Die Geschichte spielt - mal wieder - in Kanada, genauer gesagt, in Calgary. William Darcy, Industrieller, und Elizabeth Bennet, Farmertochter, treffen unter denkbar ungünstigen Bedingungen zusammen, zunächst bloß eine ärgerliche Begegnung ohne Konsequenzen - und nur durch Zufall sehen sie sich wieder, als William auf der Farm der Bennets Pferde kaufen will. Elizabeth bringt die Tiere zu seinem außerhalb gelegenen Landsitz und muß unfreiwillig die Nacht dort draußen verbringen - doch William schafft es problemlos, ein zartes Aufkeimen an Sympathie hochgradig zu vermasseln...
Chinook: Ein warmer Fallwind, der an der Ostseite der Rocky Mountains vorkommt, ähnlich des Föhns. Drastische Temperaturveränderungen sind keine Seltenheit, aber auch der Einfluß auf die Menschen, auch seelischer Art, kann gravierend sein - und Kopfschmerzen sind da nur die geringste Auswirkung... Also, sollten sich die Charaktere im Verlauf der Geschichte seltsam verhalten, war im Zweifelsfall der Chinook dran schuld :-)
Kapitel 1
William Darcy war mit dem Verlauf des Abends keineswegs zufrieden. Um genau zu sein, er war wütend und enttäuscht und schuld daran war sein bester Freund, Charles ‚ich-kann-einfach-nicht-nein-sagen' Bingley. Was war geschehen, um Darcy den Abend gründlich zu verderben?
Darcy und Bingley teilten sich eine Sponsorenbox im Saddledome von Calgary für die Heimspiele der Calgary Flames, des berühmtesten Eishockeyteams der Stadt. Diese Box konnte bequem 6 Personen beherbergen und war mit allen Annehmlichkeiten versehen wie exquisitem Catering oder separatem Einlaß – vor allem gewährte sie Diskretion. Genaugenommen zahlte Darcy alleine dafür – er war Chef der „Darcy Pro Hockey Ltd.", Hersteller von Eishockeyschlägern und anderer Ausrüstungsgegenstände rund um diesen Sport. Großzügigerweise hatte er seinem Freund angeboten, wann immer er wollte über 3 Plätze der Loge verfügen zu können, da er selbst nicht immer in der Stadt war oder keine Lust hatte, fünf weitere Partner zusammenzutrommeln. Wenn weder er noch Bingley Zeit hatten, stellte er die Loge seinen Mitarbeitern zur Verfügung.
Heute abend war Darcy mal wieder selbst zum Spiel gegangen. Er hatte sich besonders auf diesen Abend gefreut, da seine kleine Schwester, Georgiana, gestern erst in Calgary eingetroffen war und er seine knappbemessene Freizeit mit ihr so angenehm wie möglich verbringen wollte. Georgiana absolvierte ein einjähriges Gaststudium in Deutschland und würde Weihnachten nun zuhause verbringen. Er hatte sie eingeladen, ihre beste Freundin mitzubringen und Bingley wie gehabt die anderen drei Plätze zur Verfügung gestellt. Bingley hatte ihm mitgeteilt, daß er seinen Freund und Geschäftspartner, Daniel Witt und dessen bezaubernde Schwester Alison mitbringen würde. Darcy war mit dieser Mischung sehr zufrieden, Daniel war ein netter Kerl und…nun ja, auf dessen Schwester hatte er schon seit einiger Zeit ein mehr als interessiertes Auge geworfen. Sein Liebesleben konnte momentan wahrlich nicht als solches bezeichnet werden, wie er einmal mehr frustriert feststellte.
Dieser Abend hatte somit jegliches Potential, ein perfekter zu werden: Seine kleine Schwester war bei ihm, sie würden ein – hoffentlich spannendes – Eishockeyspiel sehen und vielleicht ergab sich gar ein näherer Kontakt zu Miss Witt.
Soweit zu Darcys Hoffnungen auf einen angenehmen Abend. Er und Georgiana hatten Maggie, Georgies beste Freundin, abgeholt und sich wie geplant mit Bingley, Daniel und der atemberaubenden Alison vor dem Saddledome getroffen. Als Darcy die Gesellschaft zum Aufgang ihrer Box geleiten wollte, hielt Bingley ihn mit einem verlegenen Grinsen zurück und nahm ihn zur Seite.
