Ein Mann stolperte durch eine Seitenstraße. Es war 4 morgens und widerlich nasskalt. Er machte sich keine Mühe leise zu sein. Einige Augenblicke später war er zwischen den Häuserschluchten verschwunden.

Auf der anderen Straßenseite stand ein anderer Mann vorborgen im Dunkel. Er trug einen langen braunen Mantel, wie Detektive es tun. Sogar an den stilechten Hut hatte er gedacht. Wie ein Detektiv war er auf der Suche gewesen und nun hatte er gefunden, wonach er seit einigen Tagen recherchiert hatte. Er entschloss, den Anderen morgen Abend anzusprechen. Sie hatten noch genug Zeit und er, wusste, den Tag über würde der andere verhindert sein.

Gegen 20 Uhr war die Sonne unter den Horizont verschwunden. Der Mann in dem braunen Mantel wartete schon eine gewisse Zeit, um sicherzugehen, den anderen nicht zu verpassen. Endlich kam er aus seinem Versteck.

„Hey!", sagte er und drehte seinen beinahe athletischen Körper aus dem Schatten. Seine Daumen hatte er lässig in den Gürtel seines Mantels gesteckt. Er wirkte zu jung für diese Geste. Bis auf seine Augen. Er hatte zu viel gesehen.

Ruckartig fuhr der Andere herum. Seine Augen taxierten den Mann im Mantel. Weil er ihn nicht kannte, drehte er den Kopf zurück und ging ein paar Schritte weiter. Über dem Lüftungsgitter wäre es wärmer. Der komische Mann würde schon sagen, was er wollte.

„Hey, ich rede mit dir", sagte der Mantelmann.

Der andere drehte sich zurück.

„Zu Diensten, Sir?", sagte der Mann im schwarzen, knielangen Mantel spöttisch und deutete mit einem Nicken eine Verbeugung an. Warum war er so unfreundlich?

„Hier wohnst du?", fragte der andere.

„Im Hinterhofhaus".

„Das ist erbärmlich. Hast du dich nicht lange genug versteckt?", fragte Mantelmann.

„…?".

„Liest du keine Zeitungen? Hast du keine Ahnung, wie schlimm es ist? Du hast keine Ahnung, stimmt's?".

Er hatte die Daumen aus dem Gürtel genommen und fuchtelte wild mit den Armen und die Dringlichkeit seines Anliegens zu untermauern, dachte der andere und lächelte müde.

„Dein Dunkler Lord hat so ziemlich alles erreicht was er wollte. Schon vergessen?".

„…?".

„Der Widerstand lebt noch. Er braucht jeden Mann, der noch aufrecht stehen kann. Du kanntest ihn, besser als jeder andere. Wir brauchen dich, um den letzten Horcrux zu finden!", sagte Mantelmann.

„Ich kenne Sie nicht und Sie reden wirr. Außerdem sind Sie unhöflich", sagte der Schwarzhaarige und machte sich daran zu gehen.

Der andere machte einen Sprung nach vorne und stellte sich ihm in den Weg.

„So leicht kommst du mir nicht davon, Snape", sagte er.

Zugegeben, für einen Mann mit Nevilles Kontakten war er leicht zu finden gewesen. Er glaubte nicht, dass Snape sich hatte verstecken wollen. Doch die „Segetalpflanzen", wie sich der Widerstand sich in Verballhornung des Schmähbegriffs, den die nationale Presse gegen sie gebrauchte, nannte brauchte jeden Mann. Die Generation vor ihnen war entweder tot oder auf der nationalen Seite. Die Jüngeren waren indoktriniert oder zu klein um einen Zauberstab zu halten.

Dass Hogwarts vor 10 Jahren verloren wurde, war der Anfang vom Ende gewesen. Das Ende der alten Welt. Das Ende von Freiheit. Das Ende des letzten Restes Kindheit, an das sich seine – Nevilles Generation – geklammert hatte . Das Ende von Snapes Schutz über die Schule – wie sie nachträglich erkannt hatten. Und mitunter auch das Ende der Pressefreiheit.

„Unser Lord ist gnädig: Erzverräter bleibt am Leben", titelte der unterwanderte Tagesprophet vier Wochen nach der Schlacht. Kein Wort von Nagini war darin zu lesen und auch kein Wort wie der Erzverräter die Attacke der Schlange zu überleben vermochte.

