KAPITEL 1
DRACO POV
Verdammte Scheiße, was ist passiert? Ich wusste, dass der Tag heute zum Scheitern verurteilt sein würde, als ich heute Morgen zu spät zum Frühstück gekommen bin, doch niemals hätte ich gedacht, dass es SO schlimm werden würde. Vielleicht eine gebrochene Rippe beim Quidditch-Training oder etwas in die Richtung, doch auch wenn ich Grangers Tod schon so oft ersehnt habe – dafür verantwortlich sein wollte ich eigentlich nicht.
Unsanft werde ich auf die Seite geschubst und taumle verwirrt ein paar Schritte zurück, als Potter schreiend an mir vorbei hechtet, direkt hinter ihm Weasley, der leichenblass aussieht.
Das Klassenzimmer versinkt im Chaos und das Raunen der restlichen Schüler wird ohrenbetäubend laut. Selbst Professor Slughorn ist offensichtlich überfordert, doch trotzdem kniet er ruhig und relativ beherrscht neben Granger und spricht einen Diagnosezauber nach dem anderen.
„Draco!" Blaise versucht mich vom Geschehen weg zu ziehen, doch ich kann mich nicht rühren. Wie ist das passiert? Was habe ich getan? Ich kann mich an Grangers panischen Aufschrei erinnern, als ich das Acrumantula-Gift zum heutigen Trank der lebenden Toten geschüttet habe, doch als mir bewusst wurde, dass wir beim Brauen noch gar nicht so weit gewesen sind, war es schon zu spät. Ich kenne den Trank eigentlich noch vom letzten Jahr und ich kann mir nicht erklären, wie mir das passieren konnte. Wie paralysiert starre ich auf die Szene vor mir und es ist seltsam surreal, so als blicke man in ein Denkarium.
Granger liegt bewegungslos zwischen unserer und der hinteren Tischreihe, Slughorn tief über sie gebeugt und Potter und Weasley stehen nahe an einem Nervenzusammenbruch. Der Rest der Klasse hat sich ebenso um uns herum versammelt und ich spüre sämtliche Blicke, die anklagend auf mir liegen.
„Draco!", versucht es Blaise erneut und dieses Mal drehe ich mich zu ihm. „Komm, du musst hier weg!" Ich bewege mich keinen Zentimeter. „Tu dir das nicht an!", ermahnt er mich, doch ich wende mich wieder ab, nur um in Grangers blasses Gesicht zu blicken.
Was, wenn ich sie umgebracht habe? Was, wenn es meine Schuld ist? Mir wird heiß und kalt gleichzeitig und meine Hände werden feucht. Ja, ich hasse sie, doch ihren Tod, den wollte ich ganz sicher nicht. Zumindest nicht mehr.
Mein Mund ist ausgetrocknet und das Schlucken fällt mir schwer. Ich brauche einen Fluchtplan. Vielleicht kann ich zu meiner Großtante nach Frankreich oder einfach auf einen anderen Kontinent um dort heimlich als Muggel zu leben. Mir wird schlecht. Vielleicht kann ich…
„Sie lebt noch!", verkündet Slughorn in dieser Sekunde und meine Erleichterung zwingt mich beinahe in die Knie. Ich bin kein Mörder, oh Salazar sei Dank! Das Klassenzimmer versinkt im Chaos, als Slughorn weitere Anweisungen gibt und Weasley sprintet los um McGonagall zu holen. Potter hilft dem Professor dabei, Granger zu stabilisieren und sie auf eine herbeigezauberte Trage zu hieven und ich lasse mich rücklings auf meinen Stuhl fallen. Mein Hirn ist wie leergefegt und ich halte mich an der Tischplatte fest, damit keiner meine zitternden Hände sieht.
Warum zum Teufel musste Slughorn mich dieses Jahr mit diesem Schlammblut zusammen einteilen? Das ist eine neue Macke von den Lehrern, Gryffindor und Slytherin gut durchzumischen, ganz im Sinne des neugewonnenen Friedens der Zauberwelt.
Schwachsinn. Als ob sich jemals etwas ändern würde! Allein schon die Blicke, die wir Slytherins und insbesondere ich als rehabilitierter Todesser von allen anderen Häusern ständig abbekommen, sprechen Bände. Es wird sich nie etwas ändern. Zumindest nicht mehr in diesem Schuljahr. Das schlimme an der Sache ist, dass ich Potter und seine Sidekicks nicht mal mehr öffentlich hassen kann, denn immerhin war es Potter, der für mich beim höchsten Zaubergamot ausgesagt hat und nur der Narbenfresse habe ich es zu verdanken, dass ich nicht für immer in einer Zelle in Askaban verrotte.
