"Sitz gerade."
Draco richtete sich auf.
"Gerade sagte ich!"
Ein Stock knallte in das Kreuz des Jungen und dieser zuckte zusammen. Kein Laut drang über seine schmalen Lippen.
"Und lass dir nicht einfallen, auch nur eine Träne zu zeigen."
Draco blickte zur Seite. Seine zehn Jahre alten Hände krampften sich aneinander fest. Unter der Tischdecke waren sie glücklicherweise nicht zu sehen.
"Ich mache aus dir einen Malfoy, Draco. Du solltest das zu schätzen wissen. Ich sehe jetzt nach dem Essen. Rühr dich nicht von der Stelle, hast du verstanden?"
Der wolkengraue Rock bauschte sich um die krampfgeplagten Beine der Erzieherin, als sie davon schritt. Die Tür fiel hinter ihr donnernd ins Schloss. Zurück blieb nur der junge Draco, der nun über seinem ungebrauchten Geschirr vor sich zusammensank, als habe man ihm das Leben aus dem Leib gesaugt. Seine Augen waren geschlossen, seine Kleidung ordentlich und sein Haar lag strickt an seinem Schädel an.
Der Raum in dem er sich befand war spärlich eingerichtet, groß und pompös, wie alles, das die Malfoys besaßen. Außerdem war das Zimmer kalt und zugig, passend zum regnerischen Wetter.
Dracos geschlossene Augen sperrten nicht nur diesen kläglichen, ja lächerlichen Raum aus, sie sperrten auch die hässliche, gewohnte und größtenteils recht grausame Realität aus.
Das einzige, das er noch sah, war der Schmetterling, den er am vorangegangenen Morgen beobachtet hatte. Ein wunderschöner Schmetterling, der blau schillerte und fortwährend auf und ab flog.

"Darf ich ihnen noch etwas bringen, Mr. Malfoy?"
Nur langsam fokussierte sich der Blick des nunmehr neunzehnjährigen Draco auf den älteren Herren im Frack vor ihm. Ausflüge in die Vergangenheit - vor allem in der Öffentlichkeit - waren stets risikobehaftet.
"Nein, danke. Die Rechnung, bitte.", erwiderte er und für einen Moment vermeinte er, zwei Schmetterlinge in den Augen seines Gegenübers zu sehen. Einbildung. Er schüttelte den Gedanken ab.
Sein Blick senkte sich auf die Tasse, die vor ihm stand. Er trank nie Alkohol. Ein Grund dafür war, dass der Konsum alkoholhaltiger Getränke zu geistigen, gefühlsaufgefüllten und manchmal auch körperlichen Entgleisungen führte. Nichts davon war für einen Malfoy erstrebenswert.
Hier in diesem Muggelcafé - Abends öffnete hier die Bar - war Draco fähig, abzuschalten. Der dröge Alltag blieb hinter ihm zurück und manchmal, so wie heute, kamen die Erinnerungen in ihm wieder hoch und er gab sich ihnen hin. In seltenen Momenten kochte auch sein Hass auf die Erzieherin wieder hoch, den er vor neun Jahren schon tief in sich begraben hatte.
Gefühle wegzusperren hatte schon immer oberste Priorität im Hause Malfoy. Nicht, dass ihm das nicht ab und an zugute käme, aber wer nicht hassen konnte, konnte genauso wenig lieben. Und manchmal verwechselte man seine größtenteils neutrale Sicht dieser Welt mit schlichter Arroganz. Manche Leute waren einfach zu geblendet von ihren eigenbrötlerischen Vorstellungen. Oder sie waren zu überzeugt.
Ein ledernes Etui von adressbuchartiger Größe wurde vor Draco auf den Tisch gelegt und jemand sagte: "Bitte sehr, Sir."
Als der junge Blondschopf aufblickte, sah er, wie der stets beherrschte, aufrecht gehende Frackträger in Richtung der Küche verschwand.
Renard, erinnerte Draco sich plötzlich, sein Name war Renard.
