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In Harrys sechstem Schuljahr wurde Professor Severus Snape, seines Zeichens Meister der Zaubertränke auf Hogwarts Schule für Hexerei und Zauberei, durch einen unglücklichen Zufall in ein Baby zurückverwandelt. Im Nachhinein konnte keiner mehr genau sagen, wie es eigentlich passiert war. War es ein schiefgegangenes Experiment, oder ein dummer Streich einiger Schüler, oder Lord Voldemorts Werk? Das Resultat auf jeden Fall brauchte alle paar Stunden sein Fläschchen, hatte öfter als nicht die Hosen voll und schrie die Nächte durch. Madam Pomfrey, die Aufseherin des Krankenflügels, hatte schon ganz dunkle Augenringe und war gereizt bis zum in die Luft gehen. Schließlich warf sie das Handtuch, schnappte sich das Kind und stampfte damit zum Direktor.

„So KANN das nicht weitergehen! Wenn ich Kinder haben hätte wollen, hätte ich meine eigenen fabriziert! Nichts gegen Professor Snape, aber als Erwachsener hat er MIR besser gefallen!"

Professor Dumbledore sah ein, daß er zu Plan B übergreifen mußte. Er beauftragte Hermine Granger, das Kind in ein Waisenhaus zu bringen, denn irgendwie mußte die Schülerin mit in diese Geschichte verwickelt werden, da es sich immerhin um Snape handelte. Hermine also fuhr mit Babysnape im Schlepptau mit dem Hogwarts Express nach London, wo sie die Adresse eines Muggelwaisenhauses ausfindig gemacht hatte. In der Zaubererwelt gab es nämlich keine Waisenhäuser, weil dort noch das System „Großfamilie" vorherrschte und so immer (außer in Snapes Fall) jemand übrigblieb, der sich verwaister Kinder annahm (und sei es auch die Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Großtante mütterlicherseits, zweiten Grades). Hermine war ein schlaues Mädchen, und hatte eigentlich darauf gewartet, erwachsen zu werden, um sich an ihren Zaubertränkelehrer heranzumachen (sie fühlte schon seit langem, daß dies ihre Bestimmung war, denn nur sie mit ihrer ausgesprochenen Intelligenz konnte den subtilen Humor dieses Mannes vollkommen verstehen, und sie hatte zahlreiche Geschichten in ihr Tagtraumbuch geschrieben, in denen sie auf die verschiedensten Arten mit ihrem Lehrer zusammenkam), doch dieses Abenteuer setzte sie in den Sand.

Anstatt den kleinen Severus vor der Tür des Waisenhauses zu deponieren, um dann versteckt in einer Ecke zu warten, bis er gefunden wurde, legte sie ihn vor irgendeiner Tür ab, weil sie das Gefühl hatte, dies sei das einzig richtige, das sie tun konnte. Danach machte sie sich schnurstracks auf den Weg zurück in die Innenstadt, wo es am Leicester Square in einem der Buchläden einen Eröffnungsverkauf mit bis zu 50 Rabatt gab. Wäre sie um eine Sekunde später gekommen, hätte sie die wundervolle neue Enzyklopädie der Weltgeschichte nicht mehr bekommen, da fast im gleichen Augenblick ein bebrillter Junge gierig danach gegriffen hatte. Wie glücklich war sie also, daß sie nicht erst groß bis zum Waisenhaus gelaufen war! Ihrem Direktor erzählte sie, daß alles nach Plan verlaufen war (immerhin hatte sie die Enzyklopädie ja bekommen, auf die sie schon im Vorbeigehen ein Auge geworfen hatte), und verbrachte dann glücklich und zufrieden den Rest ihrer Schullaufbahn, schnitt als Beste ihres Jahrganges ab, wurde in die Hohe Akademie der Zauberkünste, Abteilung Politikwissenschaft, aufgenommen, heiratete Ron Weasley, ihren Jugendfreund, mangels Snape-Verfügbarkeit und brach ihr Studium nach zwei Jahren ab, da sie schwanger war und sich um den Nachwuchs kümmern wollte. Es sollten noch acht weitere Kinder folgen.