Diese Tatsache nervt mich fast mehr als alles Andere. Zum Glück habe ich Blaise, der mich oftmals auf den Boden der Tatsachen zurückholt, wenn ich meine Wut auf das gesamte, beschissene Leben mal wieder nicht im Zaum halten kann.
Und jetzt hätte ich auch noch fast Granger gekillt. Bei Merlin, wahrscheinlich denken nun alle, ich habe es mir nach dem Ableben des Dunklen Lords zur Aufgabe gemacht, doch noch alle verbliebenen Schlammblüter auszurotten.
„Mr. Malfoy!" Slughorns auffordernde Worte reißen mich aus meinen Gedanken und ich versuche meine gleichgültigste Maske zur Schau zu tragen, doch ob mir das gelingt – keine Ahnung.
„Ja, Sir?" Oh gut, das hat sich nach mir angehört.
„50 Punkte Abzug für Slytherin und Nachsitzen, heute Abend. Ich weiß nicht, wo Sie mit Ihren Gedanken waren, aber beim Brauen offensichtlich nicht. Das hätte wirklich, wirklich schlimm ausgehen können für Miss Granger und ich bin mir nicht sicher, wie kritisch es tatsächlich um sie steht! Von einem meiner begabtesten Schüler hätte ich bei Weitem mehr erwartet."
Ich weiche seinem vorwurfsvollen Blick aus und nicke nur erschlagen. Mehr will mir dazu im Moment auch nicht einfallen und alles in allem bin ich doch noch recht glimpflich davon gekommen, was womöglich daran liegt, dass Slughorn eben nicht Snape ist und dazu noch unser Hauslehrer.
Ich muss hier raus. Mit einem letzten Blick auf Granger packe ich schnell meine sieben Sachen zusammen und dränge mich durch die restlichen Schüler, die hier noch herumstehen. Am Eingang schiebe ich mich an McGonagall vorbei, die gerade höchst gehetzt zur Türe herein stürmt um nach ihrem Löwenbaby zu sehen, Madam Pomfrey im Schlepptau.
„Malfoy!"
Womit habe ich das heute eigentlich verdient? Weasley steht wie ein rothaariger Racheengel vor mir und wenn Blicke töten könnten, hätte ich wohl besser schon mein Testament geschrieben.
„Zieh' Leine, Weasley", knirsche ich mit den Zähnen und versuche Grangers trotteligen Kumpel links liegen zu lassen, doch dieser tut mir natürlich nicht den Gefallen, einfach aus dem Weg zu gehen.
„Ich schwöre dir, Frettchen, wenn Hermine irgendwas passiert, dann…"
„Jaja, schon klar, dann kommen du und Potter und macht mich kalt. Verstanden", ätze ich und drehe mich auf der Stelle um, um in die entgegengesetzte Richtung davon zu laufen. Nein, ich fliehe nicht vor dem Wiesel, aber nun ja, der Gemeinschaftsraum liegt eigentlich in die entgegengesetzte Richtung. Momentan ist mir das aber egal, ich brauche meine Ruhe. Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht, das siebte Schuljahr zu wiederholen? Ich hätte mich im Manor einschließen sollen, so wie ich es ursprünglich geplant hatte, doch McGonagall hat nicht locker gelassen und siehe da - als Dank bringe ich ihr Löwenbaby fast um die Ecke. Welch Ironie.
Und da, schon wieder sind meine Gedanken bei Granger. Sie sah wirklich nicht gut aus. Verdammt, was, wenn sie ernsthaft verletzt ist oder ihr Gedächtnis verliert oder nie wieder aufwacht oder… halt. Ich zwinge mich dazu, einfach nicht darüber nachzudenken. Was schert mich Granger oder sonst wer? Hätte sie nicht so nah am Kessel gestanden, hätte sie nichts vom halbfertigen Trank der lebenden Toten abbekommen und wäre… nun ja, jetzt eben nicht lebendig tot.
