„In den Tiefen der Weltmeere fristen Lebewesen ihr Dasein ohne je das Licht der Sonne zu erblicken. Bizarre, hässliche Kreaturen.
Wenn ich das Wort 'Monster' höre, stelle ich mir diese Geschöpfe vor."
In/Affection
„Loki," bettelte sie, „lass mich frei."
Ihr Atem war stockend, vergebens zog sie an der Kette, die ihre Hände festhielt, während sie sich unter Lokis Berührungen wand, entblößt und völlig ausgeliefert.
Er lächelte.
„Das war nicht der Plan."
Lokis Lippen wanderten ihren Körper herab, schwarzes Haar fiel über seine nackten Schultern, folgte den nachglühenden Stellen ihrer Haut zum Saum des letzten Kleidungsstückes, das ihn von ihr trennte.
„Bitte!" flehte sie ein letztes Mal.
In/Affection – 1. Berührungsängste
„Und nun?" fragte Phoebe, kaum hatte Magik die Gruppe in der Eingangshalle des Instituts abgesetzt.
„Schlafen," sagte Mindee.
„Essen," setzte Lux dagegen.
„Essen, dann schlafen," schlug Celeste vor, was einstimmig angenommen wurde.
„Was ist mit dem Gepäck?"
„Später."
„Später."
„Illyana kann es rauf teleportieren."
„Illyana ist kein Butler," bemerkte Magik selbst und folgte den Vieren zum Esszimmer.
Im Licht der untergehenden Sonne saßen dort zwei Silhouetten am Tisch.
„Sieh an, ein neuer Look," bemerkte Storm, als Mindee mit ihren nun wesentlich kürzeren, wesentlich schwärzeren, Haaren herein trat.
„Ich war dagegen," sagte Celeste.
„Vielleicht färbe ich mir meine rot," überlegte Phoebe laut.
„Hör bloß auf."
Lux setzte sich neben Kitty und legte ihren Kopf auf den Armen ab, einen Stuhl weiter imitierte Phoebe sie. Für einen Moment herrschte Stille.
„Kann Magik etwas zu Essen her teleportieren?" murmelte Lux, ohne den Kopf zu heben.
„Ich dachte wenigstens du wärst auf meiner Seite," gab Magik darauf zurück, während sie bereits in der Küche verschwand.
„Hast du sie gar nicht schlafen lassen, Lux?" fragte Storm angesichts des Zustands der Mädchen.
„Wir waren jeden Tag vor ein Uhr im Bett," sagte Celeste, während sie mit Mindee den Tisch deckte.
„Ein Uhr nachts oder mittags?"
„Das wurde in meinen Anweis- Oh. Das ist gar nicht Kitty," sagte Lux als sie den Kopf hob und die Gestalt neben ihr erkannte.
„Wir hätten Wetten darauf abschließen sollen, wie lange es dauern würde, bis er jemandem auffiel," sagte Magik. Storm nahm es auf sich, alle einander vorzustellen. „Loki: Das sind Irma, Celeste, Phoebe und Lux. Mädchen: Unser neuester Schüler, Loki." Er warf ihr einen missfälligen Blick zu.
„Hatte ganz..."
„...vergessen, dass er..."
„...herkommen sollte," ergänzten sich die Mädchen einander.
„Ich frage mich immer, ob sie das können, weil sie Drillinge sind, oder weil sie Telepathen sind," lächelte Storm.
„Das ist..."
„...unser..."
„...Geheimnis."
Magik sah nach der Zeit. „Lux, Kitty wollte sich gleich diesen Film mit mir ansehen, etwas mit verlorenen Kindern. Meinte du hättest vielleicht auch Lust."
„Du meinst The Lost Boys. Bin dabei."
„Ihr auch?" fragte Magik in die Runde, worauf die übermüdeten Stepford-Drillinge einvernehmlich den Kopf schüttelten.
„Ich muss auch ablehnen," sagte Storm, „Charles und ich wollen heute noch einiges durchgehen. Aber ich könnte mir vorstellen, dass Loki Interesse hätte," sagte sie mehr zu ihm als zu Magik.
„Verlorene Kinder scheinen mir nicht im Mindesten interessant," antwortete er.
„Lost Boys," korrigierte Lux. „Aber eigent-"
„Keine Spoiler." warnte Magik.
Lux beugte sich daraufhin zu ihrem außerirdischen Sitznachbarn hinüber. Doch Loki wich zurück.
„Ich wollte dir nur etwas zuflüstern," erklärte sie perplex.
Zögerlich gab Loki mit einem Nicken sein Einverständnis.
Sein langes Haar war säuberlich hinter die Ohren gekämmt, ein dezenter Duft ging davon aus, Shampoo und der Geruch einer klirrenden Winternacht. Beinahe erwartete Lux, dass seine elfenbeinfarbene Haut von ihrem Atem beschlug.
Kitty war bereits im Wohnzimmer und zappte auf der Couch fläzend durch die Kanäle. „Hey, willkommen zurück," begrüßte sie Lux bevor sie Loki bemerkte. „Du willst auch den Film sehen?" fragte sie.
„Spricht etwas dagegen?"
„Nein. Alles cool."
