Manchmal kennen einen seine Feinde besser als sein Freunde
Harry rannte durch den Wald. Alle Ereignisse überschlugen sich in seinem Kopf. Er konnte nicht mehr klar denken, wollte nur fort, weit weg, um sich über Einiges klar zu werden.
Bald hatte der Junge die Schule erreicht. Schnell rannte er hoch zum Gryffindor-Turm und in seinen Schlafsaal, griff nach seinem Feuerblitz, öffnete das Fenster und flog in die Nacht hinaus, ohne, dass ihn jemand bemerkte.
~~~
Mit Schrecken sah Sirius, wie Harry wegrannte. „Nein!" Sofort setzte er sich in Bewegung und folgte dem Jungen, dicht gefolgt von Severus Snape.
„Die Wand ist verschwunden!" Dumbledore war überrascht, ließ sich jedoch nicht ablenken und steuerte schnurstracks auf Ron zu. Auch wenn Harry verschwunden war, musste er sich zuerst um die Verletzten kümmern. Er ließ eine Trage erscheinen, auf die er den Jungen legte. Während der Schulleiter auch Cho auf eine Trage verfrachtete, war Hermine zu Ron gerannt.
Auf dem langen Weg zum Schloß ging Hermine neben Ron her und strich ihm beruhigend durchs Haar. Die beiden Verletzten waren nicht bei Bewußtsein.
„Professor Dumbledore... Was... Was ist da passiert?" fragte Hermine plötzlich. „Warum hat sich der Fluch einfach so vor Harry aufgelöst? Das ist doch eigentlich unmöglich!"
„Es gibt Dinge, für die wir gewöhnlichen Menschen keine Erklärung finden. Mit Manchem müssen wir uns einfach abfinden."
„Haben Sie denn wirklich keine Erklärung?"
Dumbledore schüttelte den Kopf, doch damit wollte sich Hermine nicht zufrieden geben. Sie hatte irgendwie das Gefühl, daß der Schulleiter etwas verheimlichte. Doch in diesem Moment hatte sie andere Sorgen... Sie hofft nur, dass Ron wieder auf die Beine kommen würde... Und Cho natürlich auch.
~~~
Hermine ging im Flur vor dem Krankenflügel auf und ab. Jenny und Lara saßen zusammengekauert auf dem kalten Steinboden. Keine von ihnen sagte ein Wort, sie warteten nur darauf, daß Madam Pompfrey oder Dumbledore kommen und ihnen Bescheid über die Sachlage geben würden.
Schließlich kam der Schulleiter aus der Krankenstation, sein Gesicht war von Sorgenfalten durchzogen.
Sofort sprangen die drei Mädchen auf und fragten, wie es den beiden ging.
„Nicht allzu gut, leider," begann der Schulleiter. „Mr. Weasley wird in nicht allzu langer Zeit wieder auf den Beinen sein, daran besteht kein Zweifel. Er war eben kurz wach und schläft nun wieder." Dumbledore pausierte. „Miss Chang dagegen hat es schlimmer erwischt. Sie hat das Bewusstsein noch nicht wiedererlangt und, wenn Madam Pompfrey und ich uns nicht irren, hat sie," der Alte hielt erneut inne, „hat sie ihre Zauberkräfte verloren."
„Was?" fragte Hermine entsetzt. „Aber das ist doch gar nicht möglich!"
„Das habe ich bis zum jetzigen Zeitpunkt auch gedacht," antwortete Dumbledore mit gesenktem Kopf, „Jedoch scheint dies eine Nachwirkung des Fluchs zu sein und hat vielleicht auch mit Schwäche zu tun. Ich werde Miss Changs Eltern nun eine Eule schicken, damit sie sie abholen können. Wenn Sie mich nun entschuldigen würden." Dumbledore ging ein paar Schritte in Richtung Eulerei, bis er von Hermine aufgehalten wurde.
„Professor Dumbledore, dürfen wir die beiden besuchen?"
„Solange Sie sie nicht aufregen, sehe ich kein Problem," sagte der Schulleiter und setzte ein mehr oder weniger gezwungenes Lächeln auf.