„Kann ich dich kurz sprechen, Darce?"
„Was gibt's denn?" fragte Darcy unwillig. Er wollte sicherstellen, daß er neben Alison sitzen konnte.
„Nun ja…ich konnte dich vorher nicht mehr erreichen...bei deinem Mobiltelefon war nur der Anrufbeantworter dran und…"
„Was gibt's, Bingley? Red nicht um den heißen Brei!" unterbrach ihn Darcy ungeduldig.
„Also gut." Bingley atmete tief durch. „Meine Schwestern haben mitgekriegt, daß wir heute abend zum Spiel gehen und mich so lange gelöchert und gebeten mitkommen zu dürfen, daß ich ihnen zugesagt habe."
Darcy blickte ihn verständnislos an. Caroline? Und Louisa? Das konnte nicht sein Ernst sein. Sie sollten ihm den Abend verderben?
„Äh…Bingley, wir haben nur 6 Plätze in der Loge!"
Bingley grinste triumphierend. „Und deswegen habe ich zwei erstklassige Tribünenkarten besorgt. War gar nicht so einfach, das Spiel ist schon so lange ausverkauft…"
„Bingley, das ist nicht dein Ernst, oder?" Darcy war bleich geworden.
„Nun ja, ich dachte, es wäre doch ein Heidenspaß, wenn du und ich uns unters Volk mischen würden, das Spiel aus nächster Nähe sehen, mitten unter den Fans…"
Darcy glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Er sollte sich auf die Tribüne setzen? Er sollte Platz machen in seiner eigenen, teuer bezahlten Loge, damit Caroline und Louisa Bingley das Spiel sehen konnte? Ein Spiel, von dem sie sowieso keinerlei Ahnung hatten? Er sollte sich unters Volk mischen? Bingley mußte den Verstand verloren haben.
„Darce, du als Gentleman kannst doch nicht zulassen, daß zwei Damen alleine auf der Tribüne sitzen? Los, komm schon. Das wird ein Mörderspaß, wir holen uns Nachos, trinken Bier aus Plastikbechern und grölen Kampfgesänge!"
Bingley hatte den Verstand verloren. Allein die Vorstellung von „unters Volk mischen" ließ Darcy zusammenzucken. Aber Bingley hatte das clever gemacht. Er hatte an seine Ritterlichkeit appelliert und selbstverständlich recht: Nie würde er zulassen können, daß sich zwei Frauen alleine auf die Tribüne setzten, selbst wenn es sich dabei um Bingleys grausige Schwestern handelte. Darcys bescheidener Traum von einem perfekten Abend zerplatzte wie eine Seifenblase, als er zu seiner Schwester gehen und ihr die Situation erläutern wollte. Aus dem Nichts erklang plötzlich eine schrille Stimme und zwei knochige Arme umschlangen ihn ungeniert. Zwei feuchte Küsse knallten auf seine Wangen und da stand sie auch schon vor ihm: Caroline Bingley.
„Oh William, wie schön, dich zu sehen! Und wie reizend von dir, uns einzuladen!"
Darcy zuckte zusammen. „Oh, hallo Caroline, Louisa," sagte er emotionslos und mußte sich schwer zurückhalten, Carolines feuchte Knutscher nicht abzuwischen.
Darcy erläuterte der Gesellschaft kurz die kleine Änderung und mit einer kleinen Umarmung seiner Schwester und einem bedauernden Blick auf Alison machte er sich mit Bingley auf den Weg zu seinem Tribünenplatz.
Bingleys kleiner Plan hinterließ einige sehr enttäuschte Mienen: Georgiana, die sich auf die Zeit mit ihrem Bruder gefreut hatte, Alison, die nichts gegen ein näheres Kennenlernen Williams gehabt hätte und vor allem Caroline Bingley, der erst jetzt aufzugehen schien, daß ihre heimliche Liebe, William Darcy, das Spiel nicht in der Loge mit ansehen würde und vor Enttäuschung und Zorn hätte heulen können. Zu spät kam ihr in den Sinn, den beiden Männern hinterher zu laufen um den Platz mit Charles zu tauschen, aber sie waren schon außer Sicht.
