1.Spiegelverkehrt?

Eine befreiende Stille lag über dem Haus im Ligusterweg Nummer 4. Alles schlief den gnädigen Schlaf des Vergessens. Alles? Nein! Harry Potter lag wach auf seinem Bett und dachte nach.

Er dachte nach über das, was im Juni passiert war. Eigentlich wollte er nicht darüber nachdenken, wollte vergessen. Er war froh, dass es Nacht war, denn so war er nicht den hämischen Kommentaren seines Onkels und seines Cousins ausgesetzt. Nicht seiner Tante, nein. Sie hatte seit dem letzten Sommer kein Wort mit ihm geredet. Nur manchmal, wenn sie dachte, er merkte es nicht, beobachtete sie ihn mit einem seltsamen, verstohlenen Blick.

Nur durch ihr Verhalten, an ihren Gesten und an ihrer Mimik spürte er, dass irgendwo, tief in ihrem Innern, eine Veränderung stattgefunden hatte. So wie es aussah, hatte sie ihn akzeptiert und als Verwandten angenommen, während er all die Jahre zuvor nur eine Art ungebetener Gast gewesen war.

Harry fragte sich, woran das lag. War es der Heuler gewesen, der etwas in ihr bewegt hatte? Er bezweifelte das. Der Heuler war nur eine Erinnerung an den letzten Brief von Dumbledore gewesen und wenn sie damals ihn nur geduldet hatte, würde der Heuler diesmal auch nichts geändert haben.

Nein, es musste etwas anderes sein. Er überlegte noch eine Weile und gab es schließlich auf. Vielleicht erfuhr er es durch irgendeinen Zufall. Damit wandten sich seine Gedanken Onkel Vernon zu. Dieser hatte den ganzen Morgen lang ein dermaßen gemeines Grinsen Harry gegenüber aufgesetzt. dass er begonnen hatte, sich ernsthaft Sorgen zu machen.

Als er dann mit den Dursley zusammen die Morgennachrichten verfolgte, glaubte er den Grund für das niederträchtige Grinsen seines Onkels zu kennen und sein Magen verkrampfte sich. Er sah den Nachrichtensprecher und das Fahndungsbild von Sirius.

...Der berüchtigte Massenmörder Sirius Black ist tot. Dies teilte uns vor kurzem ein Sprecher der Polizei mit. Die Suche nach ihm wurde eingestellt. Die Polizei bittet die Bevölkerung, nicht mehr den Notruf anzuläuten.

Black hat 1981 12 Menschen umgebracht und war vor drei Jahren aus dem Gefängnis geflohen."

Harry erwartete jetzt von Onkel Vernon eine Äußerung wie: „Sie hätten ihn damals schon hinrichten sollen, wie es sich für solches Pack gehört!" oder „Die Welt ist eh ohne ihn besser dran!". Stattdessen sagte er nichts dergleichen und blickte Harry mit einem noch fieserem Grinsen an.

„Was guckst du mich so an?", blaffte Harry, dem nun langsam der Geduldsfaden riss. Er konnte sich diesen Gesichtsausdruck partout nicht erklären. Sein Onkel ging jedoch nicht darauf ein.

Er fragte hämisch:

„Und, habt ihr ihn schon begraben? Obwohl, bei euch kennt man so was sicher nicht. Da liegen die Leichen bestimmt alle auf einem Haufen und warten darauf, von den Krähen gefressen zu werden."

Harry stockte der Atem. Woher wusste sein Onkel, dass Sirius tot war? Denn er musste es schon vor den Nachrichten gewusst haben, sonst hätte er nicht den ganzen Morgen diesen Ausdruck mit sich herum getragen.

Um zu verbergen, wie sehr ihn seine Worte verletzt und auch beunruhigt hatten, setzte er eine verwirrte Miene auf.

„Wer hat wen beerdigt?"

„Na du und deine Freunde diesen dreckigen Halunken!"

