DUO! ICH BRINGE IHN UM! Dieser Bastard! Dieser miese kleine Bastard!
Verdammt, wieso muss ich ihn immer da rausholen? Das ist jetzt schon das
FÜNFTE Mal!!!! Kann er sich denn einmal nicht verhaften lassen?
Heero schlich sich gerade die unteren Gänge eines OZ-HQs entlang, in der
Absicht, seinen wieder mal in Gefangenschaft geratenen Freund Duo Maxwell
aus dem Gefängnis zu holen.
"Dieses Mal lasse ich dich nicht so davon kommen, das schwöre ich dir! Das war das letzte Mal! Man könnte ja meinen, du machst das mit Absicht, Maxwell!", knurrte der Zero-Pilot fast unhörbar.
Nachdem er das Sicherheitssystem lahmgelegt und somit die ganze Basis auf den Kopf gestellt hatte, war Heero Yuy in der Uniform eines OZ-Soldaten in den Zellentrakt geschlichen, um seinen besten Freund wieder einmal aus der Misere zu helfen- die er sich selbst eingebrockt hatte. Er lokalisierte ihn etwa zwei Korridore weiter rechts und schlich sich vorsichtig um die Ecke an die Zelle. Keine Wachen? Heero wurde misstrauisch. War das eine Falle, um ihn auch festzunehmen? Denn es war hinlänglich bekannt, dass er seinen Freund immer befreite, gewissermaßen ein kleiner In- Joke sowohl unter den Piloten der eigenen Reihen als auch in denen des Gegners. Doch Heero konnte nichts feststellen, es wurde keine menschliche Wärme angezeigt und das Sicherheitssystem hatte immer noch einen "kleinen" Defekt.
"Ich warne Euch, wenn Ihr irgendetwas anderes vorhabt, werde ich Euch töten!", sagte er mehr zu sich als zu den imaginären OZ-Soldaten, die er gerade im Geiste erledigte.
Heero machte sich an dem Schloss der Zellentür zu schaffen. Es war nichts Schweres, sicher, es brauchte seine Zeit, aber für einen Heero Yuy war das zwar ein Grund, doch lange kein Hindernis. Schließlich hatte er es geknackt und öffnete mit gezogener Waffe die Tür. In dem hellerleuchteten Raum vor ihm war niemand. Niemand außer Duo, der zusammengekauert in einer Ecke auf dem Boden saß und wie Heero jetzt feststellte, stark zitterte. Ein fast bösartiges Lächeln glitt über Heeros Lippen. Geschah ihm recht! Wenn er sich immer gefangen nehmen lassen musste, dann sollte er auch ein bisschen leiden! Aber dennoch....
"Duo, los, komm hoch! Wir haben nicht ewig Zeit zum Vertrödeln!"
Duo rührte sich nicht. War das Duo? Wenn ja, warum reagierte er dann nicht? War das alles hier eine ausgeklügelte Falle um ihn zu fassen? Es konnte nicht sein, denn der Controller zeigte genau Duos Energie an, und der konnte sich wirklich nicht irren. Herrgott noch mal! Dann eben so! Heero stürmte auf Duo zu und schüttelte ihn unsanft an der Schulter, wobei er bemerkte, dass dieser heftig vor ihm zurückzuckte und noch mehr zitterte.
"Duo, verdammt! Ich bin´s, Heero! Jetzt steh schon auf und komm mit!"
Doch Duo schüttelte nur seinen auf die Knie gebetteten Kopf immer und immer wieder, während er leise flüsterte:
"Bitte nicht, bitte nicht. Nicht schon wieder. Bitte nicht."
Mittlerweile war Heeros Zorn einem tiefen Unbehagen gewichen. Was sollte das alles? Was war mit Duo los? Verdammt, wir haben keine Zeit, sie können jederzeit das Sicherheitssystem wieder in Ordnung bringen. Ich muss irgendetwas tun! Dieses Etwas bestand darin, Duos Kopf in beide Hände zu nehmen und ihn so zu zwingen, ihm direkt in die Augen zu sehen.
"Verd...", wollte er schon lospoltern, als er das Gesicht seines Partners sah.
Es war grün und blau geschlagen, die Wangen tränennass und die sonst so fröhlichen violetten Augen angstgeweitet mit dem Ausdruck eines verängstigten Tieres.
"GOTT! Was....?", begann Heero fassungslos und stockte dann.
Ich muss mich zusammennehmen! Wir müssen hier schnellstens raus! Wir dürfen keine Zeit verlieren! Ich muss ihn irgendwie dazu bewegen, mit mir zu kommen!
"Duo, Duo, erkennst du mich nicht? Ich bin es, Heero! Ich bin gekommen, um dich hier rauszuholen!"
Doch Duo erkannte ihn immer noch nicht, nein, sein Blick wurde noch panischer, noch ängstlicher, während er seinen Kopf verzweifelt schüttelte und wieder und wieder die gleichen Phrasen murmelte.
"Bitte nicht, bitte nicht! Ich kann nicht, ich will nicht! Nein!"
Heero verstärkte den Griff um seine Schultern noch mehr und schüttelte den amerikanischen Piloten heftig.
"VERDAMMT DUO! WIR HABEN KEINE ZEIT! KOMM ZU DIR!", schrie er und sah ihm fest in die Augen.
Und plötzlich, nach einem quälend langem Augenblick, schien sich etwas in den violetten Augen seines Partners zu tun. Er schien zu sich kommen und Heero zu erkennen. Zuerst war da nur Unglauben auf seinem Gesicht, dann Staunen und schließlich Erleichterung, grenzenlose Erleichterung.
"Heero, Heero, bist du das wirklich? Bist du gekommen, um mich zu retten, Heero?"
Neue Tränen flossen über die geröteten Wangen, noch heftiger als vorher und Duo umfasste zitternd Heeros Arme. Heero lächelte flüchtig. Gott sei Dank!
"Komm, wir müssen hier verschwinden!", sagte er ausdruckslos und zog Duo einfach hoch und mit sich aus der Zelle.
Die beiden schafften es ohne viel Widerstand zu einem der vielen Gleitern im Hangar. Heero ließ Duo als ersten einsteigen und wollte ihm die Leiter hinaufhelfen, indem er ihn an den Hüften hinaufstemmte und dabei versehentlich sein Hinterteil berührte. Duo reagierte augenblicklich. Er schoss herum und sah Heero mit panikgeweiteten Augen an. Heero seinerseits fuhr bei diesem ungewöhnlichen Gesichtsausdruck zusammen und schnaubte.
"Wir müssen uns beeilen! Los, schwing deinen Hintern in den verdammten Gleiter, bevor sie uns bemerken und festnehmen!", knurrte er leise.
Duo verharrte noch einen Augenblick, bis er dem Anschein nach die Situation voll erfasst hatte und sich Sekunden später in den Gleiter verzogen hatte. Heero war genauso schnell und schaffte es in Rekordzeit, ihr Transportmittel kurzzuschließen und sie beide aus dem HQ herauszubringen. Gerade als er den Hangar verließ, sah er auch schon, wie dutzende OZ- Soldaten hineinstürmten und auf den Gleiter feuerten, doch es war zu spät, sie waren bereits zu hoch gestiegen und somit aus der Reichweite der Geschosse.
"Pass auf, Duo. Ich werde den Selbstzerstörungsmechanismus aktivieren um den Anschein zu erwecken, dass wir abgestürzt sind und es nicht überlebt haben! Du musst dich also vollkommen auf den Absprung konzentrieren, hörst du?"
Duo, der vollkommen apathisch neben ihm saß und dem, wie er jetzt erst bemerkte, die Haare wild um den Kopf hingen. Duo, der so stark zitterte, dass Heero sich langsam wirklich ernsthafte Sorgen machte.
"Duo, hast du mich verstanden? Es ist wichtig, dass du dich voll konzentrierst!"
Nach einem quälend langem Augenblick wandte der Deathscythepilot fast mechanisch zu ihm und nickte kaum merklich. Heero atmete innerlich auf. Gut, soweit war es geschafft, jetzt mussten sie nur noch die richtigen Koordinaten erreichen, damit er den Gleiter in die Luft jagen konnte und ihnen beiden somit einen Vorsprung von ungefähr einer Woche verschaffen würde. Nach ein paar Minuten war es soweit: Heero gab Duo seinen Fallschirm und löste im gleichen Augenblick den Selbstzerstörungsmechanismus aus, der auf 20 Sekunden eingestellt war. Die Beiden sprangen aus dem Gleiter und schafften es gerade rechtzeitig zu landen, als die Maschine in die Luft flog und in tausende kleine Stücke zerfetzt wurde. Der Wingpilot zog die kleine Karte aus der Tasche und studierte sie für einen Augenblick, bis er dann entschied:
"In nordöstlicher Richtung finden wir die nächste kleine Siedlung. Wir werden dort Unterschlupf suchen, bis die anderen uns in einer Woche abholen."
