Eis stürzte ab. Zerbrach knackend auf einem Vorsprung, riss ihn mit und donnerte zu Tal. Das Krachen und Bersten der kleinen Lawine aus Eis und Fels scheuchte einige Frostechsen auf, die sich kreischend und schwerfällig mit den Flügeln schlagend in die Luft erhoben, die Mägen wohl noch mit Goblins gefüllt. Die kleine tödliche Lawine kam mit einem seltsamen Scharren zum Stehen und füllte den kleinen Talkessel der Frostechsen aus. Wolken aus Eis und Schnee wirbelten durch die Luft, brachen das Licht wie Myriaden kleinster Diamanten und wurden vom beständigen Wind aus dem kalten Norden verweht. Unten im kleinen Talkessel lag jetzt ein großer Haufen aus Schnee, Eis und scharfkantigem Fels. Eine Frostechse hatte die Flucht nicht geschafft und war halb unter den Massen begraben, nur ein Flügel, gebrochen, schaute heraus. Die Echse schlug mit ihm und versuchte sich freizuschaufeln, doch die Kraft ihres Körpers reichte nicht aus, um dem Tod zu entrinnen. Rotes Blut aus der offenen Wunde spritze auf die weiße Masse. Immer dichter und dichter wurden die Tupfer, immer mehr und mehr Blut quoll hervor, immer schwächer und schwächer wurde der Wille der Frostechse, bis sie sich erschöpft ihrem Schicksal ergab und ruhig, nur ab und an zitternd dalag. Ruhige wurde der Strom der Röte, ergoss sich in den Schnee wie ein sterbendes Meer des Lebens. Dann kam wieder die knackende und heulende Stille der Eisbachberge und hüllte das Land und die sterbende Frostechse ein.
Langsam, fast widerwillig und gepresst ließ ich meine Luft aus den Lungen entweichen. Dass ich der Auslöser dieses Ereignisses war, lässt sich kaum bestreiten. Aber schon in Sternental, der Enklave der Magier, nannte man mich schon Weltzerstörer. Obwohl mein Name eigentlich Crudelitos ist. Aber das lag wohl daran, dass ich meine langen Glieder nicht so unter Kontrolle habe. Mein erster, selbstbeschworener Meteoritenschwarm ging ja schließlich auch nicht im See nieder, sondern zerschlug das Vordach des Magierhändlers Maruk Molar. Leider hatte dieser just an diesem Tage eine Ladung Hylailer Feuer aus dem fernen Aventurien bekommen und die Tonkrüge in einer hübschen Pyramidenform aufgestapelt. Na ja, das Zeug explodierte also, einige der Tonkugeln stiegen wie Raketen in den Himmel auf und ließen bunte Sterne regnen, der Rest verteilte sich auf der Wiese und an diversen Hauswänden. In diesem Fall war es Glück, dass Hylailer Feuer klebt und nicht abzuwaschen ist. Alexius Guderian und Zergon Perval konnten zumindest auf diese Art und Weise ihre Eissplitter vorführen und zusammen mit der Windböe von Ashande konnte man das Feuer auch löschen. Ich war so beschämt, dass die eines Magiers unwürdigen Worte aus dem Munde Molars nur dumpf in meinen roten Ohren hallten. Ich habe bei Molar immer noch Hausverbot. Schon seit sieben Jahren. Und immer ruft er, wenn er meiner ansichtig wird:
„Hilfe, Hilfe! Bildet einen Eimerkette!"
Langsam ging ich einen Schritt zurück. Dann vorsichtig noch einen. Ich atmete tief durch, wandte mich um und begab mich wieder auf den Weg hinunter, der mich zum Seraphimkloster bringen sollte. Hier oben konnte ich wenigstens nichts anbrennen lassen. Nur einstürzen. Mein Reittier, eine zutraulich gewordene Pegasus, wartete geduldig. Drei totogetrampelte Eisgoblins ließen vermuten, dass hier einige Sekunden der hektischen Aktivität stattgefunden haben mussten. Ashì-íra sah mich aus ihren dunkelblauen Augen ruhig an und scharrte fast wie verlegen mit einer ebenholzschwarzen Hufe. Ich ging an sie heran, nicht direkt auf sie zu, denn das wäre unhöflich gewesen, und streichelte ihr Fell. Es war weiß. Es war nicht das tote Weiß des Schnees, sondern das lebendige Weiß von Milch. Das feine Langhaar war ebenfalls dieser Farbe, hatte aber einen Schlag ins Gelbe.