Nicht, dass er ihn gefragt hätte, aber man bekam so etwas mit, wenn man Tag für Tag im selben Café seinen Tee bestellte. Er klappte das Lederetui auf und warf nur einen flüchtigen Blick hinein. Der Rechnungsbetrag war ihm bestens bekannt. Dracos lange, blasse Spinnenfinger platzierten das Geld plus dem angemessenen Trinkgeld in den Umschlag und klappte diesen dann wieder zu.
Er mochte Renard. Renard war stets höflich und korrekt. Unter seiner strengen Führung lief dieses Café wie ein Schweizer Uhrwerk. Kaum etwas konnte das fortwährend sanfte Lächeln aus seinem Gesicht wischen. Manchmal wünschte Draco sich, genauso gelassen auf die chaotische, wirre Welt blicken zu können.
Er stand auf und warf noch einen kurzen Blick durch das voll besetzte Café. Überall schnatternde Muggel, all die Gäste waren ihm völlig unbekannt. Ein Lächeln huschte über Dracos Gesicht. Überall glückliche Menschen, die nie etwas vom Schrecken des dunklen Lords erfahren hatten. Niemand der Anwesenden hatte jemals auch nur vom Jungen, der lebt, gehört, der beim Kampf gegen das Böse mehr als einmal fast das Leben gelassen hatte.
Dracos Herz schnürte sich zusammen. Er zwang sich, durchzuatmen und verließ das Café.

"Wie war dein Tee?", fragte Harry ohne von seinem Papierkram aufzublicken. Er hatte förmlich am Klingeln der leisen Türglocke seinen Geschäftspartner erkannt. Ein Lächeln schlich über sein Gesicht, als er schließlich doch aufsah.
Wie immer ging Draco an seinem Arbeitskollegen vorbei, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Sein Blick war ausdruckslos, seine Schritte gemessen. Er hängte seinen Mantel und den leichten Schal an die Garderobe und verschwand hinter einer Tür. Manchmal kam Harry es so vor, als wäre der ehemalige Slytherin doppelt so alt, als die noch so jungen neunzehn Jahre.
"Er war exzellent, wie immer."
Harry starrte überrascht in den Nebenraum. Fast zwei Jahre hatte er die Frage nun schon gestellt und nie hatte er auch nur eine abfällige Bemerkung als Antwort erhalten. Bis auf heute.
"Alles in Ordnung?", fragte er vorsichtig.
"Natürlich."
Der Blonde kam zurück, stoppte bei Harry, legte ihm die Linke auf die Schulter und drückte ihm mit der Rechten einen dampfenden Pappbecher in die Hand.
"Probier mal."
Harry blinzelte überrascht und schnüffelte dann interessiert. Der Tee roch verführerisch.
"Damit du mal siehst, was du versäumst, wenn du dich im Büro vergräbst.", sagte Draco und verschwand wieder im Nebenraum. Mit immer noch überrascht hochgezogenen Augenbrauen blickte Harry seinen Tee an und pustete dann über dessen Oberfläche, bevor er an dem Heißgetränk nippte. Sein Geschmack war ebenso köstlich wie sein Geruch.

Draco saß im Hinterzimmer auf einem Drehstuhl am Schreibtisch. Er war gerne hier. Es war ruhig und an schönen Tagen schien die Sonne direkt durch das schmale Fenster.
Derzeit war im Geschäft nicht viel los. Noch war früher Sommer, das Wetter war noch unstet und sehr wechselhaft und es gab kaum Kunden. In Kürze jedoch waren endlich die langersehnten Sommerferien und unzählige Mütter und Väter würden mit ihren jüngsten Sprösslingen kommen, um des Zauberers wichtigstes Utensil zu besorgen: Den Zauberstab.
Vor zwei Jahren hatte Ollivander beschlossen, sein Geschäft in jüngere und gesündere Hände zu geben. Die Branche war ihm allgemein nach seiner Entführung und Gefangenschaft sehr gefährlich vorgekommen. Harry Potter, der einen ruhigen Gegensatz zu seinem bisherigen Leben suchte, überredete ihn dazu, ihn im Zauberstabgeschäft zu unterweisen und so übernahm der gerade einmal siebzehnjährige Weltretter Ollivanders Laden. Bedauerlicherweise erlitt der alte Zauberstabhersteller wenig später einen Herzinfarkt und starb an dessen Folgen. Einer seiner Enkel hatte ihn wohl zu sehr erschreckt.