Er packte die Karte wieder weg und sah zu Duo hinüber, dessen Gesicht immer noch eine undurchdringliche Maske aus Ausdruckslosigkeit war und der noch keinen Ton gesagt hatte, seitdem sie geflohen waren. Langsam komme ich mir wirklich blöd vor, dachte Heero, als sie schweigend auf die Siedlung zuwanderten. Normalerweise ist ER es, der mir dermaßen die Ohren vollquatscht, dass ich ihn am Liebsten zum Schweigen bringen möchte, doch nun schweigt er sich aus und sagt NICHTS. Ich frage mich, was die mit ihm angestellt haben, um ihn so dermaßen drastisch zu verändern! Nach drei Stunden hatten sie die kleine Ansammlung von Häusern erreicht und suchten sich ein Motel, in dem sie übernachten konnten. Schließlich hatte Heero etwas relativ preiswertes gefunden und sie quartierten sich ein. Als der Hotelier Duos Gesicht und seine schreckliche Aufmachung sah, zogen sich misstrauisch seine Brauen zusammen und er fragte Duo:
"Fehlt Ihnen etwas? Wir haben einen Arzt hier, etwas mehr als eine Minute die Straße hier hinunter. Ich kann ihn auch rufen, wenn Sie das möchten."
Für einen kleinen Moment war es still, doch dann erwachte in Duo zum ersten Mal so etwas wie Leben. Er schüttelte leicht den Kopf und erwiderte leise aber bestimmt:
"Danke, nein, ich brauche keinen Arzt, mir geht es gut."
Du siehst aber nicht so aus, Duo, dachte Heero, sagte jedoch nichts, sondern ließ sich den Apartmentschlüssel geben und ging dann zusammen mit seinem Partner wieder nach draußen.
"Geht es dir wirklich gut? Du siehst nicht so aus!", bemerkte er und bemühte sich, seiner Stimme keinen besorgten Klang zu geben.
Duo funkelte ihn plötzlich wütend an und zischte:
"Ich SAGTE bereits, dass ich keine Hilfe brauche! Ist das so SCHWER zu verstehen?"
Heero hob überrascht eine Augenbraue. Was war das denn jetzt? Wieso reagierte er so gereizt? Er sah zu Duo hinüber, doch der hatte sich anscheinend wieder beruhigt und war in seine Lethargie gefallen. Sie erreichten ihr Apartment. Während Heero sich erst einmal daran machte, seinen Laptop zum Laufen zu bringen und den Anderen mitzuteilen, wo genau sie sich gerade befanden, ließ sich Duo mit dem Rücken zu Heero auf dem Sofa nieder und schlang die Arme um seinen Oberkörper. Heero sah kurz zu seinem Freund hinüber und der ihm gebotene Anblick verstärkte seine Vermutung, dass hier etwas absolut nicht in Ordnung war. Duo, wie er hier von ihm abgewandt auf dem Sofa lag und nichts sagte. Aber ich weiß nicht, wie ich ihn danach fragen soll, dachte Heero. Ich habe in so etwas keine Erfahrung, zwischenmenschliche Beziehungen. Pah! So etwas braucht ein Soldat nicht, nein, so etwas schadet ihm nur. Ich habe nie gelernt, mich um das Wohl anderer Menschen zu kümmern, es ging immer nur um die Mission. Und obwohl ich jetzt das Gefühl habe, dass er meine Hilfe dringender denn je braucht, kann ich ihm nicht helfen! Ich KANN es einfach nicht, es ist praktisch unmöglich!
Er war mit der Datenübertragung fertig, so ging er in die Küche, um erst einmal etwas zu Trinken zu machen. Was er schließlich fand, war Tee. Naja, besser als gar nichts, für´s erste wird es wohl reichen, dachte er bei sich, machte den Tee fertig und ging dann zurück zu Duo. Er stellte die beiden Tassen auf den Tisch, ging hinüber zu ihm und berührte in an der Schulter. Auf die Reaktion, die darauf kam, war Heero nicht im Geringsten vorbereitet: Duo warf sich fast panisch zu ihm herum und starrte ihn aus angstgeweiteten Augen fassungslos an, während ein Wimmern seiner Kehle entsprang. Heero musste erst einmal schlucken, bevor er ein heiseres "Duo, was ist los mit dir?" hervorbrachte. Duo starrte ihn immer noch mit diesem entsetzlichem Ausdruck an und sagte nichts. Seine Augen füllten sich nur wieder mit Tränen, die dann unkontrolliert seine Wangen hinabflossen.
"Duo?"
Irgendetwas in dieser so leise ausgesprochenen Frage schien Duo dazu zu bringen, sich wieder zu fangen und Heero heiser zu antworten:
"Ist schon gut, geht schon."
Duo wischte sich unbeholfen die Tränen ab und setzte sich, während Heero ihm die Tasse reichte. Er zittert immer noch, bemerkte der japanische Pilot, als er einen flüchtigen Blick auf Duos Hände warf.
"Du musst deine Verletzungen versorgen, Duo", begann er zögernd. "Oder soll ich doch den Arzt rufen lassen?"
Der Deathscythepilot sah ihn für einen Moment unsicher an, dann schüttelte er kaum merklich den Kopf.
"Keinen Arzt. Mir geht es gut. Alles ist in Ordnung", flüsterte er.
"Dass alles gut ist sehe ich, Maxwell!", knurrte Heero plötzlich. So sehr er auch nach Beherrschung rang, so wenig konnte er es. Wenn es um Duo ging, konnte er es fast nie. Entweder der Junge machte ihn mit seinem Gequatsche völlig konfus, sodass er meistens nicht übel Lust verspürte, ihm gehörig das Maul zu stopfen oder er brachte ihn durch seine Fähigkeit, Heero auf das Genaueste zu analysieren vollkommen aus der Fassung. Niemand außer Duo hatte es geschafft, die Mauer, die Heero Yuy umgab zu durchbrechen und dem sonst so ausdruckslosen Gesicht ein Lächeln abzuringen. Aber Duo hatte es geschafft, und das nicht nur einmal.
"Du sitzt vor mir, sagst nichts, benimmst dich wie ein verängstigtes Tier, wenn ich dich anspreche und brichst in regelmäßigen Abständen in Tränen aus. Normalerweise hätte ich dich jetzt schon längst aus dem Zimmer geworfen, da du mich in meiner Konzentration störst, indem du mich volllaberst, doch du sagst NICHTS! NICHTS, Duo! Und wenn du das als normal bezeichnest, ich tue es nicht. Es IST nicht normal!"
Duo sah seinen Partner mit angstgeweiteten Augen an und musste schlucken. Heero sah aus, als wolle er ihn im nächsten Moment schlagen. Duo rückte ein Stück nach hinten und sagte dann leise:
"Es...wird schon wieder. Ich versprech´s. Ich reiße mich zusammen, versprochen Heero!"
"Gott, darum geht es doch gar nicht! Ich will wissen, was passiert ist!", gab dieser aufgebracht zurück und stellte seine Tasse mit einem lauten Knall auf den Tisch.
Will ich das wissen?, fragte Heero sich plötzlich. Warum? Was gehen mich die Gefühle anderer Leute an? Gefühle sind Schwäche und Schwäche bedeutet Tod. Aber es ist Duo...., meldete sich eine andere Stimme in seinem Kopf zu Wort. Und du magst ihn, er ist dein Freund, deshalb kümmerst du dich um ihn, sowie er sich um dich kümmert, wenn du wieder einmal versuchst, dich mit deinem Gundam in die Luft zu jagen und schwer verletzt bist. Das ist es.
Er richtete seinen Blick wieder auf besagten Freund und bemerkte, dass er erneut angefangen hatte zu weinen.
"Heero....", brachte er schluchzend hervor. "Es ist nichts, wirklich. Lass mich einfach, okay, ich will nicht darüber sprechen!"
Heero wollte etwas erwidern, doch Duo stand ruckartig auf, lief ins Bad und schloss die Tür hinter sich ab. Ich will jetzt wirklich wissen, was los ist!, dachte der Wingpilot während er auf die geschlossene Tür starrte und den würgenden Geräuschen lauschte. Was kann Duo so schlimm erwischen, dass er sich so dermaßen verändert benimmt? Und verdammt noch mal, er erzählt mir doch sonst immer alles, wieso also jetzt nicht? Wieso?
Er saß eine ganze Weile lang grübelnd da, bis er plötzlich die Dusche hörte und ein paar Augenblicke später einen Fön. Als Duo dann wieder das Esszimmer betrat, sah er zwar immer noch schlimm aus- die Blutergüsse in seinem Gesicht waren nicht abgeklungen, wie auch - aber er hatte seine Haare wieder in Ordnung gebracht und ließ sie jetzt lose und trocken gefönt über seine Schultern hängen. Ich wusste gar nicht, dass sie SO lang geworden sind, dachte Heero überrascht, als er die lange, Duo bis zu den Knien reichende Mähne betrachtete. Oder besser ausgedrückt, den braunen, seidig glänzenden Wasserfall. Er hob seinen Blick und traf genau in ärgerliche violette Augen, die ihn wütend anfunkelten. Er hob erstaunt eine Augenbraue, als Duo ihn anfauchte:
"Was ist? Was starrst du mich so an?"