Harry Potter indessen hatte den mächtigen Lord Voldemort besiegt und es herrschte einmal mehr Frieden und Zufriedenheit in der Zaubererwelt. Speziell auf Hogwarts war man glücklich, da der immer grantige Zaubertrankmeister endlich weg war und die neue Lehrerin für dieses Fach, eine ältere Hexe aus Slowenien, lustig, nett und einfühlsam mit ihren Schülern umging, obwohl sie manchmal nicht alles verstand, was man sie fragte, und umgekehrt.

Was aber war in der Zwischenzeit mit dem kleinen Snape geschehen?

An dem Tag, an dem Hermine ihn so achtlos vor der Tür einer wildfremden Person abgesetzt hatte, war er eine Weile still und gehorsam liegengeblieben, vielleicht wollte er einen guten ersten Eindruck schinden bei seinen neuen Eltern. Irgendwann jedoch hatte er Hunger bekommen, und da sich nach zwei ganzen Stunden keine Seele gezeigt hatte (außer einer Katze, die klein und groß gleichzeitig war), fing er aus Leibeskräften an zu schreien. Daraufhin hörte er ein Poltern in dem Haus, in dessen Eingang er lag, dann wurde die Tür geöffnet und seine neue Stiefmutter kniete sich zu ihm hinunter.

„Nicht schon wieder!" rief sie aus. In ihren Rücken hinein rannten drei Jungs, etwa im Alter von zwei bis sechs Jahren.

„Der Storch hat noch eins gebracht!" jubelten die drei wie wild und tanzten einen Indianertanz um das Baby.

„Jetzt kriegt euch mal wieder ein, ihr erschreckt den Kleinen total!" Damit hob sie das Kind vom Boden auf, trug es ins Haus und fütterte, badete und wickelte es gekonnt.

Severus Snape, dessen Name seiner neuen Stiefmutter nicht bekannt war, hieß von nun an Saudi Arabien. Sie benannte alle ihre Kinder nach Orten. Seine Brüder hießen Kentucky, Seoul und Maastricht. Später kam noch eine kleine Schwester hinzu, die Wörthersee getauft wurde. Seine Stiefmutter selbst hieß Flora, was für ein häßlicher Name, aber meistens nannte er sie einfach „Mama", wie die anderen auch.

Flora war aus der Schweiz, sie sprach deutsch, französisch und italienisch als Muttersprachen, die sie an ihre Kinder weitergab, plus fließend englisch, wobei man einen leichten Akzent heraushören konnte. Zu ihren fünf Sprößlingen war sie gekommen wie die Jungfrau zum Kinde. Jeder einzelne wurde im Säuglingsalter vor ihrer Tür abgelegt, und da sie ein gutes Herz hatte und finanziell unabhängig war, behielt sie die Kleinen einfach. Trotzdem wunderte sie sich manchmal, ob nicht jemand ein geheimes unsichtbares Zeichen an ihre Tür gemalt hatte, das soviel hieß wie: „Gute Seele, finanziell abgesichert, mag Kinder, ungewollte Babies bitte vor der Tür ablegen."

Sie hatte natürlich viel zu tun mit fünf Kindern und ohne Mann, der ihr helfen konnte, doch da sie ihrem Beruf von zu Hause aus nachging – sie war Schriftstellerin – hatte sie alle Zeit der Welt und flüchtete sich nur ab und zu in ihre Phantasie, wenn sie sehr gestreßt war. Sie verfaßte einige Kinderbücher, die hauptsächlich aus Episoden ihres eigenen Lebens geklaut waren, außerdem schrieb sie eine Kolumne für die Zeitschrift „Kinder", in der sie über ihre Erfahrungen und Erlebnisse sprach. Auch ihre Romane kamen gut bei der Leserschaft an, weshalb sie schon bald in ein größeres Haus am Stadtrand umzogen, in dem jedes Kind sein eigenes Zimmer bekam, genauso wie die kleine große Katze Hannelore, die aber trotzdem immer bei Flora schlief. Außerdem hatten sie dort einen riesigen Garten mit vielen Obstbäumen, darunter Kirsche, Zwetschge, Birne, Apfel und Quitte, es gab tonnenweise Johannisbeer-, Hagebutten- und Kapstachelbeersträucher, Walderdbeeren zierten die ganze Wiese, Flora pflanzte Kartoffeln, Kürbisse für Halloween, Lauch, Radieschen, Tomaten, Zwiebeln, Gartenkräuter wie Petersilie, Rosmarin, Thymian und Basilikum, und an einer Hauswand rankte sich Wein hoch, der jeden Sommer Berge von roten Trauben trug. Zusammen bauten sie einen Freisitz in der Nähe des kleinen Teichs, den sie mit weißem Wein bepflanzten, und sie legten in der Nähe ein ganzes Beet mit Himbeeren, Brombeeren und Blaubeeren an. Ihr Garten sah wild und bunt aus, es gab Ecken, in denen unordentlich Sträucher wuchsen, dort konnten die Kinder Räuberhöhle spielen. Es gab einen Rasen mit Gänseblümchen und Löwenzahn, der sich ideal zum Fangsti-, Ball-, Federball- und Frisbeespielen eignete und in einer uralten Linde ein Baumhaus, in dem sie im Sommer oft übernachteten. Kurz, es war ein Traum für Kinder und Katzen.

