Always - Immer

A/N: Sherlock und John leben seit Jahren in einer festen Beziehung, es gab keinen Fall und kein Verschwinden von Sherlock in der Vergangenheit.

Inspiriert wurde ich durch den wunderbaren Film "A Single Man" mit Colin Firth. Für die Geschichte ist es nicht erforderlich, den Film zu kennen, aber wer ihn kennt, wird zweifellos die Zitate, besonders im ersten Teil und am Ende, wiedererkennen. Es ist ein grandioser Film und ich liebe ihn wirklich.

Bitte lasst mich wissen, wie es Euch gefallen hat!

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Kapitel 1

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Wasser. Er ist von Wasser umgeben, er schwebt im Wasser, schwerelos, leicht. Aber er kann nicht atmen, er bekommt keine Luft. Wo ist die Oberfläche? Wieso kann er nicht auftauchen? Er braucht Luft!

Augen. Tote Augen. Johns tote Augen. Sie verfolgen ihn überall hin.

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Sherlock erwachte mit einem erstickten Schrei in der Kehle. Er war schweißgebadet, die Laken hatte er aus dem Bett getreten. Es war immer derselbe Traum. Jedes Mal, wenn er seine Augen schloss, sah er John, Johns tote Augen, die ihn anstarrten.

Das Erwachen begann mit den Worten 'bin' und 'jetzt'. Seit acht Monaten schmerzte jedes Erwachen. Die kalte Erkenntnis, dass er immer noch da war, setzte sich langsam durch. Er war nie sonderlich davon angetan gewesen aufzuwachen. Er war nie jemand gewesen, der aus dem Bett sprang und den Tag mit einem Lachen begrüßte, so wie John. Nur Narren begrüßen den Tag mit einem Lächeln, hatte er immer gesagt. Nur Narren verschließen sich vor der simplen Wahrheit, dass jetzt nicht einfach jetzt heißt. Eine unerbittliche Mahnung, ein Tag später als gestern, ein Jahr später als letztes Jahr, bis es irgendwann, früher oder später, soweit ist. John hatte ihn immer nur ausgelacht, und ihm einen Kuss auf die Wange gegeben.

Es brauchte seine Zeit, bis er morgens zu Sherlock wurde, bis er in Erscheinung und Verhalten dem entsprach, was von Sherlock erwartet wurde. Wenn er angezogen war und die letzte Lage Politur auf den, jetzt etwas steifen aber ziemlich perfekten, Sherlock aufgetragen hatte, wusste er wieder, welche Rolle er zu spielen hatte.

Beim Blick in den Spiegel sah ihn weniger ein Gesicht an, mehr der Ausdruck eines Dilemmas. "Bring ihn hinter dich, den gottverdammten Tag", murmelte er seinem Spiegelbild entgegen.

Ziemlich melodramatisch. Andererseits - ihm war das Herz gebrochen worden, es fühlte sich an, als ob er untergehen, ertrinken, keine Luft kriegen würde.

Zum ersten Mal in seinem Leben sah er keine Zukunft. Die Tage zogen in einem Dunstschleier vorüber, aber er hatte beschlossen, dass es heute anders werden würde.

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Er hatte mehrere Briefe geschrieben. An Mrs. Hudson, Lestrade - Greg, rief er sich mit einem halben Lächeln ins Gedächtnis -, seine Mutter. Und der letzte war für Mycroft, sein letzter Wille und die Anweisungen für die Beerdigung. Das waren alle, die einen Abschiedsbrief bekommen würden. Er hatte darüber nachgedacht, ob er Molly einen schreiben sollte, aber das würde es für sie womöglich nur schlimmer machen. Außerdem wusste er nicht, was er ihr hätte schreiben sollen.

Der Schreibtisch sah seltsam aus, so aufgeräumt. Er hatte die ganze Wohnung aufgeräumt. Mrs. Hudson war sehr erfreut gewesen, aber auch ein bisschen besorgt. Sie hatte ihre Bemühungen, ihn zu päppeln, nie aufgegeben und kochte und buk für ihn. Aber eigentlich war er nie wirklich hungrig, aß nur etwas, um ihr einen Gefallen zu tun. Das war nun bald vorbei, bald würden sie ihn in Frieden lassen, bald ….

Sein Handy piepte. Sherlocks Augenlider schlossen sich. Das Piepen - er hatte den Ton ändern wollen, aber er konnte nicht. Ungebeten kamen die Erinnerungen zurück.