Darcy ergab sich seufzend, aber immer noch sehr verärgert in sein Schicksal. Zumindest war er den Klauen Carolines entkommen, die ihn den ganzen Abend in Beschlag genommen und seine Chancen bei Alison sowieso gründlich verdorben hätte. Und immerhin würde er das Spiel in Ruhe ansehen können. Es tat ihm nur sehr leid, daß seine Schwester dort oben praktisch gefangen war – Caroline würde sie als Opfer auserwählen um sich bei ihr einzuschmeicheln in der Hoffnung, über sie an ihn heranzukommen. Diese Frau war einfach eine Plage.
Bingley hingegen fand es ausgesprochen aufregend, mitten im ‚Volk' auf der Tribüne zu sitzen. Sein Blick wanderte neugierig durch die Arena, immer auf der Suche nach einem Blickfang, sprich einem attraktiven Mädchen, mit dem er flirten konnte. Charles Bingley hatte ein sonniges Gemüt und das strahlte er auch aus. Er war praktisch immer am Lächeln, sehr kontaktfreudig, großzügig und unternehmungslustig. Ach ja, und ständig in irgendwelche Liebeleien verstrickt. Sein Vater, Robert Bingley, war kurz nach seiner Heirat von England nach Calgary ausgewandert und hatte dort einen Buchladen eröffnet, aus dem mit viel harter Arbeit schnell eine ganze Kette wurde, die sich über ganz Kanada ausgebreitet hatte. Charles hatte das Unternehmen geerbt und bis auf einen kleinen Anteil verkauft – jetzt war er hauptberuflich praktisch damit beschäftigt, sein enormes Vermögen zu verwalten.
Seine freundliche, offene Art, seine strahlenden blauen Augen und nicht zuletzt sein finanzieller Hintergrund machten ihn zu einer attraktiven Partie, weit über die Grenzen Calgarys hinaus.
William Darcy war sozusagen das komplette Gegenteil von Bingley – außer in finanzieller Hinsicht. Groß, dunkel, ernst, verschlossen – so hätte man ihn nach dem ersten Eindruck beschreiben können. Auch er war Erbe eines Imperiums, aber er wäre nie auf die Idee verfallen, die Firma zu verkaufen.
Darcy war in England geboren und im Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern nach Kanada ausgewandert. Die Darcys in England waren eine alteingesessene Familie, sehr vermögend und standesbewußt. Jonathan Darcy, Williams Vater, war nur dummerweise der jüngste Sohn von fünf Kindern und hatte somit keine Möglichkeit, jemals Oberhaupt der Familie zu werden. Er beschloß, sein Glück in Kanada zu machen und das war ihm auch beeindruckend gut gelungen.
Von Beginn an paßte sich die kleine Familie den neuen Gegebenheiten an und Kanada wurde ihre wahre Heimat. Klein William entdeckte schnell seine Liebe zum Eishockey und das wurde zu einer Leidenschaft, die bald die ganze Familie befiel.
Sein Vater war etwas unzufrieden mit den Ausrüstungsgegenständen, die sein Sohn benutzen mußte – sie paßten oft nicht richtig und wenn er einmal herausgewachsen war, mußten neue Sachen her. Das war nicht nur unpraktisch, es ging auch ganz schön ins Geld. Nicht, daß Geld im Hause Darcy je ein Thema war, aber Jonathan Darcy kam durch seinen Sohn auf die Idee, Ausrüstungsgegenstände für Kinder zu entwickeln, die praktisch eine zeitlang „mitwachsen" konnten. An William konnte er das hervorragend austesten und schon bald war er in der Lage, die Sachen industriell herzustellen. Die Nachfrage war schon nach kurzer Zeit enorm und das Geschäft florierte in dieser eishockeyverrückten Nation.
