In Triumph und Vae victis schienen die Malfoys am Ende. Doch weder Lucius noch seine Familie geben je auf. Drei kleine Einblicke in die Welt nach dem Krieg. Betagelesen von Slytherene und Alcina vom Steinsberg. Vielen Dank!

Eins: Unbeugsam

Die Flüssigkeit schmeckte brennend scharf auf der Zunge; sie entzündete ein Feuer in seiner Kehle und schien auf dem Weg in den Magen die gesamte Speiseröhre zu entflammen. Lucius Malfoy verzog die Lippen ein wenig und nahm einen zweiten tiefen Zug aus dem prachtvollen Pokal. Grimmige Zufriedenheit wallte in ihm auf, als die zerrenden Schmerzen in seiner Seite einem dumpfen Druck wichen und sich das heftige Zittern seiner Hände in nunmehr feinschlägigen Tremor wandelte.

Es war gut gewesen, sich in der Winkelgasse einen ordentlichen Vorrat der Substanz zu beschaffen, die Apotheker Theriak in einer unscheinbaren Flasche und mit umständlicher Geste unter dem Ladentisch hervorholte, um sie rasch in einem braunen Beutel verschwinden zu lassen, der ob seiner Schäbigkeit Malfoys Augen beleidigte.

Mit verdünntem Branntwein angerührt, vermochte das blaßbraune Pulver jedoch als einziges die anfallsweise auftretenden Nachwirkungen der Mißhandlungen, die ihm sowohl durch die Wärter Azkabans als auch durch seinen eigenen Herrn und Meister zuteil geworden waren, auf ein tolerables Maß abzumildern.

Er hatte weder Kosten noch Mühen gescheut, sich die bestmögliche Behandlung unter diskretesten Bedingungen angedeihen zu lassen, doch gegen die tückischen Anfälle waren die Heiler machtlos – wie Lucius wohl wußte. Viele Male hatte er Folter- und Prügelflüche selbst angewandt, vom Dunklen Lord darin unterrichtet, daß gegen die Spätwirkungen kaum etwas unternommen werden konnte. Sie nun am eigenen Leib zu erleben, entbehrte nicht einer gewissen Ironie.

Verächtlich griff er nach einem sauber gesiegelten Brief, öffnete ihn und überflog die akkuraten Zeilen mit wachsendem Unmut, in den sich ein unwillkommener Hauch Panik mischte. Wie konnte sie es wagen, seine Einladung zum Dinner auszuschlagen? In welcher Position befand sie sich, ihn herauszufordern? Wollte sie ihn wirklich in den Trümmern des Zaubererschlosses empfangen?

Malfoy schleuderte den Brief angewidert zurück auf den Tisch und ließ sich in einen luxuriösen Sessel sinken. Das erlesene Leder gab gerade genug nach, um eine würdige Bequemlichkeit zu ermöglichen. Er schlug die Beine locker übereinander und lehnte den Kopf gegen das Kaschmirplaid, das ihm Narcissa erst kürzlich geschenkt hatte, weil er seit den Veränderungen fast immer fror, wenn er längere Zeit stillsaß. Von dieser Position aus fiel sein Blick zwangsläufig auf den mächtigen Kamin, und eine kalte Faust schloß sich um seine Eingeweide.

Vor nicht allzu langer Zeit waren alle hier Zeuge geworden, wie er seinen Zauberstab an den Dunklen Lord aushändigen mußte, als sei er ein dummes, ungehorsames Kind. Verhöhnt hatte ihn der, für dessen Sieg er einst bereit gewesen war, alles zu tun, verhöhnt, verlacht und es zugelassen, daß sich auch die anderen über ihn lustig machten. Die Verfehlung, die Prophezeiung nicht überbracht zu haben, vergab Voldemort ihm nie. Der Anfang vom Ende. Ins Gefängnis war er für ihn gegangen, für die Sache, aber dem Dunklen Lord war es nicht sonderlich eilig gewesen, einen seiner eifrigsten Anhänger aus dem Höllenloch zu befreien. Lucius zweifelte keinen Augenblick daran, daß man ihn schmoren ließ, um ihn zu strafen. Kurz nach seiner Befreiung und in dem verzweifelten Versuch, in der Gunst Voldemorts wieder zu steigen, offerierte er, die Zusammenkünfte fortan auf Malfoy Manor stattfinden zu lassen, obwohl ihm nach dem Aufenthalt in Azkaban nicht der Sinn nach engem Kontakt zu einer Horde ungewaschener Wilder stand. Zum Dank durfte er mitansehen, wie man seinen Sohn verspottete und mußte zu den eigenen Erniedrigungen schweigen.