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Sein Handy piepte. Sherlock blickte vom Mikroskop auf und runzelte die Stirn. John - nein, nicht nach dem, was er ihm erst vor ein paar Stunden gesagt hatte. Lestrade hätte eine sms geschickt, wenn er seine Hilfe bräuchte. Mycroft! Sherlocks bereits schlechte Laune verschlimmerte sich noch. "Was?" schrie er fast ins Telefon. Die Stimme seines Bruders war sehr leise und ruhig. "Sherlock, es gab einen Unfall, einen Sturm, als eine überraschende Schlechtwetterfront …", Mycroft räusperte sich. Dann sprach er weiter und Sherlocks Hand wurde taub, das Handy rutschte ihm weg. Ein Glaskolben und mehrere Petrischalen wurden vom Tisch gefegt und die verschiedenen Flüssigkeiten vermischten sich zu einer undefinierbaren Substanz, die leise vor sich hin blubberte, als Sherlocks Beine nachgaben.

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… mit einem erschrockenen Japsen öffnete er die Augen. Es war Lestrade - Greg - der wollte, dass er zum Yard kam. Wahrscheinlich hatte Mrs. Hudson Alarm geschlagen: Sherlock war in den letzten zwei Tagen zu ruhig, zu ordentlich, zu nett gewesen, das wusste er.

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Die Füße auf dem Schreibtisch saß Lestrade in seinem Stuhl und spielte mit dem Handy herum. Mrs. Hudson machte sich mal wieder Sorgen um Sherlock, also hatte er ihr versprochen, dass er ihn eine Weile genauer beobachten würde. Der einfachste Weg ihn zu beschäftigen, war immer noch ein Fall, darum hatte er ihm eine sms geschickt. Sally kam herein und brachte ein paar Akten. Im Moment gab es keine großen oder schwierigen Fälle, aber sie hatten schon vor Monaten begonnen alte, ungelöste Fälle herauszusuchen, damit sie für solche Zeiten wie jetzt, wenn es besonders schlimm zu sein schien, etwas hatten, um ihn abzulenken. Sally lächelte ihn schief an, sie mochte Sherlock immer noch nicht, aber er tat ihr leid.

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Sherlock nahm ein Taxi. Er fuhr nicht mehr gerne Taxi - noch etwas, was er nicht mehr mochte - denn jedes Mal, wenn der den Kopf drehte, war John da, er konnte ihn aus seinem Augenwinkel sehen. Er saß einfach nur da und sah aus dem Fenster, die vorbeiziehende Stadt betrachtend. Aber sie würden ihm Fragen stellen, wenn er sich weigern würde in ein Taxi zu steigen, und das wäre noch schlimmer, falls das möglich war.

Aber das Schlimmste war, dass er nirgendswo hingehen konnte, um zu trauern. Es gab kein Grab an dem er John hätte anschreien können, wo er ihn nach dem 'Warum?' hätte fragen können. Warum? Warum um Himmels Willen musstest du das tun, John? Ein beschissenes Fischerboot, was war daran so wichtig? Was? Alles nur, weil du als Kind davon geträumt hast, mal einmal mit so einem Bott mitzufahren. Du warst in Afghanistan, hattest du da nicht genug Abenteuer? Dumm! So dumm! Warum habe ich dich gehen lassen? Er hatte ihm keinen Abschiedskuss gegeben, sie hatten gestritten, John war wütend auf ihn gewesen, als er ging. Sherlock blinzelte, knirschte mit den Zähnen. Und jetzt hatte er nichts mehr.

Das Boot war in einem Sturm gekentert, an der Küste zerschellt, niemand von der Crew wurde gefunden, der einzige Passagier blieb vermisst. Natürlich hatte Mycroft ermittelt, aber ohne irgendein Resultat. Die Strömung an der Unfallstelle war zu stark und hatte alles und jeden auf die offene See hinausgezogen. Sherlock hatte wochenlang jede Möglichkeit untersucht und eigene Nachforschungen angestellt, aber ebenfalls ergebnislos. John war vermisst, verschwunden, mutmaßlich tot. Sherlock krümmte sich bei dem Gedanken innerlich zusammen.

