TITEL: Im Taumel hoffnungslos verwirrter Sinne
GENRE: Drama/Angst
CHARAKTERE: Cal, Gillian (Emily, Ria, Zoe)
PAIRING: Cal/Gillian
RATING: R
SPOILER: Spoiler für 3x01
WÖRTER: 9.300
ZUSAMMENFASSUNG: Sein Traum war ein Stück weit sie und dieser zerfiel gerade vor seinen Füßen in hässliche Einzelteile. (Post-'In the Red'-Fic)
i. Tasten
Er erinnerte sich an ihr Lachen von vorhin und es hätte einer dieser Momente sein sollen. Einer dieser ganz besonderen Augenblicke, die er sich immer seltener erhoffte und umso häufiger spürte. Augenblicke, die ihn gefangen nahmen, nicht mehr losließen, verfolgten.
Es war keiner dieser Augenblicke, weil die Umstände nicht passten und womöglich war er sogar ein wenig stolz darauf.
Sie erinnerte sich an seine schneidenden Worte von heute Nachmittag und es hätte einer dieser Momente sein sollen. Einer dieser besonders schmerzhaften Augenblicke, die sie rasend machten und dann nicht wie üblich ohne wirkliche Konsequenzen blieben. Augenblicke, in denen sie ihn ihre Sachen packen, zur Tür hinausstürmen und nicht zurücksehen sollte.
Es war keiner dieser Augenblicke, weil ihre Loyalität ein weiteres Mal gesiegt hatte und sie war kein bisschen stolz darauf.
Sie trafen sich mit diesen Gedanken kurz vor Mitternacht auf dem Gang, schemenhaft in schwacher Beleuchtung. Ihre Schritte verlangsamten sich, bis sie mit wenigen Metern Abstand voneinander stehenblieben und sich scheinbar zum Duell rüsteten.
"Dein Date mit Wallowski schon vorbei?", fragte sie vermeintlich nonchalant, doch sie wusste, dass er die Spitzfindigkeit hinter den Worten erkennen würde. Sie hoffte es, weil sie wollte, dass er sich über ihre gekränkten Gefühle im Klaren war. Um diese Nachtzeit gab es kein Verstecken mehr, auch nicht hier im Halbdunkel.
"Ich kann fix sein, wenn ich will", antwortete er schulterzuckend und ließ sie aus den Worten machen, was immer sie wollte. Kein Bedarf für Erklärungen.
Sie sparte sich jede Antwort und vielleicht ging der erste Punkt so an ihn.
"Und du?", wollte er im Gegenzug wissen und konnte den vermeintlichen Verrat nicht gehenlassen. "Meinen Tresor mit den letzten Barreserven ausgeräumt und jetzt irgendwo hin mit dem Geld, wo ich nichts Dummes damit anstellen kann?" Er deutete auf ihre Handtasche, als hätte sie darin seine heiligsten Juwelen versteckt.
Sie überlegte einen Moment lang, ihn einfach wortlos stehenzulassen, doch es hätte ihr womöglich das letzte Bisschen Selbstachtung genommen. Also ging sie stattdessen direkt auf ihn zu, bis sie ihre stille Wut in seinen unnachgiebigen Augen reflektieren sah. Sie kam so nah, dass sie beide dieselbe Luft atmeten. Er wich nicht zurück, weil all das viel zu aufregend war und er darüber hinaus einen Standpunkt zu verteidigen hatte.
Er wich erst ein Stück zurück, als sich ihre Hand mit einer nicht gerade zögerlichen Ohrfeige einmal quer über seinem Gesicht verewigte. "Mach deinen Mist doch alleine", zischte sie, während er verwirrt zurückblickte und versuchte, den Schmerz einzuordnen.
Der Punkt ging definitiv an sie.
Es dauerte und dauerte und schließlich dauerte es so lange, dass sie bereits an ihm vorbeigezogen war und in Richtung Ausgang lief. Irgendwann besann er sich und sah ihr immer noch wie aus der Bahn geworfen hinterher. "Es war nur ein Witz, Foster", versuchte er sich einzureden, doch wenn er es selbst schon nicht glaubte, würde sie es ohnehin nie.
