Jürgens kleine Seelsorgebox
Berlin, 03. Januar 2006
Liebes Tagebuch! Halt, ein Jürgen Decker schreibt doch nicht „Liebes Tagebuch". Vielleicht: Berlin, Sternzeit 03012006, nein auch nicht, hab wohl ein bisschen viel von der letzten Star Trek-Convention gekriegt. Dann eben ohne Anrede. Ist ja nicht weiter wichtig. Viel wichtiger ist, dass ich endlich mal den Seelenmüll loswerde, den andere mir ständig aufladen. Ich frage mich, wie Beichtväter und Seelsorger das machen. Hören die sich das an wie eine schlechte Radiosendung und verdrängen es dann gleich wieder? Als ich meinen Kiosk aufgemacht habe, da wollte ich nur Zeitungen und Süßkram verkaufen, vielleicht dem einen oder anderen Touri den Weg erklären, Kaffee kochen, Regale auffüllen und natürlich davon leben können. Aber kaum hatte ich meinen kleinen Laden eröffnet, stolperte meine alte Freundin Lisa Plenske aus Göberitz wieder in mein Leben und prompt wurde mein kleiner, eisern zusammengesparter Kiosk als Beratungsstelle für alle Lebenslagen missbraucht. Erst war es Lisas Kabuff ihr Büro, das ihr Sorgen machte, dann ihre Verliebtheit in David Seidel, dann musste diese Firma gerettet werden – okay, das war jetzt ganz lustig, da hab ich mich gefühlt wie James Bond. Ich habe die Börse manipuliert, Aktien gekauft und verkauft und ich war an der feindlichen Übernahme beteiligt und ich konnte Richard von Brahmberg endlich eine reinwürgen und das an der Stelle, an der es ihn am meisten schmerzt: Seine Firma. Wenn ich schon Sabrina nicht haben kann, dann hab ich wenigstens da triumphiert. Zugegeben, Sabrina wäre mir schon lieber gewesen...
Lisa war gestern bei mir. Sie schwebt auf Wolke 7 und kann durch ihre rosaroten Milchflaschenbodengläser gar nichts erkennen. Mariella hat sich an Silvester von David getrennt. Und unser Womanizer hatte prompt nichts besseres zu tun, als Lisa, die von Mariella gerade erst weggeschickt worden war, hinterher zu laufen oder viel mehr zu fahren – bis Göberitz ist es ja doch eine ganze Ecke. Und nu sind die zwei zusammen. Jep, Lisa Plenske hat einen Freund – einen richtig echten Freund, kein imaginärer, sondern einer aus Fleisch und Blut. Ich würde da ja gerne Mäuschen spielen. Ringelpietz mit Anfassen, davon wird ein Mann wie David Seidel ja früher oder später genug haben. Ich freue mich wirklich für Lisa, ich meine, sie hat ihn so lange angeschmachtet, da hat sie es sich wirklich verdient, dass ihre unbeholfenen Baggerversuche auch Früchte tragen. Lisa hat es verdient, auf Händen getragen zu werden und es gnade David Gott, wenn er das nicht tut. Dann hol ich Yvonne und Bernd und dann werden wir ihm richtig kräftig wehtun, wenn er nicht lieb zu unserer Lisa ist. Vielleicht irre ich mich auch, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass an Davids plötzlicher Hinwendung zu Lisa etwas unkoscher ist. Hoffentlich ist es nicht so, dass David einfach nur versucht, die Lücke, die Mariella hinterlassen hat, zu schließen. Ich meine, es ist ja schon irgendwie gut für's Ego, wenn immer einer da ist, der einen anschmachtet. Ich glaube nicht, dass Lisa sich gewehrt oder geziert hat, als David sie geküsst hat und ihr hinterher erklärt hat, sie wären jetzt zusammen. Wäre ja auch unlogisch, auf diesen Moment hat sie ja nur gewartet.
Ich werde früher oder später schon noch alle notwendigen Details zusammenkriegen. David und Lisa teilen sich jetzt nämlich Lisas besten Freund und Kummerkasten – nämlich mich! David war heute Morgen hier und schwebt genauso auf Wolke 7 wie Lisa – zumindest wirkte es so.
