht und der Depression, die immer schlimmer war, als alle, die hinter ihr lagen. Ihr war aufgefallen, dass Snape anscheinend misstrauisch geworden war, denn er ließ sich öfter zur Aufsicht einteilen und man traf ihn erstaunlich oft in den Korridoren an.
Jessy musste verdammt vorsichtig sein. Doch wenn man einmal mit so etwas anfing, gab es kein Zurück mehr...