Sofort ging Hermine in die Krankenstation, dicht gefolgt von Lara und Jenny.
Ron und Cho waren in zwei Betten, die nebeneinander standen, untergebracht. Hermine nahm sich einen Stuhl und stellte ihn zwischen die Betten, deutlich näher an das Rons, wie es Jenny sofort auffiel.
Jenny und Lara beschlossen nach einer Viertelstunde, in der sie schweigend am Bett der Kranken gestanden waren, lieber in ihre Gemeinschaftsräume zu gehen, um etwas Sinnvolles zu tun.
Sie verabschiedeten sich von Hermine, die es vorzog, noch etwas bei Ron zu bleiben, und gingen hinaus in die Flure des Schlosses. Dort trennten sich bald ihre Wege.
Über die Ereignisse nachdenkend lief Jenny mit gesenktem Kopf durch die leeren Gänge. Hermine hatte ihr genau erzählt, was passiert war, doch irgendwie konnte sie das alles nicht so glauben. Es war so unwahrscheinlich, so unrealistisch. Doch so war das eben in der Zaubererwelt. Alles war unabsehbar und alles war möglich.
Warum war Harry nur weggerannt? Wo war er? Es konnte auf keinen Fall gut sein, dass er so alleine da draußen war, wo er doch von jeder Menge böser Menschen gesucht und tot gewollt wurde. Am liebsten wäre Jenny auf der Stelle aufgebrochen, um ihn zu suchen, doch sie hatte keine Ahnung, wo.
Plötzlich stieß sie mit jemandem zusammen. Irgendwie schafften sie es, beide auf dem Boden zu landen. Als Jenny aufsah, blickten ihr Dracos Augen entgegen.
„Hallo!" begrüßte er sie. „Wie geht's?"
„Tut mir leid," stammelte Jenny sofort, rosa anlaufend, „Ich hab' nachgedacht und irgendwie nicht aufgepaßt."
„Ist ja kein Problem, ausserdem hab' ich auch gepennt," entgegnete Draco. „Aber warum so nachdenklich?"
„Hast du mitbekommen, was gestern Nacht passiert ist?"
Draco nickte, sehr zu Jennys Verwunderung, denn sie hatten niemandem etwas gesagt und auch Dumbledore hatte nichts bekanntgegeben.
„Woher-"
„Das spielt doch keine Rolle," unterbrach sie Draco unwirsch, er fing sich jedoch sofort wieder. „Sorry, ich wollte dicht anmotzen."
„Ist schon okay."
„Sorry, ich muss weiter," Draco sprang in Windeseile auf und war schon bald aus Jennys Blickfeld verschwunden.
Kopfschüttelnd stand Jenny auf und ging weiter in Richtung Ravenclaw-Turm.
~~~
Nach einiger Zeit, in denen Hermine jede freie Minute bei Ron in der Krankenstation verbracht hatte, nahte Weihnachten und Ron hatte sich schon wieder so gut erholt, dass es so aussah, als könne er an Weihnachten an der Feier teilnehmen. Die Flüche hatten ihm zwar keine schweren Verletzungen zugefügt, ihn aber dafür sehr stark geschwächt.
Cho war schon vor Wochen von ihren Eltern abgeholt worden. Sie hatte es noch viel schlimmer als Ron getroffen. Auch sie war stark geschwächt worden, doch irgendwie hatte sie ihre Zauberkraft verloren, genauso wie ihre Erinnerung. Es war wohl das Beste für sie, zu Hause noch einmal von vorne anzufangen.
Oft hatten sie darüber nachgedacht, wohin Harry gegangen war. Nun saßen sie wieder einmal alle beisammen und grübelten. Ron wäre ja, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre, blind mit einem Schulbesen losgezogen und hätte absolut überall gesucht. Hermine hatte ihn glücklicherweise davon abgehalten, denn selbst der Weg zu den Besen hätte verheerende Auswirkungen haben können. Statt dessen versuchte sie es wie immer mit Logik, die wohl aber an den ganzen Ereignissen zu Bruch gegangen war, denn sie war nicht mehr wirklich in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie machte sich natürlich auch große Sorgen um Harry, die Sorge um Ron war in Hermine jedoch stärker.