"Ich hab dich nicht angestarrt."
"Doch, hast du!"
"Nein, Duo, das habe ich nicht!"
Duo schnaubte verächtlich und ging dann ins Schlafzimmer, laut die Tür hinter sich zuknallend. Heero starrte ihm mit offenem Mund hinterher. Was war das gerade eben gewesen? Was war bloß mit Duo los? So wütend hatte er ich noch nie erlebt! Heero wollte erst aufstehen und seinen Partner zur Rede stellen, dann überlegte er sich jedoch anders. Er hatte das untrügliche Gefühl, dass er jetzt noch alles schlimmer machen würde, wenn er sich mit Duo stritt. Duo Maxwell, ich verstehe dich nicht. Ich habe es noch nie gekonnt, obwohl du in mir wie in einem offenen Buch zu lesen scheinen kannst. Du wirst für mich immer unergründlicher. Seufzend klappte Heero seinen Laptop auf, verschickte noch die letzten Daten und überprüfte, ob ihnen auch niemand auf den Fersen war, dann dehnte er sich gähnend und ging zu Duo ins Schlafzimmer, da er dummerweise ein Apartment mit Doppelbett genommen hatte. Er lauschte Duos regelmäßigem Atem und zog sich geräuschlos aus, um sich dann zu seinem Partner ins Bett zu legen. Kurze Zeit später war er dann auch in einen leichten Schlaf gefallen.
Er wusste nicht genau, wie spät es war, als er plötzlich aufwachte. Irgendetwas stimmte hier nicht! Aber was? Heero sah zur Seite und bemerkte, dass die Hälfte neben ihm leer war. Wo ist Duo?, fragte er sich misstrauisch und hörte ein paar Sekunden später praktisch als Antwort wieder die würgenden Geräusche. Schon wieder? Gott, was ist nur mit ihm los? Was hat er nur?, dachte er stirnrunzelnd und ernsthaft besorgt. Ich glaube, ich sollte ihn mal zur Rede stellen, egal, was er denkt. So kann das nicht weitergehen. Und wenn ich an unsere nächsten Missionen denke...wenn er so unkonzentriert ist, kann er unmöglich daran teilhaben. Er würde uns alle in Gefahr bringen durch sein unkoordiniertes und verstörtes Verhalten!
Die Geräusche aus dem Bad hatten aufgehört und Heero hörte, wie Duo wieder herauskam und die Tür schloss.
Heero setzte sich auf, in der Erwartung, dass sein Partner sich wieder ins Bett legen würde, doch nichts dergleichen geschah. Vielmehr legte sich Duo auf die Couch im Wohnzimmer.
Was...? Heero war völlig konfus. Jetzt war aber wirklich Schluss! Das war ja nicht mehr zu ertragen, er MUSSTE mit Duo reden, und zwar JETZT!
Heero stand lautlos auf, schlich sich ins Wohnzimmer und wollte gerade das Licht anmachen, als er Duos leises Weinen hörte und sah, wie der Junge von Krämpfen geschüttelt wurde.
Sollte er es doch besser lassen?
Wäre wohl besser, antwortete er seinem Unterbewusstsein und ging zurück ins Schlafzimmer, wo er sich hinlegte und auf den Morgen wartete.
Der nächste Morgen begann auch nicht vielversprechender. Zumindest vom Wetter her nicht, denn es regnete in Strömen und Blitze erhellten in regelmäßigen Abständen den dunkelgrauen Himmel. Heero stand auf und ging ins Bad, um sich erst einmal den Dreck der letzten Tage von der Haut zu waschen, da er seit seiner Ankunft auf L2 kein einziges Mal geduscht hatte. Er hatte sich nämlich voll und ganz darauf konzentriert, seinen Partner zu retten. Wieder einmal. Doch dieses Mal schien irgendetwas anders zu sein. Schien? Nein, es war so, das konnte man deutlich sehen.
Wir werden sehen, wie es ihm heute geht, sagte sein Unterbewusstein, während er sich den Schaum von der Haut wusch. Vielleicht war ja wieder alles gut und Duo war wieder so gut drauf wie immer. Hoffentlich!, seufzte er, bevor er aus der Dusche stieg und sich abtrocknete.
Schließlich hatte Heero sich fertig gemacht und sich neue Sachen angezogen. Er ging zu Duo ins Wohnzimmer und fand den Deathscythepiloten dösend auf dem Sofa vor.
Heero musste unwillkürlich lächeln, als er sah, dass Duos Haar auf der einen Seite lang herunterhing.
Manchmal kann man ihn wirklich für ein Mädchen halten, dachte er und ging in die Küche, um sich und Duo Frühstück zu machen. Für seinen Partner plante er allerdings eine dreifache Portion ein, da es a) in Gefängnissen fast nie etwas gab, was man wirklich essen konnte und b) Duo sowieso jeden Morgen Hunger für drei hatte.
Als er schließlich eine halbe Stunde später fertig war, ging er zu Duo zurück und stellte das Frühstück auf den Tisch. Sein Partner musste wohl von den Geräuschen her wachgeworden sein, denn er drehte sich um und sah Heero mit verklärtem Blick an. Keine Spur von den Tränen letzter Nacht, dafür sah Duo einfach schrecklich aus. Dunkle Augenringe, die Gesichtsfarbe kalkweiß und die Blutergüsse dunkler als zuvor.
"Ich hab uns Frühstück gemacht", sagte Heero ausdruckslos und deutete auf den Tisch. "Setz dich, du wirst Hunger haben."
Es dauerte einen Moment, bevor ein Funke in Duos Augen glänzte und er leicht den Kopf schüttelte.
"Hunger nicht, aber einen Kaffee könnte ich wohl vertragen."
Heero hob erstaunt eine Augenbraue.
Duo hatte keinen Hunger? Was war das denn?
Heero seufzte innerlich und hielt es für klüger, lieber nichts zu sagen, da es sonst wieder nur Streit gegeben hätte und darauf war er im Moment wirklich nicht erpicht. Er ging in Küche, holte den Kaffee, setzte ihn Duo vor die Nase und sich selber neben ihn.
"Hast du gut geschlafen?", fragte Heero, als ihm die Stille zu bunt wurde und kam sich wie ein Idiot vor, da er genau wusste, dass Duo NICHT gut geschlafen hatte.
"Nein", kam auch prompt die einsilbige und kurze Antwort.
"Hast du Schmerzen?"
"Nein."
"Es sieht aber nicht danach aus."
Duo antwortete nicht und Heero sah auf. Er bemerkte, dass irgendetwas im Kaffee Duos Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte und dass er ihn im Moment gar nicht wahrnahm.
"Ich weiß nicht, ob ich dich für unsere nächste Mission einsetzen kann."
Duo sah hoch und sein Gegenüber ungläubig an.
"Warum? Es ist alles in Ordnung."
"Nein, ist es nicht. Du bist desorientiert, nicht bei der Sache. Das kann gefährlich werden."
Die sonst so sanften violetten Augen verengten sich zu Schlitzen, als Duo zischte:
"Ich werde mich bessern, es wird gehen! Das habe ich dir doch schon mal gesagt, oder nicht, Yuy?"
"Hoffen wir das Beste!", bemerkte Heero leise und warf einen letzten Blick auf Duo, bevor er sich erhob und den Tisch abräumte. Anschließend setzte er sich wieder an seinen Laptop, um die nächsten Missionsdaten auszuwerten und dieselbige vorzubereiten. Nur nebenbei hörte er, wie Duo den Vid-Screen anschaltete und sich auf dem Sofa niederließ.
Vier Stunden später war er schließlich fertig. Hatte alles vorbereitet, ausgewertet, die Örtlichkeiten auf eventuelle Schwachstellen, Fluchtwege und versteckten Basen des Feindes überprüft. Und nichts gefunden. Es war dort ungefähr so friedlich wie in einem Sandkasten. Heero klappte nach einem letzten Systemcheck den Laptop zu und dehnte sich ausgiebig. Er war einiges gewohnt, das stimmte, doch am Laptop sitzen und das noch für so einen langen Zeitraum machte ihm manchmal zu schaffen, besonders, wenn seine Gedanken zwischenzeitlich immer wieder wo anders hindrifteten.
Woanders ist gut!, sagte seine innere Stimme spottend zu ihm. Wohl ins Wohnzimmer zu einem gewissen Jungen, richtig? Gib es doch zu, Heero Yuy....
Was soll ich zugeben? Da gibt es nichts. Ich mache mir nur Sorgen um unsere nächste Mission und die Gefahr, die er hierfür darstellt.
Ja klar...versuche, jemand anders anzulügen, aber nicht mich.
Und wenn, du hast nichts zu sagen. Noch nie.
Jaja, das weiß ich schon längst, aber ich bin immer noch da, nicht wahr?
Heero hätte schwören können, dass die Stimme in seinem Kopf tatsächlich lächelte.
