Kapitel: It's gonna take some time

Hermine öffnete ihre verklebten Augen, als das Tok Tok der Eule in ihr benebeltes Bewusstsein drang. Es dauerte eine Weile bis sie den wohlvertrauten Uhu der Weasleys erkannte.

„Vergiss es, Ron!", war der einzige Gedanke, zu dem sie fähig war. Am liebsten hätte sie einfach weiter geschlafen, aber langsam kamen ihre Erinnerungen zurück: Ron, mit einer Frau im Arm, die jedem x-beliebigen Männermagazin entsprungen sein könnte, seine brennend rote Wange nach ihrer Ohrfeige und das bescheuerte Lachen der Blondine.

Hermine schüttelte sich und ließ ihren Blick über das Chaos in ihrem Wohnzimmer schweifen: Eine leere und eine fast leere Weinflasche, Unmengen von zerknüllten Schoko-Frosch-Schachteln und auf dem kleinen Couchtisch ein Stapel von DVDs – ungefähr alle schnulzigen Liebesfilme der letzten drei Jahrhunderte. Und nicht zu vergessen, etliche nasse Tempotaschentücher – irgendein Klischee musste sie schließlich erfüllen, wenn sie ihren Ron mit einer anderen erwischte. In Gedanken strich Hermine das „ihren" immer und immer wieder dick durch.

Der Weasley-Uhu hatte es mittlerweile aufgegeben und den Brief auf der Fensterbank deponiert und war im rasanten Sturzflug den Heimflug angetreten.

Hermine seufzte und streckte sich, wobei ihr ihr Rücken sehr deutlich klar machte, dass er nichts von Nächten auf der Couch hielt.

Langsam stand sie auf und arbeitete sich bis zum Fenster vor, um wenigstens den Brief vor einem Absturz zu retten.

Teils erleichtert, teils enttäuscht stellte sie fest, dass es Ginnys Handschrift war, aber bevor sie auch nur dazu kam, den Umschlag zu öffnen, rauschte ihr Kamin und die Absenderin stand leibhaftig vor ihr.

Ein Blick von Ginny sagte Hermine, dass sie fürchterlich aussehen musste, aber wenigstens brachte sie noch ein mattes Lächeln zustande.

Wortlos nahm Ginny sie in die Arme und Hermine spürte, dass sie schon wieder losheulen wollte; sie nahm sich mit aller Gewalt zusammen.

„Ich habe ihm eine geklebt", gestand Ginny nach einer Weile Schweigen.

„Ich auch"

Ginny lachte: „Weißt du, das wird dich jetzt nicht so sonderlich trösten, aber Harry und ich haben immer schon gesagt, dass ihr nicht so besonders gut zusammen passt..."

„Offensichtlich hattet ihr recht", bemerkte Hermine trocken.

Ginny sah sich in dem Schlachtfeld von Wohnzimmer um:

„Wie wär's, wenn ich ein bisschen aufräume und du dich ins Bad verkrümelst und dann gehen wir in die Winkelgasse einen Happen Essen und vielleicht ein bisschen Frust-Shoppen?"

„Ich glaube nicht, dass ich viel essen kann und ich ha..."

„Nix da, hier wird gemacht, was ich sage", kommandierte Ginny scherzhaft und schubste Hermine Richtung Bad.

Eine Stunde später hatten die beiden einen Tisch in der Sonne vor einem gemütlichen kleinen Pub in der Winkelgasse erobert und warteten auf ihre Getränke. Währenddessen erzählte Hermine, was gestern passiert war:

„Ron und ich wollten gestern Mittag eigentlich zusammen essen gehen, aber plötzlich kam ihm etwas dazwischen – irgend etwas Dringendes wegen der Quidditch-Weltmeisterschaft – aber ich bin trotzdem hierher gekommen und wollte ein bisschen bummeln, als ich ihn mit dieser Blondine im Hexenkessel sitzen sah. Er hielt ihre Hand und beugte sich gerade zu ihr herüber, um sie zu küssen..."

„Und du bist da reingestürmt und hast ihm eine Ohrfeige verpasst?", fragte Ginny ungläubig.

Im Nachhinein war Hermine ihr Verhalten auch ein bisschen peinlich, aber so war es nun mal gewesen.

