Show me your face
Kapitel 1
Denial
Es ist mitten in der Nacht und ich kann nicht schlafen. Weihnachten ist vorbei, die Ferien auch. Eigentlich bin ich ganz froh darüber, wenn ich mich wieder auf die Schule konzentrieren kann, um mich von allem abzulenken, denn der Feiertagstrubel ist mir ohnehin langsam zu viel gewesen. In den letzten Wochen und Monaten haben sich mehr als genug seltsame Dinge ereignet, besonders in den vergangenen Tagen. Daran habe ich hart zu knabbern, obwohl ich mich bemüht habe, diesen Gegebenheiten nicht mehr Beachtung als nötig zu schenken. Doch auch sonst könnte man insgesamt sagen, dass mein sechstes Jahr an Hogwarts alles andere als ein Traum ist. Und so gebe ich mich endlich geschlagen und stehe auf. Vielleicht bringt mich ja eine kleine Nachtwanderung auf andere Gedanken.
Die Korridore von Hogwarts sind verlassen und dunkel. Mir ist kalt und ich wickle mich fest in meinen Morgenmantel ein. Es ist nicht das erste Mal, dass ich alleine durch das Schloss streune, wohl aber das erste Mal, dass ich mich dabei derart einsam und verlassen fühle.
Nach einer guten Stunde renne ich plötzlich irgendwo dagegen, tief in meine Gedanken versunken. Das Etwas vor mir ist groß und solide und steht mitten in meinem Weg. Und das um diese Zeit. Vielleicht war es ja eine Rüstung und ich hätte mich nicht so nah an der Wand entlang drücken sollen...
Ich höre ein sanftes Rascheln und beobachte mit klopfendem Herzen, wie sich die Umrisse einer Gestalt neben dem Fenster loslösen und zu mir umdrehen. Mir schwant nichts Gutes. Es gibt nur einen Bewohner von Hogwarts, der es vermag, beinahe lautlos aus den dunklen Schatten seiner Umgebung aufzutauchen. Dann ragt er auch schon wie ein schwarzer Wall vor mir auf: Snape.
Er schnaubt lieblos und reckt seine dürre Gestalt in die Höhe, was ihm eine fast noch unheimlichere Note verpasst als die endlose Schwärze seiner Kleidung.
„Miss Granger", zischt er mich verärgert an.
Offenbar hat er nicht damit gerechnet, dass ich ihn um diese Zeit dabei stören könnte, wie er aus dem Fenster starrt, in die trübselige Dunkelheit, die das Schloss seit Beginn des Schuljahres umgibt.
„Was tun Sie hier?"
Würde ich mehr Mut besitzen, könnte ich ihm glatt dieselbe Frage stellen. Er sieht so müde und gestresst aus, dass er durchaus eine Mütze voll Schlaf gebrauchen könnte. In Anbetracht der Umstände aber beiße ich mir auf die Zunge und schlucke meinen Kommentar runter.
„Ich kann nicht schlafen", gestehe ich leise.
Jedes Mal wenn ich ihn sehe, nehme ich mir fest vor, mich nicht einschüchtern zu lassen, schließlich bin ich keine Erstklässlerin mehr, aber das ist in seiner Gegenwart schier unmöglich. Snape war mir schon immer unheimlich, obwohl ich sagen muss, dass sich das nach den Vorfällen in den Ferien geändert hat.
Zu allem Überfluss rollt er mit den Augen und fährt mit dem Zauberstab durch die Luft. Wie auf Kommando erhellen sich daraufhin an den Wänden rings um uns herum die Fackeln.
Der Zauberstab verschwindet in seinem Ärmel, seine Arme verschränken sich vor der Brust. Dann sieht er mich durch einen Vorhang aus langen schwarzen Strähnen hindurch an.
Toll. Durch das Licht hat er volle Sicht auf meinen mit kleinen Mäuschen bestickten Morgenmantel und meine hellblauen Pantoffel. Zu meiner Verteidigung sollte ich vielleicht erwähnen, dass ich das gute Stück schon seit Urzeiten besitze, die Ärmel sind mir nämlich schon längst zu kurz. Snape aber denkt gar nicht daran, sich mit diesen Banalitäten aufzuhalten und kommt gleich zur Sache.
„Denken Sie, dass das als Erklärung genügt? Es verstößt gegen die Regeln, um diese Zeit hier zu sein."