„Wenn wir bloß wüßten, wo er ist..." Ron saß aufrecht im Bett und hatte eine typische Denker-Pose eingenommen.
Kopfschüttelnd ließ er sich auf sein Bett fallen und schloß die Augen. „Ich glaube, es bringt nichts, daß wir hier so aufeinander sitzen," murmelte Ron. „Habt ihr denn schon eure Hausaufgaben fertig?" fragte er dann in die Runde.
Hermine nickte, Jenny und Lara hingegen schüttelten die Köpfe.
„Wäre vielleicht ratsam, wenn ihr sie macht," sagte Hermine in ihrem typischen Alleswisser-Tonfall.
Jenny und Lara verabschiedeten sich und verließen die Krankenstation. Bald trennten sich auch die Wege der beiden Erstklässlerinnen und beide gingen nachdenklich schweigend weiter.
Weiterhin über das Gesprächsthema, daß sie noch vor wenigen Minuten verfolgt hatten, nachdenkend schlenderte Jenny durch die Flure. Bald schon sah sie eine Person auf sich zukommen.
„Oh, hallo Draco!" begrüßte sie den Slytherin, der ihr entgegenlächelte.
„Hi Jenny! Na, was machst du so alleine?"
„Ich hab' gerade nachgedacht..." antwortete Jenny, immer noch grübelnd. „Warte 'mal... Ja, vielleicht kannst du mir helfen!"
„Womit denn?" Draco schaute sie verwundert an.
„Hör' 'mal, ich weiss, dass du und Harry, na ja, dass ihr euch nicht besonders gut versteht," setzte Jenny an.
„Und?" fragte Draco.
„Na ja, du hast bestimmt mitbekommen, daß Harry verschwunden ist. Wir machen uns wahnsinnige Sorgen, haben aber keine Ahnung, wo Harry hingegangen sein könnte," schloß sie.
„Und was hat das jetzt mit mir zu tun?" fragte Draco verdutzt.
„Manchmal kennen einen seine Feinde besser als sein Freunde. Ich dachte, du wüsstest vielleicht, wo er sein könnte," erklärte Jenny hoffnungsvoll.
„Ach so..." Draco begriff und überlegte kurz, dann sprach er weiter. „Das ist doch ganz einfach! Harry ist bei diesen Muggeln, wie heißen sie doch gleich?"
„Bei den Dursleys?" fragte Jenny verdutzt. „Aber warum? Er hasst sie, sie hassen ihn!"
„Potter will wohl als Märtyrer dastehen," lachte Draco. „Opfert sich, indem er von seinen Freunden weggeht und bei seinen dämlichen Muggel-Verwandten lebt. Es wundert mich, dass Granger und Weasley darauf nicht schon lange gekommen sind."
Draco hatte Jenny gerade eine Seite an sich offenbart, die sie bisher nicht kannte. Wie könnte man nur so abfällig über Andere sprechen? Jenny war irgendwie verunsichert.
„Aber wie würde er seine Freunde gefährden?" fragte Jenny.
Da fiel Draco ein, dass außer ihm ja kaum jemand das Gespräch mitbekommen hatte. „Das spielt jetzt keine Rolle," sagte Draco unwirsch, er durfte nicht preisgeben, dass er alles miterlebt hatte.
„Ähm," sagte Jenny zögernd nach einer langen, peinlichen Pause. „Könntest du, nun ja, wäre es möglich, dass..."
„Was denn?" fragte Draco, der es irgendwie langsam leid war, Jenny jedes Wort einzeln aus der Nase zu ziehen.
„Kannst du vielleicht zu ihm gehen und ihn bitten, zurückzukommen?" sprudelte es plötzlich aus ihr heraus. Warum, dass wusste sich auch nicht. Irgendwie brachte sie Draco großes Vertrauen entgegen. Natürlich vertraute sie auch Lara, Hermine und Ron, jedoch auf eine andere Art und Weise.
„Was?" fragte der blonde Junge verdutzt. „Warum gehen nicht Weasley oder Granger oder irgend jemand anderes?"