Natürlich war Flora auf der Suche nach einem passenden Mann, doch diese gestaltete sich sehr schwierig, da alle ihre Kinder etwas ganz besonderes waren und sehr viel Aufmerksamkeit bedurften. Kaum ein Mann war gewillt, sich mit fünf Bälgern abzugeben, die nicht einmal seine eigenen waren. Kentucky zum Beispiel kam eines Tages, als er ca. zehn war und sie gerade erst in die neue Nachbarschaft gezogen waren, nach Hause und rief stolz vom Gehsteig aus:

„Guck mal Mama, was ich auf der Straße gefunden habe! Darf ich das behalten?"

Flora, die in der Küche gerade das Abendessen vorbereitete, spähte aus dem offenen Fenster und fiel fast um vor Schreck. Kentucky hielt einen blauen Trabbi hoch über seinem Kopf und grinste von einem Ohr zum anderen. Es dauerte eine Weile, bis er verstand, daß Objekte, die größer waren als er selbst (wie zum Beispiel der Zaun um den Buckingham Palace) nicht zu den Dingen gehörten, die Menschen auf der Straße verloren, weswegen er sie auch nicht wegnehmen dürfe.

Seoul liebte es, sein Zimmer in ein Spinnennetz zu verwandeln. Flora war sich nicht ganz im klaren, wie er das immer anstellte, doch zumindest hatten sie nie Probleme mit Fliegen oder Mücken im Haus.

Maastricht hingegen baute einen Teil des Kellers in eine geheime Zentrale um, buddelte einen Tunnel nach draußen und entwickelte technische Hilfsmittel zur Bekämpfung des Bösen.

Saudi Arabien konnte stundenlang vor dem Spiegel in Floras Schlafzimmer verbringen und seinen bösen Blick üben. Er hatte es schon mit fünf drauf, eine Augenbraue hochzuziehen und herablassend zu sagen: „Und du glaubst also, du bist was GANZ besonderes..." Da wurde seiner Mutter immer ganz warm ums Herz. Sie liebte Männer in Umhängen, und schneiderte einen umhanggleichen Mantel extra für ihren jüngsten Sohn, in dem er wie die neue Version von Graf Dracula aussah. Er übte sich darin, den Mantel gekonnt um sich zu werfen, mit langen Schritten durchs Haus zu stolzieren und die Insassen anzufauchen. Flora wußte, er würde später einmal ein Mädchenschwarm werden.

Wörthersee war vernarrt in Katzen. Da Hannelore aber nicht bei ihr schlafen wollte, holte sie nach und nach jede Streunerkatze, die sie finden konnte, ins Haus, sodaß Flora bald 20 hungrige Katzenmäuler zu stopfen hatte. Was ihr natürlich nichts ausmachte. Wörthersee liebte es außerdem, sich schwarze Leggins, ein schwarzes Bikinioberteil und Floras Stöckelschuhe (die ihr viel zu groß waren) anzuziehen und mit einer Peitsche bewaffnet in den Bäumen zu klettern. Wenn sie in diesem Aufzug an den Jungs vorbeischlich, bekamen diese Stielaugen und Flora fragte sich, wie sie es jemals schaffen würde, den Kindern beizubringen, daß sie sich wie Geschwister zu sehen hatten.