Frühling
Frühling (Ich empfehle dabei folgendes zu hören: .com/watch?v=k50jj_dp0NQ)
"Es ist noch nicht Herbst.", sagte er.
Ich wusste, dass diese Worte sich auf ewig in meinem Gedächtnis einbrennen würden. Auch seine Stimme - tief, ruhig und bestimmend. Wusste, dass ich sie wahrscheinlich noch ein paar Monate lang - mit Glück sogar länger, hören würde.
Wie sie mir diese Worte vorsichtig, aber mit einer bestimmenden Form zuflüsterte - mit aller Kraft, hartnäckig alle Fakten ignorierend, meinem Schicksal zuredete.
"Wir haben Frühling, Bella. Alle Zeit der Welt".
Ein Hauch von Ruhe schwebte über uns, aber er konnte mich nicht täuschen.
Ich konnte mich nicht täuschen.
In seinem Gesicht lag etwas, dass ich nicht mit Sicherheit bestimmen konnte. Die Zeit, die wir miteinander hatten - noch kostbarer als je zuvor -lehrte ihn eine Maske aufzusetzen. Nie war dort eine Spur von Resignation zu entdecken. Aber seine Augen verrieten ihn stets. Ich wusste, was dort zu finden war - Schmerz.
Ich sah ihn an, mein Kopf auf seinen Arm. Die Wiese, unsere Wiese, wurde mein Zufluchtsort. Unser. Er hatte die Augen geschlossen, und wie von selbst, berührte meine Hand sein Gesicht.
"Mein letzter Frühling.", erwiderte ich leise.
Sein Gesicht, sonst ein perfekter Schirm, der meinen Worten widerstand, verzog sich schmerzhaft. Er hielt den Atem an und ergriff meine Hand.
Ich wollte ihn nicht so sehen. Nicht so, nicht gequält. Ich wollte nicht diejenige sein, die ihm diese Leiden zufügte. In meinem Kopf wollte ich, wenn der Herbst eintraf, sein schönes Gesicht in Erinnerung behalten; dasjenige, welches mir zum ersten Mal ein schiefes Lächeln steckte.
Welches mich aus strahlend grünen Augen betrachtete, und schließlich auch das Gesicht, der Ausdruck, bevor er mich küsste.
Um nichts in der Welt wollte ich diese Erinnerung mit der neuen austauschen, aus Angst es zu vergessen.
"Sag so was nicht."
Seine Stimme brach, kaum zu hören, aber verständlich genug.
Ich wusste nicht, ob es nur seine Stimme war; denn mir schien, als hörte ich auch sein Herz. Es brach. Wie meines.
Seitdem ich wusste…es wusste, hang ein Schleier über uns.
Wie ein Faden, der mit jeder Sekunde, jedem Atemzug immer dünner würde.
Uns lief die Zeit davon.
Ich wollte mich noch nicht verabschieden. Nein. Und auch er wollte es nicht.
Ich wollte eine Zukunft haben - mit ihm.
Ich wollte alles haben - Edward.
Er atmete leise aus und brachte meine kleine Hand zu seinem Mund. Sanft strich er sie langsam und zart über seine weichen Lippen.
"Du wirst bei mir bleiben", sagte er.
Innerlich schüttelte ich den Kopf.
Wenn ich doch nur könnte!
Es ging mir weniger um mich selbst als um Edward.
Es tat hundertmal mehr weh zu wissen, dass ich ihn allein lassen würde.
Mein Schmerz war nicht mit dem zuvergleichen, den er durchmachte. Wenn ich irgendwie könnte, würde ich seinen auf mich nehmen. Nur um die Last von seinen Schultern zu nehmen.
"Ich liebe dich, Bella."
Seine Augen waren immer noch verschlossen, und er küsste sachte meine Fingerspitzen.
"Ich liebe dich mehr", sagte ich. "Mehr als mein Leben."
Was für eine Ironie in diesem Satz steckte. Noch vor einem halben Jahr hätte ich sie nicht gefunden, hätte theatralisch mit den Augen gerollt und mich einen Idioten geschimpft. Jetzt wusste ich es aber besser.
