Entstanden für einen Wettbewerb mit dem Thema „Chaos"
Disclaimer: Alle hier verwendeten Figuren und besonderen Gegebenheiten des Harry Potter-Universums gehören nicht mir, sondern sind das geistige Eigentum von JKR. Sie sind lediglich entliehen und ich verdiene kein Geld mit dieser Geschichte.
Das einzige, was in den Bereich meines geistigen Eigentums gefällt ist die Plotidee dieser kleinen Geschichte.
Story:
Der Zeitumkehrer
Das
Schuljahr neigte sich dem Ende zu, schon am nächsten Tag würde
der scharlachrote Hogwartsexpress die Schüler nach Süden
bringen. Mitternacht war längst vorbei, doch Harry Potter lag
noch immer wach und starrte in den dunklen Betthimmel hinauf. Im Bett
neben ihm schnarchte Ron friedlich vor sich hin, während ein
paar Betten weiter Neville es endlich geschafft hatte, seine
Bettdecke auf den Boden zu verbannen.
Harrys Gedanken kreisten
immer wieder um die Ereignisse von vor ein paar Tagen... Er hatte
einen Paten, Sirius, der ihn nur zu gerne bei sich aufgenommen hätte,
ihn über die Ferien bei sich hätte wohnen lassen. Für
ein paar Stunden hatte Harrys Leben einfach nur schön
ausgesehen, einschließlich der Aussicht, nie mehr zu den
Dursleys zu müssen. Denn Sirius war unschuldig, hatte die Morde
nicht begangen, derer er beschuldigt wurde, hatte Harrys Eltern nicht
verraten. Das war Peter Pettigrew gewesen, der sich all die Jahre als
Rons Ratte Krätze versteckt hatte. Doch Pettigrew war entkommen,
hatte Harry abermals seines Paten beraubt – beinahe für immer.
Nur dank Hermiones Zeitumkehrer war es ihnen gelungen, Sirius vor den
Dementoren und zugleich Seidenschnabel vor dem Henker zu retten. Und
genau dieser Zeitumkehrer war es, der Harry auch jetzt noch, Tage
später, wach hielt. Weil er so viele Fragen aufwarf. Wie? Wieso?
Wieso nicht?
Schließlich hielt es Harry nicht länger in
seinem Bett aus. Er musste diese Fragen stellen, er brauchte
Antworten, oder andernfalls würde er noch verrückt werden.
Er kramte die Karte der Rumtreiber heraus und aktivierte sie.
Tatsächlich, ganz wie er gehofft hatte, war im Büro des
Schulleiters noch einen Punkt mit dem Namen Albus Dumbledore zu
sehen. Denn wenn einer seine Fragen beantworten konnte, dann
Professor Dumbledore. Rasch schlüpfte Harry in seine Hausschuhe
und warf sich den Tarnumhang um, dann schlich er aus dem
Gryffindorturm.
Erst als er an dem Wasserspeier ankam, der den
Zugang zum Büro des Schulleiters bewachte, wurde Harry bewusst,
dass er das Passwort nicht kannte, doch ein paar Süßigkeiten
später hatte er die Hürde überwunden.
Oben, in
seinem Büro, saß Professor Dumbledore, angetan mit
Morgenmantel und Nachtmütze, hinter seinem Schreibtisch und las
ein paar letzte Berichte. Als Harry eintrat und den Tarnumhang von
seinen Schultern zog, sah der Schulleiter auf. „Ah, Harry! Wie ich
sehe hat Professor Lupin dir den Umhang zurückgegeben." Er
zwinkerte seinem Schüler verschwörerisch zu und lud ihn
ein, sich zu setzen. „Was führt dich zu mir?"
„Sir,
wieso haben Sie damals nicht einen Zeitumkehrer benutzt, um meine
Eltern zu retten?", platzte Harry gleich mit der Frage heraus, die
ihn am meisten beschäftigte.
Dumbledore nickte verstehend,
als hätte er diese Frage schon erwartet, nahm seine Brille ab
und begann sie zu putzen. „Ja, wieso nicht", sagte er langsam.
„Sicherlich hätte das Ministerium damals während des
Krieges den Einsatz von Zeitumkehrern toleriert, oder?"
Abwartend
sah Harry den Schulleiter an, denn das war ja genau das, was er
meinte.
„Doch wie festlegen, wann wir in der Zeit zurückreisen?
Wie entscheiden, wen wir retten? Deine Eltern? Nevilles Eltern? Ganze
Familien, wo auch die Kinder, die heute deine Klassenkameraden und
Freunde sein könnten, getötet wurden?"