"Ach ja?", gab sie zurück und drehte sich nicht mehr um, weil sie jetzt einen dieser Augenblicke in die Realität umsetzen und spüren wollte. "Mäßig witzig, Cal, mäßig witzig."
Er ging ihr ein paar Schritte hinterher, doch er wusste, dass er sie nicht einholen konnte, weil es ihm nur noch mehr Ärger einbringen würde. Trotzdem wollte er sie so nicht gehen lassen. "Hey, du kannst mir nicht einfach eine Ohrfeige verpassen und dann davonlaufen."
Sie blieb stehen und zögerte. Jeder Blick zurück war eine kleine Niederlage und sie wollte ihm keinen weiteren Punkt eingestehen. Doch vielleicht war es an der Zeit, um das zu tun, was überfällig war und so den Aufschlag in einen Punkt für sich selbst zu verwandeln. Sie drehte sich schließlich um und öffnete dabei ihre Tasche.
"Du hast recht. Bevor ich es vergesse, hier sind die Unterlagen, mit denen du dir jetzt die Nacht um die Ohren schlagen kannst." Sie holte ein paar lose Zettel hervor und warf sie zwischen sich und ihn auf den Boden. Nur langsam segelten die Blätter nach unten und verteilten sich überall, bildeten die Wand zwischen ihnen, die vielleicht schon länger stand.
"Schließlich sehe ich meinen Namen hier nirgendwo an der Tür, also ist es mir ein Rätsel, warum ich bis Mitternacht im Büro sitze, um herauszufinden, wie zur Hölle ich zum Monatsende alle Gehälter zahle. Und warum ich dann auch noch schlaflose Nächte deswegen habe. Dummheit, Cal. Dummheit, das ist es wahrscheinlich."
Sein Hirn konnte sich nicht entscheiden, ob er sie ansehen oder die Zettel auf dem Boden begutachten sollte, und so stand er irgendwo verloren zwischen den beiden Alternativen. Es machte sie nur noch wütender, weil es keine wirkliche Reaktion war.
"Ich habe es satt, die Scherbenhaufen anderer zusammenzukehren und dabei brav zu lächeln, weil es alle von mir erwarten und vielleicht nicht anders kennen."
Sie versuchte zu atmen, um nicht alles zu sagen, was ihr auf der Zunge lag, doch hier gab es einfach keine Luft mehr. Keine Luft für sie, keine Luft für ihn, der nur unbeteiligt neben all dem stand und versuchte, sich zu irgendeiner Reaktion zu zwingen.
"Das Gute ist, dass du wahrscheinlich nicht warten musst, bis ich mich wieder in deine Finanzen einmische. Wahrscheinlich sind wir beide schon längst durch, oder wie hast du es so schön ausgedrückt?" Dies waren die Worte, nach denen sie sich schließlich wieder umdrehen konnte. Alles hinter sich lassen, vielleicht für immer, vielleicht auch nicht.
Dies waren aber auch die Worte, die seine Beine schließlich in Bewegung setzten, ihn zielgerichtet zu ihr trugen, hinweg über tiefrote Zahlen, diesmal schneller als sie selbst der Szene entfliehen konnte. Er überholte sie, baute sich vor ihr auf, umklammerte ihre Handgelenke und drückte sie nach hinten, bis sie die kalte Wand unerbittlich in ihrem Rücken spürte.
"Du und ich", knurrte er irgendwo zwischen Wut und Verzweiflung, "wir werden nie durch sein. Das weißt du genauso gut wie ich."
"Du hast es zuerst gesagt und du hast es auch so gemeint", erwiderte sie eisern ohne auch nur ein klitzekleines Zugeständnis zu machen. Am liebsten wollte sie ihm einen zielgerichteten Tritt zwischen die Beine verpassen und sich aus der Situation mit seinen brennenden Händen auf ihrer Haut befreien, doch vielleicht wollte sie es in Wirklichkeit nicht dringend genug.
Er atmete ein paar Mal heftig. Ein aus, ein aus. Alles brannte—sein Atem, seine Hände, seine Worte, diese verkorkste Freundschaft, die sie hatten, oder was auch immer es war. Es gab so viele schöne Momente und dann gab es diesen Mist hier.