„Ja", gestand sie kleinlaut, „ich war einfach so verdattert und ich musste irgendwie reagieren..."

„Naja, ich war auch nicht viel besser: Offensichtlich dachte Ron, dass es eine gute Idee wäre, dieses Ungetüm dann am gleichen Tag der Familie vorzustellen und so hatten wir dann gestern das Vergnügen. Mum glaubte, dass es ein Aprilscherz wäre, Fred und George waren ausnahmsweise mal sprachlos und ich habe ihm eben auch eine geklebt, als er erzählte, dass das mit Belinda schon seit drei Monaten geht und er angeblich nie den Mut gehabt hätte, es dir zu sagen..."

„Seit drei Monaten?!" Hermine schrie fast und musste sich bemühen, ihre Stimme zu dämpfen.

Ginny nickte nur.

„Ich würde mal sagen, meine Reaktion gestern war nicht sooo wahnsinnig überzogen...", meinte Hermine bissig. „Und so was will ein Gryffindor sein", fügte sie kopfschüttelnd hinzu.

Ginny schwieg und stocherte lustlos in ihrem Salat herum. Dann sagte sie: „Ich weiß; ich hätte nicht gedacht, dass ich das einmal über meinen berühmten Golden-Trio-Bruder sagen müsste, aber ich schäme mich für ihn."

Hermine dachte nach: In letzter Zeit hatte Ron tatsächlich viel mehr gearbeitet als sonst, aber sie hatte das auf die anstehende Weltmeisterschaft geschoben. Wie hätte sie wissen sollen, dass dieser ungewöhnliche Arbeitseifer „Belinda" hieß.

Hermine seufzte und starrte missmutig ihr Steak an.

Am späten Nachmittag kam Hermine wieder zurück nach Hogwarts, beladen mit Unmengen von Tüten: Ginny hatte ihr eine neue kleine Boutique gezeigt, die anscheinend genau Hermines Geschmack traf, was nicht allzu einfach war. Und natürlich hatten sie auch keinen einzigen Buchladen ausgelassen, sodass Hermine nicht nur mit etwa 20 Fachbüchern von Arithmetik bis Zaubertränke zurückkam, sondern auch noch etliche spannende Muggel-Romane schleppte.

Erschöpft ließ sie die Stapel auf die Couch fallen und machte sich erst mal eine Tasse Tee. Danach begann sie die Kleider, Pullover und Hosen zu verstauen. Ginny kannte die Laune ihrer Freundin und hatte darauf geachtet, dass ihre triste Stimmung nicht die Farbgebung der neuerstandenen Klamotten beeinflusste, sodass sie nun einen dunkeldrünen Hosenanzug besaß und ein orange-rotes Kleid.

Draußen wurde es langsam dunkel und Hermine machte sich widerwillig auf den Weg zum Abendessen in die große Halle. Zum Glück waren Ferien und die Schüler waren alle zu Hause; im Schloss herrschte um diese Zeit eine himmlische Ruhe.

Am Hohen Tisch angekommen, stellte sie fest, dass sie die Wahl hatte, neben Trelawney oder Snape zu sitzen. Hermine wählte ohne Zögern Snape.

Sie ließ sich ungrazil auf ihren Stuhl fallen, was Snape zu einer hochgezogenen Augenbraue veranlasste.

„Ah, Miss Granger, wie ich sehe, sind Sie heute Abend absolut glänzender Laune"

„Danke, Severus, mir ging es selten besser", erwiderte Hermine bissig. Insgeheim fragte sie sich nicht zum ersten Mal, wie dieser menschenscheue Kerl sie so leicht durchschauen konnte.

Er gönnte ihr einen Blick und an dem Funkeln in seinen Augen erkannte sie, dass er wütend war, aber das störte sie heute Abend nicht im mindesten.

„Miss Granger, ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sich endlich entschließen könnten, mich zu siezen!"

„Sicher, Severus, sobald DU aufhörst, mich mit Miss Granger anzusprechen. Entweder heißt es Professor Granger oder eben Hermine. Ich überlasse die Wahl ganz DIR."