Doch ihr Ton verriet sie. Bewusst ließ sich Lux in einen der Sessel fallen. Der einstige Gott der Lügen durchschaute aber ihre Absicht. Statt sich zu Kitty und Magik auf die Couch zu setzen, wählte er demonstrativ den ihr gegenüber stehenden Sessel. Mit einem subtilen Lächeln ließ er Lux wissen, dass er sich nicht austricksen ließ.
Im blauen Licht des Fernsehbildschirms betrachtete Lux den jungen Mann, dessen Aufmerksamkeit den flimmernden Bildern galt. Jung war vermutlich nicht angebracht, er sah jung aus - um die Dreißig - doch angesichts der Tatsache, dass er in den nordischen Mythen Erwähnung fand, musste er eher um die Tausend Jahre alt sein, überschlug Lux.
Natürlich hatte sie ihn bereits in den Medien gesehen, wie er zwischen den New Yorker Hochhäusern hindurch raste und mit einer Armee gegen die Rächer antrat, und schon damals war ihr aufgefallen, dass die Beschreibung Lokis, wie sie in der Edda überliefert wurde, der Wahrheit zu entsprechen schien. Schlank und hoch gewachsen war er, hatte damals noch gerade schulterlanges Haar, tiefschwarz und etwas wild, der Teint hell und kühl, die delikaten Gesichtszüge unterstreichend, grazile Finger umklammerten ein Zepter. Anmut, Schönheit hatte sie gesehen, aber auch Zorn. Und etwas dunkleres, Verzweiflung womö Storm aus Asgard zurückgekehrt und den Vorschlag gemacht hatte, Loki im Xavier Institut unterzubringen, erfuhren die anderen X-Men ein wenig mehr aus seiner Vergangenheit. Dass er der Spezies der Eisriesen entstammte und als Säugling von der königlichen Familie der Asen, ihren erklärten Erzfeinden, adoptiert und bis vor kurzem darüber im Unklaren gelassen wurde. Dass er seinem Bruder Thor das Anrecht auf den Thron Asgards neidete, die Erde nicht zuletzt deswegen unterwerfen wollte, weil Thor etwas an ihr lag. Dass er versucht hatte die Eisriesen auszulöschen, seinen leiblichen Vater, ihren König, tö Loki, der nun in der schummrigen Geborgenheit des Instituts saß, schien für jeden Anderen, der ihn ansah, die selbe Erhabenheit auszustrahlen, die die New Yorker Journalisten eingefangen hatten. Beherrscht. Elegant. Gekleidet in weißem Hemd, Krawatte, dunkelgrüner Weste. Doch Lux konnte die Lichtspiele des Magiers durchschauen. In schwarzem Denim und einem einfachen zedernfarbenen Hemd schien er nur noch ein Mensch zu sein. Er hatte ein Stück seiner Selbst aufgegeben, und Lux kamen Zweifel, ob dies zu seinem Besten geschehen war. Nicht wenigen Mutanten wurde von den Menschen in gleicher Weise eingeredet worden, sich von ihrer wahren Natur loszusagen.
Ein unterbewusster Verdacht ließ Lux die Augen aufschlagen. Magik und Kitty waren verschwunden, auf dem Bildschirm endete gerade der Abspann. Loki saß nun nahe bei ihr auf dem Sofa, starrte sie unverhohlen an.
„Hättet mich ruhig wecken können," sagte Lux.
„Es wurde mir ausdrücklich verboten," antwortete er.
„Anstarren weckt auch." Lux nahm die Decke herunter, die jemand über sie gelegt hatte.
„Auge um Auge, heißt es nicht so bei euch?" fragte Loki.
Konnte er bemerkt haben, dass sie ihn studiert hatte, fragte sich Lux.
Loki lächelte wissend. „Du hast mich betrogen," sagte er, „versprachst Ungeheuer und Schrecken. Doch dies war nur lächerlich."
„Es hat dir nicht gefallen?" fragte Lux aufrichtig.
Loki wechselte unbehaglich die Position. „Das ist nicht der Punkt."
„Kann dir auch was aus meiner Privatsammlung ausleihen," sagte Lux und erhob sich, „Monster, Gore, Exploitation..."
„Eigenartig," sinnierte Loki und kam ebenfalls auf die Füße, „jeder andere hier hat einen, nun, gesunden Respekt vor mir, selbst Ororo zeigt eine gewisse Vorsicht." Er trat an Lux heran, sein Schatten wäre über ihr Gesicht gefallen, wäre der Mond im Fenster hinter ihm nicht von Wolken verschluckt worden. Lux kämpfte gegen den Instinkt an, dem durchdringenden Blau seines Blickes auszuweichen.
„Ich bezweifle sehr, dass Logan Respekt vor dir hat," sagte sie.
„Die Frage ist," sprach Loki unbeirrt weiter, „weshalb du nicht?"
„Ah," sagte Lux und schob sich an Loki vorbei zum Couchtisch, „niemand hat dich über meine Kräfte aufgeklärt.." Sie nahm sich Popcorn aus der Schüssel, die noch niemand weggeräumt hatte, und hielt es Loki auf ihrer Handfläche hin. Ohne eine Spur auf ihrem fingerlosen Handschuh zu hinterlassen, löste es sich auf. „Vernichtung elektromagnetischer Energie," erklärte sie. „Was könntest du mir schon tun?"
