~ 30 years after ~
Wenn Jahre ein Leben verändert
~ Prolog – Ankunft ~
Es war ein ganz normaler Tag für sie. Papierkram, Akten, Training, Essen, Teepausen, Meetings und Fechtduelle. Sie genoss jeden einzelnen Tag, auch wenn die schreckenden Bilder im Spiegel sie trübe stimmte. Sekunden fuhr sie sich durch ihr Haar, als sie sich auszog. Es war Nacht. Eine von vielen ruhigen Nächten, die sie wieder mit Aktenaufzeichnungen verbrachte. Ihre übliche Arbeit. Doch sie liebte sie. Es lenkte sie ab von den Geschehnissen und von den Gedanken, die hervor kamen, wenn es zu ruhig wurde. Es waren Gedanken, die sie zum weinen brachten, zum seufzen und verzweifeln. Sie wusste, sie war nicht alleine. Sie war hier umsorgt mit einer tiefen Freundschaft. Dennoch fühlte sie sich sich leer.
Das Alter holte sie mit jeden Tag immer ein Stück mehr ein. Sie sah in ihr Abbild und erblickte nur ein Gesicht, welches voller Falten schien. 30 Jahre waren vergangen. Die Spuren in ihren Augen waren tief.
Sie versuchte sich nicht dafür zu verabscheuen, aber doch hasste sie, wie fast jeder Mensch, das Alter. Sicher würde er über ihre Gedanken grinsen, sicher würde er lachen und meinen, dass es ihr stünde. Es würde sie in Rage bringen, sie würde schreien und Sachen nach ihn werfen. Dies alles würde sie tun. Doch nun war er nicht hier. Er war fort. Weit fort.
Ihre blauen Augen fuhren von dem Spiegel fort. Sie nahm ihr Nachthemd und streifte es sich über. Das lange, blonde Haar fiel an ihr herab, als sie sich zum Bett begab und die Papiere ansah. Doch sie konnte sich nicht darauf konzentrieren. Sie überflog die Zeilen und behielt nichts in ihrem Gedächtnis. Andere Gedanken drängten sich ein. Sie dachte über die Zeit nach, als alles noch Heil schien. Als sie gestraft wurde mit einem ungehobelten Diener. Als sie umsorgt wurde, von einem alten Familienfreund. Sie dachte ü ber die Zeit nach, die für sie wunderbar war. Keine Beschäftigung der Welt könnte dies ersetzen. Sie hatte sich einfach daran gewöhnt.
Selbst die Worte ihrer Dienerin konnte sie nicht beruhigen. Immer wieder grinste sie, zeigte auf ihre kleine Bissnarbe und sprach strahlend aus: „Er wird wieder kommen! Glauben sie mir, er wird kommen."
Von wegen. Er kam nicht. Kam nach einigen Tagen nicht, nach Wochen, nach einem Jahr und nun auch nicht nach 30 Jahren. Er war einfach nicht da.
Sie seufzte leise und blickte auf ihre Notizen. Langsam wich ihr Blick auf die Uhr. 22 Uhr. Es war schon spät. Vielleicht sollte sie sich doch hinlegen.
Ihr Kopf wandte sich um. Sie sah auf die Papiere, welche um sie herum verstreut waren. Sie nun zu sortieren wäre anstrengend und aus den warmen Bett aussteigen kam nicht in Frage. Was blieb ihr übrig als sich hin zulegen, die Augen zu schließen und ein zu schlafen. Gegen ihrer Meinung, schlief sie sofort wieder ein.
Der Mond schien so hell. Er war rund, groß und leuchtend hell. Der Himmel schien dagegen wie das finsterste Loch. Und das große Haus, wie eine einsame Geistervilla, die die Landschaft des Mondes untermalte. Nur der Wind sauste um die Wände, trug Blätter mit sich und rauschte gegen die Fenster, die mit Knarren antworteten.
Die Flure waren leer. Die Zimmer dunkel und ruhig. Alles schien kalt, wie seit den wildesten Zeiten nicht mehr.
Die Treppen zu den Kellergewölben waren verwaist. Die Steine kahl und eisern. Der Weg immer Länger.
Man blickte nur noch auf eine Tür, umzäunt von Gurten, Schlössern und Siegeln. Man konnte nur ahnen, was sich dahinter verbirgt. Es schien alles ruhig.
Nur ein leises Knistern und eine Wallung erklang. Es tropfte etwas herab.
Der dunkle Raum, versiegelt und verschlossen, besaß ein Heiligtum. Ein Gegenstand von wichtiger Bedeutung. Sein Sarg. Schwarz, finster, dunkel und verwaist. Doch es tropfte weiter. Es tropfte unaufhörlich, bis sich auf den Sarg weiß abzeichnete. Schriftzüge erschienen. Wörter, Buchstaben in einer kyrillischen Art.
'The bird of Hermes is my name, eating my wings to make me tame.'
Es schien, als würde es leben. Es schien, als würde jemand wandern. Das gesamte Haus war erfüllt von einer erdrückenden Aura. Atem war zu hören und ein Grinsen zu erahnen.