Das Funkeln verstärkte sich in seinen rabenschwarzen Augen, aber Hermine spießte mit der größten Gelassenheit eine Bratkartoffel auf und verspeiste sie.

Es war ein gutes Gefühl, dass ihr diese Fledermaus nichts anhaben konnte und an einem Abend wie diesem kam er ihr eigentlich gerade recht. Aber auch sonst genoss sie die kleinen Scheingefechte, die sie miteinander austrugen.

Das Schweigen neben ihr irritierte sie nach einer Weile dann doch und sie sah, wie er sie immer noch musterte.

„So schrecklich sehe ich nun auch wieder nicht aus, dass ich so lange angestarrt werden muss", versuchte sie zu scherzen, aber sie spürte selbst, dass es misslang.

„Ich überlege, ob ich mich zu einem Hermine durchringen kann..."

Sie schaute ihn verdutzt an; eigentlich hatte sie es schon aufgegeben.

„Und ?!"

„Ich denke, dass ich das durchaus mir gegenüber rechtfertigen könnte. Also, Hermine..." Er hob seinen Kelch und prostete ihr zu, um sich dann zu erheben. Er hatte sich schon zum Gehen gewandt, als er sich noch einmal zu ihr umdrehte:

„Übrigens steht dir dein Hosenanzug sehr gut. Aber die verbiesterte Miene ist mein Privileg, also lass sie zu Hause..." Mit diesen Worten legte er seinen üblich beeindruckenden Abgang mit wehenden Roben hin und war verschwunden.

Hermine starrte ihm entgeistert nach: Hatte er ihr gerade ein Kompliment gemacht?! Und etwas von sich gegeben, das ganz vielleicht als Scherz durchgehen könnte?! Oder zumindest als sympathische Selbstironie?!

Einige Minuten später schob Hermine das Ganze auf ein bisschen zu viel Wein und einen schrecklichen Tag und sie widmete sich mit einem kleinen Kopfschütteln wieder ihren Bratkartoffeln, als Dumbledore auf sie zukam.

„Hermine, ich habe eine wenig angenehme Überraschung für Sie", begann er.

Nicht noch eine! schoss es Hermine durch den Kopf, aber sie rang sich ein unverbindliches Lächeln ab und wartet, was wohl heute Abend noch auf sie zukommen würde.

„Es gibt neue Lehrpläne für viele Fächer", fuhr der Schulleiter fort und händigte ihr einen Umschlag aus, „und das sind die neuen Vorgaben für Verwandlungen. Ich hoffe, es gibt keine weiteren Probleme damit. Ansonsten müssen Sie sich direkt ans Ministerium wenden, weil wir keinerlei Mitspracherecht hatten und so auch keine Änderungen vornehmen können."

Toll! Das hörte sich ja wirklich viel versprechend an.

Hermine nahm das Kuvert entgegen und verstaute es erst mal in ihrem Umhang. Später war noch Zeit, sich damit zu befassen.

Nach dem Abendessen saß Hermine an ihrem Schreibtisch und sortierte Briefe und Fotos des Goldenen Trios.

Einige wanderten direkt in den Kamin, andere wurden begnadigt und fanden ihren Weg in Fotoalben.

Im Hintergrund spielte das Radio und plötzliche horchte Hermine auf. Das war ein Lied aus ihrer Kindheit; ihre Eltern hatten die Carpenters geliebt, Hermine hatte sie schon seit Jahren nicht mehr gehört.

It's gonna take some time this time

To get myself in shape

I really fell out of line this time

I really missed the gate

So it's one more round for experience

And I'm on the road again

And it's gonna take some time this time

Hermine bekam nur Stücke des Textes mit, denn sie kämpfte schon wieder mit den Tränen. Wütend hob sie ihren Zauberstab und entzündete den Stapel an Fotos, die sie und Ron zeigten und im Kamin auf ihr Schicksal gewartet hatten.

Das Lied war längst zu Ende ehe Hermine sich einigermaßen gefasst hatte. Wütend über sich selbst wischte sie sich die Tränen vom Gesicht und machte sich auf den Weg ins Bett.

In dieser Nacht spukten Ron und Belinda durch ihre Träume während Harry und Ginny immer wieder mahnend die Zeigefinger hoben.