Bald nach der Übernahme des Geschäfts merkte Harry, dass er alleine nur schwer zurechtkam mit der Arbeit. Ron konnte er nicht fragen, der hatte ja Freds Platz an Georges Seite übernommen und Hermine machte sich jetzt hochoffiziell für magische Minderheiten stark.
Ginny war jetzt als Sportreporterin tätig und ganz abgesehen davon, dachte Harry, käme er nie mit ihr zurecht im selben Geschäft. Dean war immer noch völlig in den Muggelsport Fußball vernarrt und arbeitete jetzt hart daran, Profi zu werden. Neville wiederum hatte in der Zeit Hogwarts' seine Leidenschaft für Verteidigung der dunklen Künste entdeckt und kämpfte darum, Lehrer auf seiner alten Schule werden zu können.
Egal wen Harry auch fragte, jeder hatte seinen Platz in der ehemals so zerrütteten Gesellschaft gefunden. Doch eines Tages sah er seinen ehemaligen Erzrivalen in einem Café sitzen, allein mit einer dampfenden Tasse Tee vor sich.
"Hallo.", hatte Harry gesagt und dann hatte er Draco gegenüber Platz genommen. Draco hatte nur aufgesehen, mit diesen leeren, ausdruckslosen Augen.
"Wie geht's dir so?", startete der Schwarzhaarige einen erneuten Versuch und bekam als Antwort: "Ich lebe. Kann ich dir irgendwie helfen?"
Seine Stimme strahlte nicht die frühere Kälte und Gehässigkeit sondern schlichte Resignation aus. Auch das Schnarren und den öligen Tonfall schien er verlernt zu haben. Man hatte ihm seines Ziels beraubt, seine Zukunft in Rauch aufgehen lassen. Man hatte ihm das genommen, was ihm wichtig war und er hatte seine Führung, seinen Leitfaden verloren. Aber das schlimmste war, dass er mit dem Leben davongekommen war. Als habe man auf den Gnadenschuss verzichtet, nur um ihn leiden zu sehen. Draco empfand das nicht als Güte, sondern als Grausamkeit.
Und jetzt saß er hier. Lebendig. Atmend. Und Harry saß ihm gegenüber, mit denselben leuchtenden Augen, die er schon immer besessen hatte. Die Schmetterlinge tanzten in seinen Iriden.
Der junge Potter hatte ihn gefragt und er hatte ohne zu zögern zugestimmt. Eine neue Richtung war gut. Ein Platz in Harrys Nähe versprach stets eine gewisse Sicherheit und Draco hatte wirklich genug von all dem wahnsinnigen Terz, der die Welt beherrschte. Außerdem war Ollivander stets gelassen und ruhig gewesen. Ruhe war immer gut.
Draco blinzelte die Erinnerungen fort. Heute waren sie wieder besonders intensiv. Er schob es auf das Wetter, das sich noch immer nicht zwischen strahlendem Sonnenschein mit herrlich zwitschernden Vögeln und dem trüben Grau des Regens entscheiden konnte.
Er blätterte die Vorbestellungen diesen Jahres durch und stellte fest, dass ihre Zahl im Vergleich zum Vorjahr wieder deutlich gestiegen war. Man merkte, wie die Leute langsam aus ihrer Starre der schlechten Zeiten erwachten.
"Danke für den leckeren Tee!", rief Harry aus dem Vorraum und Draco fragte sich zum wiederholten Male, was ihn da eigentlich geritten hatte.

Einige Tage später. Das Wetter hatte sich endgültig dazu entschlossen, der Sonne den Vortritt zu lassen und so überschritt das Quecksilber des Thermometers schon am Vormittag die 30°-Marke. Am morgigen Tag kam der Hogwartsexpress aus der englischen Schule, denn die Sommerferien begannen.
Blau schillernde Schmetterlinge flatterten wie verrückt in diesen wunderschönen, blassgrünen Iriden herum. Draco blinzelte irritiert und ein wenig verzweifelt, kniff die Augen fest zusammen, um diese merkwürdige Illusion – denn nichts anderes war es – loszuwerden. Als er wieder aufsah, hatte sein Geschäftspartner den Blick zum Boden gesenkt.
