Es war nicht so als hätte er das alles nicht gewollt.

In den Spiegel starrend, konnte er zu einem anderen Schluss kommen als dass es so war, dass er freiwillig hier war und die Sache gewollt hatte. Den Mord.

Seine Hand presste sich automatisch gegen seine Stirn und aus seinem Mund wich ein Stöhnen, das von den Fließen widerhallte, als würden zig Geister um ihn herum streunen. Dabei gab es in diesem verdammten Bad nur einen. Beinahe hätte er darüber hysterisch gelacht, doch wieder entwich nur ein verunglücktes Seufzen seine Lippen. Scheiße.

Wie sollte er diesen Mord je vollbringen? Wie?

Das gewöhnlich so ordentliche hellblonde Haar stand in alle Richtungen ab, dunkle Flecken und Unreinheiten zeichneten sich auf der blassen Haut ab und zu allem Überfluss blickten die grauen Augen als wollten sie jeden Moment in den Höhlen verschwinden, um nie wieder irgendetwas sehen zu müssen.

Die Hände so fest um den Rand des Waschbeckens geklammert, dass die Knöchel unter der ohnehin weißen Haut noch weißer hervortraten, starrte Draco Malfoy sein eigenes Spiegelbild an. Fuck, er sah so aus wie er sich fühlte. Richtig, richtig scheiße.

„Arrgh.." Seine Stimme klang heiser und wütend, zu selten hatte er sie in letzter Zeit benutzt. Seine beiden Gefolgsmänner herumkommandieren, das war einmal. Dieser Tage war er mehr als einmal lieber alleine unterwegs statt wie früher niemals ohne Begleitung. Wie er das hasste.

In seinem Kopf rasten die Gedanken.

Wie sollte er einen Mord begehen? Wenn er doch nur...

Scheiße, er war erst sechzehn! Wieso konnte er nicht ein Leben wie alle anderen haben? Hogwarts, Hausaufgaben und als einzige Sorge, die ihn nachts wach halten konnte, Aufsätze für Zauberkunst. Er wollte das alles nicht mehr.

Aber nein, Draco hatte sich freiwillig gemeldet, wie er sich nur zu gut erinnerte. Weil er wahnsinnig nach Ruhm gierte, nach Aufmerksamkeit, nach... etwas. Deshalb, nur deshalb stand er nun hier, im Mädchenklo versteckt, das Gesicht verzerrt und blass. Und mit einem Auftrag, der ihn in den Wahnsinn trieb.

Seine Hände verkrampften sich als sich die ersten Tränen unfreiwillig aus seinen müden Augen pressten und langsam ihren Weg über die Haut fanden.

„Verdammt..." Draco verschluckte sich fast an seinen eigenen Schluchzern, die in ihm aufkamen und sich unbarmherzig einen Weg durch seinen schmalen Körper bahnten.

Sein Kopf fiel nach vorne, unfähig sich länger aufrecht zu halten und die Tränen tropften ihm von der Nase auf das Porzellan des Waschbeckens unter ihm, während seine Brust sich unter dem heftiger werdenden Weinen verkrampfte, sodass ihm beinahe der Atem abgeschnürt wurde.

Stoßweise und keuchend entwich die Luft aus seinem Mund – mit einem plötzlichen Ruck drehte Draco sich vom Waschbecken weg, würgend und flüchtete in die nächste Toilettenkabine, deren Tür in einem schrägen Winkel in den Angeln hing.

Wasser durchweichte seine Hosen als er sich erschöpft hinkniete, die Hände um die Klobrille geschlungen als sei der sein Rettungsring. Der saure, eklige Geruch seines eigenen Erbrochenen ließ ihn wieder würgen, doch sein Magen protestierte lediglich schmerzhaft und leer. Essen war nicht eben seine oberste Priorität dieser Tage.

Schwach und schweißnass suchte seine Hand den Spülknopf und fand ihn. Der Geruch verschwand und Draco atmete erleichtert aus.

Seine Hose war völlig nass, doch das spürte er kaum. Zitternd versuchte er sich aufzurichten und bemerkte erst jetzt, das jemand hinter ihm stand.

„Hau ab!" Der Schrei klang nicht ganz so bedrohlich, wie er gewollt hatte, eher schrill und panisch.

„Hau ab!"

Sein Gegenüber starrte ihn nur an, selbst zu einem Spiegelbild seiner eigenen Gefühle geworden: Panik, Hass, Angst, Verzweiflung... Nur die schwarzen Haare stimmten nicht, dachte er geistesabwesend. Die waren falsch.

Draco spürte seinen Zauberstab, der sich gegen seine Rippen presste, doch seine Augen waren unfähig sich von der Gestalt gegenüber zu lösen. Schwer atmend blickten graue Augen in ein Paar grüne. Verflucht.

Sinnlose Sekunden völliger Stille breiteten sich wie ein Teppich zwischen ihnen aus. Nur das Keuchen aus ihrer beider Münder war zu hören, ein bizarrer, wilder Laut mitten in den kühlen, nassen Fließen.