William Darcy wuchs also wohlbehütet am Rande Calgarys auf und hatte schon bald keine allzu große Erinnerung mehr an England. Nur zwei Dinge hatten den Umzug nach Nordamerika überlebt: sein großes Traditionsbewußtsein und sein britischer Akzent. Seine Eltern hatten immer britisches Englisch mit ihm gesprochen und er hatte die Angewohnheit nie abgelegt. Sehr zur Freude der hiesigen Damenwelt, die seine distinguierte Ausdrucksweise äußerst erotisch fand…
Ja, auch Darcy war eine überaus gute Partie. Dunkle Locken, braune, unergründliche Augen, zurückhaltend oder vielmehr scheu (manche hätten ihn stolz oder arrogant genannt) und natürlich reich. Sehr, sehr reich. Er hielt sein Privatleben so gut es ging unter Verschluß, auch um seine kleine Schwester zu schützen und galt daher als überaus geheimnisvoll, was das allgemeine Interesse natürlich noch mehr auf ihn lenkte. Er und Bingley waren ebenso dicke Freunde wie ihre Väter es gewesen waren – Jonathan und Robert waren mit ihren Familien gemeinsam ausgewandert (auch Louisa war noch in England geboren).
Die beiden Freunde hätten also unterschiedlicher nicht sein können. Nun saßen sie nebeneinander auf der Tribüne im Saddledome – Bingley immer noch eifrig umherblickend, Darcy in seine trüben Gedanken versunken und seine Chancen bei Alison Witt für heute abend abschreibend.
Es war kurz vor Spielbeginn, als sich auch die Reihe vor ihnen füllte. Eine ganze Herde Zuschauer kam plötzlich wie eine Invasion über sie: bewaffnet mit Trommeln, Fahnen, Tröten und anderen Lärminstrumenten ließen sich etwa zehn Leute vor ihnen nieder, laute Anfeuerungsrufe ausstoßend, obwohl noch niemand auf dem Eis war. Darcy seufzte. Auch das noch. Es handelte sich um junge Männer, die alle das gleiche Trikot trugen. Darcy entzifferte die Aufschrift: Frankfurt Lions, Deutscher Meister 2004. Er kannte sich gut aus im europäischen Eishockey und wenn er nicht immer noch so wütend gewesen wäre, hätte er sich vielleicht sogar gefreut über die – offenbar deutschen – Fans, denn auch ihn verband etwas mit Frankfurt, seine Großmutter lebte dort.
Der Platz direkt vor ihm war freigeblieben, aber bevor er sich darüber wundern konnte, quetschte sich eine junge Frau durch die Reihe, schwer beladen mit einem Tablett voller Bierbecher, die sie lachend an die Burschen unter deren erfreutem Gejohle verteilte. Darcy schüttelte den Kopf über diesen Mangel an Anstand, daß die Frau die Kerle bediente. Ihr hingegen schien es nicht das geringste auszumachen und nachdem alle versorgt waren, nahm sie vor Darcy Platz.
Sie trug im Gegensatz zu den jungen Burschen ein rotes Calgary Flames Trikot, das offenbar für sie „personalisiert" worden war, denn es zeigte eine große „27" sowie den Namenszug „Lizzy", anstatt eines Spielernamens. Das Mädchen war wie ein Gummiball, ständig in Bewegung, lachend, nach rechts und nach links plaudernd oder über die Reihe hinwegrufend, wenn sie irgendwo anders Bekannte entdeckt hatte. Ihr langer Pferdeschwanz, der ihre Mähne kaum fassen konnte, flog lustig durch die Luft und sie konnte einfach nicht stillsitzen. Offenbar war sie Kanadierin, denn ihr Deutsch, daß sie mit den Jungs sprach, war recht verbesserungswürdig, wie Darcy feststellte. Und er konnte es wahrhaftig beurteilen.
Darcy war jetzt schon genervt, aber Bingley hatte eine Menge Spaß. Glücklicherweise betraten die Mannschaften nun das Eis und Darcy lehnte sich mehr oder weniger entspannt zurück, um das Spiel zu genießen. Aber er hätte es wissen müssen. Die deutschen Fans dachten natürlich nicht daran, sich das Spiel wie Kanadier anzuschauen, also ruhig und nur dann reagierend, wenn sie auf dem Videowürfel dazu aufgefordert wurden. Von Anfang an feuerten die zehn die Flames an, schrien, trommelten und versuchten mehrfach vergeblich die „Welle" anzustimmen, so wie sie es von zuhause gewohnt waren. Auch sprangen sie bei jeder Gelegenheit auf. Darcy hatte Eishockeyspiele in Deutschland gesehen und war dort sehr angetan von der Stimmung gewesen, aber in Kanada war es eben nicht der Fall. Und zehn deutsche Fans konnten nun mal keine 20.000 zum Mitmachen bewegen.