Bei Salazar…! Ich keuche erschrocken auf und muss mich an der nächsten Wand festhalten, denn mir wird übel. Ein Schaudern durchfährt mich und mir wird in eben diesem Moment das Ausmaß meines Handelns bewusst und ich kämpfe gegen den Drang an, mich zu übergeben.
„Draco!"
Ich stöhne auf. Trotz dass es Blaise ist der mir hinterher eilt, fühle ich mich verfolgt. Ich habe nicht die geringste Lust, den Vorfall von gerade eben zu erörtern, doch ich schätze ich habe keine Chance gegen meinen besten und vermutlich auch einzigen Freund.
„Ich will nichts davon hören!", knurre ich, als er mich eingeholt hat und mich fragend von der Seite her mustert. Das scheint ihn allerdings nicht wirklich zu interessieren.
„Ich möchte doch nur wissen, wie es dir geht, Kumpel!"
Er klingt besorgt. Ich hasse das. Ich brauche keinen Babysitter und schon recht keine Schulter zum ausheulen.
„Alles bestens, Blaise."
„Ach ja?"
„Natürlich."
Er schnaubt verächtlich. Aber was habe ich auch erwartet? Immerhin kennt Blaise mich besser als sonst irgendwer. Schweigend gehen wir nebeneinander her. Es ist Zeit fürs Mittagessen, doch ich habe keinen Hunger. Ich weiß nicht ob ich jemals wieder hungrig sein werde nach diesem Chaos von gerade eben.
Blaise will einfach keine Ruhe geben. „Sie haben Granger auf die Krankenstation gebracht. Sah nicht gut aus."
Ich schweige. Was soll ich dazu auch sagen? Natürlich ist sie auf der Krankenstation, nachdem ich sie fast um die Ecke gebracht habe. Ich weigere mich, mir darüber weitere Gedanken zu machen. Unwillkürlich schlage ich den Weg in die große Halle ein, denn ich denke bei mir, dass es wohl das Beste ist, sich so normal wie möglich zu verhalten. Granger wird in ein paar Tagen wieder auf dem Dampfer sein und damit hat sich die Sache erledigt.
„Ich habe einen riesen Hunger nach diesem Chaos, du auch?", schnarre ich und setze lächelnd meinen Weg fort.
HERMINE POV
„Poppy, was sagen die Diagnosezauber?"
„Es ist nicht eindeutig. Es scheint nicht lebensbedrohlich zu sein aber dennoch ist sie in eine Art Koma gefallen. Ich habe ihr Tränke gegeben um Ihren Kreislauf zu stabilisieren, aber mehr kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht für sie tun."
„Ich danke dir. Dann müssen wir nun wohl abwarten. Ich kann nicht mal ihre Eltern informieren, denn nach meinem jetzigen Kenntnisstand sind diese unter falschem Namen in Australien. Wir haben keine Chance sie ausfindig zu machen."
Ich höre die Stimmen von Professor McGonagall und Madam Pomfrey aber warum sehe ich sie nicht? Wo bin ich und warum ist alles dunkel? Warum kann ich mich nicht bewegen? Warum spüre ich meinen Körper nicht?
Professor McGonagall?
Ich höre meine Stimme lediglich in meinem Kopf. Okay, jetzt bekomme ich Panik. Was hat Madam Pomfrey gesagt? Wer ist in eine Art Koma gefallen? Oh Gott, sie meint doch wohl nicht mich? Oder?
„Minerva, sobald ich mehr über Miss Grangers Zustand in Erfahrung bringen kann, gebe ich dir umgehend Bescheid. Ich habe Kontakt zu einigen Heilern vom St. Mungos, die werde ich ebenfalls um ihre Meinung fragen."
„Danke Poppy. Ich hoffe Miss Granger wacht schnell wieder auf."
„Ich auch, Minerva."
Was? Halt!
Professor McGonagall! Warten sie! Halt, ich bin doch hier! Ich bin da, ich kann Sie hören!
Oh mein Gott, warum hören die mich denn nicht? Was ist passiert? Warum kann ich nichts sehen aber alles hören? Wieso bin ich auf der Krankenstation? Okay Hermine, denk nach, denk nach! Wir waren im Zaubertränke Unterricht. Und was ist dann passiert? Ich kann mich einfach nicht erinnern. Wir haben den Trank der lebenden Toten gebraut glaube ich und oh ja, ich habe mit Malfoy zusammen gearbeitet und dann… weiß ich nichts mehr. Meine Güte, bin ich verletzt? Hat mich jemand angegriffen? Nein, der Krieg ist vorbei.