„Kommst du nun, oder nicht?", drang Harrys Stimme ganz leise zu seinem vernebelten Bewusstsein durch. Dracos Herz zog sich noch weiter zusammen, aber er unterdrückte den Drang, etwas Unüberlegtes, Spontanes und am Ende sogar Dummes zu tun und versuchte seine Aufmerksamkeit auf seinen Gegenüber zu konzentrieren.
„Natürlich komme ich. Wie immer."
Kein Lächeln verzog sein schmales, blasses Gesicht, die Augen blickten ohne jede Emotion.
Ein Grillfest bei den Potters zuhause. Hübsch und klein, mit den Weasleys und ein paar Freunden, draußen im Garten.
Seit der ehemalige Slytherin auf seiner Hochzeit gewesen war, zwang Harry ihn förmlich, zu diesen Gartenfesten zu erscheinen. Nun gut, er zwang ihn nicht wirklich, aber er redete Draco stundenlang an die Wand, bis dieser einfach genug von dem Gespräch hatte und zustimmte.
Heute war wieder einmal so ein Partytag und Draco hatte den Schwarzhaarigen lange betteln lassen. Irgendwie gefiel es ihm, dort zu sein. Ginny war eine tolle Köchin und die Gesellschaft war relativ tolerant ihm gegenüber. Ron bewarf ihn nicht mehr mit irgendetwas, er redete nur nicht mit ihm. Hermine packte ihn sich regelmäßig, um ihn wieder einmal eine Spende für ihre Projekte abzuschwatzen. Molly dagegen griff sich immer seinen Teller und schaufelte Unmengen an Kartoffelsalat darauf, mit dem Kommentar, er sehe ja so abgemagert aus und esse bestimmt zu wenig. Ginny verpasste ihm regelmäßig einen Hieb mit dem Kochlöffel, wenn er sich in die Küche verzog, um Rezepte zu klauen.
Das alles kam ihm höchst merkwürdig vor und er erinnerte sich nur zu gut an die Zeit, als er noch der Meinung war, diesen verrückten Haufen niemals mögen zu können. Denn er mochte diesen verrückten Haufen und ein Monat ohne Grillfest wäre ein echt verlorener Monat.
Am Abend desselben Tages apparierte Draco in einer verwinkelten Gasse und ging das letzte Stück des Weges mit langsamen Schritten, das warme Wetter genießend. Halt machte er erst vor einem Gartentor, das – wie der Zaun selbst – aus schmalen, spitz zulaufenden Holzbrettern bestand und ihm gerade einmal bis zur Hüfte ging. Irgendjemand – Draco hatte Ginny in Verdacht – hatte den gesamten Zaun in einem hellen blau gestrichen. Am Tor hing etwas schief ein Schild, auf dem in unsauberen Buchstaben der Name Potter gekritzelt worden war. Draco betrat den Garten und sah sich um. Das saftige Grün leuchtete aus allen Ecken und hier und da sah er einen blühenden, lilafarbenen Fliederbusch, der von Schmetterlingen eingenommen wurde. In einer Ecke stand ein alter, stinkender Grill, auf dem schon die ersten Fleischstücke brieten und Harry stand davor, mit einer gestreiften Schürze und unterhielt sich mit Ron, der neben ihm stand. Draco war wie immer der letzte, der gekommen war.
Er steuerte auf den langen Tisch zu, um den sich der Großteil der versammelten Gesellschaft tummelte. Er lächelte kurz in die Runde, erntete ein paar Begrüßungen und nickte einer jungen Frau zu, die ihm vage bekannt vorkam. Als er genauer hinsah erkannte er, dass die junge Frau niemand anderes war als Luna Lovegood. Ihre Haare waren kurz, lediglich Schulterlänge, und sie trug ein enges, geblümtes Sommerkleid. Hinter ihrem linken Ohr klemmte eine Blume, die Draco nicht kannte und an ihrem rechten Ringfinger steckte ein kleiner, unscheinbarer Ring aus Gold.
„Hallo.", begrüßte sie ihren Gegenüber und lächelte zurück. „Wie geht es dir, Draco?"