Sie fragte sich, was er vorhatte und er fragte es sich ebenso. Die Antwort erhielten sie beide, als er ihre Lippen mit den seinen gefangen nahm und seine Hände ihre Handgelenke gehenließen, um stattdessen ihre Hüfte an Ort und Stelle zu halten. Sanfter, aber immer noch mit Nachdruck.
Sie drückte ihn nach hinten; einmal, zweimal. Dann öffnete sie ihren Mund und anstatt ihn mit den Händen an seiner Brust weiter von sich wegzudrängen, ging sie dazu über, ein wenig Stoff des schwarzen Pullovers in ihre geballten Fäuste zu nehmen und ihn zu sich heranzuziehen.
Sie wollten es und sie wollten es nicht; und sie kämpften und sie klammerten. Vor, zurück, Ärger, Wut, Zuneigung, Verlangen. Und im Prinzip hatten sie beide keine Ahnung, was sie da eigentlich machten.
Er schob eine vorsichtige Hand unter ihr T-Shirt und sie antwortete mit ihrer eigenen Hand, die unter seinem Pullover nach ein wenig erhitzter Haut suchte. Seine Finger tasteten sich an ihren Rippenbögen entlang und fanden schließlich einen ruhenden Punkt auf einer Stelle ihres unteren Rückens, die unter seiner Berührung Abermillionen von wohltuenden Reizen durch ihren Körper sendete. Es ließ sie augenblicklich fast alles vergessen.
Doch sie klammerte sich an ihrer Wut fest und wollte sie nicht gehen lassen, ihm nicht die Chance geben im Handumdrehen wieder alles gut zu machen, was er in Wirklichkeit schon über Jahre hinweg bröckeln lassen hatte. Ihre Fingernägel bohrten sich in die empfindliche Haut an seiner Taille, bis er leise zischte und gleichzeitig versuchte, sie mit den behutsamen Bewegungen seiner Zunge zu besänftigen.
Sie kämpften um jedes Bisschen und das wussten sie beide nur zu gut. Kein Gewinner, kein Verlierer, nur sie beide, die versuchten, dem ganzen Schlamassel noch einen Sinn zu geben. Ein hoffnungsloses Duell voller Irrungen und Wirrungen.
Seine Hand auf ihrem Rücken zog sie mit sanftem Druck von der Wand weg und führte sie schließlich mit stolpernden Bewegungen über den Gang, während die Küsse nicht aufhörten und er nur wortlos zu verstehen gab, dass er die Fortführung dessen gerne woanders hin verlegen würde.
Auf dem Weg in sein Büro streifte sie ihm das Jackett von den Schultern, bis er gezwungen war, den Kontakt seiner Fingerkuppen mit ihrer Haut zu brechen, um es ganz loszuwerden. Er nutzte den Moment und half auch ihr aus der Jacke, die zusammen mit seiner wie ein Relikt ihrer Explosion auf dem Gang liegenblieb, während sie beide erst in seinem Büro und schließlich in dem kleinen abgehenden Arbeitszimmer endeten. Weit weg von allem und trotzdem nicht losgelöst.
Sie kämpften weiter, entledigten sich aller verbliebenen Sachen, erkundeten, verzweifelten, verschmolzen, und fanden ein wenig Erlösung im gemeinsamen Höhepunkt. Doch es blieb ein Kampf, nach wie vor.
Irgendwann lagen sie eng beieinander, weil das Sofa eigentlich viel zu klein für sie beide war. Der Atem wieder ruhig und regelmäßig, der Herzschlag unter Kontrolle, die Glieder schwach und ausgelaugt. Und trotz ihrer körperlichen Nähe, spürten sie beide, dass es nicht viel gab, das sie gerade verband. Höchstens vielleicht der sanfte Druck seiner Finger, die auf ihrer Hüfte lagen und ab und an kleine Kreise darauf zogen, als würden sie es nicht einmal realisieren.
Die Welt draußen hätte ihr Ende finden können und sie hätten es beide nicht gemerkt. Doch vielleicht war das Ende ja schon längst da. Hier in jenem Raum, wo er nur noch an das Gefühl ihrer samtweichen Haut unter seinen energisch zupackenden Fingern denken konnte und sie die Empfindung seiner Bartstoppel unter ihrer wütenden Handfläche nie vergessen würde.
Und sie fragten sich, wie das sein konnte, wenn sie doch eigentlich so viel mehr füreinander empfanden.