Er seufzte und stand auf um zu sehen, was der amerikanische Pilot machte.
Immer noch?, dachte Heero verwundert. Er sitzt seit vier Stunden unverändert vor dem Vid-Screen und hat sich kein einziges Mal gerührt.
"Hast du Hunger, Duo?"
Keine Antwort.
Will er jetzt meine Rolle übernehmen? Sonst bin ich es doch, der nie antwortet.
"Duo?"
Stille. Heero ging um den langhaarigen Jungen herum und stellte sich genau vor ihn. Duo sah auf. Der Blick verklärt, ausdruckslos, leer, ganz so, wie es eigentlich nicht sein sollte.
"Ich habe keinen Hunger", bekam er apathisch zur Antwort und das kobaltblaue Augenpaar wandte sich wieder ab.
Ich aber, dachte Heero und ging in die Küche, wo er feststellte, dass sie nicht mehr genug Vorräte hatten, um die nächste Woche durchzukommen. Dann werde ich wohl einkaufen gehen.
"Ich bin eben kurz weg, einkaufen", sagte er hohl und wollte schon das Appartement verlassen, als er hörte, wie Duo aufsprang und ihm hinterher hechtete. Heero blieb an der Tür stehen und sah einen atemlosen Duo, der hastig hervorbrachte:
"Haarband."
Heeros Augenbraue hob sich um Zentimeter.
"Vergiss Haargummis nicht. Ich brauche sie unbedingt! Hast du das verstanden?", fragte Duo eindringlich und Heero nickte.
Der japanische Pilot drehte sich kommentarlos um und verließ das Appartement, immer noch mit dem Stirnrunzeln im Gesicht. Er wanderte die Straße hinunter und fand schließlich, was er gesucht hatte: Eine Art Supermarkt, in dem es wirklich alles gab. Heero erledigte in gewohnter Präzision und Schnelligkeit den Auftrag um dann zu ihrem Apartment zurückzukehren, wo Duo immer noch vor dem Vid- Screen saß. Der japanische Pilot stellte die Tasche auf dem Küchentisch ab und war gerade dabei, sie auszupacken, als Duo in der Tür erschien und ihn seltsam leer anstarrte.
"Wo sind die Haargummis?", fragte er kalt und Heero fiel plötzlich ein, was er vergessen hatte.
Du hast Duos Haargummis vergessen. Ts, ts. Schon die Tatsache, dass du sie VERGESSEN hast, ist eine Todsünde, aber dass du Duos ausdrücklichen Wunsch einfach nicht BEACHTET hast.....das wird ihm ganz und gar nicht gefallen, Yuy, bemerkte die innere Stimme schadenfroh.
"Ich hab sie vergessen", erwiderte er nur und zuckte mit den Schultern. Es gab wirklich wichtigeres als Duos Haargummis.
"Du hast was?!"
Heero sah auf. Es war nicht die Frage, die ihn so stutzig machte, nein, das ganz gewiss nicht, es war der Ton, den Duo angeschlagen hatte. Diese leise, drohende Intonation, mit soviel Ungläubigkeit vermischt, dass Heero sich plötzlich fragte, ob er nun den Weltuntergang zu verantworten hätte.
"Ich habe nicht daran gedacht, Duo, ich habe sie vergessen."
Einen Moment herrschte Stille, bevor Duos Hand krachend auf die Arbeitsfläche schlug und er Heero wütend entgegenschleuderte:
"Verdammt noch mal, Yuy! Ist es so schwer, sich eine simple Sache zu merken?! Für dich schon, hab ich das Gefühl!"
Heero sah seinen Partner emotionslos an, während irgendwo in seiner Wange ein Muskel zuckte. Und wenn er es sich ehrlich eingestand, verspürte er nicht übel Lust, seine Faust mitten in Duos Gesicht zu platzieren, wovon er sich nur schwer abbringen konnte.
"Du wirst irrational, Duo", bemerkte er anstelle dessen nur ruhig und drehte sich weg um den Rest in den Kühlschrank einzuräumen.
"Irrational?!", brüllte Duo hinter ihm und riss ihn mit einem Ruck herum. Heero sah seinem Partner direkt in die Augen und bemerkte, dass der amerikanische Pilot kurz vor einer gewaltigen Explosion stand, die Wangen zornesbleich, mit roten Flecken durchsetzt.
"Duo....", begann Heero warnend, doch der andere hörte nicht auf diesen gefährlichen Ton.
"Zur Hölle, lieber irrational als ein durchgeknallter Killer!"
Irgendetwas in diesem Satz brachte Heero dazu, seine guten Vorsätze zu vergessen, Duos Hand von seiner Schulter wegzuschlagen und ihn gegen die gegenüberliegende Wand zu donnern.
"Sag das noch einmal, Maxwell und du bist TOT!", knurrte er jetzt offensichtlich mordlustig, presste mit einer Hand Duos Handgelenke nach oben, während er die andere um die Kehle seines Gegenübers legte, bereit, zuzudrücken. Das Entsetzen, dass er nun in Duos Gesicht sah, verunsicherte ihn stark
"Los, mach schon!", flüsterte sein Partner jetzt leise und Tränen traten ihm die Augen. "Tu es Heero!"
Es dauerte einen kurzen Moment, bis Heero realisierte, was genau Duos da gesagt hatte. Ihn töten? Den sonst so lebenslustigen und fröhlichen Piloten töten? Niemals!
"Du kannst es doch sonst immer, Yuy, dann tu es nur dieses eine Mal! Für mich!", fuhr dieser weiter heiser fort und sah sein Gegenüber flehend an.
Heero ließ ihn mit einem Ruck los und knurrte wütend:
"Niemals, Maxwell! Niemals! Und jetzt krieg dich wieder ein, ich hole dir ja schon deine verdammten Haargummis!"
Sprachs und verschwand erneut aus der Tür, um einkaufen zu gehen. Duo währenddessen brach völlig aufgelöst zusammen und schlang die Arme um seinen zitternden Körper. Gott, was hatte er da gerade nur getan? Was dachte Yuy jetzt nur von ihm? Würde er ihn verachten, hassen, weil er so schwach war? Wahrscheinlich ja.
Heero kam mit zwei Packungen Haargummis zurück und sah, dass Duo immer noch an die Wand gelehnt in der Küche saß. Er warf die Bänder vor Duo auf den Boden und brummte:
"Hier, da hast du sie."
Duo sah auf. Es dauerte einen Moment, bevor er heiser herausbrachte:
"Danke, Heero. Ich....ich wollte dich gerade nicht anschreien. Es ist mir so rausgerutscht. Ich..."
"Schon gut", unterbrach ihn der japanische Pilot und ging ins Schlafzimmer, wo er das Bett machte und aufräumte. Anschließend machte er sich und Duo etwas zu essen und stellte es auf den Wohnzimmertisch. Duo hatte sich mittlerweile wieder vor dem Vid-Screen platziert und starrte leeren Blickes auf irgendeine Unterhaltungsshow. Heero raffte sich entschlossen auf, schnappte sich die Fernbedienung und schaltete das Gerät aus. Er hörte, wie sein Partner empört nach Luft schnappte, aber nichts sagte.
"Essen", brummte Heero und sah Duo finster an.
"Kein Hunger", erwiderte der im gleichen Tonfall und stand auf, um sich die Fernbedienung zu holen, die Heero jedoch rechtzeitig in Sicherheit brachte.
"Erst essen wir!"
"Ich will aber nicht!"
Duo schaute Heero wütend in die Augen und traf auf einen das-wird-nicht- diskutiert-du-machst-das-was-ich-dir-sage-Blick.
"Vergiss es, Yuy, ich habe keinen Hunger und damit Punkt."
Der amerikanische Pilot stand auf und stellte sich ans Fenster, wo er die verlassene Straße vermeintlich interessiert beobachtete. Er hörte noch, wie sein Partner sich auf ihn zubewegte, als er plötzlich am Oberarm gepackt, mit zum Tisch gezogen und auf einen Stuhl gedrückt wurde.
"Was zum....?", fauchte er wütend, wurde aber durch einen Blick Heeros zum Schweigen gebracht.
"Du wirst ESSEN! Und wenn nicht freiwillig, helfe ich nach, verstanden?"
Er kann doch nicht.....Doch, er konnte. Alleine sein Blick ließ keine Zweifel, wie entschlossen er war.
Duo zischte wütend, akzeptierte aber die ihm dargereichte Portion ohne einen Kommentar und begann langsam zu essen.
Es geht doch. Ich hätte nicht gedacht, dass ich es schaffe, dass mein Magen das verträgt. Aber ich habe keinen Hunger.
Nach ein paar Bissen legte Duo die Gabel weg, ignorierte Heeros Blick und lehnte sich zurück. Der japanische Pilot senkte seinen Kopf wieder und fuhr fort, sich seinem Essen zu widmen. Niemand von ihnen gab auch nur einen Laut von sich. Stille, bis auf gelegentliche Stimmen von draußen oder den anderen Apartments. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.