Ich mühte mich jedes Mal redlich ab, um in den leichten Reisesattel zu steigen, an dem man sich auch festschnallen konnte, aber das wird man mir, bei einer Widerristhöhe von knapp drei Schritt wohl auch nachsehen. Prustend oben angekommen und festgeschnallt, bei Flugmanövern sehr nützlich, strich ich sanft über den Hals und den schwarzen Aalstrich Ashì-íras. Sie legte ihre Flügel an und wärmte auf diese Art und Weise meine Beine. Sie selbst war unempfindlich gegen jedwede natürliche Kälte oder Hitze. Mit einem leichten Druck der Unterschenkel bedeutete ich ihr, dass es weiterging. Leichtfüßig setzte sie sich in Bewegung und fiel in einen leichten Trab. Der tiefe Schnee schien ihr nichts auszumachen, denn die Pegasus hatte, wie die Elfen, eine natürliche Magie, die sie in diesem Fall auf dem Schnee laufen ließ. Wie geölte Bälle spielten die Muskeln unter der weichen Haut, als sie sich wieder auf den Weg machte. Ich würde mich beeilen müssen, bis zum Kloster war es immerhin noch ein Ritt von zwei Tagen. Und jetzt war es schon drei Stunden vor Sonnenuntergang. Einer weiteren unangenehmen Nacht hier draußen stand also nichts im Wege.
Das Gebirge wurde schroffer und eisiger. Der immer kälter werdende Nordwind trieb den fast gefrorenen Schnee arg vor sich her, dass er so scharf ins Gesicht schnitt, als würde ich es wieder und wieder in die Stacheln eines Vallumigels halten. Meine Robe, innen mit Hermelinpelzen ausgelegt, hielt jedoch den größten Teil der Kälte und des Windes ab. Ashì-íra schien die Kälte und der Wind nichts auszumachen. Der Wind bog kurz vor ihr ab und fegte um sie herum und riss auch den Schnee mit sich. Ihr Langhaar bewegt sich nur so, als ob nur eine kleine Sommerbriese wehte und nicht ein Orkan, der durch die Berge heulte. Mittlerweile war der Himmel pechschwarz geworden, der Wind wurde so kalt, dass ich mein Gesicht schon gar nicht mehr spürte. Ich bedeutete ihr an den Rand des Weges zu reiten, denn dort hatte ich Felsen entdeckt, die mich während der Nacht vor dem Wind schützen konnten. Dort angekommen, vielleicht fünf Schritt vom Weg entfernt schlug ich mein „Lager" auf. Ein Feuer zu machen war bei diesen Bedingungen unmöglich. Es gab keine geeigneten Bäume und somit auch kein Holz, der Wind würde außerdem jedes Feuer innerhalb von Sekunden ausblasen oder mit Schnee zudecken und löschen. Ich baute mein Zelt dicht an der windabgewandten Seite der Felsen auf und bereitete darin meinen Schlafsack aus. Meine Vorräte waren beträchtlich zusammengeschrumpft und auch größtenteils gefroren. Aber das war das kleinste Übel. Ich holte meinen Kochtopf hervor, der eine magische Matrix enthielt, die der des Fegefeuers glich und nur mit astraler Energie gefüllt werden musste. Ich legte das gefrorene Fleisch, Erdäpfel und ein wenig Schnee hinein und ließ den Topf sich erhitzen. Ashì-íra, die ich abgesattelt hatte, legte sich mittlerweile auf einen der Felsen und war eingeschlafen. Schnee begann sie zuzudecken. Nach einiger Zeit war mein Essen fertig und ich konnte das einfache, aber nahrhafte Mahl zu mir nehmen. Gesättigt steckte ich den saubergewaschenen Topf und das Besteck wieder in den Sattel zurück und kroch in mein Zelt. Dort zog ich mich aus, stopfte meine Kleider und meine Stiefel in den Schlafsack und legte mich dann selbst hinein. Der Wind brauste noch mehr auf, in der Ferne donnerten gewaltige Schneemasse zu Tal. Doch der Schnee ließ alles dumpf und sinnlos erscheinen. Mit diesen Geräuschen im Ohr schlief ich ein.
Ich wachte unbestimmte Zeit später hellwach wieder auf. Ich zog mich an und verließ mein Zelt, das trotz der Steine komplett mit Schnee bedeckt war. Absolute Windstille und Ruhe hüllte mich ein. Der dickflockige Schnee fiel leise und dicht. Ließ jedes Geräusch dumpf werden und wie einen Ruf aus dem Reich der Toten klingen. Es war kalt, sehr kalt. Der Baum neben den Felsen knackte und die Rinde platzte auf. Auch die Felsen, auf denen ein pegasusförmiger Haufen lag, aus dem nur die dunkle Nasenspitze herauslugte, hielten der Kälte nicht stand. Kleine Stücke barsten ab und fielen in den weichen Schnee. Die Wolken verzogen sich und gaben den Himmel frei. Sterne über Sterne sandten ihr Licht auf die Erde und der kalte Mond überzog die Landschaft mit einem Muster an Blau und Schwarz geformt durch die Berge. Die Temperatur sank noch mal stark ab und die klare Luft trug von überall her das Knacken und Bersten von Bäumen und Felsen heran. Hinter mir hörte ich Schnee rascheln. Ashì-íra war ebenfalls erwacht und hatte ihren Kopf aufgerichtet. Der Schnee war heruntergerutscht, nicht eine Flocke war im Deckhaar hängen geblieben. Sie sah beunruhigt aus. Aufmerksam wandte sie ihren Kopf gegen Westen und stellte ihren Ohren auf. Und dann spürte ich es auch. Ein leichtes Beben ließ die Erde zittern. Frostriesen.