„Ron ist immer noch nicht auf den Beinen, Hermine ist irgendwie voll daneben und scheint selbst von ihren geistigen Kräften verlassen zu sein, Lara und ich sind noch nicht so gut im Fliegen, wir würden nur abstürzen," versuchte Jenny irgendwie zu erklären. „Und anders als per Besen kommen wir hier nicht weg, oder?"
„Ja," pflichtete Draco ihr bei und nickte.
„Und?" fragte Jenny unsicher.
„Was und?"
„Na ja, würdest du?" Nun setzte sie einen flehenden Blick auf, der dem eines Welpen sehr ähnelte.
„Von mir aus," sagte Draco etwas unwirsch. Er konnte nicht anders, er musste diesem Blick nachgeben. Er wusste zwar nicht, warum um alles in der Welt nun er das Ganze ausbaden musste und wie er es machen würde, aber er konnte einfach nicht ‚nein' sagen. „Und was soll ich ihm sagen?" fragte Draco unsicher.
„Sag' ihm, dass wir ihn vermissen und daß wir uns Sorgen machen," antwortete Jenny. „Bitte ihn, zurückzukommen."
„Er wird mich garantiert in hohem Bogen rausschmeissen."
„Ich bin sicher, du kriegst das hin!" murmelte Jenny. „Ich bin dir unheimlich dankbar," sagte sie noch, bevor sie mit einem leisen ‚Tschüs' auf den Lippen verschwand.
~~~
Draco wusste immer noch nicht, wie er sich dazu überreden lassen hatte. Mit seinem Nimbus 2001 stand er am offenen Fenster des Slytherin- Gemeinschaftsraums, eingepackt in einen warmen Umhang. Er schwang sich auf seinen Besen und flog durch das offene Fenster so schnell wie möglich davon, so dass ihn niemand bemerkte. Wenn sein Vater erfahren würde, was er da tat, war es um ihn geschehen, das war Draco klar. Aber wenn er vor Morgengrauen zurück sein würde, würde niemand etwas erfahren.
Als er das Hogwarts-Gelände verlassen hatte, landete er auf einer großen Wiese. Er holte seinen Zauberstab aus der Tasche und murmelte einige unverständliche Worte, die ihn und seinen Besen dazu brachten, sich aufzulösen und unmittelbar vor einem Straßenschild, auf dem ‚Ligusterweg' geschrieben stand, wieder aufzutauchen.
Zufrieden mit sich selbst, dass er es geschafft hatte, diesen schwarzen Zauber, den man alternativ zum Apparieren benutzen konnte, anzuwenden, stieg Draco vom Besen und lief nun auf das Haus mit der Nummer 4 zu. Seinen Besen ließ er über dem Rasen ganz nah am Haus schweben und machte ihn mit einem Stupsen seines Zauberstabs unsichtbar.
Draco trat nun auf die Haustürschwelle und klingelte. Nach wenigen Sekunden öffnete ihm ein Junge, der wohl in seinem Alter war. Fett wie Crabbe und Goyle, dachte Draco, nur nicht so stark und groß, eben nur fett. Verwundert schaute er Draco an und quiekte dann. „Was willst du?"
„Ich will zu Harry Potter!" verlangte Draco unwirsch, er wollte so schnell wie möglich von diesem Deppen von Muggel weg.
„Wer... Wer bist du?" stammelte der schweineähnliche Junge ängstlich.
„Ein Schulfreund," sagte Draco kalt.
Der Muggel-Junge zuckte zusammen und ließ den Draco ein. Mit einem Finger deutete er die Treppe hinauf, dann auf ein Zimmer. „Er ist oben." Dabei klang er extrem angsterfüllt. Potter schien das Problem mit den Muggeln doch in den Griff bekommen zu haben, dachte Draco.
Dudley keines weiteren Blickes würdigend ging er die Treppe empor und öffnete die Tür des Raumes, auf den der fette Junge gedeutet hatte.
Harry saß zusammengekauert auf dem Boden und sah unendlich elend aus, wie Draco feststellte. Blitzschnell schaute er auf. Draco blickte in die grünen Augen, die zu seiner Verwunderung mit jeder Menge Kälte und auch mit Hass gefüllt waren.
„Was willst du?" fragte Harry in einem eisigen Tonfall.