Hey, diesen Seelenballast so abzuwerfen tut richtig gut, das werde ich wohl noch öfter machen…
Berlin, 10. Januar 2006
Insgeheim bin ich froh, dass in dieser Lieferung mit Berlin-Souvenirs auch diese Notizbücher waren. So hab ich was, in dem ich schreiben kann. Ich schreibe kaum noch was mit der Hand. Ich meine, wozu hab ich denn meinen PC? Da mach ich meine Abrechnungen und schreibe Mails… Aber Tagebuch schreiben ist etwas anderes. Da hole ich dann meinen guten Stift vor und bemühe mich um meine Sonntagsschrift und dann kann's losgehen. Okay, es ist jetzt nicht Passwort geschützt, aber es ist so herrlich altmodisch…
Heute in ihrer Mittagspause kam Lisa zu mir. Sie sah ein bisschen aus wie eine Mischung aus einem Karnickel und einer blonden Mariella-Kopie. David hat sie überredet, sich ein bisschen zu verändern. Naja, an den Anblick der Kerima-Mehrheitseignerin in Hugo Haas' Kreationen werde ich mich gewöhnen, aber warum sie sich mit Kontaktlinsen 'rumärgert, wenn sie sie nicht verträgt, bleibt mir ein Rätsel. Frauen eben. Lisa, hab ich ihr gesagt, wenn er dich liebt, dann liebt er dich auch mit Brille. Gut, das Kassengestell könnte sie mal erneuern… Das hätte ich wohl nicht sagen sollen, denn plötzlich sollte ich sie zum Optiker begleiten. Also hab ich Yvonne angerufen, damit sie mich im Kiosk vertritt und dann ging's zum Optiker, der hat ihr dann die Linsen wieder aus den Augen gefischt... Übrigens war der auch der Meinung, dass es mittlerweile schöne Brillengestelle gibt und mit einem konnte sie sich dann anfreunden. Damit sieht sie wie das aus, was sie ist – eine erfolgreiche Geschäftsfrau.
Nach Feierabend war David bei mir und wollte ein Bier. Wie volksnah! Wo ist denn deine Herzallerliebste, hab ich ihn gefragt. Da sieht der mich an, als würde ich einfingrigen Handstand machen und dazu „Ein Bett im Kornfeld" singen. Er überlegt kurz: „Du sprichst schon von Lisa, oder?" Was ist denn das für ne blöde Gegenfrage? Mich beschleicht ja so eine seltsame Vorahnung. „Die ist beim Frisör." Ist sie da freiwillig oder hast du sie genötigt? „Na, Jürgen, sieh sie dir doch mal an. Ich kann mich doch nicht mit ihr in der Öffentlichkeit zeigen – so wie sie bisher aussah." Njäät. Falsche Antwort. Lisa ist eine tolle Frau und okay, sie ist jetzt nicht Claudia Schiffer – rein optisch – und schon gar nicht Sabrina, aber sie ist lieb und sie spricht in ganzen Sätzen, das kann man ja nicht von jeder Frau erwarten, oder? David zieht den Kopf ein wenig ein und zuckt mit den Schultern. „Ich optimiere sie halt ein bisschen." So so, optimieren… Ich habe meinen PC neulich optimiert – jetzt hat er zwei neue Festplatten, einen DVD-Brenner und ein paar Hauptspeichermodule mehr. Jep, ziemlich optimiert ist er, aber äußerlich ist der noch derselbe und trotzdem schneller, effizienter und besser. Lisas Selbstbewusstsein sollte mal optimiert werden, denn da hat sie um einiges mehr Defizite als optisch. Dich sollte auch mal einer optimieren, aber nicht optisch, sondern eher mal deine verstaubten meine-Frau-mein-Raumschmuck-Ansichten. Ich komme nicht mehr dazu, meine Frusttirade über seine Oberflächlichkeit loszuwerden, denn Lisa ist gekommen. „Und wie sehe ich aus?" strahlt sie. Hmm, war bestimmt ne Menge Arbeit deine Strubbelhaare zu glätten, die blonden Strähnen sind nett, aber die Evita-Peron-Gedächtnisfrisur geht gar nicht. Für einen Dutt bist du mindestens 20 Jahre zu jung. Aber das Jürgilein behält das diskret für sich und versucht es diplomatisch: „Ja…nett." David nimmt mir die schwere Aufgabe ab, ihr ein Kompliment zu machen: „Jetzt muss ja nur noch die Spange raus und du bist einigermaßen präsentabel." Upps, was ist denn das für ein Kompliment? Wenn du sie ins Bett kriegen willst, ist das eindeutig der falsche Ansatz. „David, wie oft denn noch? Die Spange sorgt dafür, dass meine Zähne gerade werden und das dauert eben noch eine Weile." Jetzt fällt es mir wieder ein: Lisa hat ihre Spange ziemlich spät gekriegt – so im Vergleich zu anderen –und sie war auch schon fast wieder draußen, als ihre Weisheitszähne anfingen zu wachsen und die ganze Arbeit der Spange zu Nichte machten. Was liegen die auch einfach verquer im Kiefer? Aber sehr lange dürfte es trotzdem nicht mehr dauern… Irgendwie beruhigt es mich, dass Lisa David zumindest ansatzweise die Stirn geboten hat. Sie sollte nicht alles mit sich machen lassen, das werde ich ihr auch mal sagen. Sehr glücklich wirkt sie ohnehin nicht – naja, würde ich wahrscheinlich auch nicht, wenn ich schon den ganzen Tag auf Stöckelschuhen mit 150000cm-Pfennigabsatz laufen müsste. Lisa ist das doch gar nicht gewohnt und dieses Training ist irgendwie Hardcore.