Ich schüttle schnell den Kopf und schlinge die Arme um meinen Körper. Seine kühle Art lässt mich frösteln.
„Also", drängt er etwas milder weiter, „es kann mir ja eigentlich gleichgültig sein, aber wenn ich Sie so ansehe, werde ich das Gefühl nicht los, dass Sie etwas verloren wirken, Miss Granger."
Das kann man wohl so sagen.
Ich nicke knapp. Für seine Verhältnisse klang das außerordentlich sanft und so setze ich ein unbeholfenes Lächeln auf, um ihn bei Laune zu halten.
„Damit liegen Sie gar nicht so falsch, Professor."
Er schnaubt leise. „Dachte ich mir."
Sein Kopf lehnt sich zu mir herunter und seine Augen bohren sich tief in meine.
„Und? Werden Sie mir sagen, was mit Ihnen los ist? Oder muss ich erst nachhelfen?"
Dieses Mal ist die Warnung in seiner Stimme unmissverständlich. Wenn man so vollkommen unerwartet jemandem wie Snape gegenübersteht, gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder sage ich ihm, was mit mir los ist, oder ich versuche es mit einer Lüge. In beiden Fällen wird er mir höchst wahrscheinlich eine Strafe aufbrummen, weil ich gegen die Regeln verstoßen habe. Jemand wie er ist da ganz kalkulierend.
Hilflos schlucke ich. Ich muss Zeit schinden.
„Warum wollen Sie das wissen, Professor?", frage ich vorsichtig.
„Weil ich Ihr Lehrer bin, Miss Granger", entgegnet er steif.
„Ja. Aber Sie sind nicht mein Hauslehrer, also ..."
„Ah, verstehe", unterbricht er mich, noch ehe ich zu Ende gesprochen habe. „Dann wäre es sicher das Beste, wenn ich Sie zu Professor McGonagall geleiten würde, nicht wahr?"
„Nein!"
Die Panik in mir ist nicht länger zu unterdrücken.
Er hebt seine Brauen an. „Warum nicht? Sie ist sehr wohl Ihre Hauslehrerin und nachdem Sie so durcheinander wirken, bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie in ihre Obhut zu übergeben, um sicher zu gehen, dass Ihnen nichts fehlt."
Ungläubig blinzle ich zu ihm hoch. „Sie wollen mir doch nicht etwa erzählen, dass es Sie interessiert, was mit mir los ist?"
„So würde ich es nicht bezeichnen. Aber als Lehrer bin ich für jeden Schüler verantwortlich, der sich des Nachts hier herumtreibt."
„Hogwarts ist ein sicherer Ort, Professor. Ich denke nicht, dass ..."
Seine Augen blitzen gefährlich auf und so verstumme ich wieder. Wenn er mich doch nur ausreden lassen würde, denn eigentlich wollte ich ja etwas ganz anderes zu ihm sagen.
„Das mag sein. Aber Sie sind alles andere als eine gewöhnliche Schülerin, Miss Granger. Und wir beide wissen, dass Sie dazu tendieren, sich in Schwierigkeiten zu bringen, wo es nur geht."
Meine Augen werden größer und so fange ich einfach zu plappern an.
„Ich bin etwas verwirrt, Professor. Mein Verstand sagt mir, dass ich nicht darüber nachdenken sollte, aber einige Dinge, die sich in den Ferien ereignet haben, machen mir Sorgen."
Es ist schwieriger als ich gedacht hätte, obwohl ich ihm anrechnen muss, dass er mir eine faire Chance gegeben hat, mich zu rechtfertigen.
„Und was soll das sein?"
„Ich habe ernsthaft darüber nachgedacht, was sich in den Ferien im Grimmauldplatz abgespielt hat. Die Vorgehensweise des Ordens erscheint mir nicht richtig. Deshalb bin ich mir nicht sicher, ob ich länger hier bleiben kann."
„Was soll das heißen, Granger?"
„Ich überlege, ob ich Hogwarts verlassen soll."
Das überrascht ihn auf sehr für ihn typische Weise, denn schon schießen wie der Blitz seine Brauen in die Höhe. Ich selbst kann kaum glauben, dass ich das gesagt habe, denn genau genommen hätte ich nie gedacht, dass ich diesen Gedanken jemals laut aussprechen würde. Schon gar nicht in seiner Gegenwart. Nun ist es zu spät dafür. Es ist raus und eigentlich fühlt es sich gar nicht so übel an, diese drückende Last endlich los zu sein.