„Ganz hervorragend.", log der Blonde ohne mit der Wimper zu zucken und fragte denn: „Und wie geht es dir? Wer hat dir denn diesen Ring geschenkt?"
Harry schwang seinen Zauberstab und das gegrillte Fleisch schwebte hinüber zum Tisch und auf einen Teller.
„Raubtierfütterung, Essen fassen!", rief er ins allgemeine Durcheinander und schob seinen besten Freund zum langen Tisch.
Luna grinste geheimnisvoll, wartete bis Draco Platz genommen hatte und suchte sich dann den Stuhl aus, der am weitesten von ihm entfernt stand.
Ginny kam aus dem Haus, scheuchte Neville vor sich her und setze sich neben Draco. Sie trug ihr rotes Haar heute hochgesteckt und einzelne Strähnen hingen in ihr leuchtendes, sommersprossiges Gesicht. Sie trug ein weißes Top und einen dunkelgrünen, mehrlagigen Rock. Ihr Gesicht strahlte – wie immer – Ruhe und Freude zugleich aus. Sie wirkte, als beherrsche sie dieses Durcheinander vollkommen.
Neben Ginny setzte sich sogleich ihr Gatte und das verstand die Allgemeinheit als Startschuss. Die Gespräche und das Lachen wurde lauter, Witze wurden gerissen und der Übermut, der immer in den Schränken verstaubte, hatte seinen Auftritt. Der Abend war lang und ausgelassen, es wurde gescherzt und getrunken. Kurz nach Mitternacht waren die Potters auch den letzten Gast los.
Ginny räumte gerade die Teller zusammen, als Harry sie von hinten in seine Arme zog und ihr einen Kuss auf die Schläfe verpasste.
„Geh ins Bett, Schatz. Ich mach das schon."
Ginny wandte sich um, lächelte müde, küsste ihren Liebsten noch einmal kurz und innig und verschwand dann im Haus. Harry seufzte ebenso müde, bevor er seinen Zauberstab schwang um das verursachte Chaos zu beseitigen. Nachdem der Garten wieder gesäubert war, begab Harry sich ebenfalls ins Haus.

In der Winkelgasse tummelten sich Kinder. Kleine und große, begabte und unbegabte, tollpatschige und geschickte und die Jüngsten unter ihnen kamen, um einen Zauberstab zu kaufen. Zumeist in Begleitung ihrer Eltern, manchmal jedoch auch gänzlich ohne jede Hilfe.
So wie jetzt.
Vor Draco stand ein kleiner, blonder Zwerg und leuchtete förmlich zu ihm hoch.
„Ich bräuchte einen Zauberstab!", strahlte er den Zauberstabverkäufer an und wippte auf und ab. Der Junge schien ihm reichlich aufgeregt.
„In Ordnung.", erwiderte er leicht lächelnd und musterte den angehenden Zauberer dann leicht stirnrunzelnd. „Wie heißt du denn?"
„Steve!", piepste Steve und strahlte immer noch. Sein dunkelgrüner Umhang hing ihm leicht schief um die Schultern und die Haare wirkten chaotisch. Gegen seinen Willen musste Draco lachen. Er nickte gutmütig und sagte dann: „Ok, Steve, dann werden wir mal sehen, ob wir den passenden Zauberstab finden."
Steves blaue Augen leuchteten vor Vorfreude auf und er schwieg ehrfürchtig, als Draco begann, in einzelnen Zauberstabkisten zu kramen. Er zog einen dunklen, kurzen hervor und bot ihm dem kleinen Jungen an.
„Einmal schwingen, bitte."
Der blonde Zwerg kam dieser Bitte mit Vergnügen nach und ruderte mit seiner rechten Hand herum, doch nichts geschah.
„Schon ok.", sagte Draco beruhigend, als Steves Gesicht länger wurde. „Wir haben noch ganz viele Zauberstäbe hier und einer hat nur auf dich gewartet."
Er wühlte wieder ein wenig und diesmal zog er einen kurzen aber kalkweißen und völlig dürren Zauberstab hervor.
„Probier mal diesen hier."
Eine Viertelstunde und etliche Zauberstäbe ohne Wirkung später stand Steve mit einem für seinen Geschmack ein bisschen zu gewöhnlich aussehenden Zauberstab da.