Dann endlich drehte sich Harry Potter um und hinterließ nichts als ein spritzendes Wasser, dreckige Fußspuren darin und einen stummen Draco, als er Hals über Kopf aus dem Bad der Maulenden Myrte flüchtete. Was zur Hölle war das?

Draco konnte kaum seine Gedanken ordnen, geschweige denn sein heftig klopfendes Herz zum Schweigen bringen. Nichts davon ergab einen Sinn.

In seinem Mund sammelte sich immer noch der Geschmack des hochgewürgten Essens und er konnte nicht anders als das Zeug auszuspucken. Erst in der Bewegung spürte er den Zauberstab wieder, in seinem Hosenbund steckend, und verdrängte den Gedanken, der sich anschlich.

Leidlich nass und dreckig löste sich Draco aus der Kabine und ging mit klatschenden Schritten an den Waschbecken vorbei hinaus.

Dunkelheit erstreckte sich vor dem Fenster, pechschwarze nasse Dunkelheit. Verschluckte alles Licht, was sich noch durch das Wasser hinab stehlen konnte. Wenn es besonders sonnig draußen war, konnte man manchmal ein paar Strahlen über die steinernen Mauern wandern sehen, aber das kam selten genug vor. Nachts war es schlicht schwarz.

Mit wachen grauen Augen spähte Draco unter seiner Bettdecke hervor in das trübe Wasser des Sees vor dem Fenster des Schlafsaals. Die übrigen Jungs schliefen bereits, er hörte manche leise schnarchen.

Bei ihm selbst war ans Schlafen nicht zu denken. Wieder und wieder spukte ihm die Szene im Klo heute Mittag im Kopf herum. Warum hatte er seinen Zauberstab nicht gezogen?

Warum hatte er nicht den verflucht, dessen Tod zu verursachen er hier war?

Das war der einzige, verdammte, idiotische Grund warum er überhaupt in diese verfluchte Schule zurückgekehrt war! Der Krieg würde kommen, zweifellos und absolut, und er würde sich beweisen, er würde ihn umbringen!

Draco wusste nicht viel über das, was der Dunkle Lord wirklich planen mochte und er wollte es auch gar nicht. Er wollte das Ansehen, endlich einmal glänzen und das Richtige tun.

Er würde verdammt nochmal das Richtige tun. Er würde Harry Potter töten.

Mit Mühe zwang er seine Augenlider dazu, endlich die Dunkelheit in seinen Kopf zu lassen.

„Würdest du das lassen?"

Draco schob Pansys Arm zur Seite. Gott, dieses Weib konnte nerven. Nun wollte sie ihn zum zigsten Mal in dieser Woche zur nächsten Unterrichtsstunde, Zaubertränke, begleiten und er hatte absolut keinen Nerv dafür.

Ihr hochmütiges Gesicht verzog sich zu einem geschockten Ausdruck.

„Aber..."

„Lass mich einfach in Ruhe.", schnappte Draco zurück und drängte sich an ihr vorbei aus dem Gemeinschaftsraum der Slytherins.

Weit war es nicht zu Kerker, in dem Snape üblicherweise Zaubertränke unterrichtete, nun abgelöst von einem enorm großen Walross namens Slughorn.

Einem enormen Walross, das Harry Potter vor allem bevorzugte, sicher. Wie alle. Wie immer.

Draco betrat mit den anderen Schülern den großen, steinernen Raum. Etliche Tische standen verteilt umher, alle mit eisernen Körben für die Feuerstelle und Halterungen für die Kessel versehen.

Es herrschte reges Gequassel rund um ihn her. Seit Slughorn den Jahrgang übernommen hatte, hatte die Aussicht auf eine halbwegs erfreuliche Stunde die Gemüter erheblich aufgehellt. Der alte Slytherin war beliebter als Snape, wenn auch nicht überall.

Ohne Umschweife gab Draco zu, dass er Professor Snape jederzeit den Vorzug gegeben hätte, egal ob es Slughorn den Kopf kosten würde oder nicht. Missmutig hing er den Kessel über dem Feuer auf und hörte mit halbem Ohr zu, was der Nebentisch zu besprechen hatte bevor der Zaubertranklehrer den Raum betreten würde.

„Du hast was?", fragte die zischende Stimme von Hermine Granger gerade.

„Psst, nicht so laut..." Harry neben ihr zwang sie die Stimme zu senken.

„Ja, es war Zufall, ich hab ihn gesehen.", fuhr er beinahe unhörbar für Draco fort, „Aber ich weiß immer noch nicht, was er vorhat."

Draco fixierte wie versteinert einen Brandfleck auf seinem Holztisch.

„Oh Himmel...", setzte die Granger gerade wieder an als Slughorn den Raum betrat.

„Ruhe, meine Lieben, wir wollen heute..."

Den Rest ignorierte Draco, nur mit halbem Ohr den Anweisungen zuhörend, die folgten. Er spürte ein vages Rauschen in seinem Kopf. Potter hatte seinen ach so tollen Freunden also von ihrer Begegnung erzählt.

Hätte er ihn bloß verflucht.