Harry rannte durch den Wald. Alle Ereignisse überschlugen sich in seinem Kopf. Er konnte nicht mehr klar denken, wollte nur fort, weit weg, um sich über Einiges klar zu werden.
Bald hatte der Junge die Schule erreicht. Schnell rannte er hoch zum Gryffindor-Turm und in seinen Schlafsaal, griff nach seinem Feuerblitz, öffnete das Fenster und flog in die Nacht hinaus, ohne, dass ihn jemand bemerkte.
~~~
Mit Schrecken sah Sirius, wie Harry wegrannte. „Nein!" Sofort setzte er sich in Bewegung und folgte dem Jungen, dicht gefolgt von Severus Snape.
„Die Wand ist verschwunden!" Dumbledore war überrascht, ließ sich jedoch nicht ablenken und steuerte schnurstracks auf Ron zu. Auch wenn Harry verschwunden war, musste er sich zuerst um die Verletzten kümmern. Er ließ eine Trage erscheinen, auf die er den Jungen legte. Während der Schulleiter auch Cho auf eine Trage verfrachtete, war Hermine zu Ron gerannt.
Auf dem langen Weg zum Schloß ging Hermine neben Ron her und strich ihm beruhigend durchs Haar. Die beiden Verletzten waren nicht bei Bewußtsein.
„Professor Dumbledore... Was... Was ist da passiert?" fragte Hermine plötzlich. „Warum hat sich der Fluch einfach so vor Harry aufgelöst? Das ist doch eigentlich unmöglich!"
„Es gibt Dinge, für die wir gewöhnlichen Menschen keine Erklärung finden. Mit Manchem müssen wir uns einfach abfinden."
„Haben Sie denn wirklich keine Erklärung?"
Dumbledore schüttelte den Kopf, doch damit wollte sich Hermine nicht zufrieden geben. Sie hatte irgendwie das Gefühl, daß der Schulleiter etwas verheimlichte. Doch in diesem Moment hatte sie andere Sorgen... Sie hofft nur, dass Ron wieder auf die Beine kommen würde... Und Cho natürlich auch.
~~~
Hermine ging im Flur vor dem Krankenflügel auf und ab. Jenny und Lara saßen zusammengekauert auf dem kalten Steinboden. Keine von ihnen sagte ein Wort, sie warteten nur darauf, daß Madam Pompfrey oder Dumbledore kommen und ihnen Bescheid über die Sachlage geben würden.
Schließlich kam der Schulleiter aus der Krankenstation, sein Gesicht war von Sorgenfalten durchzogen.
Sofort sprangen die drei Mädchen auf und fragten, wie es den beiden ging.
„Nicht allzu gut, leider," begann der Schulleiter. „Mr. Weasley wird in nicht allzu langer Zeit wieder auf den Beinen sein, daran besteht kein Zweifel. Er war eben kurz wach und schläft nun wieder." Dumbledore pausierte. „Miss Chang dagegen hat es schlimmer erwischt. Sie hat das Bewusstsein noch nicht wiedererlangt und, wenn Madam Pompfrey und ich uns nicht irren, hat sie," der Alte hielt erneut inne, „hat sie ihre Zauberkräfte verloren."
„Was?" fragte Hermine entsetzt. „Aber das ist doch gar nicht möglich!"
„Das habe ich bis zum jetzigen Zeitpunkt auch gedacht," antwortete Dumbledore mit gesenktem Kopf, „Jedoch scheint dies eine Nachwirkung des Fluchs zu sein und hat vielleicht auch mit Schwäche zu tun. Ich werde Miss Changs Eltern nun eine Eule schicken, damit sie sie abholen können. Wenn Sie mich nun entschuldigen würden." Dumbledore ging ein paar Schritte in Richtung Eulerei, bis er von Hermine aufgehalten wurde.
„Professor Dumbledore, dürfen wir die beiden besuchen?"
„Solange Sie sie nicht aufregen, sehe ich kein Problem," sagte der Schulleiter und setzte ein mehr oder weniger gezwungenes Lächeln auf.
Sofort ging Hermine in die Krankenstation, dicht gefolgt von Lara und Jenny.