Kann man mehr als ein Leben lieben?
Etwas mehr wollen als sich selbst?
Ich tat es, und nur dieser Tatsache war es zu verdanken, dass ich immer noch hier auf unserer Wiese neben ihm lag.
Atmend und lebend, fühlend und liebend.
Ewigkeit war ein Begriff, an den ich mich klammerte und von dem ich wusste, dass er sich daran fest hielt. Ich tat alles, was in meiner Macht stand, so lange wie möglich zu bleiben.
Liebe bis zur Ewigkeit.
"Du weißt nicht, wie sehr…"
Er brach erneut ab, das Klirren der Scherben seines Herzens hallte schmerzhaft in mir nach. Seine Hände griffen nach meinem Gesicht und führten es zu ihm; mir verschlug es immer noch die Sprache. Manchmal wurde seine Schönheit, der Ausdruck der mir galt, dem platten Wort "Liebe" nicht annähernd gerecht.
Fast nicht zu ertragen.
"Es ist noch nicht Herbst", flüsterte er rau, und seine Augen starrten bis in mein krankes Herz.
So zart wie seine Lippen meine berührten, könnte man meinen, eine Feder würde sie berühren. Leicht, als wäre es der letzte Kuss, und doch bestimmend und fordernd -meinem Leben nach greifend - küsste er mich.
Mich und meine Seele, die wie ich wusste, auf ewig seine sein würde.
Ich wusste, er würde im Herbst auf sie aufpassen. Musste.
Stumm tanzte eine Träne aus meinem Augenwinkel, fand ihren Weg zu unseren Lippen. Salzig und bitter, schön und wütend - es waren zu viele Widersprüche die wir durchleben mussten.
Er löste seinen Mund von dem meinen und hielt mich fest - noch so ein Widerspruch. Ich war bald nicht mehr da, und doch hier. Im Frühling.
"In ihrer Schönheit wandelt sie
Wie wolkenlose Sternenacht;
Vermählt auf ihrem Antlitz sieh'
Des Dunkels Reiz, des Lichtes Pracht:
Der Dämmerung zarte Harmonie,
Die hinstirbt, wann der Tag erwacht."
Seine Stimme, bittersüß, rezitierte mein Gedicht. Mein Lieblingsgedicht.
Traurig und stark hielt er sie. Nur um meinetwillen. Eindringlich. Als wäre dies das Mittel, meinem Schicksal entgegen zu wirken.
"Ein Schatten mehr, Licht minder klar,
So wär' die tiefe Anmuth nicht,
Die niederwallt im Rabenhaar
Und sanft verklärt ihr Angesicht,
Aus welchem hold und wunderbar
Die reine liebe Seele spricht.
"O diese Wang', o diese Brau'n,
Wie sanft und still und doch beredt,
Was wir in ihrem Lächeln schau'n!
Ein frommes Wirken früh und spät;
Ein Herz voll Frieden und Vertraun,
Und Lieb', unschuldig, wie Gebet."
Es kostete ihn Kraft dies auszusprechen. Aber tat es dennoch, stach sich damit jedes Mal wieder masochistisch in sein eigenes Herz. Er sollte das nicht tun - meines war doch schon kaputt.
Und dafür hielt ich durch.
Bis zum Herbst.
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A/N: Eine Geschichte, die mir einfiel, als ich nicht schlafen konnte. Ich hoffe sie ist nicht zu kitschig...Hoffe auch nicht zu, öhm, poetisch...Sommer und Herbst wären noch offen, ich richte mich da mal nach euch, ob es wert ist, weiteres zu schreiben ;) Und ja, theorethisch sieht es so aus, als würde die Story in die Prosa Kategorie passen...in meinem Kopf zumindest geht es hier aber um Bella und Edward. Inhaltlich an die Biss-Story wird sie sich offensichtlicher aber dennoch einordnen können - im nächsten Chapter zumindest.
Das Gedicht ist übrigens von George Gordon Lord Byron.
Danke fürs Lesen, würde mich sehr über Reviews freuen. Ist nämlich das erste Mal, dass ich was ernsteres schreib.
Liebe Grüße,
papillon