Aber diese zehn Nervensägen saßen ausgerechnet heute vor ihm und gingen ihm tierisch auf die Nerven. Er wußte, er war ungerecht, aber erst durfte er nicht in seine Loge (und zu Georgiana und Alison), und nun war es ihm noch nicht einmal vergönnt, das Spiel in Ruhe zu verfolgen. Seine Stimmung sank auf den Nullpunkt, auch das erste Tor für die Flames konnte nichts daran ändern.
Aber das sollten noch längst nicht alle Plagen sein, die der Abend heute für ihn bereit hielt.
Das erste Drittel hatte kaum geendet, als Charles ihm mitteilte, daß er mal ganz kurz nach „da drüben" verschwinden wollte, wo er angeblich einen Bekannten gesehen hatte. Und er, Darcy, solle doch bitte schon mal Nachos und Bier holen gehen. Bevor Darcy etwas sagen konnte, war Bingley verschwunden und er machte sich seufzend auf den Weg, etwas zu Trinken und Bingleys geliebte Nachos zu organisieren.
Am Bierstand hinter der Tribüne hatte er sein nächstes negatives Erlebnis. Vor ihm standen die Lionsfans und „Lizzy", die vergeblich versuchte, für alle eine Bestellung aufzugeben. Immer wenn sie dachte, sie hätte alles bestellt, kam noch eine Änderung oder eine Zusatzbestellung und der arme Mensch hinter dem Tresen hatte bald den Durchblick verloren. Darcy riß der Geduldsfaden. Er drängte sich rücksichtslos vorbei und bestellte einfach zwei Bier – aber er hatte die Rechnung ohne „Lizzy" gemacht.
Die junge Frau tippte ihm nachdrücklich auf die Schulter, Darcy wandte sich um und blickte in zwei dunkle, aber äußerst zornig blitzende Augen. Ihre vorherige Fröhlichkeit war wie weggewischt.
„Entschuldigung, Sir, aber sie waren noch nicht an der Reihe!"
„Dann sehen sie gefälligst zu, daß sie ihre Bestellung noch vor Spielende auf die Reihe kriegen, Madam!" erwiderte er gereizt.
Sie musterte ihn kurz von Kopf bis Fuß, warf ihm einen – äußerst aufreizenden, wie er fand – Blick zu, und bedeutete ihm mit einer spöttischen Verbeugung, seine Bestellung in Empfang zu nehmen. Zu ihren Frankfurter Freunden machte sie eine Bemerkung auf deutsch über wichtigtuerische, ungeduldige Anzugträger, die lieber zuhause bleiben sollten, wenn sie schlecht gelaunt waren. Darcy gab nicht zu erkennen, daß er sie verstanden hatte, konnte sich aber eine Bemerkung – auf englisch – über ungezogene Landeier weiblichen Geschlechts, die beim Eishockey nichts zu suchen hatten, nicht verkneifen. Ohne Lizzys Reaktion abzuwarten, ging er zurück zu seinem Platz.