Ron und Cho waren in zwei Betten, die nebeneinander standen, untergebracht. Hermine nahm sich einen Stuhl und stellte ihn zwischen die Betten, deutlich näher an das Rons, wie es Jenny sofort auffiel.
Jenny und Lara beschlossen nach einer Viertelstunde, in der sie schweigend am Bett der Kranken gestanden waren, lieber in ihre Gemeinschaftsräume zu gehen, um etwas Sinnvolles zu tun.
Sie verabschiedeten sich von Hermine, die es vorzog, noch etwas bei Ron zu bleiben, und gingen hinaus in die Flure des Schlosses. Dort trennten sich bald ihre Wege.
Über die Ereignisse nachdenkend lief Jenny mit gesenktem Kopf durch die leeren Gänge. Hermine hatte ihr genau erzählt, was passiert war, doch irgendwie konnte sie das alles nicht so glauben. Es war so unwahrscheinlich, so unrealistisch. Doch so war das eben in der Zaubererwelt. Alles war unabsehbar und alles war möglich.
Warum war Harry nur weggerannt? Wo war er? Es konnte auf keinen Fall gut sein, dass er so alleine da draußen war, wo er doch von jeder Menge böser Menschen gesucht und tot gewollt wurde. Am liebsten wäre Jenny auf der Stelle aufgebrochen, um ihn zu suchen, doch sie hatte keine Ahnung, wo.
Plötzlich stieß sie mit jemandem zusammen. Irgendwie schafften sie es, beide auf dem Boden zu landen. Als Jenny aufsah, blickten ihr Dracos Augen entgegen.
„Hallo!" begrüßte er sie. „Wie geht's?"
„Tut mir leid," stammelte Jenny sofort, rosa anlaufend, „Ich hab' nachgedacht und irgendwie nicht aufgepaßt."
„Ist ja kein Problem, ausserdem hab' ich auch gepennt," entgegnete Draco. „Aber warum so nachdenklich?"
„Hast du mitbekommen, was gestern Nacht passiert ist?"
Draco nickte, sehr zu Jennys Verwunderung, denn sie hatten niemandem etwas gesagt und auch Dumbledore hatte nichts bekanntgegeben.
„Woher-"
„Das spielt doch keine Rolle," unterbrach sie Draco unwirsch, er fing sich jedoch sofort wieder. „Sorry, ich wollte dicht anmotzen."
„Ist schon okay."
„Sorry, ich muss weiter," Draco sprang in Windeseile auf und war schon bald aus Jennys Blickfeld verschwunden.
Kopfschüttelnd stand Jenny auf und ging weiter in Richtung Ravenclaw-Turm.
~~~
Nach einiger Zeit, in denen Hermine jede freie Minute bei Ron in der Krankenstation verbracht hatte, nahte Weihnachten und Ron hatte sich schon wieder so gut erholt, dass es so aussah, als könne er an Weihnachten an der Feier teilnehmen. Die Flüche hatten ihm zwar keine schweren Verletzungen zugefügt, ihn aber dafür sehr stark geschwächt.
Cho war schon vor Wochen von ihren Eltern abgeholt worden. Sie hatte es noch viel schlimmer als Ron getroffen. Auch sie war stark geschwächt worden, doch irgendwie hatte sie ihre Zauberkraft verloren, genauso wie ihre Erinnerung. Es war wohl das Beste für sie, zu Hause noch einmal von vorne anzufangen.
Oft hatten sie darüber nachgedacht, wohin Harry gegangen war. Nun saßen sie wieder einmal alle beisammen und grübelten. Ron wäre ja, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre, blind mit einem Schulbesen losgezogen und hätte absolut überall gesucht. Hermine hatte ihn glücklicherweise davon abgehalten, denn selbst der Weg zu den Besen hätte verheerende Auswirkungen haben können. Statt dessen versuchte sie es wie immer mit Logik, die wohl aber an den ganzen Ereignissen zu Bruch gegangen war, denn sie war nicht mehr wirklich in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie machte sich natürlich auch große Sorgen um Harry, die Sorge um Ron war in Hermine jedoch stärker.
