Dass das fünfte Schuljahr selbst für die Rumtreiber, die sonst nie lernten, kein Zuckerschlecken werden würde, wurde den Schülern spätestens am ersten Schultag klar.
„Sie kommen durch keine ZAG–Prüfung", sagte Professor McGonagall in Verwandlung grimmig zur Klasse, „ohne ernsthafte Praxis, Übung und Studium. Ich sehe keinen Grund, warum jemand in dieser Klasse keinen ZAG in Verwandlung erlangen sollte, wenn er oder sie gründlich darauf hinarbeitet."
„Als wenn ich darauf hinarbeiten müsste", sagte James laut und ein überhebliches Grinsen zeichnete seine Züge. Lily sah ihn angewidert an und schnaubte verächtlich.
„Nun gut, Potter, dann werden Sie uns sicherlich den ersten Zauber zeigen können. Wir beginnen heute mit Verschwindezaubern. Diese sind leichter als Beschwörungszauber, die Sie für gewöhnlich erst auf UTZ - Niveau versuchen werden, und dennoch gehören sie zur schwierigsten Magie, die beim ZAG geprüft wird. Mr. Potter, fangen Sie an", sagte sie streng und legte eine Schnecke auf sein Pult.
„Nichts leichter als das, Professor", erwiderte er mit einem charmanten Lächeln und kaum, dass er eine einfach Bewegung mit dem Zauberstab gemacht hatte, war die Schnecke verschwunden. Lily stöhnte innerlich auf. Es war schon schlimm genug, dass er den ganzen Tag damit angab, was er konnte. Aber schlimmer war es für Lily, dass er so vieles, von dem mit dem er sich ständig brüstete, wirklich konnte. Es stimmte, dass er für Verwandlung nicht lernen musste, er war sowieso Klassenbester darin. Es stimmte, dass er ein hervorragender Jäger war, ohne den die Gryffindormannschaft wohl so manches Mal verloren hätte. Und es stimmte, dass ihm im Duellieren nur wenige Schüler das Wasser reichen konnten. Lily wusste all diese Dinge und hätte James nicht ständig mit seinem Können angegeben, hätte sie ihn vielleicht sogar dafür bewundert.
Sie selbst war Klassenbeste und stand James in kaum etwas nach, auch wenn sie grundsätzlich eine andere Arbeitshaltung an den Tag legte, als er. Er mochte ihr zwar in allen anderen Fächern gleichauf sein, aber Lily war stolz darauf, ihm in Zaubertränke voraus zu sein. Genau wie Severus Snape, ihr bester Freund und ein Schüler aus dem Haus Slytherin, war sie eine ausgezeichnete Tränkebrauerin, was Professor Slughorn ihr auch oft genug sagte. Nicht selten stieg ihr in seinem Unterricht die Röte ins Gesicht. Sie verstand nicht, warum sie, eine Muggelgeborene, ausgerechnet die Lieblingsschülerin des Hauslehrers von Slytherin war. Aber es störte sie nicht, im Gegenteil, sie fand es beruhigend, dass es auch Slytherins gab, die nicht nach dem Kriterium „Reinblütigkeit" entschieden. Slytherins wie Snape. Durch ihre gemeinsame Vorliebe für Zaubertränke verbrachten Lily und er mehr Zeit miteinander, weil Slughorn es ihnen oft erlaubte, ihn während des späten Nachmittags in seinem Büro aufzusuchen und sich fort an fortgeschritteneren Tränken zu probieren. Meist waren sie insgeheim ein wenig genervt von ihrem ewig redenden Lehrer, doch da er es war, der ihnen die Zutaten besorgte und sie auch außerhalb des Unterrichtes in sein gemütliches Büro ließ, ließen sie sein Geplapper über sich ergehen.
Später, in Zauberkunst war es dasselbe wie in Verwandlung.
„Sie müssen bedenken", quiekte Professor Flitwick, „dass diese Prüfungen ihr Leben für die nächsten Jahre stark beeinflussen kann. Falls sie bis jetzt noch nicht über ihre spätere Berufslaufbahn nachgedacht haben, ist die Zeit dafür nun gekommen. Wir werden ab jetzt fleißiger denn je arbeiten, um den Forderungen gerecht zu werden, die bei den Prüfungen auf sie zu kommen."
Über eine Stunde lang wiederholten sie hiernach Aufrufezauber, die Professor Flitwick zufolge ganz sicher in den Prüfungen drankommen würden. Am Ende der Stunde bekamen sie so viele Hausaufgaben aufgehalst, dass einigen Schüler langsam Bedenken kamen, überhaupt genug Zeit zu haben, um noch ein wenig Essen herunterzuschlingen.