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Ein paar Minuten später stoppte das Taxi beim Yard und Sherlock stieg mit seinem üblichen neutralen Gesichtsausdruck aus. Als er in Lestrades Büro ankam war er bereit, sich auf den Fall zu konzentrieren. Es war ungefähr zwei Wochen her, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, und der DI war schockiert über sein Aussehen. "Sherlock! Was zur Hölle hast du getrieben? Du siehst furchtbar aus." Sherlock blickte nicht einmal auf. "Danke, ich freu' mich auch." Seine Hände und Augen waren bereits mit der Akte beschäftigt, die er vom Schreibtisch genommen hatte, während er sich hinsetzte. Er las eine Weile schweigend, und als er die Zusammenhänge erst einmal erkannt hatte, war der Fall ziemlich simpel; Sherlock hatte ihn in kürzester Zeit gelöst.

Sally brachte ihm einen Tee und er unterdrückte den Drang einen Kommentar dazu zu geben. Er trank den Tee, machte seine Deduktionen, und dann ging er wieder. Greg versuchte ihn zu überzeugen, mit ihm am Abend etwas zu trinken, und schließlich gab er nach und sagte ja, nur damit er Ruhe gab.

Anschließend machte er sich auf zum St. Barts um Molly aufzusuchen. Der DI hatte ihm erzählt, dass es dort eine interessante Leiche gäbe, also war er hingegangen. Er wollte heute niemanden enttäuschen.

Molly war im Labor, wo sie gerade ein paar Blutproben unter dem Mikroskop miteinander verglich. Als er herein kam sprang sie fast vom Stuhl vor Schreck. "Oh, hallo Sherlock. Oh, du siehst ja furchtbar aus! Oh, nein, so meine ich das nicht … ich meine nur … ich wollte nicht …", ihre nervöse kleine Stimme verstummte.

"Molly, du solltest keinen Smalltalk machen, ist nichts für dich."

"Oh, ok. Möchtest du einen Kaffee?" fragte sie scheu. Sherlock schenkte ihr ein kleines Lächeln. "Ja, danke." Molly stolperte aus dem Labor. In der Zwischenzeit sah er sich die verschiedenen Muster an, die sie grade untersuchte. "Schwarz, zwei Stück Zucker", zitierte sie ihn mit einem unsicheren Lächeln als sie ihm den Becher gab, dann drehte sie sich wieder um. "Ich habe den Körper für dich vorbereitet, wenn du möchtest …"

"Danke", er nahm einen Schluck, "ich werde ihn mir ansehen." Er zögerte einen Moment. "Molly, du warst immer sehr zuvorkommend." Damit verschwand er Richtung Leichenhalle, eine staunende Molly hinter sich lassend.

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Eine Stunde später verließ er St. Barts wieder. In einem kleinen Laden kaufte er Zigaretten und eine Flasche Whiskey. John hatte es gehasst wenn er rauchte, aber wer sollte sich jetzt beschweren? Der Whiskey war Johns Lieblingsmarke gewesen; normalerweise trank er kaum etwas, aber heute war ein besonderer Tag.

Ein junger Mann stolperte in der Tür des kleinen Ladens und rempelte Sherlock an. Mit einem lauten Knall zerbrach die Flasche, als sie Sherlock aus der Hand rutschte. "Das tut mir leid", stammelte der Fremde verlegen. "Ich kaufe Ihnen eine neue, war schließlich meine Schuld." Damit verschwand er im Laden, bevor Sherlock antworten konnte. Der versuchte währenddessen die Zigaretten aus dem Scherbenhaufen zu retten, aber sie waren völlig durchnässt und er warf sie weg. Ein Verkäufer räumte die Scherben weg und er entschuldigte sich grade für die Umstände, die er machte, als der andere Mann wieder aus dem Laden kam. Er war ungefähr so groß wie Sherlock, Mitte Zwanzig, hatte schwarze, kurze Haare, seine Haut war gebräunt und wahrscheinlich war er Spanier, seinem Akzent nach zu urteilen.

Mit einem entschuldigenden Lächeln drückte er Sherlock die neue Tüte in die Arme. Dann zog er eine Schachtel Zigaretten aus der Hosentasche, offensichtlich war ihm nicht entgangen, dass Sherlock seine Zigaretten hatte wegwerfen müssen. "Möchten Sie eine?"

Sherlock schüttelte den Kopf, dann stoppte er mitten in der Bewegung. Warum nicht? Er hatte sich grade welche gekauft. John hatte es gehasst, wenn er geraucht hatte, darum hatte er es aufgegeben, aber nun … . Er nickte. "Ja, ja, warum nicht? Ist lange her, seit ich meine letzte geraucht habe." Er nahm die Zigarette und der Mann gab ihm Feuer, mit geschlossenen Augen inhalierte er den ersten tiefen Zug.