Scham färbte seine Wangen glühend rot, wenn er sich vor Augen führte, wie stolz und unnachgiebig seine Frau all dies ertragen hatte. Ihre schönen Züge waren hart wie Granit geblieben, in ihrem eisigen Blick stand nichts zu lesen, und ihr Nacken beugte sich einzig vor dem Dunklen Lord – wenn auch zunehmend widerwillig, wie es ihm im Rückblick erschien.

Nur einmal gestattete sie sich zu weinen und das auch nur, weil sie annahm, er schliefe. Zu diesem Zeitpunkt hielt sie Wache über seinen geschundenen Körper und konnte unmöglich ahnen, daß er ihre Tränen bemerken würde.

Daß Harry Potter ausgerecht aus Malfoy Manor entkommen war, direkt unter Lucius' Augen, übertraf die Schande der verlorenen Prophezeiung bei weitem. Voldemorts Zorn war fürchterlich gewesen. Er berief ein Treffen ein, damit niemand dem Exempel fernblieb, das er zu statuieren gedachte. Lucius erinnerte sich an wirbelnde Panik, die er nicht zu unterdrücken vermochte, später an irren Schmerz und seine eigenen Schreie. Ironischerweise hatte er kein einziges Mal das Bewußtsein verloren; es gehörte zur Strafe, direkter Zeuge der Entwürdigung zu werden ohne die Chance, in barmherzigem Dunkel versinken zu können.

Malfoy schloß die Augen. Sein Herz hämmerte dumpf gegen die Rippen; er spürte kaum, wie sich seine Hände zu Fäusten ballten. Die majestätische Ruhe des herrschaftlichen Salons genügte nicht, die ohnmächtige Wut, die sich seiner bemächtigte, zu besänftigen, obgleich er oft einfach nur dasaß, die Annehmlichkeiten des Besitzes auf sich wirken ließ und allein daraus tiefe Befriedigung zog.

„Ein Malfoy befielt." Lucius sah noch seinen Vater vor sich, der es als seine Pflicht erachtete, dem Sohn diesen Leitsatz wieder und wieder einzuschärfen. Und doch hatte er, Lucius, sich willig befehlen lassen, war vor Voldemort gekrochen, um zu erbitten, daß seiner Familie aber auch ihm selbst weiteres Leid erspart bliebe. Der einzige, lächerliche Triumph bestand darin, sich in der alles entscheidenden Schlacht passiv zu verhalten und nichts dazu beizutragen, einen Sieg zu erstreiten, für den er noch vor wenigen Monaten alles gegeben hätte.

Immerhin, durchzuckte es ihn mit grimmigem Zynismus, der Zeitpunkt des Rückzugs war günstig gewählt. Exzellenten Anwälten gelang das Kunststück, die einzig zerstörten Hoffungen geschuldete Abkehr vom Dunklen Lord als Einsicht in schreckliche Fehler und Reue zu verkaufen, so daß schließlich die Anklagen gegen ihn fallengelassen wurden. Obgleich weder Narcissa noch er jemals gewagt hatten, sich in Absprache etwaige Handlungsmuster zurechtzulegen, hatte es funktioniert.

Malfoy rieb sich die Schläfen und gab ein wenig der stolzen Position auf, indem er sich tiefer in die Polster sinken ließ. Vielleicht würden die Rückenschmerzen so erträglicher sein. Verächtlich schob er den Pokal mit den Resten der Branntweinlösung außer Sichtweite. Die Dosis zu erhöhen kam nicht in Frage, es sei denn, er legte Wert auf eine Speiseröhrenverätzung. Lucius' Mundwinkel verzerrten sich in einer bitteren Mischung aus Enttäuschung, Zorn und Abscheu, doch hinter den Lidern brannten tückische Tränen. Severus Snape hätte ihm einen Trank zusammenstellen können, der hielt, was er versprach. Snape, der Freund, von Voldemort kaltblütig ermordet, obwohl er zu diesem Zeitpunkt nichts von der Spionagetätigkeit des Tränkemeisters ahnte. Malfoy schüttelte energisch den Kopf, um die unliebsamen Gedanken zu vertreiben. Später würde er über Snape nachdenken, später…

Federleichte Schritte näherten sich auf dem Gang, und ohne sich umzuwenden ahnte er Narcissas Grazie, spürte ihre kühle, trostbringende Gegenwart lang bevor sie den Salon betrat.