'Ich weiß nicht, wovon du redest.', wollte Harry gerade sagen, aber bevor er die Worte über seine Lippen bringen konnte, brach es aus ihm heraus:

„SIRIUS IST KEIN VERBRECHER UND WAR ES NIE GEWESEN! ER IST UNSCHULDIG!!! WIE KANNST DU ES WAGEN, SO VON IHM ZU SPRECHEN!

ER HAT MEHR FÜR MICH GETAN IN DEN LETZTEN ZWEIEINHALB JAHREN, ALS DU IN DEINEM GANZEN LEBEN! WENN DU NOCH EINMAL..."

„Was denn, wenn ich noch einmal über diesen elenden Hundesohn etwas sage? Willst du mich etwa verhexen? Soweit ich weiß, fliegst du dann von deiner Idiotenschule und dann musst du zu uns zurück, denn dein ach-so-gütiger Pate hat es ja scheinbar nicht mal geschafft, auf sich selbst ordentlich aufzupassen. Und glaube mir, wenn du dann wieder bei uns bist, wirst du dir wünschen, nie geboren zu sein!"

„Nein, ich werde dich nicht verhexen, obwohl ich das liebend gerne tun würde. Dafür ist der Preis einfach zu hoch und du bist es nicht wert, dass ich wegen dir rausfliege.

Aber ich werde dem lieben Mr Moody schreiben. Das ist der freundliche Herr vom Bahnsteig mit dem Glasauge und wenn der nichts von mir hört oder erfährt, dass du mich schlecht behandelst, schickt er jemanden vorbei oder kommt selbst her um sich zu erkundigen und eventuell einige Verbesserungen vorzunehmen.

Er leidet übrigens unter Verfolgungswahn und gehört zu den besten Auroren seiner Zeit.", schloss Harry mit einem triumphierenden Gesicht. Er bezweifelte zwar, dass sein Onkel wusste, was Auroren waren, aber auch so hatte er die Wirkung erzielt, die er haben wollte.

Onkel Vernon sah auf einmal aus, wie ein sehr ängstliches Kaninchen, das sich vor dem Wolf fürchtet, sofern das bei ihm überhaupt möglich war.

Sein Gesicht war übelgrün bis bleich gefärbt, sein beachtlicher Schnurrbart zitterte und seine Augen waren weit aufgerissen.

„Tu-das-nicht!", war das einzige, was er hervorbringen konnte.

„Dann beleidige nie wieder Sirius!", sagte Harry etwas leiser, da er durch Onkel Vernons Grimasse etwas besänftigt war. Es sah aber auch wirklich zu komisch aus. So hatte er seinen Onkel das letzte Mal gesehen, als er von Hagrids rosa Schirm bedroht gewesen war.

Auch jetzt noch musste er bei dem Gedanken daran lächeln. Er hatte vor Hagrid nicht einmal Angst gehabt, obwohl das selbstverständlich gewesen wäre, da Hagrid wirklich furchteinflößend aussah. Doch er hatte auch irgendetwas Vertrauenerweckendes an sich, fand Harry. Er wusste zwar, was das sein konnte, aber etwas an ihm hatte Harry gesagt, dass er ihm nichts täte.

Onkel Vernon hatte das scheinbar anders gesehen. Für Harry war klar, dass er in dem Augenblick seine Familie bedroht gesehen hatte. Zu dieser Familie gehörte Harry augenscheinlich nicht, was ihm allerdings egal war, weil er sich seinerseits nicht zu ihnen zugehörig fühlte.

Diese Erinnerungen führten ihn wieder zu den Ereignissen des vergangenen Tages zurück. Nach dem Frühstück sagte Onkel Vernon zwar nichts mehr über Sirius, aber dafür machte Dudley den ganzen Tag über Einwürfe wie „Wie ist er denn gestorben, war es einer von euch oder war er etwa unvorsichtig bei seinen Experimenten"

Oder er fragte in ganz bestimmten Situationen: „Was meinst du, hätte dein lieber Patenonkel jetzt gemacht? Du hast ihn dir doch sicher als großes Vorbild genommen. Willst du später auch mal eine Straße mit ´nem Haufen Leute in die Luft jagen?"

