Titel: Staub
Disclaimer: Harry Potter und alle dazugehörigen Personen, Gegenstände und Orte gehören Joanne K. Rowling. Eline is meine Erfindung.
Er stieg die letzten Stufen hinunter und durchquerte den Korridor mit schnellen, sicheren Schritten.
Seit er sich zurückerinnern konnte, war er schnell und sicher gewesen.
Immer.
Und das würde sich heute nicht ändern.
Nicht einmal wenn er sie heute rief. Nicht einmal dann.
Severus Snape schloss die Tür zu seinem Büro auf und ließ die große, flache Schale, die neben ihm schwebte, noch vor ihm in den dunklen Raum gleiten. Nachdem er sie auf den Tisch abgestellt hatte, steckte er seinen Zauberstab weg.
Er würde ihn nicht brauchen.
Obwohl man nicht sagen konnte, dass die Situation, in die er sich jetzt begab, nicht gefahrlos war.
Auf keinen Fall.
Dafür hatte er schon zu viele Narben. Er musste lächeln. Viele von ihnen verband er mit hitzigen Diskussionen und noch mehr mit viel heißeren Momenten.
Sein Lächeln erstarb.
Wie sie das immer schaffte, dass sie nicht nur mental im Bett landeten, war ihm bis heute ein Rätsel.
Aber jetzt hatte er nur eine einzige Frage an sie. Alles andere war egal.
Er ging an dem mit Gläsern, Amphoren und getrockneten Pflanzen beladenen Regalen vorbei und pflückte ein winziges Fläschchen von dem obersten Ablagebrett. Es war rein weiß. Und obwohl er es seit fünf Jahren nicht mehr angefasst hatte, kein bisschen staubig.
Es war noch zur Hälfte voll.
Oder zur Hälfte leer.
Je nachdem.
Severus zog vorsichtig den kleinen Korken aus der Phiole und steckte den kleinen Finger der rechten Hand in die türkise Flüssigkeit. Gerade so weit, dass ein einzelner Tropfen an ihm hängen blieb. Er konnte es sich nicht leisten, dass er diese Gedanken zu schnell aufbrauchte. Auch wenn er seine Probleme meistens allein löste und sich noch nicht mal von Albus oft dazwischen reden ließ, halfen ihm ihre Zuversicht und ihre Loyalität. Er wusste nicht warum sie immer noch so sehr auf ihn stand.
Aber das hatte er sie noch nie gefragt. Wahrscheinlich würde sie es ihm sagen. Ohne zu zögern.
Trotzdem war es beeindruckend wie viel er ihr zu verdanken hatte. Oder zumindest der Ablenkung, die sie ihm nur zu bereitwillig bot. Und manchmal zu oft. Oder eher zu oft hintereinander.
Jetzt grinste er wieder. Er hatte die ganze Woche nicht einmal gegrinst, und das war auch der Grund dafür, dass er sie rief.
Eline.
Wie lange er über diesen Namen schon nicht mehr nachgedacht hatte. Eigentlich keine Verschwendung. Da sie ja doch nur eine Erinnerung war. Ein Zauber. Wenn auch ein verflucht raffinierter.
Der Tropfen der milchigen Flüssigkeit zitterte an seinem Finger, so als würde er tanzen, als würde er sich darauf freuen endlich aus dem Keramikgefäß freizukommen. Geschickt steckte Severus den Korken wieder in das Fläschchen ohne dabei den schwingenden Tropfen zu verlieren.
Während er die Phiole auf den Tisch stellte hielt er seine rechte Hand über das Denkarium. In diesem Moment siegte die Erdgravitation. Wie eine meerfarbene Perle glitt sie von seinem Finger und versank in den grauen Wirbeln der Gedanken unter ihr.
Ein Sekundenbruchteil später leuchtete die Schüssel in einem blendenden gelb auf. Und Musik erklang.
Himmlische, klare, frohlockende Musik. Engelsgleich.
Severus musste wieder grinsen. Diese Musik stand in einem solch krassen Gegensatz zu ihr, dass er sich wunderte warum sie immer noch dieselbe Nummer brachte, obwohl er ihr schon mindenstens einmal gesagt hatte, wie albern er das fand. Nun, sie hatte nur gelacht.
Er schloss die Tür und drehte den Schlüssel um. Er wollte auf keinen Fall gestört werden.
Als er sich zu dem Tisch umdrehte fiel ihm noch etwas ein. Er betrachtete die gelben und türkisen Wirbel und Schnörkel, die langsam, im Takt der Musik, aus dem Denkarium waberten. Das letzte Mal war sie einfach nackt rausgekommen. Einfach so. Bis dahin hatte er geglaubt nichts könne ihn schocken. Denkste. Darum schloss er die Augen und wartete auf ihre Kommen.
Nur eine Frage.
Er hatte nur eine Frage.
„Severus", hörte er ihre sanfte Stimme.
Sie war da.