Die beiden zogen dann los ins Wolfhardts – yummie, Bonzenessen… Ich schließe hinter ihnen zu und werfe erstmal eine Pizza in den Herd. Das nenn ich ein gutes Happen-Pappen… Nicht so kleine Portiönchen mit einem Hauch von edlen Weiß-ich-was… Ist ja eigentlich auch gar nicht Lisas Stil. Hoffentlich färbt sie mehr auf David ab als er auf sie…
Berlin, 12. Januar 2006
Fünf Dinge, die ich definitiv nicht wissen will:
1) in welcher Stellung meine Eltern mich gezeugt haben
2) in welcher Stellung Max und Yvonne ihr Muckelchen gezeugt haben
3) was wirklich in Würstchen und Aufschnitt drin ist
4) ob der Bäcker, bei dem ich meine Brötchen kaufe, in den Teig spukt
5) wie das erste Mal meiner besten Freundin war
In den Genuss der detaillierten Schilderung von letzterem bin ich gekommen – vor wenigen Stunden. Schön war's, sagt zumindest Lisa. Ich finde, ihre Augen haben mehr geglänzt, als ich ihr vor ein paar Jahren so eine Brille für die Sonnenfinsternis besorgt habe und wir auf dem Dach meines Elternhauses saßen und uns das Naturschauspiel angesehen haben. War es denn der richtige Zeitpunkt?, frag ich sie. Lisa fängt an rumzudrucksen. Ähm… naja… nun… ja… nee… doch… schon… irgendwie…Okay, nun mal Butter bei die Fische: Ja oder nein? „Ich glaube, ein bisschen mehr Zeit hätte ich schon gern gehabt, um mich mit dem Gedanken anzufreunden und mich mental darauf vorzubereiten." Hmm, diese Antwort befriedigt mich nur bedingt. Mental vorbereiten, das ist so typisch Lisa, als könnte man alles mental vorbereiten. Aber die Sache mit der Zeit gibt mir zu denken. Gut, sie ist kein Teenie mehr und sie ist mit David wer-nicht-bei-drei-auf-den-Bäumen-ist-wird-von-mir-verführt Seidel zusammen, da geht's dann schon mal flott zur Sache, aber er liebt sie doch, da hätte er ihr wohl das bisschen Zeit geben können. Zeit, davon gibt's doch genug. Angeblich hat er sich, was das Verführen von Models betrifft, gebessert. Das will ich ihm auch geraten haben, Lisa ist nicht Mariella, Lisa hat einen besten Freund, der zum schrecklichen Hulk mutieren kann… Trotzdem hätte Lisa nichts überstürzen sollen und wenn ich in Erfahrung bringe, dass er sie gedrängt hat, dann gibt's einen Satz heiße Ohren. „Aber schön war's." Na wenn du meinst… bei den Vergleichswerten, die du hast, ist das ja mal ein echtes Qualitätszertifikat…
Berlin, 15. Januar 2006