„Schlaflos?", vernahm er ihre klare Stimme weich durch die Stille der Nacht, und er wünschte, sie möge weitersprechen, ihn trösten mit dem Klang ihrer Worte, in den er sich einzuhüllen sehnte wie in einen kostbaren Umhang.

Narcissa glitt zu ihm; ihre Seidenrobe umfloß ihre schmale Gestalt, ohne einen Laut zu verursachen. Im dämmrigen Licht, das die Kerzen verströmten, wirkte sie so überirdisch schön, daß Lucius für Augenblicke Gram und Schmerz vergaß und an nichts dachte, als sie in die Arme zu schließen, sie, für deren Rettung er in den Tod gegangen wäre.

Sie neigte sich zu ihm und hauchte einen Kuß auf seine Stirn. Ihr zarter Duft nach Citrus erinnerte süß und kummervoll an glückliche Stunden. Malfoy preßte die Lippen fest aufeinander – eine Geste, die er oft an Snape gesehen und im Stillen belächelt hatte. Severus würde… Später, erinnerte er sich streng, Gedanken an Severus später.

„Kann ich etwas für dich tun?", erkundigte sich Narcissa mit einer liebevollen Selbstverständlichkeit, die an seiner Selbstbeherrschung rüttelte und es immer schwerer machte, die Tränen zurückzuhalten.

Entschlossen stemmte er sich aus dem Sessel hoch und strich seiner Frau zärtlich über die Wange. Sie anzusehen wagte er nicht.

Sofort nach der Einstellung des Verfahrens hatte er begonnen, am Wiederaufbau seiner gesellschaftlichen Position zu arbeiten, hatte verbissen den Erfolg über Abscheu und Ressentiments gestellt und war zu Treffen gegangen, auf denen man ihm mit Mißtrauen und Häme begegnete, hatte alles getan, um auf dem Boden des Umbruchs nicht den Halt zu verlieren und seinem Sohn Draco die Zukunft zu ebnen. Ein Malfoy gehörte an die Spitze. Daß sich daran nichts änderte, dafür würde er sorgen. Unwichtig die Träume, die ihm bisweilen den Schlaf raubten, irrelevant, wie es tief in seiner Seele aussah. Er hatte sich einmal vertan und zwar gewaltig. Ein zweites Mal passierte ihm das nicht.

Die Augen davor zu verschließen, wie Voldemort mit denen verfuhr, die er nicht mehr benötigte und die Gefahr zu verkennen, selbst einmal in diese Position zu gelangen, hatten ihm all die Niederlagen eingebracht. Welche Sieger kümmerten schon die Besiegten?

Morgen würde er den Grundstein für die endgültige Rückkehr in die respektable Gesellschaft legen. Hogwarts lag in Ruinen. Ohne beträchtliches Privatvermögen konnte ein Wiederaufbau nicht stattfinden, so gut kannte Lucius die Finanzlage des Ministeriums allemal. Die zweite Chance seines Lebens.

Wenn nur Minerva McGonagall, die alte Hexe, nicht darauf bestanden hätte, ihn im Schulleiterbüro zu treffen, das wie durch ein Wunder kaum beschädigt worden war. Ihm graute vor dem Gedanken, so bald schon an den Ort der letzten, fulminanten Schlacht zurückzukehren. Obgleich er seine persönliche Niederlage und damit die Zerstörung seines Lebens viel früher, nämlich beim Verlust der Prophezeiung, erlitten hatte, bündelte Hogwarts alle Schmähungen, fungierte als das Symbol für das Ende der Vision einer dunklen Gesellschaft, in der er eine einflußreiche Position bekleidet hätte – wenn, und nur wenn er nicht schon vorher in Ungnade gefallen wäre.

Es war entsetzlich anstrengend, sich unangefochten und souverän zu geben, wenn einem die Geister der Vergangenheit im Nacken saßen und man am liebsten vor ungerichtetem Ärger und Scham aufgeschrieen hätte.