Die Segetalpflanzen wussten es heute: Er war schon vorher tot gewesen, zumindest untot. Sie vermuteten, die Zauber, dass er sich am Tage draußen zeigen konnte, hätte er vom Dunklen Lord persönlich erhalten. Ein Tauschgeschäft vielleicht, ein weiterer Teil seines selbst, gegen ein paar – wenn auch wirksame – magische Verse. Warum sollte ein Schlangenbiss einen Vampir töten? Warum hat der Dunkle Lord Nagini überhaupt auf ihn losgelassen? Warum hatte in dem Artikel nichts über Vampirismus gestanden?

„Sie gehen mir auf die Nerven", sagte der Vampir gereizt. Er musste zu dem anderen hochblicken, ohne dass es ihm sichtliches Unbehagen bereitet hätte.

„Was muss ich tun, damit Sie mich in Frieden lassen?".

Neville war inzwischen überzeugt, dass sei Gegenüber ihn tatsächlich nicht erkannte. Er stellte sich vor, wie er Snape vor – sagen wir 12 Jahren geduzt hätte, und der mürrische Kerl wäre beim Sie geblieben – und musste plötzlich sehr breit grinsen. Wäre Hogwarts nicht gefallen, er säße immer noch an seiner Strafarbeit.

Er hätte seine Natur wirklich nicht mehr verheimlich können. Seine Katzenaugen reflektierten das wenige Licht einer Straßenlaterne, von der wenige Strahlen in die Seitenstraße ihren Weg in die Seitenstraße fanden. Seine Haut war unnatürlich weiß. Vor allem sah er zu jung aus. Vielleicht sogar jünger als Neville selbst, mit seinen 27 Jahren.

„Du alterst wirklich nicht", befand Neville. Er hätte ihn auf höchstens 22 geschätzt, dabei war er beinahe doppelt so alt.

„Wenn Sie sich ein Bild von mir gemacht haben, gehen Sie dann wieder?", fragte er.

„Wenn du mitkommst, schon", entgegnete Neville.

„Wir duzen uns im Widerstand. Ich bin Neville".

Er streckte ihm seine Hand zum Gruße aus. Der Andere ergriff sie mit rechts. Sein Griff war eiskalt und schwach.

„Guten Tag", sagte er matt. Er stellte sich nicht vor.

„Ich werde wohl mitkommen", setzte er zögernd nach.

„Folge mir", sagte Neville.

Er ging vor zu einem älteren blauen Vauxhall Tigra, der ein paar hundert Meter entfernt parkte.

„Wir nutzen kaum mehr Magie. Sie können uns damit orten", erklärte er, drehte sich um und stellte erstaunt fest mit der Luft zu reden. Hatte der alte Hund ihn etwa ausgespielt?

Dann löste sich sehr langsam eine Gestalt recht weit hinter ihm aus dem Schatten. Neville hatte ihn mit wenigen Schritten ein gutes Stück abgehängt. Er sah, wie der Vampir sich mit seinem linken Bein abkämpfte. In der Dunkelheit hatte er nicht gesehen, dass der andere am Stock ging.

Was zur Hölle war mit ihm passiert, fragte er sich kopfschüttelnd.

„Entschuldigung", sagte Neville.

Der Andere ließ seine Entschuldigung unkommentiert.

Hatte Professor Lupin nicht gesagt, ein Vampirkörper heilt sich mit dem Blut seiner Opfer? Snape sah ganz und gar nicht „heile" aus, so wie er sich den Weg entlang quälte. Lupin hatte die Stunde über Vampirismus gehalten, nachdem Snape in einer Vertretungsstunde über Lykantrophie unterrichtet hatte. Man hatte es für einen Zufall gehalten, obwohl sein ehemaliger Lehrer mit einer theatralischen Geste alle Fensterläden verschlossen hatte, bevor er den Raum betrat.

„Wie ist das passiert?", fragte Neville.

Er blieb stehen und rieb mit der freien Hand an der Außenseite seines Kniegelenks und – zuckte mit den Schultern.

„Dann eben nicht", dachte Neville.

Er passte sich seinem Tempo an, weil er nicht unhöflich wirken wollte. Der Vampir machte nicht den Eindruck, dass es ihn gestört hatte, als er vorgelaufen war. Nur vor sich selbst wäre sich Neville schäbig vorgekommen.

Endlich erreichten sie das Auto.

„Ich schließe auf", sagte Neville.