Über Lisa hab ich mich heute köstlich amüsiert. Helga hat doch jetzt Agnes' Stelle bei Kerima. Stullen schmieren für die Modefuzzis. Leider liegt sie mit ihrer Göberitzer Hausmannskost meist völlig daneben. Heute gab's Gehacktesstippe mit Kartoffelbrei, Klein-Jürgileins Lieblingshappa. Also hat Helga kurz bei mir durchgeklingelt – die Modefuzzis wollten es nicht und für den Mülleimer war es zu schade. Also immer rein in den Jürgen. Als Junggeselle lässt man sich seltenst eine warme Mahlzeit entgehen. Ich also hin zu Kerima, hab erst Sabrina angeflirtet – hab wie immer auf Granit gebissen. Der gegelte Brahmzwerg war in der Nähe… Aber irgendwann knacke ich Sabrina schon noch, dann wird sie sich nach mir und meinem Traumkörper verzehren und dann lass ich sie auch mal ein bisschen zappeln… Ähm, wo war ich? Richtig, essen bei Kerima. Ich schaufelte also ganz friedlich meinen Kartoffelbrei in mich hinein und hörte Lisa mit halbem Ohr zu – David ist toll, David ist lieb, David ist ein Vollidiot. Okay, kurz zurückspulen. David ist was? Privat sind sie wohl ein Herz und eine Seele, aber geschäftlich hat es zwischen Julia Plenske und Romeo Seidel wohl gekracht. David provoziert Richard, aber Richard lässt sich nicht provozieren. Im Gegenzug dazu provoziert Richard David und der springt natürlich voll darauf an. Gewitter im Paradies eben. Naja, so wie Lisa drauf ist, war das eher ein Tsunami. Die beiden haben sich jedenfalls richtig gefetzt – das erste Mal in den paar Tagen Beziehung. Plötzlich kommt ein Model – eine heiße Schnecke – und mustert Lisa abfällig: „Sie sind die Chefin hier?" – „Ja", kriegt sie gereizt zur Antwort. „Mir steht vertraglich ein Obstsalat zu." Ich möchte auch mal in der Situation sein, so etwas sagen zu können – vertraglich geregelter Obstsalat, so was gibt's auch nur bei Kerima. „Dieser hier ist mit Zucker. Ich habe aber zuckerfrei geordert. Bringen Sie das in Ordnung." – „Selbstverständlich", gibt Lisa zuckersüß zur Antwort, „dafür werden Köpfe rollen." Immer noch das gestellte Businesslächeln. Als der Kleiderständer außer Sichtweite ist, schnappt sich Lisa ein Sieb, haut den ganzen Salat da rein und hält ihn unter fließend kaltes Wasser, schüttelt das Sieb immer mal und lässt verbal immer noch Frust über David ab. Sie ist so in Rage, dass ihr ein paar Haare nach vorne fallen – jetzt sieht sie wieder ein bisschen aus wie die gute, alte Lisa Plenske. Platsch – der frisch gewaschene und geschleuderte Obstsalat landet wieder in der Schüssel: „Herr von Brahmberg. Bringen Sie das hier unserer Lasmiranda Densivilja." – „Wem bitte?" – „Na diesem spanischen Model, ich hab den Namen vergessen." – „Bin ich die Cateringkraft?" – „Nein. Ich auch nicht, aber ich habe ihrem Wunsch nach zuckerfreiem Salat trotzdem entsprochen, wenn ich bitten darf…" Sie drückt Richard die Schüssel in die Hand und der trottet tatsächlich in Richtung Atelier. Lisa sollte sich öfter mit David streiten… Das scheint ihr und vor allem ihrer Selbstsicherheit gut zu tun.