Die ganze Aktion hatte ihn so lange aufgehalten, daß er keine Zeit mehr hatte, Bingleys geliebte Nachos zu holen, was diesen etwas grämte und Darcy zu der spitzen Bemerkung veranlaßte, daß er beim nächsten Mal doch sein Zeug bitte selbst holen sollte. Überhaupt, er, William Darcy, mußte sich an einem Bierstand anstellen wie jeder normal Sterbliche. Wo er doch so schön in seiner Loge sitzen konnte, rundherum bedient von allen Seiten, mit Getränken aus richtigen Gläsern und gutem Essen…
Kurze Zeit später kamen auch die Frankfurter wieder zurück und „Lizzy" runzelte die Stirn, als sie ihren Hintermann erkannte. „Oh nein, jetzt sitzt der unverschämte Kerl auch noch hinter mir!" flüsterte sie ihrem Nachbarn zu und funkelte Darcy wütend an. Dieser hatte genug von dieser impertinenten Person und wandte schweigend den Blick ab. Wäre das Spiel doch schon vorbei…
Doch der liebe Gott hatte heute wirklich kein Erbarmen mit William Darcy. Bingley drängte ihn auch in der nächsten Drittelpause, Bier holen zu gehen, dafür würde er sich jetzt höchstpersönlich um die Nachos kümmern. Als Darcy an den Getränkestand trat, erkannte er zu seinem Ärger wieder Miss „Lizzy", sowie einen der Frankfurter Fans. Der Rest der Bande stand etwas abseits, offenbar hatten auch sie dazugelernt und würden ihre Bestellung nun etwas gesitteter – und vor allem schneller – aufgeben. Er seufzte leise, schwieg jedoch und stellte sich brav hinter sie und wartete geduldig, bis er an die Reihe kam. „Lizzy" nahm ein Tablett mit fünf großen Bechern voller Bier in Empfang, machte einen Scherz mit dem Burschen hinter der Theke, drehte sich um, suchte einen kurzen Moment nach ihren Freunden, wurde von einem anderen Besucher, der sie nicht gesehen und ihr nicht mehr ausweichen konnte angerempelt, und kippte den Inhalt aller fünf Becher auf William Darcy und seinen maßgeschneiderten Anzug.
Beide blickten sich sekundenlang stumm an, beide waren fassungslos. Die junge Frau war entsetzt – niemals würde er ihr abnehmen, daß sie ihm das Bier nicht absichtlich übergeschüttet hatte. Er würde denken, sie wollte ihm seine gemeine Bemerkung heimzahlen, dabei hatte sie gar nicht gewußt, daß er hinter ihr stand. Verdammter Mist, warum mußte ausgerechnet er hinter ihr stehen, von 20.000 Menschen!
Darcy konnte es nicht glauben. Ja, es war nicht gerade nett gewesen, sie ein Landei zu nennen, aber ihm deswegen fünf Becher Bier überzuschütten und seinen teuren Anzug zu ruinieren, ging eindeutig zu weit. Er war wütend und hörte erst gar nicht, daß sie sich entschuldigte.
„…mir so leid. Bitte, es war keine Absicht, ich wurde angerempelt. Ich gebe ihnen meine Adresse und sie schicken mir die Rechnung für die Reinigung. Meine Güte…ich…" Sie war ganz außer sich.
Darcy hatte wirklich keinen guten Tag heute, sonst hätte er höflicher reagiert. „Ach ja? Keine Absicht?" fauchte er. „Dem ‚wichtigtuerischen Anzugträger' Bier überzugießen?" Lizzy wurde rot als ihr klar wurde, daß er deutsch verstand.
„Ich sagte doch, es tut mir leid. Und es war wirklich keine Absicht. Bitte, ich zahle selbstverständlich die Reinigung."
„Danke, darauf lege ich keinerlei Wert." Darcy wußte, er war ungerecht, aber er konnte nichts dafür. Er brodelte über wie ein Vulkan. Mit einem wütenden Gemurmel, dem Lizzy recht deutlich Worte wie „Bauerntrampel" entnehmen konnte, ging er zu seinem Platz zurück. Ohne Bier. Er gab Bingley kurz Bescheid, was passiert war und daß er nach Hause fahren würde. „Tut mir leid, aber so, wie ich aussehe, kann ich mich nirgends mehr blicken lassen. Ich nehme mir ein Taxi und gebe meinem Fahrer Bescheid, daß er Georgie und ihre Freundin heimfahren soll. Es sei denn, ihr wollt anschließend noch irgendwo hingehen, dann soll Georgie mich nochmal anrufen."
Bingley wußte, daß er ihn nicht aufhalten konnte. Er versuchte es noch halbherzig mit Vorschlägen wie ‚geh dich umziehen und wir treffen uns nach dem Spiel wieder', aber Darcy hatte die Lust gründlich verloren. Auch die Aussicht, Alison näher kennenzulernen, konnte ihn nicht verlocken. Wütend verließ er die Halle und fuhr nach Hause. Alleine.