„Wenn wir bloß wüßten, wo er ist..." Ron saß aufrecht im Bett und hatte eine typische Denker-Pose eingenommen.
Kopfschüttelnd ließ er sich auf sein Bett fallen und schloß die Augen. „Ich glaube, es bringt nichts, daß wir hier so aufeinander sitzen," murmelte Ron. „Habt ihr denn schon eure Hausaufgaben fertig?" fragte er dann in die Runde.
Hermine nickte, Jenny und Lara hingegen schüttelten die Köpfe.
„Wäre vielleicht ratsam, wenn ihr sie macht," sagte Hermine in ihrem typischen Alleswisser-Tonfall.
Jenny und Lara verabschiedeten sich und verließen die Krankenstation. Bald trennten sich auch die Wege der beiden Erstklässlerinnen und beide gingen nachdenklich schweigend weiter.
Weiterhin über das Gesprächsthema, daß sie noch vor wenigen Minuten verfolgt hatten, nachdenkend schlenderte Jenny durch die Flure. Bald schon sah sie eine Person auf sich zukommen.
„Oh, hallo Draco!" begrüßte sie den Slytherin, der ihr entgegenlächelte.
„Hi Jenny! Na, was machst du so alleine?"
„Ich hab' gerade nachgedacht..." antwortete Jenny, immer noch grübelnd. „Warte 'mal... Ja, vielleicht kannst du mir helfen!"
„Womit denn?" Draco schaute sie verwundert an.
„Hör' 'mal, ich weiss, dass du und Harry, na ja, dass ihr euch nicht besonders gut versteht," setzte Jenny an.
„Und?" fragte Draco.
„Na ja, du hast bestimmt mitbekommen, daß Harry verschwunden ist. Wir machen uns wahnsinnige Sorgen, haben aber keine Ahnung, wo Harry hingegangen sein könnte," schloß sie.
„Und was hat das jetzt mit mir zu tun?" fragte Draco verdutzt.
„Manchmal kennen einen seine Feinde besser als sein Freunde. Ich dachte, du wüsstest vielleicht, wo er sein könnte," erklärte Jenny hoffnungsvoll.
„Ach so..." Draco begriff und überlegte kurz, dann sprach er weiter. „Das ist doch ganz einfach! Harry ist bei diesen Muggeln, wie heißen sie doch gleich?"
„Bei den Dursleys?" fragte Jenny verdutzt. „Aber warum? Er hasst sie, sie hassen ihn!"
„Potter will wohl als Märtyrer dastehen," lachte Draco. „Opfert sich, indem er von seinen Freunden weggeht und bei seinen dämlichen Muggel-Verwandten lebt. Es wundert mich, dass Granger und Weasley darauf nicht schon lange gekommen sind."
Draco hatte Jenny gerade eine Seite an sich offenbart, die sie bisher nicht kannte. Wie könnte man nur so abfällig über Andere sprechen? Jenny war irgendwie verunsichert.
„Aber wie würde er seine Freunde gefährden?" fragte Jenny.
Da fiel Draco ein, dass außer ihm ja kaum jemand das Gespräch mitbekommen hatte. „Das spielt jetzt keine Rolle," sagte Draco unwirsch, er durfte nicht preisgeben, dass er alles miterlebt hatte.
„Ähm," sagte Jenny zögernd nach einer langen, peinlichen Pause. „Könntest du, nun ja, wäre es möglich, dass..."
„Was denn?" fragte Draco, der es irgendwie langsam leid war, Jenny jedes Wort einzeln aus der Nase zu ziehen.
„Kannst du vielleicht zu ihm gehen und ihn bitten, zurückzukommen?" sprudelte es plötzlich aus ihr heraus. Warum, dass wusste sich auch nicht. Irgendwie brachte sie Draco großes Vertrauen entgegen. Natürlich vertraute sie auch Lara, Hermine und Ron, jedoch auf eine andere Art und Weise.
„Was?" fragte der blonde Junge verdutzt. „Warum gehen nicht Weasley oder Granger oder irgend jemand anderes?"