Berlin, 28. Januar 2006
Irgendwie läuft das mit David und Lisa nicht so wie es sollte. Ich mache mir so meine Gedanken. Lisa ist total aufgekratzt und happy. David hier, David da, er ist toll, er ist wunderbar – man sollte das zur Melodie von diesem Song singen, von diesem Sänger, diesem…ach, wie hieß denn der? Naja, egal, es ist jedenfalls immer die gleiche Leier. Und David? Nun, der sitzt von Zeit zu Zeit bei mir im Kiosk und guckt wie ein Bus, wenn's donnert. „Weißt du Jürgen, irgendwie ist mir das zuviel Nähe. Lisa ist ständig um mich herum und…" er bricht ab, ich setze die Sag-jetzt-nichts-Falsches-mein-Freund-Miene auf. „Du bist doch auch ein Mann und du hast doch Mercedes Diaz gesehen…" Wen? Ach so, dieses rattenscharfe Model, Lasmiranda Densivilja – da hatte Lisas Komikzentrum wohl den richtigen Riecher… vielleicht war es auch ihr Dramatikzentrum, ja wohl eher das. „Lisa ist so schrecklich unerfahren. Ständig fragt sie, ob sie etwas falsch gemacht hat. An ausgefallene Stellungen ist mit ihr nicht zu denken. Schon alles, was über Sofa und Bett hinausgeht, ist für Lisa Tabu." Am liebsten würde ich mir jetzt die Hände über die Ohren legen und laut: lalalalalalala singen. Das sind definitiv zu viele Details. Wie soll ich denn Lisa je wieder in die Augen sehen, wenn Davids Schilderungen gerade zu Bildern in meinem Kopf führen, die Lisa in irgendeiner Kamasutra-Position zeigen? „Ich bin doch nicht mit einer Nonne liiert…Du wärst Mercedes doch auch nicht abgeneigt." Nee, natürlich nicht, aber ich bin auch nicht liiert und ein Nonnerich bin ich auch nicht. „Na siehst du. Lisa braucht es ja nicht zu erfahren." Ich glaube, ich benehme mich gerade wie Tinky-Winky von den Teletubbies – ich stehe da und schüttle immer wieder meinen überdimensionierten Kopf: Oh-oh, oh-oh und weil's pädagogisch so wertvoll ist, gleich noch mal: oh-oh, oh-oh. Hör mir mal gut zu, du wandelnder Samenstrang, du bist mit meiner besten Freundin zusammen, du wirst dich verdammt noch mal zusammenreißen. Wenn es sein muss, bring ich dich höchst persönlich zu den anonymen Fremdgängern und wenn das nicht hilft, muss eben eine Vasektomie durchgeführt werden… Du wirst Lisa bestimmt nicht so demütigen und ihr so wehtun. Ich glaube, ich habe mich gerade auf dreifache Körpergröße aufgeplustert – David wirkt richtig bedrippelt, zerknirscht und auf einmal ganz klein wie er das so sitzt auf der Bank in meinem Kiosk. „Sie ist so eine Mutti." Lisa oder Lasmiranda? „Lisa. Gabriele wollte neulich backen und hat gefragt, was sie backen soll. Ich wollte Sachertorte und Lisa wollte Marmorkuchen. Und dann wollte sie auch noch helfen. Nee, nicht nur helfen, sie wollte alleine backen. Komm David, hat sie gesagt, das macht Spaß. Ja klar, die Finger in Mehl, Zucker und Eiern zu wälzen, ist total genial. Mariella wäre nie auf so eine Idee gekommen." Nun, Lisa ist nicht Mariella. Lisa stammt aus einem vorstädtischen Durchschnittshaushalt. Da wird nun mal selbst gebacken und wenn Lisa das nur halb so gut kann wie Helga, dann ist dir ein richtig guter Kuchen entgangen. David, du hast doch lange genug in einer Beziehung gelebt, um zu wissen, dass außerhalb der Laken noch andere Dinge passieren, an denen sich das frisch verliebte Paar beteiligen sollte… „Aber Mariella…" Ich kann's nicht mehr hören. Also noch mal langsam und zum Mitschreiben für begriffsstutzige Bonzensöhne: LISA IST NICHT MARIELLA und sie wird es nie sein und da kannst du ihr noch so viele Kleider überstülpen und noch solange darauf drängen, dass sie sich die Spange rausnehmen lässt... Wenn du dich nur in die Beziehung mit Lisa gestürzt hast, um eine Lücke zu füllen und jetzt erst merkst, dass du deine neu gewonnene Freiheit doch lieber erst genießen willst, dann solltest du einen Schlussstrich ziehen und zwar schnellst möglich. Lisa liebt dich nämlich und du wirst ihr schon weh genug damit tun, wenn du zu ihr so ehrlich bist wie mit mir. Überleg dir erst mal, was du willst, dann kommst du zurück zu Onkel Jürgen, damit der dir den Kopf waschen kann und wenn das nicht hilf, kann Onkel Jürgen sich immer noch auf Lisas emotionalen Supergau vorbereiten. Tonnen von Taschentüchern und Schokolade besorgen, einen Stapel frisch gewaschener Hemden bereit legen, denn an meiner Brust wird sie sich ausheulen, so wie immer. Und bis dahin lässt du die Finger von diesem steilen Zahn, kapische? Davids Kopfbewegung könnte sowohl ein Nicken als auch ein Schütteln sein. Er geht wortlos. Ich bleibe zurück: Scheiße, Scheiße, Scheiße, denke ich nur. Das kann ja heiter werden.