„Eiche, 14 Zoll, spröde aber hart. Im Kern mit einem Einhornhaar ausgestattet.", pries Draco seinen Zauberstab an und nickte zufrieden. Sie hatten bereits festgestellt, dass dies das perfekte Zaubergerät für den kleinen Steve war. Nun warteten sie nur noch auf Steves Eltern, die das nötige Geld hatten.
„Setzt dich derweil.", bot der Zauberstabhändler an und deutete auf einen weichen, alt aussehenden Stuhl. „Möchtest du vielleicht Limonade?"
Ein begeistertes Nicken von Steves Seite später saß dieser auch schon mit einem großen Glas Orangenlimonade auf dem alten Stuhl und wippte mit den in der Luft hängenden Füßen.
In dem Moment kam Harry aus der Mittagspause zurück. Er grinste, als er den kleinen Blondschopf dort sitzen sah.
„Na, wer bist du denn?", fragte er, gespielt erstaunt.
„Steve.", sagte eben jener strahlend und hielt sein Zaubergerät in die Luft. „Und das ist mein Zauberstab!"
„Nett dich kennen zu lernen, Steve. Du kommst also nach Hogwarts dieses Jahr? Bist du schon aufgeregt?", fragte Harry, während er zurückstrahlte. Er konnte sich nicht helfen. Er liebte Kinder, irgendwie.
Draco verdrehte im Hintergrund die Augen und tat so, als sortiere er irgendwelche Papiere. Als die Türglocke ging, sah er erleichtert auf. Steves Eltern waren gekommen, bezahlten das Stück Holz und nahmen sowohl den Zauberstab, als auch den winkenden Jungen mit sich.
„Weißt du was?", fragte Harry schmunzelnd, während er an seinem mitgebrachten Eistee nippte. „Der Junge erinnert mich irgendwie an dich als Elfjähriger, doch du warst wesentlich arroganter und weniger verspielt."
Draco starrte in die Gasse, in die Steve verschwunden war. Harry hatte Recht. Natürlich. Er hatte sich niemals erlauben dürfen, derart kindisch zu sein. Einem Malfoy war so etwas nicht gestattet. Die grauen Augen Dracos blickten verklärt in die Leere und Harry bugsierte ihn auf seltsame Art positiv genervt zum Stuhl hinter dem Schreibtisch.
„War doch nur ein Witz.", sagte er mit einem leisen Lächeln auf den Lippen und bemerkte sehr wohl, dass diese schalen Worte nicht zu seinem Geschäftspartner durchdrangen. Er klopfte dem Slytherin auf die Schulter und verschwand im Hinterzimmer, während er sich fest vornahm, sich erst wieder im Verkaufsraum blicken zu lassen, wenn die Türglocke klingelte.

Draco Malfoy stand in der Winkelgasse. Sein Vater trat gerade aus einem Schreibwarengeschäft und dessen kühl blickende Augen erfassten ihn augenblicklich.
„Komm mit, Draco.", sagte er, kühl, ruhig, eine Hand auf Dracos Schulter.
Der kleine Blondschopf sah mit einem ebenso kühlen Lächeln zu ihm auf. Er ließ sich nicht anmerken, wie kalt und unnahbar ihm die Hand auf seiner Schulter vorkam.
„Gehen wir jetzt einen Rennbesen besorgen?", fragte er stattdessen und erntete nur ein Kopfschütteln.
Der Weg der beiden Malfoys führte sie zu dem Zauberstabladen von Ollivander. Narzissa Malfoy wartete schon vor der Tür. Ihr Gesicht war ernst und ihre Haltung zeigte ihre Härte. Einst war sie bestimmt eine wahre Schönheit gewesen, doch die Zeit hatte an ihr genagt und jedwede Freude war aus ihrem schmalen Gesicht gewischt worden. Wo einst vielleicht ein Lächeln die Lippen geziert hatte, war nun ein Mund, der Verachtung zeigte.
„Wir können gehen.", sagte sie ruhig und nickte in Richtung des Ausganges. „Ich habe schon den passenden Zauberstab für dich gekauft."