„Ich habe Dinge gesehen, die ich vermutlich nie hätte sehen dürfen", erkläre ich schnell, in der Hoffnung, nicht zu aufsässig zu klingen.
„Was genau meinen Sie, Miss Granger?", fragt er alarmiert.
Dieses Verhalten überrascht nun wiederum mich. Schließlich ist es ja nicht so, als hätte ich mir meine Probleme aus der Nase gezogen. Nein! Snape kennt mich nicht erst seit gestern. Er sollte sich darüber im Klaren sein, dass es nicht ganz so einfach ist, mit Harry Potter befreundet zu sein und in gewisse Dinge eingeweiht zu sein, die andere nicht einmal erahnen können. Außerdem sollte er sich daran erinnern, was geschehen ist, schließlich war er der Grund, warum meine Ferien so durcheinander geraten sind.
„Sie wissen doch sicher noch, dass wir uns im Hauptquartier begegnet sind", fange ich an.
Seine Augen verschmelzen mit meinen, mein Herz pocht, meine Knie werden weich.
„Alle anderen waren weg, Besorgungen machen oder sonst was und so lag es an mir, etwas zu tun, um … Ihnen zu helfen."
Als ich endlich den Mund zuklappe, beben seine Nasenflügel.
„Verstehe."
„Mehr haben Sie nicht dazu zu sagen? Professor, was dort geschehen ist, hat mich wirklich mitgenommen, ich meine, schließlich war ich es, die sich um Sie gekümmert hat … Sie erinnern sich doch, oder?"
Er zuckt wie von Schmerz durchzogen zusammen und presst seine Kiefer aufeinander. „Nicht besonders gut. Ich war teilweise bewusstlos, nicht wahr?"
Ich nicke. „Ja, das waren Sie. Ich wollte nur … Sie – Sie sind einfach auf dem Boden zusammengebrochen. Erinnern Sie sich daran? Niemand außer uns war im Haus. Sie haben sich auf die Zunge gebissen und alles war voller Blut."
Snape reißt seine Augen auf und starrt mich an, doch ich bin so in Fahrt, dass ich einfach weiter drauflos rede.
„Ihr ganzer Körper hat gezittert und dann wollte ich Sie mit einem Zauber belegen, um Sie ruhig zu stellen, doch der hat nicht gewirkt. Trotzdem habe ich Sie irgendwie nach oben in eines der Schlafzimmer gebracht. Dort haben sie auf mein Sweatshirt gekotzt ..."
Erst jetzt kommt mir in den Sinn, dass es vermutlich keine so gute Idee war, ihm das auf die Nase zu binden. Betreten senke ich den Blick auf seine sich rapide bewegende Brust und klemme meine Lippe zwischen die Zähen.
„Es – es tut mir leid. Ich hätte das eben nicht sagen sollen. Aber ich bin so durcheinander, dass ich kaum noch weiß, was ich tue."
„Nein, das hätten Sie wirklich nicht sagen sollen", gibt er ernst von sich.
„Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Aber es war ein Wunder, dass Sie es überhaupt zum Grimmauldplatz geschafft haben, Professor."
Vorsichtig wage ich einen Blick nach oben und sehe, wie er den Kopf schüttelt.
„Versuchen Sie, es zu vergessen, Miss Granger. Es ist besser so."
„Das habe ich, glauben Sie mir. Aber Sie haben so mitgenommen ausgesehen, so verändert, dass ich nicht weiß, wie ich das je wieder aus meinem Gedächtnis verbannen soll."
Es ist offensichtlich, dass ihm mein Geständnis nicht gefällt, trotzdem gibt er sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen.
„Ich empfehle Ihnen, es damit gut sein zu lassen, Miss Granger. Gute Nacht."
„Aber … Es ist noch mehr passiert. Erinnern Sie sich denn an gar nichts mehr? Wenigstens an etwas?"
Mein Flehen ist eindeutig, als ich ihm in die Augen sehe. Ich will Antworten, die nur er mir geben kann. Seine wahren Gefühle aber bleiben hart und unleserlich hinter seiner für ihn typischen Fassade verborgen.
Mal ehrlich, sein Verhalten schockiert mich. Ich war noch nie jemand, der sich einfach mit etwas abfinden konnte, schon gar nicht mit so etwas.