Eine Weile fuhren sie schweigend. Irgendwann hatten sie die Stadt hinter sich gelassen und sie wechselten auf die Autobahn.

„Hattest du nicht mal gesagt, ihr könntet euch heilen, wenn ihr …naja, trinkt?".

Der alte Snape wäre ihm spätestens jetzt an die Gurgel gegangen mit dem Unterschied, dass der neue Neville davor keine Angst mehr gehabt hätte.

„Ein Leben für ein lahmes Bein ist ein schlechter Tausch", entgegnete der Vampir.

„Ich dachte immer, für euch wäre das normal".

„Für mich gibt es kein uns", sagte der Vampir und sein Tonfall suggerierte, dass er sich nicht weiter darüber unterhalten wollte.

Mehrere hundert Kilometer später fuhr Neville ab. Der Vampir wurde unruhig, wahrscheinlich weil er den Sonnenaufgang witterte und sie sich im Nichts befanden. Nach wiederum einigen Kilometern Landstraße riss Neville das Lenkrad herum und der Kleinwagen holperte auf die Wiese am Straßengraben. Er gab eine Lichthupe und plötzlich ploppte eine riesige, rosige Blase auf.

Sie sah aus, wie mit Kaugummi geblasen, nur dass sie so groß wie ein Busbahnhof war. Neville gab noch mal eine Lichthupe und sie begann sich an einer Stelle umzuformen.

„Passwort?", frage ein riesiger rosiger Kaugummimund.

„Lügenbeine", sagte Neville.

Die Blase schrömpelte zusammen wie ein Luftballon, aus dem man die Luft herausgelassen hatte. Kurz bevor sie zu einem wabbeligen Flatschen geworden wäre verschwand sie ganz und an ihrer Stelle erschien ein altes Landhaus.

„Der Widerstand ist leider klein genug um hier herein zu passen", sagte Neville verlegen.

Die Wiese war plötzlich zu einer Straße geworden, die direkt zu einer rot geklinkerten Garage führte. Als der Vampir sich noch Mal umdrehten, richtete sich die Blase wieder auf, flimmerte einmal, und verschwandt wieder.

„Das ist Hermines Zauber. Sie meint, Magie muss nichts „Erhabenes" an sich haben. Es erinnere sie zu sehr an den, dessen Name nicht genannt werden darf.

Und als wir einen Schutzzauber überlegten, kaute sie halt gerade Kaugummi. Aber es hält seit Jahren. Sie finden uns nicht!".

Der Vampir saß stocksteif im Autositz. Wenn er atmen würde, hätte er wohl die Luft angehalten. Stattdessen starrte er starr auf das Haus, das unter einer Kaugummiblase verborgen stand.

„Das ist außerordentlich", sagte er.

Neville ließ den Vampir aussteigen und parkte den Wagen. Verstohlen drehte er sich zu dem anderen Mann um und beobachtete ihn durch die Rückscheibe.

Er schien sich sehr unbehaglich zu fühlen. Vielleicht, so überlegte Neville, weil es weit und breit nur ein Haus gab, in dem man sich vor dem Tageslicht hätte verstecken können, dass zudem noch voller Menschen war, bei denen er sich nicht sicher sein konnte, wie sie auf ihn reagieren würden.

Neville kam aus der Garage und deutete auf die Haustür.

„Willkommen in deinem neuen Zuhause", sagte er und schob den sichtlich hadernden Vampir durch die Tür.

Er hatte nicht vergessen, dass sie eine Einladung brauchten, um fremde Häuser zu betreten. Eventuell war das Snapes Sorge gewesen?

Sie gingen durch die Diele in geräumige Wohnküche. Sie war im Landhausstiel eingerichtet. Dort, auf einem Stuhl vor Kopf saß Harry Potter.

Gespannt beobachtete Neville, dass dieser Mann eine Wirkung auf ihren Gast hatte: Wie angewurzelt blieb der Vampir in der Mitte des Raums stehen, und starte den schwarzhaarigen an.

Dieser hatte bereits Schritte gehört, und sich in dem Moment umgedreht, da sie die Küche betreten hatten. Schwarze, ausdrucklose Augen fanden ein grünes, abgehetztes Augenpaar.

„Ich glaube, ich kannte Sie Mal. Vor langer Zeit", sagte der Vampir schließlich.

„Ja", sagte Harry.

„Sie sind vor meinen Augen gestorben".