Draco sah hoch zu seinem Vater. Er sah nicht gerne zu ihm auf und doch tat er es nun. Die Augen von Lucius Malfoy waren auf seine Frau gerichtet. Seine Haltung war stets gerade und zeigte seine Arroganz den Würdigen und Unwürdigen der Zaubererwelt.
Der kleine Blondschopf schluckte lautlos und wischte seine Enttäuschung weg. Einen Rennbesen würde er heute bestimmt nicht bekommen. Aber er war solche leeren Versprechungen ja gewohnt. Und er kannte bereits jetzt die Ausrede.
Die Malfoys wandten sich zum Gehen.

Draco wurde aus seinen Erinnerungen gerissen, als die Türglocke erklang. Er sah etwas desorientiert auf und erblickte einen seiner ehemaligen Mitschüler aus dem Hause Slytherin. Ein grobschlächtiger Kerl, der aussah, als verspeise er kleine Kätzchen zum Frühstück. Bei ihm stand ein kleines Mädchen von elf Jahren, wie Draco stark vermutete.
Das Mädchen war dürr und trug ein gelbes Sommerkleid mit passendem Hut. Unter der Krempe leuchteten zwei käferschwarze Augen hervor und die schmalen Hände hielten sich etwas verkrampft am Kleid fest.
„Hallo, Draco.", sagte der große Kerl in einem freundlichen Tonfall und nickte sacht. Er deutete auf die kleine Lady neben ihm und fuhr fort: „Das ist meine Nichte Sam. Sie kommt in diesem Jahr nach Hogwarts und ihr fehlt noch der passende Zauberstab."
Draco stand auf und gab seinem ehemaligen Mitschüler die Hand.
„Hallo, Zack.", sagte er und brachte beim besten Willen kein Lächeln zustande. Er ließ von Zack ab und beugte sich zu Sam herunter.
„Na, dann komm mal mit, Sam."
Er führte das Mädchen zum Regal und ließ sie die Zauberstäbe ausprobieren. Zwei grüne Augen beobachteten ihn dabei durch einen schmalen Türspalt. Harry beobachtete das Vorgehen schmunzelnd. Er kannte Zack vom Sehen und war froh, nie wirklich mit ihm zu tun gehabt zu haben, denn er hatte einen sehr gewalttätigen Ruf.
Er kam erst raus, als die zwei wieder gegangen waren.
Draco setzte sich an den Schreibtisch und notierte Sams Daten. Harry setzte sich auf den Schreibtisch und grinste einfach nur. Das war nicht gut. Jetzt blockierte der Wunderknabe die Ordner.
„Beweg dich da weg, Potter.", sagte Draco unwirsch und deutete auf die Ordner. „Ich muss da ran!"
Harrys Augenbrauen wanderten steil nach oben. So hatte der junge Malfoy ihn schon lange nicht mehr genannt.
„Wie bitte?", fragte er in dem Tonfall, der allgemein mit Unglauben und leiser Wut in Verbindung gebracht wurde. Er verschränkte die Arme und versuchte ein böses Gesicht zu machen, was ihm nicht ganz gelang.
„Kann ich dort bitte mal hin?", fragte Draco und deutete auf die Ordner. Was sollte der Unsinn? Musste der alberne Weltretter immer so im Weg herumstehen?
Harry verpasste dem völlig in Gedanken versunkenen Draco eine harte Kopfnuss.
„Autsch! Was soll das?", beschwerte der Blonde sich und rieb sich den Kopf.
„Ich wusste nicht, wie ich dich aus den Gedanken holen kann.", sagte Harry gleichgültig und nickte zur Uhr hinüber. „In einer Stunde schließen wir den Laden. Hast du Lust, noch einen Tee mit mir trinken zu gehen?"
Draco war überrascht. Auf so eine Idee wäre er gar nicht gekommen, aber er fand auch keine wirklich triftigen Gründe, das abzulehnen. Er hatte sowieso nichts vor und zuhause versank er nur wieder in Selbstmitleid.
„In Ordnung, aber zuallererst muss ich an den Ordner heran.", erwiderte er zögernd und deutete wieder auf das Objekt der Begierde.
Harry fand sein Lächeln wieder und rutschte vom Schreibtisch. Dracos Herz schlug schneller und er fragte sich, warum.