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Mycroft und er in der Leichenhalle - Weihnachten - Irene war tot.

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Er riss die Augen weit auf. NEIN! Nein, sie war nicht tot, sie hatte ihn getäuscht. Aber John - John hatte nichts vorgetäuscht.

Der Andere sah ihn an, hatte etwas gesagt, was Sherlock nicht gehört hatte. "Entschuldigung?"

"Carlos, mein Name ist Carlos. Sie haben mich gefragt, wie ich heiße."

Hatte er das? Er konnte sich nicht erinnern und warf die Zigarette weg. "Ja, Entschuldigung, ich bin Sherlock."

"Geht es Ihnen nicht gut? Sie wirken ein bisschen durcheinander", fragte Carlos. "Vielleicht sollten wir uns für einen Moment setzen. Mögen sie einen Kaffee? Kommen Sie, ich lade Sie ein."

Sherlock war so überrascht, dass er ihm ohne zu meutern zu einem nahegelegenen Café folgte, wo sie sich setzten. "Kann ich noch eine haben?" fragte er mit einem Blick auf die Zigaretten, und Carlos hielt ihm lächelnd die Schachtel hin. Die Zigarette beruhigte seine Nerven, warum hatte er nicht eher daran gedacht? Nun betrachtete er Carlos näher. Er war gutaussehend, intelligent und gut gebaut; und er flirtete mit ihm mit seinen schwarzen Augen. Sherlock blickte jetzt direkt in diese dunklen Augen, aber alles was er sah waren Johns wunderschöne blaue Augen….

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Er schwebte, trieb davon, ertrank …

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Sherlock japste. Carlos sah ihn stirnrunzelnd an und er versuchte, ihn zu beruhigen. "Es ist alles in Ordnung, es ist nur … ein schwerer Tag für mich heute."

"Für einen Mann wie Sie? Was kann für einen Mann wie Sie schwer sein?" fragte Carlos und lächelte ihm aufmunternd zu.

Ein trauriges Lächeln huschte über Sherlocks Gesicht. "Ich trauere um eine verlorene Liebe."

"Meine Mutter hat immer gesagt 'Liebhaber sind wie Busse, wenn man lange genug wartet, kommt bestimmt der Nächste.' Ein Mann wie Sie hat doch bestimmt reichlich Angebote."

Er antwortete nicht. Schweigend rauchten sie ihre Zigaretten, dann erhob Sherlock sich. "Ich muss gehen."

"Vielleicht können wir uns noch mal treffen?" versuchte Carlos es. "Ich würde Sie sehr gerne wiedersehen."

"Nein, ich - bleibe nicht hier in London. Trotzdem … Danke." Er war ein wenig verwirrt, als er langsam nach Hause ging.

Nur zehn Minuten später hielt eine schwarze Limousine neben ihm und die Tür öffnete sich. Sherlock seufzte, Mycroft. Er fragte sich, warum es so lange gedauert hatte.

"Hallo, kleiner Bruder. Wie geht es dir?"

"Oh bitte, Mycroft, ist das wirklich Notwendig? Was willst du?"

"Sherlock, ich mache mir Sorgen. Lestrade hat mich angerufen und irgendetwas von einer irritierten Sergeant Donovan erzählt; und Miss Hooper war total durcheinander weil du dich bei ihr bedankt hast. Und dann habe ich dich in einem Café sitzen sehen, rauchend, mit einem anderen Mann. Was hat das zu bedeuten?" In Mycrofts Gesicht konnte er echte Besorgnis erkennen.

Sherlock räusperte sich. "Ich bin in Ordnung, wirklich, Mycroft. Aber ich habe entschieden, dass sich etwas ändern muss, ich kann so nicht mehr weitermachen." Das war nicht gelogen, fügte er in Gedanken hinzu, er wollte heute etwas ändern.

"Und der Whiskey?"

"Du hast doch bereits mit Greg telefoniert, du weißt also, dass er heute Abend vorbeikommt." Sherlock wurde langsam ungeduldig. "Halt den Wagen an, ich will den Rest zu Fuß gehen."

Mycroft nickte und gab dem Fahrer ein Zeichen anzuhalten. "Pass auf dich auf, kleiner Bruder."

Als Sherlock ausgestiegen war drehte er sich noch einmal um. "Danke, Mycroft." Dann ging er.