Langsam tauchte in einen anderen Raum des Anwesen jemand durch die Wand auf. Sein schwarzes Haar legte sich locker auf den Kopf. Er trug sein roten Mantel und blickte instinktiv zu der Mitte des Raumes, zum Bett. Dort sah er sie. Sie schlief. Ihr Kopf zur Seite gedreht, ruhte sie tief und fest. Lächelnd kam er näher. Seine Finger glitten über das Bett zu ihren nackten Hals. Sachte beugte er sich herab. Sein Mund öffnete sich, seine Zähne, Reißzähne, entblößten sich. Immer näher, immer weiter kam er zu ihrer Halsschlagader.
Sie riss ihre Augen auf, schellte unter ihr Kissen, griff ihre Waffe und schlug ihn damit von sich ohne nicht auch einen scharfen Schuss abzugeben. Ein Schrei begleitete sie und Empörung war in ihrem Gesicht zu sehen. Keuchend beruhigte sie sich langsam.
„Lady Hellsing!" Sofort kam ihre Dienerin rein gestürmt. Sie trug ihre Waffe und blickte sich wütend um. Es schien, als rechnete sie mit allem, aber nicht mit dem. Wie ihre Herrin sah sie zu dem Verursacher.
Er lag auf den Boden. Seine Beine von sich gestreckt, sein roter Mantel offen und die schwarzen Sachen zerknittert. Das Gesicht nach unten gerichtet und die Haare fielen an die Seite. Er lachte. Er lachte amüsiert auf. Er lachte herzhaft weiter und ließ die beiden Frauen mit ihrer Verwunderung alleine.
„Welch eine gewaltsame Begrüßung und dieser Lärm, genauso wie früher." Seine tiefe Stimme vibrierte durch den Raum. Seine Präsenz war gefestigt.
„Master!" Das junge Mädchen, welchen reinstürmte meldete sich zu Wort. Über glücklich strahlte sie ihn an. Ihre Herrin saß auf ihr Bett und verschränkte erhoben die Arme. Sie zeigte keine Freude über seine Rückkehr. Sie zeigte nichts.
„Du kommst zu spät nach Hause, Alucard. Was hast du den getrieben?" Sie grinste leicht und blickte ihn etwas an.
Alucard lächelte, richtete sich auf und sah zu ihr herüber.
„Ich habe getötet. Meine eigenen Leben in mir. 3.424.867. Sonst habe ich alle ausgelöscht, außer ein einziges in mir. Und nun bin ich überall und nirgendwo. Das ist der Grund, warum ich hier bin." Er sah sie direkt an und lächelte. Auch sie schmunzelte. Ihr Haar fiel über die Augenklappe. Eine Verletzung des letzten Kampfes.
„Zu spät. Du bist zu spät, Alucard." Sie grinste erfreut. Leicht schmunzelte er verlegen.
„Es tut mir Leid." Sachte richtete sie sich auf und sah ihn nun direkt an. Sie ignorierte ihre Dienerin, die unbeteiligt daneben stand. Seras freute sich sicherlich, dass ihr Meister wieder da war. Doch es war ihr Moment. Der Moment, der ihr gehörte. Ihr allein, mit ihm.
„Wolltest du etwa mein Blut trinken?" Er lächelte selbst zufrieden.
„Ja, genau. Ich habe seit 30 Jahren nichts mehr gegessen. Ich habe Hunger." Ihr Schmunzeln wurde breiter. Elegant hob sie ihre Hand.
„Ich bin mittlerweile Oma."
„Das macht nichts." Sie führte ihr Finger in den Mund, biss hinein und ließ nie den Augenkontakt von ihm. Er kniete nieder, während sie ihren Finger hob und das Blut tropfen ließ. Seine Zunge fuhr aus seinem Mund, als es herab tropfte und die alten Geschmacksknospen zum erwachen brachten. Er genoss jeden einzelnen Tropfen.
„Willkommen zurück, Fürst."
„Ich bin wieder zu Hause, Fürstin." Fürstin. Wie sie es genoss, wenn er sie in seinen Stand erhob. Wie sie es liebte und nun war er wieder da. Hier, bei ihr und trank ihr Blut. Ihr altes Blut.
Sie genoss es, wie er es genoss. Es war ihr gleich,w er sie dabei beobachtete. Es war ihr gleich, wie intim es sich anfühlte.
„Na, ob du davon satt wirst." Ihre Stimme unterbrach die Gedanken Integras. Seras stand lässig an der Wand, verschränkte die Hände unschuldig hinter ihrem Rücken und lächelte zuckersüß. Man hätte meinen können, sie riss einem gleich den Kopf ab. Solch eine Kälte strahlte ihr Schmunzeln aus. Ihr Meister blickte sie lächelnd an und lachte. Sofort glitten seine Augen wieder zu Integra, als er sich aufrichtete.
„Oh, ja, am liebsten würde ich viel mehr kosten." Sie wusste, worauf er anspielte.