Harry wusste, dass Dudley ihn nur provozieren wollte und wenn er sich rächen würde, flöge er sofort von der Schule. Jetzt, wo er daran dachte, überlegte er, woher Onkel Vernon wusste, dass Sirius tot war, bevor es in den Nachrichten gesagt worden warund, was noch viel wichtiger war, warum er dieses "Hundesohn" so seltsam betont hatte. Er musste eine Verbindung zur Zaubererwelt haben, was eigentlich bei seiner Abneigung gegen alles, das mit Zauberei zu tun hatte, sehr merkwürdig war.

Seine Grübeleien wurden jäh unterbrochen, als er ein gedämpftes, flatterndes Geräusch aus der Richtung des Fensters vernahm. Er öffnete das Fenster und sah eine fremde Eule ins Zimmer fliegen. Sie war beinahe schwarz, nur auf der Brust war ihr Gefieder heller; gräulich.

Harry hatte noch nie eine so merkwürdige Eule gesehen. Er fragte sich, woher sie wohl kommen mochte. Die Eule ließ ihm aber keine Zeit zum Überlegen, sondern flatterte ungeduldig um ihn herum, damit er ihr den Brief abnahm, den sie im Schnabel trug.

Auf einmal riss er die Augen auf. Es war keine Eule, sondern eine Krähe!

Er war noch etwas dösig und die Dunkelheit hatte ihr Übriges getan. Außerdem hatte er noch nie von jemandem Post bekommen, der nicht den normalen Weg mit Eulen oder per Postbote benutzte. Doch, er kannte jemanden. Oder besser, hatte gekannt. Doch das konnte nicht sein.

Harrys Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf. War das möglich? In ihm keimte Hoffnung auf. Er schnappte sich den Brief und die Krähe verschwand durch das offene Fenster. Harry wollte sie zurückhalten, aber sie hackte mit ihrem scharfen Schnabel nach ihm und ihre schwarzen Augen funkelten böse. Etwas an diesen Augen ließ ihn an Professor Snape denken und plötzlich kochte er wieder vor Wut, wie in Dumbledores Büro.

Snape hatte Schuld daran, dass Sirius nicht zu Hause geblieben war, weil er ihn ständig provoziert und einen Feigling genannt hatte, der sich zu Hause verstecke, während er, Snape, wichtige und gefährliche Aufträge für Dumbledore und en Orden erledige.

Außerdem war es seine Schuld, dass Harry nicht gelernt hatte, seinen Geist zu verschließen, was letztendlich auch zu Sirius Tod geführt hatte.

Die Stimme, die meinte, dass, wenn Snape nicht gewesen wäre, niemand von ihrer Tour ins Ministerium erfahren hätte und vermutlich keiner von ihnen noch am Leben wäre, hörte er nicht, denn er wollte sie nicht hören. Es war seine einzige Methode, seine schuldgefühle zu verdrängen-indem er sie auf Snape schob. Jedenfalls am Tag, wenn er nicht der Willkür seiner Träumeausgeliefert war und die ihm die schuld aufdrängten.

Er wollte den Brief schon beinahe wegwerfen, als er einer Eingebung folgte und ihn öffnete.

Heraus fiel ein Stück Pergament. Harry nahm es in die Hand und suchte nach einer Nachricht, konnte aber nichts entdecken. Schon wurde er wieder ärgerlich, da hatte er eine Idee.

Der Brief war ja eindeutig an ihn. Die Krähe wäre nicht wieder losgeflogen, hätte er ihr den Brief nicht abgenommen. Er holte ein Tintenfass und eine Feder hervor, schraubte das Fass auf und tunkte die Feder hinein. Dann setzt er die Feder auf das Pergament und schrieb:

Mein Name ist Harry Potter.

Die Schrift leuchtete auf und verschwand schließlich. Dafür kam jetzt eine andere Schrift zum Vorschein. Es hatte funktioniert.