"Wie lautet unsere nächste Mission?"
Duos Frage zerriss wie ein Donnerschlag die Stille und veranlasste Heero, verwundert aufzuschauen und erst einmal ein paar Sekunden darüber nachzudenken.
"Dieses Mal lasse ich dich nicht so davon kommen, das schwöre ich dir! Das war das letzte Mal! Man könnte ja meinen, du machst das mit Absicht, Maxwell!", knurrte der Zero-Pilot fast unhörbar.
Nachdem er das Sicherheitssystem lahmgelegt und somit die ganze Basis auf den Kopf gestellt hatte, war Heero Yuy in der Uniform eines OZ-Soldaten in den Zellentrakt geschlichen, um seinen besten Freund wieder einmal aus der Misere zu helfen- die er sich selbst eingebrockt hatte. Er lokalisierte ihn etwa zwei Korridore weiter rechts und schlich sich vorsichtig um die Ecke an die Zelle. Keine Wachen? Heero wurde misstrauisch. War das eine Falle, um ihn auch festzunehmen? Denn es war hinlänglich bekannt, dass er seinen Freund immer befreite, gewissermaßen ein kleiner In- Joke sowohl unter den Piloten der eigenen Reihen als auch in denen des Gegners. Doch Heero konnte nichts feststellen, es wurde keine menschliche Wärme angezeigt und das Sicherheitssystem hatte immer noch einen "kleinen" Defekt.
"Ich warne Euch, wenn Ihr irgendetwas anderes vorhabt, werde ich Euch töten!", sagte er mehr zu sich als zu den imaginären OZ-Soldaten, die er gerade im Geiste erledigte.
Heero machte sich an dem Schloss der Zellentür zu schaffen. Es war nichts Schweres, sicher, es brauchte seine Zeit, aber für einen Heero Yuy war das zwar ein Grund, doch lange kein Hindernis. Schließlich hatte er es geknackt und öffnete mit gezogener Waffe die Tür. In dem hellerleuchteten Raum vor ihm war niemand. Niemand außer Duo, der zusammengekauert in einer Ecke auf dem Boden saß und wie Heero jetzt feststellte, stark zitterte. Ein fast bösartiges Lächeln glitt über Heeros Lippen. Geschah ihm recht! Wenn er sich immer gefangen nehmen lassen musste, dann sollte er auch ein bisschen leiden! Aber dennoch....
"Duo, los, komm hoch! Wir haben nicht ewig Zeit zum Vertrödeln!"
Duo rührte sich nicht. War das Duo? Wenn ja, warum reagierte er dann nicht? War das alles hier eine ausgeklügelte Falle um ihn zu fassen? Es konnte nicht sein, denn der Controller zeigte genau Duos Energie an, und der konnte sich wirklich nicht irren. Herrgott noch mal! Dann eben so! Heero stürmte auf Duo zu und schüttelte ihn unsanft an der Schulter, wobei er bemerkte, dass dieser heftig vor ihm zurückzuckte und noch mehr zitterte.
"Duo, verdammt! Ich bin´s, Heero! Jetzt steh schon auf und komm mit!"
Doch Duo schüttelte nur seinen auf die Knie gebetteten Kopf immer und immer wieder, während er leise flüsterte:
"Bitte nicht, bitte nicht. Nicht schon wieder. Bitte nicht."
Mittlerweile war Heeros Zorn einem tiefen Unbehagen gewichen. Was sollte das alles? Was war mit Duo los? Verdammt, wir haben keine Zeit, sie können jederzeit das Sicherheitssystem wieder in Ordnung bringen. Ich muss irgendetwas tun! Dieses Etwas bestand darin, Duos Kopf in beide Hände zu nehmen und ihn so zu zwingen, ihm direkt in die Augen zu sehen.
"Verd...", wollte er schon lospoltern, als er das Gesicht seines Partners sah.
Es war grün und blau geschlagen, die Wangen tränennass und die sonst so fröhlichen violetten Augen angstgeweitet mit dem Ausdruck eines verängstigten Tieres.
"GOTT! Was....?", begann Heero fassungslos und stockte dann.
Ich muss mich zusammennehmen! Wir müssen hier schnellstens raus! Wir dürfen keine Zeit verlieren! Ich muss ihn irgendwie dazu bewegen, mit mir zu kommen!
"Duo, Duo, erkennst du mich nicht? Ich bin es, Heero! Ich bin gekommen, um dich hier rauszuholen!"
Doch Duo erkannte ihn immer noch nicht, nein, sein Blick wurde noch panischer, noch ängstlicher, während er seinen Kopf verzweifelt schüttelte und wieder und wieder die gleichen Phrasen murmelte.
"Bitte nicht, bitte nicht! Ich kann nicht, ich will nicht! Nein!"
Heero verstärkte den Griff um seine Schultern noch mehr und schüttelte den amerikanischen Piloten heftig.
"VERDAMMT DUO! WIR HABEN KEINE ZEIT! KOMM ZU DIR!", schrie er und sah ihm fest in die Augen.
Und plötzlich, nach einem quälend langem Augenblick, schien sich etwas in den violetten Augen seines Partners zu tun. Er schien zu sich kommen und Heero zu erkennen. Zuerst war da nur Unglauben auf seinem Gesicht, dann Staunen und schließlich Erleichterung, grenzenlose Erleichterung.
"Heero, Heero, bist du das wirklich? Bist du gekommen, um mich zu retten, Heero?"
Neue Tränen flossen über die geröteten Wangen, noch heftiger als vorher und Duo umfasste zitternd Heeros Arme. Heero lächelte flüchtig. Gott sei Dank!
"Komm, wir müssen hier verschwinden!", sagte er ausdruckslos und zog Duo einfach hoch und mit sich aus der Zelle.
Die beiden schafften es ohne viel Widerstand zu einem der vielen Gleitern im Hangar. Heero ließ Duo als ersten einsteigen und wollte ihm die Leiter hinaufhelfen, indem er ihn an den Hüften hinaufstemmte und dabei versehentlich sein Hinterteil berührte. Duo reagierte augenblicklich. Er schoss herum und sah Heero mit panikgeweiteten Augen an. Heero seinerseits fuhr bei diesem ungewöhnlichen Gesichtsausdruck zusammen und schnaubte.
"Wir müssen uns beeilen! Los, schwing deinen Hintern in den verdammten Gleiter, bevor sie uns bemerken und festnehmen!", knurrte er leise.
Duo verharrte noch einen Augenblick, bis er dem Anschein nach die Situation voll erfasst hatte und sich Sekunden später in den Gleiter verzogen hatte. Heero war genauso schnell und schaffte es in Rekordzeit, ihr Transportmittel kurzzuschließen und sie beide aus dem HQ herauszubringen. Gerade als er den Hangar verließ, sah er auch schon, wie dutzende OZ- Soldaten hineinstürmten und auf den Gleiter feuerten, doch es war zu spät, sie waren bereits zu hoch gestiegen und somit aus der Reichweite der Geschosse.
"Pass auf, Duo. Ich werde den Selbstzerstörungsmechanismus aktivieren um den Anschein zu erwecken, dass wir abgestürzt sind und es nicht überlebt haben! Du musst dich also vollkommen auf den Absprung konzentrieren, hörst du?"
Duo, der vollkommen apathisch neben ihm saß und dem, wie er jetzt erst bemerkte, die Haare wild um den Kopf hingen. Duo, der so stark zitterte, dass Heero sich langsam wirklich ernsthafte Sorgen machte.
"Duo, hast du mich verstanden? Es ist wichtig, dass du dich voll konzentrierst!"
Nach einem quälend langem Augenblick wandte der Deathscythepilot fast mechanisch zu ihm und nickte kaum merklich. Heero atmete innerlich auf. Gut, soweit war es geschafft, jetzt mussten sie nur noch die richtigen Koordinaten erreichen, damit er den Gleiter in die Luft jagen konnte und ihnen beiden somit einen Vorsprung von ungefähr einer Woche verschaffen würde. Nach ein paar Minuten war es soweit: Heero gab Duo seinen Fallschirm und löste im gleichen Augenblick den Selbstzerstörungsmechanismus aus, der auf 20 Sekunden eingestellt war. Die Beiden sprangen aus dem Gleiter und schafften es gerade rechtzeitig zu landen, als die Maschine in die Luft flog und in tausende kleine Stücke zerfetzt wurde. Der Wingpilot zog die kleine Karte aus der Tasche und studierte sie für einen Augenblick, bis er dann entschied:
"In nordöstlicher Richtung finden wir die nächste kleine Siedlung. Wir werden dort Unterschlupf suchen, bis die anderen uns in einer Woche abholen."