Ich höre wie sich die Schritte entfernen und dann ist es auf einmal still. Es scheint niemand mehr im Raum zu sein. Gut, was weiß ich bisher? Irgendetwas muss passiert sein und ich liege im Krankenflügel also bin ich in Hogwarts. Ich kann alles hören aber weder sehen noch mich bewegen oder sprechen. Das sind bei Gott nicht die besten Aussichten die ich jemals hatte. Wo sind Harry und Ron? Oh nein, ist mit den beiden alles ok? Doch bestimmt sind die beiden in Ordnung, Poppy die zwei haben gerade nichts von weiteren Patienten erzählt.
Es ist immer noch still und mich erfasst eine bleierne Schwere. Vielleicht sollte ich schlafen und wenn ich wieder wach werde, dann war alles nur ein seltsamer Traum. Hoffentlich.
„Ich werde Malfoy umbringen, Harry. Wirklich! Ich werde ihn töten wenn Hermine nicht mehr aufwacht."
„Ron, sie wird wieder aufwachen, okay? Aber von mir aus können wir Malfoy trotzdem abmurksen!"
Harry! Ron!
Scheiße, es war kein Traum, ich bin immer noch auf der Krankenstation und kann lediglich hören, was um mich herum geschieht. Ich seufze in Gedanken auf. Das darf doch wohl nicht wahr sein! Moment, Malfoy? Was hat Malfoy hiermit zu tun?
„Vielleicht sollten wir ein paar Ihrer Bücher herbringen, und ihr daraus vorlesen? Was meinst du? Ich weiß ja nicht, aber falls sie irgendwas mitbekommt, dann will sie am liebsten was vom Schulstoff hören nehme ich an, oder?"
Oh Ron…
„Mhm…" Harry weiß offensichtlich nicht genau was er sagen soll. „Ron, wir müssen wieder zum Unterricht. Hermine würde nicht wollen, dass wir was verpassen, wo wir ihr hier doch so gar nicht helfen können."
Oh Harry…
Natürlich hat er Recht, aber ich hätte sie trotzdem gerne bei mir, aber nun ja, keiner weiß anscheinend, dass ich alles hören kann, ich bin wahrscheinlich keine so gute Unterhaltung. Ich nehme wahr, wie die Schritte der Jungs sich entfernen und wie die Türe des Krankenflügels ins Schloss fällt.
Und schon bin ich wieder allein.
DRACO POV
Ich kann nicht schlafen. Verdammt nochmal! Seit Stunden wälze ich mich hier nun schon hin und her aber der erlösende Schlaf will sich einfach nicht einstellen. Hätte ich doch wenigstens zum Quidditch-Training gehen können, aber nein, ich musste ja nachsitzen bei Slughorn. Doch ich will mich nicht beschweren, denn wahrscheinlich habe ich es wohl irgendwie verdient.
Blaise konnte es natürlich nicht lassen und hat mich nochmal auf Granger angesprochen, als ich vom Nachsitzen zurückgekommen bin. Es hat sich angeblich nichts an ihrem Zustand geändert und sie liegt bewusstlos auf der Krankenstation. Sie vermuten, dass noch mehr dahinter steckt, denn immerhin war es der Trank der Lebenden Toten und nun ja… richtig gebraut kann man damit so ziemlich jeden ausschalten, doch mit diesem Unfall und meinem falschen Eingreifen in den Trank an dieser Stelle des Brauvorgangs… keine Ahnung was mit dem Schlammblut passiert ist. Ob sie überhaupt wieder aufwacht, steht in den Sternen und ich will verdammt sein, aber ich kann nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen.
Vorsichtig, um Blaise nicht zu wecken, stehe ich auf und ziehe mir meine Schuhe an. Ich weiß selbst nicht genau, was ich eigentlich vorhabe, aber ich muss auf jeden Fall hier raus. Ich brauche frische Luft - muss raus aus den Kerkern. Weitsichtig wie ich bin, schnappe ich mir noch meine Jacke, die ich einfach über meinen Pyjama ziehe. Um diese Uhrzeit wird sich keiner mehr um mein Outfit scheren und wenn, dann nur der verfilzte Zeckenteppich von Filch.