Gewaltsam riß sich Malfoy aus dem Gespinst seiner Gedanken. Wie lange stand er schon reglos mitten im Raum? Wann hatte sich Narcissa an seine Seite begeben? Sie schien immer zu wissen, wann er ihrer besonders bedurfte. Ihre Hand ruhte sanft auf seiner Schulter.

Überwältigt preßte er sie an sich, vergrub das Gesicht in ihrem seidigen Haar und flüsterte erstickt: „Ach, Cissy."

Sie erwiderte die Umarmung mit einer nur für ihn reservierten Hingabe. Ihre Finger glitten behutsam seine schmerzende Wirbelsäule entlang, und sie sagte ernst: „Sie hat abgelehnt, nicht wahr? Du sollst sie in Hogwarts aufsuchen. – Verflucht soll sie sein."

Lucius lachte bitter und vergaß ganz, wie sehr es ihm gefiel, wenn seine Frau Verwünschungen in perfekte Höflichkeit und einen für sie typischen Singsang kleidete.

„Das wäre gerade jetzt kein guter Schachzug", entgegnete er verächtlich und löste sich von ihr. Verstohlen rieb er sich die Hände. Die Finger waren taub und zitterten wieder stärker. In ein paar Stunden würde der Anfall vorüber sein, am besten nicht darüber nachdenken – und auch nicht über Scham und Haß, nicht über Trauer und Schmerz und schon gar nicht darüber, wie es hätte sein können, wäre seinerzeit im Ministerium alles anders verlaufen. Dann und nur dann würde er morgen den Charme und die Selbstsicherheit ausstrahlen können, derer es bedurfte, die Reputation seiner Familie wieder herzustellen. Für jämmerliches Selbstmitleid gab es keinen Platz, das hatte er auch Draco eingeschärft.

Wortlos faßte Narcissa seine kalte, gefühllose Hand und küßte die Tränen von seinen Wangen.

„Komm", sagte sie weich. „Manches muß man allein mit sich ausmachen, anderes jedoch nicht."

Lucius nickte stumm. Es tat so unendlich wohl, von ihr getröstet zu werden. Sie verschenkte ihre Anteilnahme sparsam, aber gerade dies machte es für ihn leichter, Schwäche zu zeigen. In ihren Armen hatte er die schlimmsten Nächte überstanden, ohne sich dafür schämen zu müssen; sie versicherte ihm durch subtile Gesten oder einzelne Anmerkungen, daß sie seine Entscheidungen mittrug und er sich in ihren Augen nicht durch sein Verhalten entwürdigt hatte.

„Ach Cissy", wiederholte er heiser und schlang die Arme um sie. „Mir graut so vor morgen."

Sie streichelte liebevoll seine Schultern. Als sie sprach, wählte sie ihre Worte sorgsam. „Ich weiß", bestätigte sie leise. „Mir ginge es nicht anders. Dennoch wirst du brillieren und es McGonagall zeigen. Vergiß nicht, wir sind es, die ihr etwas anzubieten haben. Sie kann nicht ablehnen."

Als er sie wortlos enger an sich preßte, spürte sie sein Beben. „Während du bei McGonagall bist", entschied sie, „statte ich Valentina Al-Hafedh einen Besuch ab."

„Wer ist das?" Malfoy ließ sie los und stemmte eine Hand gegen die Wirbelsäule. Er wirkte grau und elend.

„Eine Tränkemeisterin der Flamelstiftung, die ich gut kenne", sagte Narcissa sanft. „So darf das nicht weitergehen." Sie zückte ihren Zauberstab und wirkte einen überraschend erfolgreichen Dolorcalmus.

„Die Malfoys gehören an die Spitze, ja?" Lucius' Lippen verzogen sich zu einem unwillkürlichen, erleichterten Lächeln.

„So ist es", bestätigte seine Frau ernsthaft. Sie strich ihm eine helle Strähne aus den Augen. Er faßte nach ihrer Hand. Die fast empfindungslosen, zitternden Finger um ihre zu schließen, fiel schwer, aber sie erwiderte den ungelenken Druck fest und zuversichtlich.

„Komm", wiederholte sie sanft.

Welch verlockende Vorstellung, in ihren Armen endlich ein wenig Ruhe zu finden. Lucius Malfoy löschte die Kerzen und schloß die prachtvolle Tür des Salons lautlos hinter sich.

Vielen Dank an J.K. Rowling für die Erfindung dieser inspirierenden Charaktere.