Prolog I: Harry

Der Kirschmond ist schuld
dass ich verrückt bin nach dem Tier in Dir
den saftigen Lippen, dem heißen Atem auf mir
doch in Wahrheit hat er mir das Herz verdreht
denn im Lichtschein dieser roten Flut
läuft mein Tier, nicht dein Tier, die Fesseln sich wund
gehetzten Atems und stets auf der Hut

Der Kirschmond ist schuld
dass das Tier nicht schweigt
dass es schreit, jault, sich windet vor Einsamkeit
denn das Monster in ihm kommt im Schatten empor
weil es wünscht, Du gehörtest nur Einer von uns
und die Eifersucht ist der schlimmste Fluch
es gibt keine Nacht, da ich den Schlaf nicht such
gehetzten Atems und stets auf der Hut

Kirschmond, anonym

Der Wind trug das Stimmengewirr und die Musik bis an den See heran. Und trotzdem war es hier ruhig, deutlich ruhiger als in der Grossen Halle, wo alle feierten und sich amüsierten. Erinnerungen wurden ausgetauscht und Adressen, mit dem Versprechen, einander zu schreiben, sich nicht zu vergessen und möglichst bald wiederzusehen.

Harry hatte den ganzen Trubel, diese ganze Fröhlichkeit nicht ausgehalten. Irgendwie war sie ihm aufgesetzt und falsch vorgekommen. Der Endkampf gegen Voldemort war gerade mal ein Jahr her und es gab kaum einen Schüler, der nicht ein Mitglied seiner Familie verloren hatte oder direkt in die Kämpfe und Angriffe verwickelt gewesen war.

Der Wind kräuselte die Oberfläche des Sees, der schwarz vor ihm lag. Er war geflohen, wie schon so oft in diesem Jahr. Geflohen vor der Normalität, welche die anderen versuchten zu leben, geflohen vor der Fröhlichkeit, mit welcher der Tod Voldemorts gefeiert wurde.

Harry hatte angefangen die Einsamkeit zu suchen. Ron und Hermine hatten einander und Ginny, nun, Ginny war ein Fall für sich gewesen. Nach dem Endkampf hatte sie erwartet, dass Harry ihre Beziehung wieder genau an dem Punkt würde aufnehmen können, an dem er sie das Jahr zuvor unterbrochen hatte. Aber das konnte er nicht. In dem einen Jahr war so viel geschehen, Sachen und Erlebnisse, die ihn verändert hatten, die seinen Blick auf seine Umgebung verändert hatten. Er konnte Ginny nicht mehr lieben, jedenfalls nicht so, wie sie es sich wünschte. Als Schwester ja, als Freundin ebenfalls, aber er konnte in ihr nicht mehr seine zukünftige Frau sehen.

Er hatte viel Zeit allein am See verbracht, hatte einfach nur auf die Oberfläche gestarrt oder dann an Dumbledores Grab. Irgendwie hatte er sich dem alten Direktor dort näher gefühlt. Und irgendwann, irgendwann war Malfoy dagewesen. Zunächst still und zurückhaltend, doch dann immer deutlicher und Harry hatte sich fallen lassen und war aufgefangen worden.

Sie hatten ihre Beziehung nicht geheim gehalten, aber auch nicht an die grosse Glocke gehängt. Ihre Freunde wussten davon, die Mitglieder ihrer Häuser. Dem Rest der Schüler war sie verborgen geblieben.

Und nun war also ihr letzter Abend in Hogwarts gekommen und Harry stand am See und wartete auf Draco. Sie hatten beschlossen, dass sie den Abend ihrer Abschlussfeier zusammen verbringen wollten, fernab von dem ganzen Trubel, den die anderen veranstalteten.

Harry starrte weiter auf den See, so wie er es das ganze Jahr hindurch immer wieder getan hatte, bis Draco gekommen war und sie gemeinsam auf den See gestarrt hatten. Draco war ihm in gewisser Weise sehr ähnlich geworden. Auch er hatte im letzten Jahr von Voldemorts Herrschaft mehr Sachen gesehen, als er jemals hatte sehen wollen, hatte Ängste um seine Familie ausgestanden, die Harry nur allzu vertraut waren, hatte er doch dieselben um seine Freunde gehabt.

Über das, was nach ihrem Abschluss sein würde, hatten sie noch nicht gross geredet. Es war selbstverständlich, dass Harry seine Ausbildung zum Auror im Ministerium machen würde, während Draco bei seinem Vater einsteigen würde.

Harry starrte weiter auf den See und unterdrückte den Impuls ein kleines Steinchen hinein zu werfen. Er war nervös. Sehr nervös. Endlich tauchte der blonde Haarschopf im Dunklen auf, schien beinahe zu leuchten. Draco nahm seinen Umhang ab, legte ihn neben Harrys auf die Erde und setzte sich darauf. Nur wenig später spürte er, wie der Schwarzhaarige seinen Kopf an seine Schulter lehnte und sich an ihn heran kuschelte.

„Du, Draco?", fragte Harry, nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander gesessen hatten. „Hmm?" Wenn Harry so anfing, dann wollte er etwas von ihm. „Was hältst du davon, zu mir zu ziehen? Es macht doch sowieso wenig Sinn, wenn wir uns beide eine Wohnung suchen und dann die meiste Zeit zusammen in einer verbringen."