In Gedanken wandere ich also durch das nächtliche Schloss, das natürlich wie ausgestorben ist. Im ersten Stock bleibe ich an einem der hohen, offenen Fenster stehen und lasse meinen Blick über die Ländereien schweifen. Der Mond kommt nur ab und zu hinter den düsteren Wolken hervor, die sich hinter dem Verbotenen Wald hoch auftürmen und es ist wirklich kalt hier um diese Jahreszeit im schottischen Hochland.
Ich liebe Schottland. Ich habe mich hier in den Highlands schon immer viel wohler gefühlt als im Manor. Sicher, Whiltshire ist auch schön, aber kein Vergleich zu der rauen Landschaft hier oben.
Wie es wohl sein wird, die Schule endgültig hinter sich zu lassen? Darüber habe ich mir bisher noch überhaupt keine Gedanken gemacht und ehrlich gesagt ist die Vorstellung auch auf eine komische Art und Weise beängstigend. Ich habe bei Gott nicht nur gute Zeiten hier auf Hogwarts gehabt, doch die Positiven überwiegen definitiv.
Ich seufze leise, als ich mich abwende und meinen Weg fortsetze. Und schon wieder wandern meine Gedanken zu Granger, die ich heute beinahe auf dem Gewissen gehabt hätte. Und nicht nur meine Gedanken, wie ich frustriert feststelle, sondern auch meine Beine, denn soeben biege ich um die Ecke zum Krankenflügel. Warum nur war mir eigentlich schon von Anfang an klar, dass ich hier landen würde? Wem mache ich eigentlich was vor, also außer mir selbst? Mein Gewissen bringt mich beinahe um.
Nicht etwa, weil ich es besonders traurig um Granger finde, aber nun ja, ich schätze der ganze Krieg und Voldemort und all das sind eben doch nicht so einfach zu verdauen, wie ich es mir wünschen würde.
Unentschlossen stehe ich nun vor der Tür, hinter der ganz offensichtlich das Schlammblut meinetwegen liegt und schwanke zwischen öffnen und davon rennen. Vielleicht ist Madam Pomfrey da? Ich möchte eigentlich keinen weiteren Ärger bekommen, doch irgendetwas in mir zwingt mich geradewegs dazu, die verdammte Türe zu öffnen. Scheiße, ich bin ganz und gar nicht darauf gefasst, jetzt mit Granger konfrontiert zu werden, aber nun ja, immerhin ist sie ja nicht wirklich anwesend. Ich atme einmal tief durch, ehe ich die Klinke herunterdrücke und die Tür leise quietschend aufschwingt.
Der Krankenflügel ist bis auf Grangers Bett vollkommen leer und dieses steht an der linken Seite unter einem großen Fenster. Von der Krankenschwester keine Spur.
Langsam schleiche ich mich an ihr Bett heran und bin innerlich zerrissen. Alles in mir schreit danach, einfach weg zu rennen aber natürlich kann ich das nicht. Wie gebannt starre ich auf Grangers blasse Gestalt und beobachte einen Moment fasziniert, wie sich ihr Brustkorb hebt und senkt. Man könnte meinen, Granger schläft nur, doch dummerweise weiß ich es besser. Schnell blicke ich mich um und finde einen Stuhl, den ich mir hier an ihr Bett heran ziehe. Ich bin nicht besonders leise, aber nun ja, das Schlammblut wird jedenfalls nicht so schnell aufwachen.
HERMINE POV
Ich kann nicht schlafen. Himmel, warum kann ich nicht schlafen? Vor einer gefühlten Ewigkeit war Poppy hier und hat mir eine gute Nacht gewünscht. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren seit ich in völliger Dunkelheit erwacht bin und die Vorstellung, gerade mutterselenalleine im Krankenflügel zu liegen, ist ehrlich gesagt nicht besonders angenehm.
Ich habe bereits zum hundertsten Mal alte Runencodes in meinem Kopf wiederholt und auch die Zusammensetzung von diversen Tränken habe ich mir wieder und wieder vorgekaut, doch es hilft nicht. Ich habe wirklich panische Angst davor, verrückt zu werden. Ich bin erst einen einzigen Tag ohne Bewusstsein oder besser gesagt mit eingeschränktem Bewusstsein, und drehe jetzt schon fast durch.
Moment, was war das? Ist da gerade eine Türe aufgegangen? Da sind doch Schritte! Es muss doch mitten in der Nacht sein, warum sind da Schritte? Die Schritte kommen immer näher und nun höre ich etwas über den Boden kratzen. Ein Stuhl? Es ist faszinierend wie sehr der eine Sinn geschärft ist wenn man alle anderen eingebüßt hat.