Als sie schließlich ein paar Stunden später von den Ländereien zurückkehrte, wo sie Pflege magischer Geschöpfe gehabt hatte, schleppte die Klasse sich mit einer Tasche voller Hausaufgaben hinunter in die Kerker.
Dort fing Slughorn auch so gleich an, ihnen die heutige Aufgabe mitzuteilen. Seine brummige Stimme hallte durch den Kerker, der noch nicht wie so oft mit Rauchschwaden und Dämpfen gefüllt war, die das Sehen schwerer machten. „Heute mischen wir ein Gebräu, das bei den ZAG´s oft verlangt wird.", erklärte Slughorn und ging vor seinem Pult auf und ab. Seinen gewaltigen Bauch trug er vor sich, als sei er eine riesige Bowlingkugel. „Den Trunk des Friedens. Er lindert Ängste und dämpft Aufgeregtheit. Doch gehen Sie mit den Zutaten nicht allzu sorglos um, sonst werden Sie mit ihrem Trank einen tiefen Schlaf auslösen, aus dem manche nicht mehr erwachen werden. Also seien Sie vorsichtig und beginnen Sie."
Eifrig stellte Lily ihren Kessel auf, schlug das Zaubertränkebuch auf und holte die Zutaten für den Trunk des Friedens hervor. Nach einer halben Stunde hatte das Gemisch die gewünschte silbrige Farbe und als Slughorn an ihrem Tisch vorbeiwatschelte wurde sie auch sogleich dafür gelobt.
„Ah, Ms Evans", rief er und warf begeistert die Hände in die Luft. Lily wurde rot. „Natürlich haben Sie wie immer alles bestens im Griff. Eine so außerordentlich begabte Schülerin wie sie hatte ich schon lange nicht mehr. Es freut mich, dass Sie anscheinend erkannt haben, welche wunderbaren Dinge man mit so einem Zaubertrank bewirken kann!"
Und während er zum nächsten Tisch watschelte konnte Lily weiterhin leise „Wunderbar!" oder „so begabt...!" vernehmen. Mit immer noch etwas geröteten Wangen, jedoch äußerst zufrieden mit sich, beugte Lily sich wieder in ihr Buch um auch den letzten Teil des Zaubertrankes richtig herzustellen.
Gerade fügte sie die letzte Zutat hinzu, als ein ohrenbetäubender Knall ertönte. Sie wirbelte herum. Das erste, was sie sah, war Snape, über und über mit Spritzern seines Trankes bedeckt. Sein Gesicht war wutverzerrt, etwas das sie nicht gerne an ihm sah, weil es sie jedes mal stark daran erinnerte, wie einige andere Schüler aus Snapes Haus dreinblickten, wenn sie wütend waren. Und dann entdeckte sie auch, was Snape so wütend gemacht hatte. Sein Kessel war anscheinend explodiert, denn er lag umgekippt auf dem Boden vor dem Tisch, die Flüssigkeit darin war längst in einer großen Pfütze über den Boden verteilt und etwas, das wie die verkohlten Überreste eines magischen Feuerwerkkörpers aussah, lag darin.
„Ihr", presste Snape hervor, seine Stimme schien vor Wut zu versagen, und zeigte drohend auf zwei Jungen, die sich vor stillem Lachen krümmten. „Ihr-"
„Ja, Schniefelus, was willst du uns sagen? Ich weiß nicht woran es liegt, dass wir dich nicht verstehen können, aber ich schätze einfach mal, dass der fettige Schleier um dich herum keine verständlichen Laute nach außen dringen lässt." Es war James, der da gesprochen hatte. Überheblich und arrogant wie immer grinste er Snape an. Auch Lily bebte nun vor Wut. Sie schritt auf James zu, in ihr brodelte es.
„Potter", presste Lily hervor und versuchte gar nichts erst zu verstecken, wie sehr sie ihn verabscheute.
„Evans, schön dass du-" James wurde jäh unterbrochen von Lilys Hand, die sich schmerzhaft in seine linke Wange grub.
„Tat´s weh, Potter?", fragte Lily ruhig.
„Ich... ja!" James sah verärgert und verwundert zugleich aus. Fassungslos sah er sie an.
„Freut mich", sagte Lily und lächelte ihn an. Wütend sah James ihr hinterher, als sie zurück zu ihrem Kessel ging.
Am Ende der Stunde rief Slughorn Snape zu sich um ihm zu versichern, dass er den Zaubertrank noch einmal herstellen und die Probe ein wenige später als die anderen abgeben dürfte.
„Wie ich diesen aufgeblasenen Schnösel verabscheue", sagte Snape finster, als er sich mit Lily, die auf ihn gewartet hatte, auf den Weg zum Essen machte. „Irgendwann wird er dafür büßen, das schwöre ich!"