Komm bitte morgen zum Spielplatz im Park. Ich muss mit dir reden.

Harrys Miene verdüsterte sich und das bisschen Hoffnung verpuffte im Nichts. Es war nicht Sirius Handschrift. Er schalt sich selbst einen Dummkopf, weil er geglaubt hatte, dass alles nur ein böser Traum gewesen war, wie die, die ihn des Nachts im Schlaf immer wieder überfielen und von denen er sich zumindest bei einigen sicher war, dass sie von Voldemort stammten.

Er ärgerte sich, weil er ständig hoffte, es wäre alles nicht wahr.

Harry fühlte sich auf einmal sehr erschöpft. Die Gedanken, die er mühsam zu vertreiben gesucht hatte, waren wieder da.

Es war jeden Tag das Gleiche: Irgendein Wort oder eine Geste, das in irgendeiner Weise mit Sirius zu tun hatte, sei es noch so fern, machte seine gute Laune, (falls man seinen Zustand als gute Laune bezeichnen konnte), wieder zunichte und es wurde ihm alles egal. Er wurde nachlässig bei seinen Aufgaben in Tante Petunias Haushalt.

Wenn diese etwas bemerkte, so sagte sie jedenfalls nichts, sondern runzelte nur die Stirn.

Normalerweise bekam er dafür Extraaufgaben. Harry interessierte das in diesen Momenten herzlich wenig, erst wenn er später darüber nachdachte, fiel es ihm auf.

Jetzt war auch wieder einer dieser Momente und er guckte eher automatisch nach einem Absender, aber er fand keinen.

Missmutig knallte er den Brief auf den Tisch.

Harry überlegte, ob er sich diese Nacht noch hinlegen sollte. Ein Blick auf seinen Wecker verriet ihm jedoch, dass es schon halb sechs war und es sich kaum lohnen würde, noch einmal zu schlafen, da die Dursleys auch bald aufstehen würden.

Er lief rastlos im Zimmer umher, das wieder aussah, wie letztes Jahr, bevor Tonks etwas Ordnung hineingebracht hatte.

Dabei Fiel sein Blick auf den Spiegel an seinem Schrank. Er blickte in das Gesicht eines Teenagers, der für sein Alter zu klein und zu dünn geraten war. Unter den Augen waren deutlich Ringe zu sehen, welche die vielen schlaflosen Nächte bezeugten.

Die gesamte Erscheinung machte einen müden und erschöpften Eindruck.

Plötzlich bemerkte er zwei Dinge im Spiegel. Das eine war eine Eule, die vom Fenster her auf ihn zuflog. Das andere war Sirius, der neben ihm stand und ihn angrinste. Harry stockte der Atem. Das kann nicht sein! Er drehte sich um, aber Sirius war verschwunden. Nur die Eule war noch da. Sie hatte es sich auf dem leeren Käfig von Hedwig gemütlich gemacht und sah ihn aus ihren bernsteinfarbenen Augen an.

Harry drehte sich zurück zum Spiegel, doch auch dort konnte er nur die Reflektion seiner selbst und der Eule ausmachen.

Er überlegte, ob er jetzt schon Halluzinationen hatte. Oder war sein Spiegel wie der Spiegel Nerhegeb? Das war unmöglich, denn sonst hätte er Sirius sehen müssen, als er das zweite Mal hineingeschaut hatte.

Harry stand vor einem Rätsel, für das er keine Lösung fand. Die Eule, die immer noch geduldig auf seinem Käfig hockte, hatte er vergessen.

Ende Kapitel 1

Und? sich umschaut

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Ich bin als Schreiberling noch ziemlich neu hier und konstruktive Kritik ist immer sehr willkommen!!!

Außerdem ein großes Dankeschön an Lisa, Andrea und Franzi, die dieses Kapitel zuerst gelesen haben und mich zum Weiterschreiben animieren!

Und an Julia, die es trotz ihrer Abneigung gegenüber Harry Potter auch gelesen hat!