„Von Zeit zu Zeit werden meine Erinnerungen verändert, Miss Granger", sagt er leise. „Da kann es schon mal passieren, dass gewisse Details verloren gehen."
Das glaube ich jetzt nicht! Soll das etwa ein billiger Trick sein, um mich abzulenken?
„Ist das Ihr Ernst? Wer tut so etwas?"
Er reckt das Kinn in die Höhe und verschränkt die Arme hinter dem Rücken.
„Es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme."
„Aber … Sie meinen, der Orden tut das? Dumbledore? Sind Sie sicher? Dann – dann ist ja alles noch viel schlimmer als ich befürchtet habe ..."
„Hören Sie auf, Granger. Es ist zwecklos weiter darüber zu reden. Außerdem sollten Sie jetzt langsam wieder in Ihren Schlafsaal zurückkehren, denken Sie nicht?"
Ich blinzle ihn irritiert an.
„Das kann ich nicht."
Bin ich verrückt? Ich habe das nicht geträumt. Es war real. Es ist geschehen. Nicht einmal er kann das abstreiten, obwohl ich zugeben muss, dass es nicht weiter schwer für ihn wäre, mir etwas vorzuspielen.
„Wie können Sie von mir erwarten, dass ich das vergesse?", fahre ich ihn etwas unfreundlich an.
Seine Haltung versteift sich dabei nur noch mehr.
„Ich habe nicht gesagt, dass es einfach wäre. Da Sie aber mit Mr. Potter befreundet sind, sollten Sie mentale Vorkehrungen treffen und sich von gewissen Ereignissen nicht aus der Ruhe bringen lassen. Es ist nicht ratsam, Ihre Erfahrungen in die falschen Hände zu geben, nicht wahr?"
„Das ist mir bewusst, Professor. Deshalb dachte ich mir, dass Sie mir vielleicht weiterhelfen könnten."
Er schüttelt den Kopf. „Tut mir leid, Miss Granger. Das liegt nicht in meiner Hand. Ich habe Vorschriften zu befolgen, um den Erfolg meiner Arbeitsweise nicht zu gefährden."
Entgeistert schnaube ich ihn an. „Und was jetzt? Schicken Sie mich wieder zurück in meinen Turm? Ist das wirklich so einfach für Sie?"
„Allerdings."
„Aber ich will darüber reden!"
„Nicht heute, Miss Granger", warnt er unmissverständlich. „Gute Nacht."
Er dreht sich um und will gehen, doch ich komme ihm zuvor und halte ihn am Ärmel seiner Robe zurück.
„Warten Sie!"
Deutlich angespannt sieht er auf mich hinunter, wobei seine schwarzen Augen hinter seinen langen Strähnen aufblitzen.
„Miss Granger!"
Ich ziehe meine Hand zurück.
„Ich weiß genau was geschehen ist. Ich war bei Ihnen. Ich weiß, was ich gesehen und erlebt habe."
Seine Mundwinkel zucken beunruhigend.
„Und was sollte das gewesen sein?", fragt er zwischen eng aufeinander gepressten Kiefern hervor.
„Ich habe mich um Sie gesorgt. Ich bin nachts heimlich zu Ihnen geschlichen, als alle anderen geschlafen haben, um nach Ihnen zu sehen ..."
Weiter komme ich nicht. Er beugt sich ungewöhnlich nah über mich und ich werde das Gefühl nicht los, dass ich vorsichtiger sein sollte. Doch noch immer fühlt sich alles so erdrückend an, dass ich unbedingt Klarheit will.
„Warum sollten Sie das getan haben?", fragt er durchdringend und gibt mir damit zu verstehen, dass meine Worte genau genommen absolut absurd sind.
„Weil … weil Sie Hilfe gebraucht haben. Sie waren mir nicht gleichgültig, Professor."
Seine Brauen ziehen sich eng zusammen.
„Das mag so gewesen sein, als Sie bereit waren, zu helfen. Dafür kann ich Ihnen keinen Vorwurf machen. Was ich jedoch nicht gebrauchen kann, ist Mitleid, ganz gleich, welcher Art, Miss Granger. Wir sind jetzt wieder in Hogwarts. Sie gehen hier zur Schule und ich habe meine eigenen Dinge, um die ich mich kümmern muss. Aus diesem Grund muss ich Sie jetzt endlich bitten, in Ihren Schlafsaal zurückzukehren."