„Ron ist immer noch nicht auf den Beinen, Hermine ist irgendwie voll daneben und scheint selbst von ihren geistigen Kräften verlassen zu sein, Lara und ich sind noch nicht so gut im Fliegen, wir würden nur abstürzen," versuchte Jenny irgendwie zu erklären. „Und anders als per Besen kommen wir hier nicht weg, oder?"
„Ja," pflichtete Draco ihr bei und nickte.
„Und?" fragte Jenny unsicher.
„Was und?"
„Na ja, würdest du?" Nun setzte sie einen flehenden Blick auf, der dem eines Welpen sehr ähnelte.
„Von mir aus," sagte Draco etwas unwirsch. Er konnte nicht anders, er musste diesem Blick nachgeben. Er wusste zwar nicht, warum um alles in der Welt nun er das Ganze ausbaden musste und wie er es machen würde, aber er konnte einfach nicht ‚nein' sagen. „Und was soll ich ihm sagen?" fragte Draco unsicher.
„Sag' ihm, dass wir ihn vermissen und daß wir uns Sorgen machen," antwortete Jenny. „Bitte ihn, zurückzukommen."
„Er wird mich garantiert in hohem Bogen rausschmeissen."
„Ich bin sicher, du kriegst das hin!" murmelte Jenny. „Ich bin dir unheimlich dankbar," sagte sie noch, bevor sie mit einem leisen ‚Tschüs' auf den Lippen verschwand.
~~~
Draco wusste immer noch nicht, wie er sich dazu überreden lassen hatte. Mit seinem Nimbus 2001 stand er am offenen Fenster des Slytherin- Gemeinschaftsraums, eingepackt in einen warmen Umhang. Er schwang sich auf seinen Besen und flog durch das offene Fenster so schnell wie möglich davon, so dass ihn niemand bemerkte. Wenn sein Vater erfahren würde, was er da tat, war es um ihn geschehen, das war Draco klar. Aber wenn er vor Morgengrauen zurück sein würde, würde niemand etwas erfahren.
Als er das Hogwarts-Gelände verlassen hatte, landete er auf einer großen Wiese. Er holte seinen Zauberstab aus der Tasche und murmelte einige unverständliche Worte, die ihn und seinen Besen dazu brachten, sich aufzulösen und unmittelbar vor einem Straßenschild, auf dem ‚Ligusterweg' geschrieben stand, wieder aufzutauchen.
Zufrieden mit sich selbst, dass er es geschafft hatte, diesen schwarzen Zauber, den man alternativ zum Apparieren benutzen konnte, anzuwenden, stieg Draco vom Besen und lief nun auf das Haus mit der Nummer 4 zu. Seinen Besen ließ er über dem Rasen ganz nah am Haus schweben und machte ihn mit einem Stupsen seines Zauberstabs unsichtbar.
Draco trat nun auf die Haustürschwelle und klingelte. Nach wenigen Sekunden öffnete ihm ein Junge, der wohl in seinem Alter war. Fett wie Crabbe und Goyle, dachte Draco, nur nicht so stark und groß, eben nur fett. Verwundert schaute er Draco an und quiekte dann. „Was willst du?"
„Ich will zu Harry Potter!" verlangte Draco unwirsch, er wollte so schnell wie möglich von diesem Deppen von Muggel weg.
„Wer... Wer bist du?" stammelte der schweineähnliche Junge ängstlich.
„Ein Schulfreund," sagte Draco kalt.
Der Muggel-Junge zuckte zusammen und ließ den Draco ein. Mit einem Finger deutete er die Treppe hinauf, dann auf ein Zimmer. „Er ist oben." Dabei klang er extrem angsterfüllt. Potter schien das Problem mit den Muggeln doch in den Griff bekommen zu haben, dachte Draco.
Dudley keines weiteren Blickes würdigend ging er die Treppe empor und öffnete die Tür des Raumes, auf den der fette Junge gedeutet hatte.
Harry saß zusammengekauert auf dem Boden und sah unendlich elend aus, wie Draco feststellte. Blitzschnell schaute er auf. Draco blickte in die grünen Augen, die zu seiner Verwunderung mit jeder Menge Kälte und auch mit Hass gefüllt waren.
„Was willst du?" fragte Harry in einem eisigen Tonfall.