„Aber warum
nicht einfach alle retten? Oder es zumindest versuchen?",
widersprach Harry. Wenn damit so viel Leid hätte verhindert
werden können?
„Und was hätte die Todesser daran
hindern sollen, ebenfalls Zeitumkehrer zu benutzen und uns dennoch
zuvorzukommen? Du musst bedenken, dass damals im Ministerium sowohl
unerkannte Anhänger Voldemorts als auch unsere Leute
arbeiteten", erklärte der Schulleiter.
„Und Voldemort?
War er an allen diesen Überfällen beteiligt? Wieso hat man
nicht versucht ihn vorher zu besiegen? Mit dem Zeitumkehrer? Wenn man
so wusste, wann er wo war?", bohrte Harry weiter.
Dumbledore
neigte zustimmend den Kopf. „In dieser Hinsicht war der Angriff auf
deine Eltern in der Tat außergewöhnlich. Denn Voldemort
war nicht bei allen Angriffen der Todesser dabei, wohl aber bei
einigen. Und so wussten wir hinterher eigentlich nie, ob er direkt
beteiligt gewesen war oder nicht. Außer eben bei deinen Eltern.
Denn du hast überlebt. Voldemort konnte dich nicht töten
und verlor bei dem Versuch all seine Macht." Dumbledore bemerkte,
dass Harry sich durch diese Worte bestätigt fühlte und
ungeduldig auf eine Antwort zu seiner ursprünglichen Frage
wartete. Er lächelte milde. „Was wäre der Preis gewesen,
wenn wir in der Zeit zurückgereist wären, um Lily und James
zu retten?"
Harry schwieg. Er begann dumpf zu ahnen, dass der
Schulleiter gleich mit Argumenten aufwarten würde, die ihn dazu
bringen sollten, den Tod seiner Eltern als notwendig zu akzeptieren.
„Wenn wir deine Eltern gerettet hätten, wie hätte
dann die Zukunft ausgesehen? Wäre Voldemort dann auch an jenem
Tag besiegt worden?" Dumbledore schüttelte den Kopf. „Das
kann keiner sicher sagen. Hätten wir aber deine Eltern gerettet
und Voldemort wäre nicht besiegt worden, wäre der Krieg
weitergegangen, und es hätte noch mehr Tote gegeben." Hier
machte der Schulleiter eine kleine Pause, ehe er lächelnd
fortfuhr: „Und dann, sieh dir die heutigen Erstklässler an.
Gut ein Viertel von ihnen wäre heute nicht hier, hätte es
damals vor knapp 13 Jahren nicht überall im Land Siegesfeiern
gegeben."
„Also haben Sie damals die Sicherheit gewählt,
dass Voldemort besiegt war, für den Preis des Lebens meiner
Eltern?" Harry konnte nicht verhindern, dass seine Stimme bitter
klang, obwohl er Dumbledore nicht wirklich widersprechen konnte.
Der
Schulleiter seufzte mitleidig. „Ja, hart ausgedrückt, hast du
Recht. Es war die einfachste Lösung in einer überaus
chaotischen Zeit. Eine Lösung, nach der sich alle gesehnt
haben."
Harry schwieg für einen Moment, was sollte er auch
groß darauf erwidern? Allerdings waren seine Eltern in seinen
Augen nicht die einzigen, die mittels eines Zeitumkehrers vielleicht
hätten gerettet werden können. Auch wenn es nicht um den
Tod der betreffenden Person ging, sondern nur um ein Unrecht, das sie
nicht begangen hatte, wofür sie aber bestraft worden war. „Und
was ist mit Sirius? Pettigrew konnte ja nur deshalb davonkommen, weil
es vor 13 Jahren keine überlebende Zeugen gab und er seitdem als
tot gilt. Sie bräuchten doch nur in der Zeit zurückzugehen
und könnten bezeugen, dass es Pettigrew und nicht Sirius war",
begehrte er auf.
„Heute wissen wir das, ja", entgegnete
Dumbledore nachsichtig. „Doch hast du dir einmal überlegt, wie
viele Stunden 13 Jahre sind? Zu viele Stunden für einen
Zeitumkehrer."
„Aber nicht zu viele Stunden, um Pettigrew
heute, also vor ein paar Tagen, dem Ministerium auszuliefern. Wir
wissen, dass er sich als Krätze getarnt hat. Es wären doch
nur ein paar Tage! Wenn wir ihn als Ratte sofort von Hagrid zu
Professor Lupin bringen und ihm alles erklären, kann er
Pettigrew zwingen sich zu zeigen." Wäre es nach Harry
gegangen, wäre er noch in dieser Sekunde aufgebrochen.