Nun war Mycroft wirklich ernsthaft besorgt. Er griff zum Telefon und begann, einige Anrufe zu machen.

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Sherlock schloss die Haustür auf und sofort kam Mrs. Hudson aus ihrer Wohnung geschossen. "Sherlock, mein Lieber, ich habe ein paar Schoko-Biskuits gebacken, möchtest du sie nicht einmal probieren?

"Sie wissen, dass ich Ihren Kuchen liebe, wie könnte ich widerstehen." Mühsam rang Sherlock sich ein Lächeln ab. Mrs. Hudson schien erleichtert zu sein und er folgte ihr in ihre Wohnung. Sie tranken Tee und sprachen über Mrs. Turner von Nebenan und Sherlock erfuhr die letzten Gerüchte und den neuesten Klatsch, bis er der Meinung war, dass es genug war.

"Es tut mir leid, Mrs. Hudson, aber ich muss jetzt gehen. Inspector Lestrade kommt noch vorbei."

"Oh, hast du einen neuen Fall? Worum geht es? Ich habe gar nichts in der Zeitung gelesen." Jetzt war sie wirklich neugierig.

"Nein, wir wollen nur was zusammen trinken", er hob die Tasche hoch und sie lächelte ihn strahlend an. "Ich bin so froh, dass es dir wieder besser geht, mein Lieber." Zweifellos hielt sie es für ein gutes Zeichen, dass er sich mit dem DI außerhalb der Arbeit traf.

"Gute Nacht, Mrs. Hudson."

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Langsam stieg er die Stufen zu seiner Wohnung hoch. Es war so ruhig dort oben, und er fühlte sich so einsam ohne John, kalt und leer, wie seine Wohnung. Er hatte nichts verändert, nichts von Johns Sachen entfernt, aber es hatte nichts geholfen, die Wohnung war kein Zuhause mehr.

Um der Stille zu entgehen, legte er eine CD ein. 'Vocalise' von Rachmaninow, die hatte John besonders gemocht. Mit geschlossenen Augen stand er am Kamin und hörte das sehnsüchtige Seufzen von David Garretts Geige. Seine eigene Geige hatte er schon vor Monaten weggepackt, zusammen mit dem Notenständer hatte er sie in irgendeinem Schrank verstaut. Anfangs hatte er versucht zu komponieren, etwas zu spielen, wie er es vor Jahren bei Irenes vermeintlichem Tod getan hatte. Damals hatte es ihm geholfen. Wie lange war das jetzt her? 9 - nein, eher 10 Jahre - aber es ging nicht, er hatte der Geige nicht einen sauberen Ton entlocken können, schließlich hatte er es aufgegeben. Seufzend dreht er sich um, sein Blick bleibt an Johns Sessel hängen.

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Sherlock sitzt im Sessel, er liest in einer forensischen Fachzeitschrift. Ihm gegenüber sitz John in seinem Sessel und liest einen Roman, irgendwas mit einem Anhalter; auf dem Buchtitel ist vorne ein Mann in einem grünen Bademantel zu sehen und auf der Rückseite steht ganz groß 'Keine Panik', wie albern. Plötzlich sieht John hoch, ihre Blicke treffen sich und Sherlock erwidert Johns Lächeln. "Was liest du?" John hält kommentarlos das Buch hoch, so dass Sherlock den Titel lesen kann: 'Per Anhalter durch die Galaxis'. Er runzelt die Stirn, ein Reiseführer für den Weltraum? Das ist allerdings albern. "Ein echtes Meisterwerk der Belletristik", stichelt er gutmütig. John seufzt nur, schließt für einen Moment die Augen und lauscht der Musik, ein sanftes Lächeln umspielt seine Lippen. "Was könnte schöner sein, als das jetzt, hier mit dir, dieser Augenblick." Seine nackten Zehen schubbern über Sherlocks bestrumpfte Füße; sein Blick ist warm und liebevoll. "Ich meine, wenn ich jetzt sterben würde, dann wär das o.k.." Sherlocks Augen werden ernst, "Für mich wär das alles andere als o.k., also halt die Klappe." Ein strahlendes Lächeln breitet sich auf Johns Gesicht aus, "Gute Antwort." Während Sherlock ihm noch einen langen nachdenklichen Blick zuwirft, wendet er sich wieder seinem Buch zu und es herrscht erneut das vertraute freundschaftliche Schweigen.