„Na, Granger, auch hier?"
Malfoy?
Diese herablassende und schnarrende Stimme würde ich unter tausenden wieder erkennen. Was zum Teufel macht Malfoy hier? Nachts an meinem Krankenbett!
„Toll hast du das hin bekommen, Granger. Wirklich toll", fängt Malfoy an zu sprechen und ich frage mich, was das wohl für ein lustiges Bild abgeben muss, sollte jetzt jemand hier rein kommen und Malfoy an meinem Bett sitzen sehen. Wäre ich nicht gerade etwas eingeschränkt in meinen Handlungen, würde ich wohl lachen.
„Scheiße Granger, wegen dir denkt jetzt bestimmt die halbe Schule, dass ich auf einem Kreuzzug bin um alle verbliebenen Schlammblüter auszulöschen! Slughorn ist solch ein Idiot, ich meine, wie kann man so gehirnamputiert sein und ausgerechnet uns beide zusammen an so einem Trank arbeiten lassen?"
Malfoy legt eine kurze Pause ein und jetzt wird mir auch langsam klar, was passiert sein muss. Oh mein Gott, ich ahne Schreckliches.
„Ich bin froh dass du hier gerade nichts mitbekommst, denn ich weiß ganz genau wie du mich jetzt anschauen würdest. Und ja, ich geb's zu Granger, okay? Ich hab Mist gebaut! Wegen meiner eigenen Dummheit liegst du jetzt hier. Ich meine… ich hab das nicht geplant oder so! Ich war unvorsichtig, ganz einfach. Ich war nicht ausreichend konzentriert. Und du Granger, bist einfach nur dumm in der Schusslinie herum gestanden, als der Trank hoch gegangen ist. Warum zur Hölle hast du nicht schneller reagiert?"
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich Malfoy jemals so viel am Stück reden gehört habe. Interessant. Sein schlechtes Gewissen muss übermächtig sein und trotzdem versucht er noch die Schuld bei mir zu suchen. Scheinbar ist er also immer noch der Alte.
„Scheiße Granger, du musst wirklich bald wieder aufwachen, okay? Ich ertrage die Blicke der Anderen nicht und Potter und Weasley werden mich womöglich vierteilen…"
Zu Recht, denke ich. Ich verspüre eine unterschwellige Wut auf diesen arroganten Sack, der selbst nach seinem selbstverschuldeten Fauxpas noch erhaben genug ist, bei mir die Schuld zu suchen und sich Sorgen um sein Ansehen zu machen, doch Malfoy nimmt mir mit seinen nächsten Worten den Wind aus den Segeln.
„Ich hoffe nur, dass du mich dafür nicht hasst, Granger. Von mir aus, hasse mich für die letzten sieben Jahre aber nicht hierfür, okay? Verdammt, alles was ich wollte war nach dem Krieg nochmal von vorne anzufangen und nun? Schau dich um, ich hab's wieder mal komplett gegen die Wand gefahren!"
Das fass ich jetzt einfach nicht. Kann mich mal jemand zwicken? Das ist doch nicht sein Ernst, oder? Niemals hätte ich mit solchen Worten aus Malfoys Mund gerechnet und ich muss zugeben, dass ich ihn tatsächlich nicht hasse. Weder für die letzten sieben Jahre, die er uns teilweise echt zur Hölle gemacht hat, noch für den Unfall im Zaubertränke-Unterricht, der wohl wirklich genau das war - ein dummer Unfall. Zweifelsohne mit üblen Folgen für mich aber noch bin ich zuversichtlich dass ich bald wieder zu mir komme. Immerhin kann ich alles hören, das ist ja schon mal gut. Oder?
Malfoy seufzt auf und sagt eine Weile gar nichts, doch irgendwann findet er offensichtlich die Worte wieder.
„Also Granger, ich schätze, man sieht sich?"
Er steht auf, was ich an den Stuhlbeinen hören kann, die erneut leise über den Boden kratzen. Seine Schritte entfernen sich und plötzlich ist es wieder still um mich herum.
Ich denke noch eine Weile über Malfoys seltsamen, nächtlichen Besuch nach, ehe mich sehr viel später endlich der erlösende Schlaf übermannt.