„Aber das würde ich nie zulassen, mein Lieber!" Sie wandte sich um, hielt ihre Wunde zu und ging zu ihrem Bett. „Und nun kannst du gehen. Es ist spät und du hast mich aus meinen erholsamen Schlaf gerissen. Das habe ich nicht gerne." Er lächelte freundlich und verneigte sich.
„Wie ihr wünscht."
„Seras, du kannst auch gehen und danke.", lächelte sie ihr zu. Die Vampirin kicherte und verschwand aus der Tür.
„Meister, kommst du?" Sie sah ihm nach, wie er der lauten Stimme seiner Dienerin folgte. Dennoch verschwand nicht mit ihm das Gefühl der Erleichterung. Er war hier und er kam zurück. Wundervoll.
„Trotz der langen Zeit, hast du noch nicht gelernt durch Wände zu spazieren." Sein kleiner Vorwurf schallte durch die kleine Küche. Sie seufzte, schmiss die Kühlschranktür zu und setzte sich zu ihm an den Tisch. Es war ein gemütlicher Ort, der extra für sie gebaut wurde. So konnte sie sich immer selbst versorgen und zurückziehen. Es war wie eine kleine Wohnung, mit Schlafzimmer, Küche und Bad. Ihre roten Augen sahen ihn an, wie er sich eine Blutkonserve aufriss und daraus trank. Alucard saß ihr gegenüber und sog genüsslich sein Lebenssaft in den Mund. Es war für sie ungewohnt ihn sehr nahe bei sich zu haben. Es waren schließlich 30 Jahre vergangen. So viele Momente, wo er nie in ihrer Nähe war. Sie bemerkte nicht, wie sie ihn genau beobachtete. Doch er spürte es.
Seine Augen fuhren zu ihr und blickten sie fragend und gleichzeitig tadelnd an.
„Du schweigst?" Seras schrak auf und sah ihm ins Gesicht.
„Sollte ich etwas sagen?" Er legte die Konserve zur Seite und lehnte sich nach vorne.
„Wenigstens eine Erwiderung meines Kommentars wäre angemessen. Angemessen für dich." Verwundert sah sie ihn weiter an. Die Worte schienen wieder verflogen zu sein. Sie nahm sie auf, dachte kurz darüber nach, aber vergaß es wieder.
„Eine Erwiderung? Was hast du denn gesagt?" Er sah sie verwirrt an. Es herrschte eine kleine Stille, bis er anfing zu lachen. Sie lief leicht rot an und sah herab.
„Raube ich dir so die Gedanken, weil ich wieder hier bin, oder warum verfliegen meine Worte aus deinen Gedanken?" Sie blickte wieder hoch. Seras musste zugeben. Vermisste hatte sie alles an ihm. Selbst die Art seiner Worte. Wie er sprach und mit ihr umging.
„Es tut mir Leid. Es ist nur etwas ungewohnt." Er nahm seine Konserve wieder auf und zog daran.
„Ich meinte, dass du trotz meiner Abwesenheit so vieler Jahre, noch immer nicht das Wandwandeln beherrscht."
„Ich hatte niemand, der mich dafür auf eine gewisse Art motiviert.", lächelte sie. Er sah sie eine Zeit an und schloss genüsslich die Augen.
„Dann ist nun wieder jemand hier. Hast du keinen Hunger?" Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe heute schon etwas getrunken." Er sah sie eindringlich an. Es herrschte wieder eine Pause. Wie es schien, überlegte er. „Regelmäßig.", fügte sie hinzu und lächelte neckend. Sofort entblößte sich ein breites Grinsen auf seinen Lippen.
„Wunderbar." Sie sah ihn glücklich an. Seras spürte, dass er es so meinte. Er war schon früher stolz auf sie, als sie etwas freiwillig getrunken hatte. Und wie es schien, war er nun noch erfreuter, dass sie es auch weiterhin trank.
„War es schwer?" Er sah sie an.
„Was?" Sie wandt sich noch mit ihrer Frage.
„Die ganzen Leben zu töten." Er sah ihr in die Augen.
„Für mich war es nur bedingt schwer. Ich bin alt, erfahren und mächtig. Für dich wäre es im Moment fast unmöglich." Sie sah ihm in die Augen. Seras wusste nicht warum, aber irgendwas an seinen Worten störte sie. Es war eine kleine Ahnung einer innerlichen Traurigkeit, die darin klang. Doch dies bildete sie sich sicher nur ein. Es wäre unmöglich, dass es ihn störte Leben, die schon lange tot waren, zu töten. Es war bei ihm einfach nicht möglich.
Er legte die leere Konserve beiseite und stand auf.
„Ich gehe und schlafe ein wenig. Du solltest es auch tun." Sie blickte ihn verträumt an und nickte. Sofort verschwand er in der Wand und ließ sie alleine. Sie blickte noch immer auf den Punkt, wo er war. Sie fühlte sich gut. Sicher wird es wieder interessanter als sonst, auch wenn sich hier viel verändert hatte. Aber er war da, das war alles, was zählte. Lächelnd stand sie ebenfalls auf, schmiss die leere Konserve in den Müll und ging in ihren Raum. Sie sollte wieder schlafen gehen.