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Im Schlafzimmer ordnete er seine Papiere, legte die Schlüssel und seine Geldbörse daneben. Er hatte alles auf der Kommode vor dem Fenster arrangiert. Am Schrank hing der Anzug, den er tragen wollte, es sollte nichts dem Zufall, oder gar Mycroft, überlassen werden. Die Briefe legte er als Letztes dazu.

Dann ging er zu dem kleinen Safe im Wohnzimmer und öffnete ihn. Es war nicht Johns Waffe. Er hätte das bevorzugt, aber sie war von Mycroft vor vier Monaten beschlagnahmt worden. Also hatte er sich auf dem Schwarzmarkt eine andere besorgt, er hatte immer noch seine Kontakte aus seinem Obdachlosen-Netzwerk. Die Waffe war nicht so zuverlässig wie Johns, aber er war sich sicher, dass er auf diese Entfernung nicht danebenschießen würde.

Als er den Safe wieder schließen wollte, sah er ein Foto verkehrt herum unter ein paar alten Notizbüchern hervor lugen. Er nahm es in die Hand, dachte, es sei aus einem der Hefte gerutscht. Es traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube als er es umdrehte und er musste sich setzen. John strahlte ihn an; es war ein älteres Bild, so wie es aussah war es bei einem ihrer ersten gemeinsamen Fälle aufgenommen worden, wahrscheinlich hatte Greg es John später gegeben. Warum es wohl im Safe gelandet war? Sherlock sah sich die Hefte genauer an. Ah, Johns alte Notizbücher, 'Eine Studie in Pink', da kannten sie kaum länger al 24 Stunden. John und seine unmöglichen Titel, Sherlock musste unwillkürlich lächeln.

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"Geht es Ihnen gut?"

"Ja klar geht's mir gut."

"Sie haben grade einen Menschen getötet."

"Ja, ich … so ist es." John lächelt ihn an während er ihn aufmerksam beobachtet. " Aber er war kein besonders netter Mensch."

"Nein, war er wirklich nicht. Nein."

"Und als Taxifahrer war er miserabel."

Sherlock lacht, "Das stimmt, er war ein schlechter Taxifahrer. Sie hätten die Strecke sehen sollen, die er hierhergefahren ist."

Jetzt muss John lachen und Sherlock lächelte."Hören Sie auf, wir können doch hier nicht kichern, das ist ein Tatort."

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"Wer zur Hölle sind Sie denn?"

"Ich bin sein Doktor."

"Und nur ein Idiot streitet sich mit seinem Doktor!"

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Sherlock strich mit dem Daumen vorsichtig über das Foto, dann stand er auf, steckte es in die Innentasche seines Jacketts und schloss den Safe wieder. Mein Doktor … du warst dir deiner so sicher, dachte er, wie war es möglich, dass du dir immer so sicher warst? Er selbst war sich über gar nichts sicher. Das war in den letzten acht Monaten nicht besser geworden.

Sollte er sich aufs Sofa legen? Oder in seinen Sessel setzten? Vielleicht Johns Sessel? Er probierte alles aus, auch sein Bett, was ihm aber widerstrebte. Die Dusche? Er versuchte es, rutschte aber aus und brach sich fast den Fuß. Das fehlte noch, dass er sich hier verletzte und so gefunden wurde. Wie war es Möglich, dass es so schwierig war, den richtigen Platz zu finden, um sich zu erschießen? Das konnte doch nicht so kompliziert sein!

Sherlock wurde allmählich wütend. Das war alles nur Johns Schuld. Früher hätte er ihn einfach gefragt. Ohne zu bemerken, wie irrational dieser Gedanke war, starrte er die Waffe in seiner Hand an und war kurz davor sie quer durch die Wohnung zu werfen, als es an der Tür klingelte - Lestrade. Den hatte er ganz vergessen. Eigentlich sollte jetzt schon alles vorbei sein. Es klingelte wieder, diesmal ungeduldiger.

"JA!" schrie er, "ich komme ja schon!" Aber als er die Haustür öffnete erstarrte er. Nicht der DI stand vor ihm, sondern Mycroft, und sein Gesicht war aschfahl. Er hatte seinen Bruder noch nie so erschüttert gesehen, nicht mal als John … verschwunden war. Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter, Angst packte ihn, als er Mycroft so sah. Seine Kehle war wie zugeschnürt und er brachte nur ein heiseres Krächzen heraus. "Mycroft, was ist passiert?"

"John … wir haben John gefunden."