Er packte die Karte wieder weg und sah zu Duo hinüber, dessen Gesicht immer noch eine undurchdringliche Maske aus Ausdruckslosigkeit war und der noch keinen Ton gesagt hatte, seitdem sie geflohen waren. Langsam komme ich mir wirklich blöd vor, dachte Heero, als sie schweigend auf die Siedlung zuwanderten. Normalerweise ist ER es, der mir dermaßen die Ohren vollquatscht, dass ich ihn am Liebsten zum Schweigen bringen möchte, doch nun schweigt er sich aus und sagt NICHTS. Ich frage mich, was die mit ihm angestellt haben, um ihn so dermaßen drastisch zu verändern! Nach drei Stunden hatten sie die kleine Ansammlung von Häusern erreicht und suchten sich ein Motel, in dem sie übernachten konnten. Schließlich hatte Heero etwas relativ preiswertes gefunden und sie quartierten sich ein. Als der Hotelier Duos Gesicht und seine schreckliche Aufmachung sah, zogen sich misstrauisch seine Brauen zusammen und er fragte Duo:
"Fehlt Ihnen etwas? Wir haben einen Arzt hier, etwas mehr als eine Minute die Straße hier hinunter. Ich kann ihn auch rufen, wenn Sie das möchten."
Für einen kleinen Moment war es still, doch dann erwachte in Duo zum ersten Mal so etwas wie Leben. Er schüttelte leicht den Kopf und erwiderte leise aber bestimmt:
"Danke, nein, ich brauche keinen Arzt, mir geht es gut."
Du siehst aber nicht so aus, Duo, dachte Heero, sagte jedoch nichts, sondern ließ sich den Apartmentschlüssel geben und ging dann zusammen mit seinem Partner wieder nach draußen.
"Geht es dir wirklich gut? Du siehst nicht so aus!", bemerkte er und bemühte sich, seiner Stimme keinen besorgten Klang zu geben.
Duo funkelte ihn plötzlich wütend an und zischte:
"Ich SAGTE bereits, dass ich keine Hilfe brauche! Ist das so SCHWER zu verstehen?"
Heero hob überrascht eine Augenbraue. Was war das denn jetzt? Wieso reagierte er so gereizt? Er sah zu Duo hinüber, doch der hatte sich anscheinend wieder beruhigt und war in seine Lethargie gefallen. Sie erreichten ihr Apartment. Während Heero sich erst einmal daran machte, seinen Laptop zum Laufen zu bringen und den Anderen mitzuteilen, wo genau sie sich gerade befanden, ließ sich Duo mit dem Rücken zu Heero auf dem Sofa nieder und schlang die Arme um seinen Oberkörper. Heero sah kurz zu seinem Freund hinüber und der ihm gebotene Anblick verstärkte seine Vermutung, dass hier etwas absolut nicht in Ordnung war. Duo, wie er hier von ihm abgewandt auf dem Sofa lag und nichts sagte. Aber ich weiß nicht, wie ich ihn danach fragen soll, dachte Heero. Ich habe in so etwas keine Erfahrung, zwischenmenschliche Beziehungen. Pah! So etwas braucht ein Soldat nicht, nein, so etwas schadet ihm nur. Ich habe nie gelernt, mich um das Wohl anderer Menschen zu kümmern, es ging immer nur um die Mission. Und obwohl ich jetzt das Gefühl habe, dass er meine Hilfe dringender denn je braucht, kann ich ihm nicht helfen! Ich KANN es einfach nicht, es ist praktisch unmöglich!
Er war mit der Datenübertragung fertig, so ging er in die Küche, um erst einmal etwas zu Trinken zu machen. Was er schließlich fand, war Tee. Naja, besser als gar nichts, für´s erste wird es wohl reichen, dachte er bei sich, machte den Tee fertig und ging dann zurück zu Duo. Er stellte die beiden Tassen auf den Tisch, ging hinüber zu ihm und berührte in an der Schulter. Auf die Reaktion, die darauf kam, war Heero nicht im Geringsten vorbereitet: Duo warf sich fast panisch zu ihm herum und starrte ihn aus angstgeweiteten Augen fassungslos an, während ein Wimmern seiner Kehle entsprang. Heero musste erst einmal schlucken, bevor er ein heiseres "Duo, was ist los mit dir?" hervorbrachte. Duo starrte ihn immer noch mit diesem entsetzlichem Ausdruck an und sagte nichts. Seine Augen füllten sich nur wieder mit Tränen, die dann unkontrolliert seine Wangen hinabflossen.
"Duo?"
Irgendetwas in dieser so leise ausgesprochenen Frage schien Duo dazu zu bringen, sich wieder zu fangen und Heero heiser zu antworten:
"Ist schon gut, geht schon."
Duo wischte sich unbeholfen die Tränen ab und setzte sich, während Heero ihm die Tasse reichte. Er zittert immer noch, bemerkte der japanische Pilot, als er einen flüchtigen Blick auf Duos Hände warf.
"Du musst deine Verletzungen versorgen, Duo", begann er zögernd. "Oder soll ich doch den Arzt rufen lassen?"
Der Deathscythepilot sah ihn für einen Moment unsicher an, dann schüttelte er kaum merklich den Kopf.
"Keinen Arzt. Mir geht es gut. Alles ist in Ordnung", flüsterte er.
"Dass alles gut ist sehe ich, Maxwell!", knurrte Heero plötzlich. So sehr er auch nach Beherrschung rang, so wenig konnte er es. Wenn es um Duo ging, konnte er es fast nie. Entweder der Junge machte ihn mit seinem Gequatsche völlig konfus, sodass er meistens nicht übel Lust verspürte, ihm gehörig das Maul zu stopfen oder er brachte ihn durch seine Fähigkeit, Heero auf das Genaueste zu analysieren vollkommen aus der Fassung. Niemand außer Duo hatte es geschafft, die Mauer, die Heero Yuy umgab zu durchbrechen und dem sonst so ausdruckslosen Gesicht ein Lächeln abzuringen. Aber Duo hatte es geschafft, und das nicht nur einmal.
"Du sitzt vor mir, sagst nichts, benimmst dich wie ein verängstigtes Tier, wenn ich dich anspreche und brichst in regelmäßigen Abständen in Tränen aus. Normalerweise hätte ich dich jetzt schon längst aus dem Zimmer geworfen, da du mich in meiner Konzentration störst, indem du mich volllaberst, doch du sagst NICHTS! NICHTS, Duo! Und wenn du das als normal bezeichnest, ich tue es nicht. Es IST nicht normal!"
Duo sah seinen Partner mit angstgeweiteten Augen an und musste schlucken. Heero sah aus, als wolle er ihn im nächsten Moment schlagen. Duo rückte ein Stück nach hinten und sagte dann leise:
"Es...wird schon wieder. Ich versprech´s. Ich reiße mich zusammen, versprochen Heero!"
"Gott, darum geht es doch gar nicht! Ich will wissen, was passiert ist!", gab dieser aufgebracht zurück und stellte seine Tasse mit einem lauten Knall auf den Tisch.
Will ich das wissen?, fragte Heero sich plötzlich. Warum? Was gehen mich die Gefühle anderer Leute an? Gefühle sind Schwäche und Schwäche bedeutet Tod. Aber es ist Duo...., meldete sich eine andere Stimme in seinem Kopf zu Wort. Und du magst ihn, er ist dein Freund, deshalb kümmerst du dich um ihn, sowie er sich um dich kümmert, wenn du wieder einmal versuchst, dich mit deinem Gundam in die Luft zu jagen und schwer verletzt bist. Das ist es.
Er richtete seinen Blick wieder auf besagten Freund und bemerkte, dass er erneut angefangen hatte zu weinen.
"Heero....", brachte er schluchzend hervor. "Es ist nichts, wirklich. Lass mich einfach, okay, ich will nicht darüber sprechen!"
Heero wollte etwas erwidern, doch Duo stand ruckartig auf, lief ins Bad und schloss die Tür hinter sich ab. Ich will jetzt wirklich wissen, was los ist!, dachte der Wingpilot während er auf die geschlossene Tür starrte und den würgenden Geräuschen lauschte. Was kann Duo so schlimm erwischen, dass er sich so dermaßen verändert benimmt? Und verdammt noch mal, er erzählt mir doch sonst immer alles, wieso also jetzt nicht? Wieso?
Er saß eine ganze Weile lang grübelnd da, bis er plötzlich die Dusche hörte und ein paar Augenblicke später einen Fön. Als Duo dann wieder das Esszimmer betrat, sah er zwar immer noch schlimm aus- die Blutergüsse in seinem Gesicht waren nicht abgeklungen, wie auch - aber er hatte seine Haare wieder in Ordnung gebracht und ließ sie jetzt lose und trocken gefönt über seine Schultern hängen. Ich wusste gar nicht, dass sie SO lang geworden sind, dachte Heero überrascht, als er die lange, Duo bis zu den Knien reichende Mähne betrachtete. Oder besser ausgedrückt, den braunen, seidig glänzenden Wasserfall. Er hob seinen Blick und traf genau in ärgerliche violette Augen, die ihn wütend anfunkelten. Er hob erstaunt eine Augenbraue, als Duo ihn anfauchte:
"Was ist? Was starrst du mich so an?"
"Ich hab dich nicht angestarrt."
"Doch, hast du!"