„Harry,
Harry." Dumbledore schüttelte den Kopf. „Hast du denn die
Warnung vergessen, die ich dir und Hermione noch mitgegeben hatte?
Dass ihr darauf achten müsst, dass niemand euch sieht? Was
meinst du wieso? Die Zeit ist etwas sehr Sensibles, jede Störung
bewirkt ein großes Chaos. Dass du einen Patronus
heraufbeschworen hast, um dich und Sirius zu retten war schon hart an
der Grenze und hätte leicht schief gehen können. Zum Glück
hast du dich bei der ersten Begegnung für deinen Vater gehalten.
Bei dem aber, was du jetzt vorschlägst, müsstest du direkt
in Kontakt mit dir treten. Doch würdest du dir selbst glauben?
Würden Ron, Hermione und Professor Lupin dir glauben? Nun ja,
was das Zeitreisen betrifft, vielleicht. Zumindest Hermione dürfte
dir glauben. Aber bezüglich Sirius Black und Peter Pettigrew?"
Abermals schüttelte Albus Dumbledore den Kopf. „Und selbst
wenn es dir gelänge, sie zu überzeugen, was wird dann aus
dem ursprünglichen Zeitablauf, der ja geschehen ist und somit
existiert? Oder aus dir und Hermione, als ihr zurückgereist
seid? Das ist auch geschehen. Eure erste Reise ging nur deshalb so
glatt, weil es genug unbeobachtete Momente gab, in die ihr schlüpfen
konntet, ohne dass es etwas am ersten Zeitgeschehen geändert
hat. Gingest du aber jetzt zurück, könntest du dich ganz
schnell in einem Zeitparadoxon gefangen finden, und mit jedem
Durchgang würde die Verwirrung zunehmen."
Harry brauchte
ein paar Momente, um diesem Gedankengang zu folgen. Doch dann sah er
ganz klar, worauf der Schulleiter hinauswollte: Gelang es ihm, seine
Freunde zu überzeugen, wurde dieser Besuch bei Dumbledore
überflüssig. Doch dann würde er nicht die
Notwendigkeit sehen zurückzureisen, und es somit vielleicht auch
nicht tun. Aber das hätte zur Folge, dass alles so geschah, wie
es jetzt der Fall war. Zwar könnte er sich selbst befehlen, die
Reise anzutreten, aber indem er sich anderen zeigte, waren auch
Menschen involviert, auf deren Handlungen er keinen Einfluss hatte,
die vielleicht ebenfalls Dinge getan hatten, die sie wieder tun
müssten, aber vielleicht nicht tun würden. Harry konnte vor
seinem inneren Auge förmlich sehen, wie das ganze immer weitere
Kreise zog. Blinzelnd schüttelte er den Kopf, um die zunehmend
verwirrenderen Gedanken zu verscheuchen. So kompliziert hatte er es
sich nicht vorgestellt. „Sir, waren es auch solche Gedanken, die
damals dazu geführt haben, dass man vom Einsatz von
Zeitumkehrern als Mittel im Kampf gegen Voldemort abgesehen
hat?"
Dumbledore nickte zustimmend. „Ja, zum Teil spielten
solche Betrachtungen auch eine Rolle." Kurz überlegte er, ob
er Harry vielleicht von der Prophezeiung erzählen sollte, die
Sibyll Trelawny über ihn und Voldemort gemacht hatte, die ja
zusätzlich gegen ein Eingreifen in die Geschehnisse in Godric's
Hollow gesprochen hatte. Doch er entschied sich dagegen, denn er sah,
dass Harry für diese Nacht schon genug neue Gedanken zu
verarbeiten hatte.
Tatsächlich schwieg Harry nach der
letzten Antwort Dumbledores. Erst nach Minuten schien er sich zu
erinnern, dass er noch immer im Büro des Schulleiters war, und
diesen vom Schlafen abhielt. Ein wenig schuldbewusst verabschiedete
er sich von dem Professor, weiter von einer einfachen Lösung,
die seinen Wünschen entgegenkam, entfernt als zuvor, aber um ein
paar wichtige Erkenntnisse über das Chaos von Zeitreisen
reicher.
Als sich die Tür hinter Harry schloss, trat ein
alter Mann mit langem, weißen Bart und einer halbmondförmigen
Brille aus dem Schatten. „Denkst du, dass du ihn dieses Mal
überzeugt hast?"
„Ich weiß es nicht",
antwortete Dumbledore. „Aber ich hoffe es." Und er nickte sich
selbst zu.