Hastig packte ich meine Sachen zusammen, den mit diesen Burschen ließ sich nicht spaßen. Kaum war ich fertig mit Aufsatteln tauchten auf dem Plateau, auf dem ich gelagert hatte, drei Frostriesen auf. Ihre blaue Haut war blutüberströmt. Fast ohne einen Laut rannten sie an mir und der Pegasus vorbei und schienen uns gar nicht zu beachten oder gar wahrzunehmen. Die Gesichter waren angstverzerrt und voll des Grauens. Als sie ganz nahe waren konnte ich erkennen, dass sie einen schweren Kampf hinter sich hatten. Jeder trug zahlreiche Wunden, geschlagen von scharfen Krallen oder Hörnern, die Wundränder faulend und schwarz. So schnell sie gekommen waren, so schnell verschwanden sie wieder in der Nacht. Wolken zogen vor den Mond und die zahlreichen Sterne, ließen die Eisbachberge wieder in Düsternis versinken. Auf einem entfernten Grat war etwas zu sehen. Ein kleiner violett leuchtender Punkt, auf die Entfernung so groß wie ein Stecknadelkopf. Als ich ihn bemerkte bohrte sich ein Splitter des Schmerzes und der Furcht zwischen meine Augen und explodierte in meinem Kopf. Ashì-íra sprang regelrecht vom Felsen herunter und schien vor dem Ding fliehen zu wollen, konnte jedoch, wie ich selbst, der ja das gleiche empfand, nicht die Augen abwenden. Das violett umflammte Ding raste jetzt mit unglaublicher Geschwindigkeit den Berghang hinunter und verschwand aus unserem Blickfeld. Mit einem Male fiel die Starre von uns ab und so schnell ich konnte schwang ich mich auf Ashì-íra und ohne mein Zutun setzte sie sich mit Panik im Blick so geschwind ihre Hufen sie trugen in Richtung des Klosters in Bewegung. Doch schon keine zehn Minuten später färbte sich hinter uns der Schnee schwach violett und dieses Leuchten wurde heller. Dann kam dieses Ding hinter einer Kurve hervor, die Ashì-íra gerade vor wenigen Augenblicken genommen hatte. Ashì-íra schrie. Ich hatte so etwas noch nie gehört und will es auch nie wieder hören. Denn dieser Schrei der Pegasus war so voller Angst, so voll der Verzweiflung und des Schmerzes, dass es in mir etwas zerbrechen ließ. Mit einem Ruck blieb sie stehen. Ich flog vornüber und landete in einer Schneewehe. Als ich mich wieder aufgerichtet hatte sah ich, wie Ashì-íra sich zu Boden gekauert hatte und sich ihrem Schicksal ergab. Das hatte die Form eines knapp sechs Schritt hohen Stieres mit vier Hörnern, der von violetten Flammen umhüllt war. Ich sah ihn an und konnte mich nicht mehr regen, sondern nur noch voller Verzweiflung zuschauen, wie er selbstgefällig in Richtung der Pegasus ging, die zitternd und bebend am Boden lag. Der Wind riss an ihrem Fell und der Schnee verklebte ihre Augen. Der Stier beugte sich nach vorne und sog genüsslich ihre Angst auf. Dann trat er einen halben Schritt vor und hob seine grässliche Hufe, um ihr den Kopf zu zermalmen. Ashì-íra atmete bei diesem Anblick immer schneller und immer flacher, blickte starr auf den Tod.
Hinter dem Stier flammten weiße Kugeln auf und flogen in seine Richtung. Sie trafen ihn und schleuderten ihn weg, weg von der Pegasus. Aus genau der anderen Richtung sah ich zwei Seraphim herangerannt kommen. Eine trug einen langen, kunstvoll geschwungenen Säbel und ein Schild aus blauem Licht, die andere eine lange Lanze und eine silbern glänzende Rüstung.
Sie
stellten sich zwischen den dämonischen Stier und Ashì-íra.
Sie stellten sich ihm mit ihren Leibern entgegen und kämpften
mit dem Ungeheuer. Ich sah alles mehr und mehr verschwommener, die
Konturen und Kontraste verblassten und am Ende nahm ich nur noch sich
mischende Farben, Violett, Rot, Blau, Grün, Gelb und Schwarz
wahr. Ich kroch in die Richtung in der meine Pegasus lag, und
zwischen all den Schreien und dem Brüllen des Stieres ertasteten
meine steifen Finger kaltes aber noch lebendes Fell. Ich zog mich
weiter und strich ihr über den Kopf. Sie schluchzte leise und
bebte vor Angst. Ich redete beruhigend auf sie ein und versuchte eher
mir selbst, als ihr dadurch Mut zu machen. Ich breitete meinen Mantel
über ihr aus und Tränen rollten über meine Wangen, als
ich ihre Verzweiflung und ihre Angst erfuhr.
Der Kampflärm
nahm weiter zu und nach Ewigkeiten schrie der Stier ein letztes
Brüllen. Violettes und Rotes Licht flammte auf und erfüllte
die kleine Lichtung. Es krachte, dann schlug etwas gegen meinen Kopf
und grausame Dunkelheit umfing mich.