"Nein, Duo, das habe ich nicht!"
Duo schnaubte verächtlich und ging dann ins Schlafzimmer, laut die Tür hinter sich zuknallend. Heero starrte ihm mit offenem Mund hinterher. Was war das gerade eben gewesen? Was war bloß mit Duo los? So wütend hatte er ich noch nie erlebt! Heero wollte erst aufstehen und seinen Partner zur Rede stellen, dann überlegte er sich jedoch anders. Er hatte das untrügliche Gefühl, dass er jetzt noch alles schlimmer machen würde, wenn er sich mit Duo stritt. Duo Maxwell, ich verstehe dich nicht. Ich habe es noch nie gekonnt, obwohl du in mir wie in einem offenen Buch zu lesen scheinen kannst. Du wirst für mich immer unergründlicher. Seufzend klappte Heero seinen Laptop auf, verschickte noch die letzten Daten und überprüfte, ob ihnen auch niemand auf den Fersen war, dann dehnte er sich gähnend und ging zu Duo ins Schlafzimmer, da er dummerweise ein Apartment mit Doppelbett genommen hatte. Er lauschte Duos regelmäßigem Atem und zog sich geräuschlos aus, um sich dann zu seinem Partner ins Bett zu legen. Kurze Zeit später war er dann auch in einen leichten Schlaf gefallen.
Er wusste nicht genau, wie spät es war, als er plötzlich aufwachte. Irgendetwas stimmte hier nicht! Aber was? Heero sah zur Seite und bemerkte, dass die Hälfte neben ihm leer war. Wo ist Duo?, fragte er sich misstrauisch und hörte ein paar Sekunden später praktisch als Antwort wieder die würgenden Geräusche. Schon wieder? Gott, was ist nur mit ihm los? Was hat er nur?, dachte er stirnrunzelnd und ernsthaft besorgt. Ich glaube, ich sollte ihn mal zur Rede stellen, egal, was er denkt. So kann das nicht weitergehen. Und wenn ich an unsere nächsten Missionen denke...wenn er so unkonzentriert ist, kann er unmöglich daran teilhaben. Er würde uns alle in Gefahr bringen durch sein unkoordiniertes und verstörtes Verhalten!
Die Geräusche aus dem Bad hatten aufgehört und Heero hörte, wie Duo wieder herauskam und die Tür schloss.
Heero setzte sich auf, in der Erwartung, dass sein Partner sich wieder ins Bett legen würde, doch nichts dergleichen geschah. Vielmehr legte sich Duo auf die Couch im Wohnzimmer.
Was...? Heero war völlig konfus. Jetzt war aber wirklich Schluss! Das war ja nicht mehr zu ertragen, er MUSSTE mit Duo reden, und zwar JETZT!
Heero stand lautlos auf, schlich sich ins Wohnzimmer und wollte gerade das Licht anmachen, als er Duos leises Weinen hörte und sah, wie der Junge von Krämpfen geschüttelt wurde.
Sollte er es doch besser lassen?
Wäre wohl besser, antwortete er seinem Unterbewusstsein und ging zurück ins Schlafzimmer, wo er sich hinlegte und auf den Morgen wartete.
Der nächste Morgen begann auch nicht vielversprechender. Zumindest vom Wetter her nicht, denn es regnete in Strömen und Blitze erhellten in regelmäßigen Abständen den dunkelgrauen Himmel. Heero stand auf und ging ins Bad, um sich erst einmal den Dreck der letzten Tage von der Haut zu waschen, da er seit seiner Ankunft auf L2 kein einziges Mal geduscht hatte. Er hatte sich nämlich voll und ganz darauf konzentriert, seinen Partner zu retten. Wieder einmal. Doch dieses Mal schien irgendetwas anders zu sein. Schien? Nein, es war so, das konnte man deutlich sehen.
Wir werden sehen, wie es ihm heute geht, sagte sein Unterbewusstein, während er sich den Schaum von der Haut wusch. Vielleicht war ja wieder alles gut und Duo war wieder so gut drauf wie immer. Hoffentlich!, seufzte er, bevor er aus der Dusche stieg und sich abtrocknete.
Schließlich hatte Heero sich fertig gemacht und sich neue Sachen angezogen. Er ging zu Duo ins Wohnzimmer und fand den Deathscythepiloten dösend auf dem Sofa vor.
Heero musste unwillkürlich lächeln, als er sah, dass Duos Haar auf der einen Seite lang herunterhing.
Manchmal kann man ihn wirklich für ein Mädchen halten, dachte er und ging in die Küche, um sich und Duo Frühstück zu machen. Für seinen Partner plante er allerdings eine dreifache Portion ein, da es a) in Gefängnissen fast nie etwas gab, was man wirklich essen konnte und b) Duo sowieso jeden Morgen Hunger für drei hatte.
Als er schließlich eine halbe Stunde später fertig war, ging er zu Duo zurück und stellte das Frühstück auf den Tisch. Sein Partner musste wohl von den Geräuschen her wachgeworden sein, denn er drehte sich um und sah Heero mit verklärtem Blick an. Keine Spur von den Tränen letzter Nacht, dafür sah Duo einfach schrecklich aus. Dunkle Augenringe, die Gesichtsfarbe kalkweiß und die Blutergüsse dunkler als zuvor.
"Ich hab uns Frühstück gemacht", sagte Heero ausdruckslos und deutete auf den Tisch. "Setz dich, du wirst Hunger haben."
Es dauerte einen Moment, bevor ein Funke in Duos Augen glänzte und er leicht den Kopf schüttelte.
"Hunger nicht, aber einen Kaffee könnte ich wohl vertragen."
Heero hob erstaunt eine Augenbraue.
Duo hatte keinen Hunger? Was war das denn?
Heero seufzte innerlich und hielt es für klüger, lieber nichts zu sagen, da es sonst wieder nur Streit gegeben hätte und darauf war er im Moment wirklich nicht erpicht. Er ging in Küche, holte den Kaffee, setzte ihn Duo vor die Nase und sich selber neben ihn.
"Hast du gut geschlafen?", fragte Heero, als ihm die Stille zu bunt wurde und kam sich wie ein Idiot vor, da er genau wusste, dass Duo NICHT gut geschlafen hatte.
"Nein", kam auch prompt die einsilbige und kurze Antwort.
"Hast du Schmerzen?"
"Nein."
"Es sieht aber nicht danach aus."
Duo antwortete nicht und Heero sah auf. Er bemerkte, dass irgendetwas im Kaffee Duos Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte und dass er ihn im Moment gar nicht wahrnahm.
"Ich weiß nicht, ob ich dich für unsere nächste Mission einsetzen kann."
Duo sah hoch und sein Gegenüber ungläubig an.
"Warum? Es ist alles in Ordnung."
"Nein, ist es nicht. Du bist desorientiert, nicht bei der Sache. Das kann gefährlich werden."
Die sonst so sanften violetten Augen verengten sich zu Schlitzen, als Duo zischte:
"Ich werde mich bessern, es wird gehen! Das habe ich dir doch schon mal gesagt, oder nicht, Yuy?"
"Hoffen wir das Beste!", bemerkte Heero leise und warf einen letzten Blick auf Duo, bevor er sich erhob und den Tisch abräumte. Anschließend setzte er sich wieder an seinen Laptop, um die nächsten Missionsdaten auszuwerten und dieselbige vorzubereiten. Nur nebenbei hörte er, wie Duo den Vid-Screen anschaltete und sich auf dem Sofa niederließ.
Vier Stunden später war er schließlich fertig. Hatte alles vorbereitet, ausgewertet, die Örtlichkeiten auf eventuelle Schwachstellen, Fluchtwege und versteckten Basen des Feindes überprüft. Und nichts gefunden. Es war dort ungefähr so friedlich wie in einem Sandkasten. Heero klappte nach einem letzten Systemcheck den Laptop zu und dehnte sich ausgiebig. Er war einiges gewohnt, das stimmte, doch am Laptop sitzen und das noch für so einen langen Zeitraum machte ihm manchmal zu schaffen, besonders, wenn seine Gedanken zwischenzeitlich immer wieder wo anders hindrifteten.
Woanders ist gut!, sagte seine innere Stimme spottend zu ihm. Wohl ins Wohnzimmer zu einem gewissen Jungen, richtig? Gib es doch zu, Heero Yuy....
Was soll ich zugeben? Da gibt es nichts. Ich mache mir nur Sorgen um unsere nächste Mission und die Gefahr, die er hierfür darstellt.
Ja klar...versuche, jemand anders anzulügen, aber nicht mich.
Und wenn, du hast nichts zu sagen. Noch nie.
Jaja, das weiß ich schon längst, aber ich bin immer noch da, nicht wahr?
Heero hätte schwören können, dass die Stimme in seinem Kopf tatsächlich lächelte.
Er seufzte und stand auf um zu sehen, was der amerikanische Pilot machte.
Immer noch?, dachte Heero verwundert. Er sitzt seit vier Stunden unverändert vor dem Vid-Screen und hat sich kein einziges Mal gerührt.