„Ist das alles was Sie mir zu sagen haben?", frage ich entrüstet. „Ich bin nicht blöd, Professor. Wenn Sie also versuchen wollen, mir etwas vorzuspielen, bitte. Doch das heißt noch lange nicht, dass ich Ihnen so ohne Weiteres glaube, schließlich spionieren Sie nicht umsonst für den Orden."
„Worauf wollen Sie hinaus, Miss Granger?"
„Darauf, dass Sie es gewohnt sind, in eine Rolle zu schlüpfen, um Ihr wahres Ich zu verbergen."
„Miss Granger, was Sie hier sagen, ist sehr brisant. Wenn Sie also die Arbeitsweise des Ordens nicht gefährden wollen, sollten Sie lieber den Mund halten."
„Wozu? Niemand außer uns ist hier."
„Das können Sie nicht wissen."
Ich rolle mit den Augen. „Denken Sie wirklich, ich wüsste nicht, was hier läuft? Sie hätten dieses Gespräch nie soweit kommen lassen, wenn die Gefahr bestanden hätte, dass uns jemand belauscht."
„Scharf beobachtet. Sind Sie jetzt fertig?"
Ich schüttle den Kopf.
„Nein, ehrlich gesagt nicht. Ich hatte gehofft, dass Sie etwas mehr Rückgrat besitzen, Professor, denn was da im Grimmauldplatz geschehen ist, war keine Kleinigkeit."
Sichtlich genervt seufzt er.
„Und was ist geschehen, Miss Granger?"
Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und hole Luft. Mir ist inzwischen egal, ob er mich dafür rügen wird, wenn ich es ihm sage, schließlich weiß ich genau was sich ereignet hat. Und mit dieser verstörenden Ungewissheit komme ich ja doch nicht klar.
„Sie haben mich geküsst."
Snape erstarrt. Seine Augen wirken nun nicht mehr so durchdringend wie zuvor, sondern eher ängstlich. Doch nicht lange, schon ist sein Gesicht wieder genauso ernst wie immer.
„War das alles, was Sie mir zu sagen haben?", fragt er kühl.
Ein bitteres Schnauben entfährt ihm und ich bin so enttäuscht von seinem Verhalten, dass ich nicht weiß, was ich darauf antworten soll, schließlich habe ich mir das alles nicht eingebildet.
Mit Bedacht macht er einen Schritt auf mich zu, bis er mit finsterer Mine und aufgeblähten Nasenflügeln über mir lehnt.
„Was Sie hier vorgetragen haben, ist sehr ernst, Miss Granger, denn sollten Sie sich tatsächlich dazu entschließen wollen, Hogwarts zu verlassen, wird man nicht zögern, Ihr Gedächtnis ebenfalls zu verändern. Nur zur Sicherheit, aber das versteht sich von selbst. Sollten Sie jedoch weiterhin mit Harry Potter befreundet sein wollen, werden Sie bereit sein müssen, sich vorzusehen, ganz so, wie ich es Ihnen geraten habe. Überlegen Sie sich Ihre Antwort gut, andernfalls muss ich Sie zum Schulleiter eskortieren, denn Ihr Ausscheiden ist nicht länger meine Angelegenheit."
Ziemlich betreten nicke ich. Vielleicht hätte ich die Sache mit dem Kuss nicht zur Sprache bringen sollen, immerhin war er ziemlich daneben, als es passiert ist. Auf der anderen Seite ist mir natürlich durchaus bewusst, dass ein Mann in seiner Position Verantwortung zu übernehmen hat, wenn so etwas geschieht. Nachdem er mir aber so unmissverständlich das Messer auf die Brust gesetzt hat, muss ich einsehen, dass es keinen Sinn hat, weiter mit ihm darüber zu diskutieren.
„Ja, Professor."
Er kneift die Augen zu Schlitzen zusammen und sieht mich an.
„Sind Sie sicher?"
„Ja."
Seine Mundwinkel kräuseln sich, dann richtet er sich auf und wirbelt herum, sodass ich nur noch seine schwarze Rückseite vor mir sehe. Mit langen Schritten entfernt er sich und lässt mich einfach stehen. In meinem Kopf aber habe ich ein ganz anderes Bild vor mir, denn dort liegt er zitternd und blutend auf dem Boden.
„Ich weiß, dass es passiert ist, Professor!", rufe ich ihm hinterher.
Als ob das alles wäre...