"Hast du Hunger, Duo?"
Keine Antwort.
Will er jetzt meine Rolle übernehmen? Sonst bin ich es doch, der nie antwortet.
"Duo?"
Stille. Heero ging um den langhaarigen Jungen herum und stellte sich genau vor ihn. Duo sah auf. Der Blick verklärt, ausdruckslos, leer, ganz so, wie es eigentlich nicht sein sollte.
"Ich habe keinen Hunger", bekam er apathisch zur Antwort und das kobaltblaue Augenpaar wandte sich wieder ab.
Ich aber, dachte Heero und ging in die Küche, wo er feststellte, dass sie nicht mehr genug Vorräte hatten, um die nächste Woche durchzukommen. Dann werde ich wohl einkaufen gehen.
"Ich bin eben kurz weg, einkaufen", sagte er hohl und wollte schon das Appartement verlassen, als er hörte, wie Duo aufsprang und ihm hinterher hechtete. Heero blieb an der Tür stehen und sah einen atemlosen Duo, der hastig hervorbrachte:
"Haarband."
Heeros Augenbraue hob sich um Zentimeter.
"Vergiss Haargummis nicht. Ich brauche sie unbedingt! Hast du das verstanden?", fragte Duo eindringlich und Heero nickte.
Der japanische Pilot drehte sich kommentarlos um und verließ das Appartement, immer noch mit dem Stirnrunzeln im Gesicht. Er wanderte die Straße hinunter und fand schließlich, was er gesucht hatte: Eine Art Supermarkt, in dem es wirklich alles gab. Heero erledigte in gewohnter Präzision und Schnelligkeit den Auftrag um dann zu ihrem Apartment zurückzukehren, wo Duo immer noch vor dem Vid- Screen saß. Der japanische Pilot stellte die Tasche auf dem Küchentisch ab und war gerade dabei, sie auszupacken, als Duo in der Tür erschien und ihn seltsam leer anstarrte.
"Wo sind die Haargummis?", fragte er kalt und Heero fiel plötzlich ein, was er vergessen hatte.
Du hast Duos Haargummis vergessen. Ts, ts. Schon die Tatsache, dass du sie VERGESSEN hast, ist eine Todsünde, aber dass du Duos ausdrücklichen Wunsch einfach nicht BEACHTET hast.....das wird ihm ganz und gar nicht gefallen, Yuy, bemerkte die innere Stimme schadenfroh.
"Ich hab sie vergessen", erwiderte er nur und zuckte mit den Schultern. Es gab wirklich wichtigeres als Duos Haargummis.
"Du hast was?!"
Heero sah auf. Es war nicht die Frage, die ihn so stutzig machte, nein, das ganz gewiss nicht, es war der Ton, den Duo angeschlagen hatte. Diese leise, drohende Intonation, mit soviel Ungläubigkeit vermischt, dass Heero sich plötzlich fragte, ob er nun den Weltuntergang zu verantworten hätte.
"Ich habe nicht daran gedacht, Duo, ich habe sie vergessen."
Einen Moment herrschte Stille, bevor Duos Hand krachend auf die Arbeitsfläche schlug und er Heero wütend entgegenschleuderte:
"Verdammt noch mal, Yuy! Ist es so schwer, sich eine simple Sache zu merken?! Für dich schon, hab ich das Gefühl!"
Heero sah seinen Partner emotionslos an, während irgendwo in seiner Wange ein Muskel zuckte. Und wenn er es sich ehrlich eingestand, verspürte er nicht übel Lust, seine Faust mitten in Duos Gesicht zu platzieren, wovon er sich nur schwer abbringen konnte.
"Du wirst irrational, Duo", bemerkte er anstelle dessen nur ruhig und drehte sich weg um den Rest in den Kühlschrank einzuräumen.
"Irrational?!", brüllte Duo hinter ihm und riss ihn mit einem Ruck herum. Heero sah seinem Partner direkt in die Augen und bemerkte, dass der amerikanische Pilot kurz vor einer gewaltigen Explosion stand, die Wangen zornesbleich, mit roten Flecken durchsetzt.
"Duo....", begann Heero warnend, doch der andere hörte nicht auf diesen gefährlichen Ton.
"Zur Hölle, lieber irrational als ein durchgeknallter Killer!"
Irgendetwas in diesem Satz brachte Heero dazu, seine guten Vorsätze zu vergessen, Duos Hand von seiner Schulter wegzuschlagen und ihn gegen die gegenüberliegende Wand zu donnern.
"Sag das noch einmal, Maxwell und du bist TOT!", knurrte er jetzt offensichtlich mordlustig, presste mit einer Hand Duos Handgelenke nach oben, während er die andere um die Kehle seines Gegenübers legte, bereit, zuzudrücken. Das Entsetzen, dass er nun in Duos Gesicht sah, verunsicherte ihn stark
"Los, mach schon!", flüsterte sein Partner jetzt leise und Tränen traten ihm die Augen. "Tu es Heero!"
Es dauerte einen kurzen Moment, bis Heero realisierte, was genau Duos da gesagt hatte. Ihn töten? Den sonst so lebenslustigen und fröhlichen Piloten töten? Niemals!
"Du kannst es doch sonst immer, Yuy, dann tu es nur dieses eine Mal! Für mich!", fuhr dieser weiter heiser fort und sah sein Gegenüber flehend an.
Heero ließ ihn mit einem Ruck los und knurrte wütend:
"Niemals, Maxwell! Niemals! Und jetzt krieg dich wieder ein, ich hole dir ja schon deine verdammten Haargummis!"
Sprachs und verschwand erneut aus der Tür, um einkaufen zu gehen. Duo währenddessen brach völlig aufgelöst zusammen und schlang die Arme um seinen zitternden Körper. Gott, was hatte er da gerade nur getan? Was dachte Yuy jetzt nur von ihm? Würde er ihn verachten, hassen, weil er so schwach war? Wahrscheinlich ja.
Heero kam mit zwei Packungen Haargummis zurück und sah, dass Duo immer noch an die Wand gelehnt in der Küche saß. Er warf die Bänder vor Duo auf den Boden und brummte:
"Hier, da hast du sie."
Duo sah auf. Es dauerte einen Moment, bevor er heiser herausbrachte:
"Danke, Heero. Ich....ich wollte dich gerade nicht anschreien. Es ist mir so rausgerutscht. Ich..."
"Schon gut", unterbrach ihn der japanische Pilot und ging ins Schlafzimmer, wo er das Bett machte und aufräumte. Anschließend machte er sich und Duo etwas zu essen und stellte es auf den Wohnzimmertisch. Duo hatte sich mittlerweile wieder vor dem Vid-Screen platziert und starrte leeren Blickes auf irgendeine Unterhaltungsshow. Heero raffte sich entschlossen auf, schnappte sich die Fernbedienung und schaltete das Gerät aus. Er hörte, wie sein Partner empört nach Luft schnappte, aber nichts sagte.
"Essen", brummte Heero und sah Duo finster an.
"Kein Hunger", erwiderte der im gleichen Tonfall und stand auf, um sich die Fernbedienung zu holen, die Heero jedoch rechtzeitig in Sicherheit brachte.
"Erst essen wir!"
"Ich will aber nicht!"
Duo schaute Heero wütend in die Augen und traf auf einen das-wird-nicht- diskutiert-du-machst-das-was-ich-dir-sage-Blick.
"Vergiss es, Yuy, ich habe keinen Hunger und damit Punkt."
Der amerikanische Pilot stand auf und stellte sich ans Fenster, wo er die verlassene Straße vermeintlich interessiert beobachtete. Er hörte noch, wie sein Partner sich auf ihn zubewegte, als er plötzlich am Oberarm gepackt, mit zum Tisch gezogen und auf einen Stuhl gedrückt wurde.
"Was zum....?", fauchte er wütend, wurde aber durch einen Blick Heeros zum Schweigen gebracht.
"Du wirst ESSEN! Und wenn nicht freiwillig, helfe ich nach, verstanden?"
Er kann doch nicht.....Doch, er konnte. Alleine sein Blick ließ keine Zweifel, wie entschlossen er war.
Duo zischte wütend, akzeptierte aber die ihm dargereichte Portion ohne einen Kommentar und begann langsam zu essen.
Es geht doch. Ich hätte nicht gedacht, dass ich es schaffe, dass mein Magen das verträgt. Aber ich habe keinen Hunger.
Nach ein paar Bissen legte Duo die Gabel weg, ignorierte Heeros Blick und lehnte sich zurück. Der japanische Pilot senkte seinen Kopf wieder und fuhr fort, sich seinem Essen zu widmen. Niemand von ihnen gab auch nur einen Laut von sich. Stille, bis auf gelegentliche Stimmen von draußen oder den anderen Apartments. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.
"Wie lautet unsere nächste Mission?"
Duos Frage zerriss wie ein Donnerschlag die Stille und veranlasste Heero, verwundert aufzuschauen und erst einmal ein paar Sekunden darüber nachzudenken.
