Prolog: Alles, was er geben konnte
Es war der 24. Dezember. Es war bitterkalt, der Sturm tobte, und seit Wochen wirbelten Abertausende von Schneeflocken vom Himmel. Es war finster, die Räume waren von flackernden Fackeln erleuchtet, die Tage dauerten nur sechs Stunden.
Seine Räume lagen abgeschieden, noch einsamer und stiller als alle anderen, umgeben von dunklen Gängen, durch die kalter Wind pfiff, von frostiger Luft und beißender Kälte. Durch die halb zugefrorenen Fenster sah er nicht mehr als das endlose Weiß des Schnees und das triste Grau der kahlen Bäume, den eintönigen Himmel und die Wege, die nirgendshin mehr führten. Es kam niemand, es ging niemand, die Welt war irgendwo in der Ferne untergegangen.
Es war, wie er es sich oft gewünscht hatte, Einsamkeit, vollkommene Stille, keine Menschen, keine Tiere, nur er allein in einem Zimmer, von einer einzigen Kerze erhellt.
Er saß vor seinem Schreibtisch, zwischen tausenden Büchern, von denen er zwei abwechselnd las, eine trockene wissenschaftliche Abhandlung, die nie ein Ende nehmen wollte und ein Drama, das immer kürzer wurde, auch wenn er ihm kaum Zeit widmete. Selten stand er auf, um ein Glas Tee zu holen, noch seltener, um einen Brief zu versenden.
Manchmal holte er eine Feder aus der Schublade und schrieb mit schwungvollen Buchstaben Kommentare zu antriebslos geschriebenen, in die Länge gezogenen Aufsätzen, starrte wieder an die Wand, schaute sich die Bücherrücken an.
So verging der Tag, und der Abend verging bei Kaminfeuer, Büchern, Tee, bis gegen zehn Uhr. Dann stieg er ins Bett, ohne zu wissen, warum, denn er konnte wenig schlafen. Er hörte den Sturm an den Fenstern zittern, hörte das Stöhnen der Bäume, das Knarren des Daches von Hagrids Hütte, seinen Atem, seinen leisen Herzschlag.
Er machte die Augen auf, er machte sie wieder zu; er versuchte an seine Lektüre zu denken, doch es gelang ihm nicht. Statt dessen dachte er an andere Nächte, an zehn, fast zwanzig vergangene Weihnachten, da er ebenso lag, da ebenso das bleiche Fenster schimmerte und sein leiser Herzschlag die blassen, wesenlosen Stunden abzählte. So vergingen die Nächte.
Sie hatten keinen Sinn, so wenig wie die Tage, aber sie vergingen doch, und das war ihre Bestimmung. Sie würden kommen und vergehen, bis sie wieder irgendeinen Sinn erhalten würden oder auch bis sie zu Ende waren, bis sein Herzschlag sie nimmer zählen konnte.
Doch diese Nacht war eine besondere Nacht, nicht aus religiösen Gründen, denn er hatte schon lange aufgehört, zu glauben, diese Nacht würde er erwachen, nach draußen gehen und in den Himmel starren, dessen Sterne verhangen waren und in dem er weder Klarheit noch Unendlichkeit sah, sondern nur Erinnerungen. Diese Nacht würde er seine Eule ins Ungewisse senden, so wie viele Weihnachtsnächte zuvor. Er würde sich umsehen, sicher stellen, dass niemand ihn sah und eventuell eine kleine Notiz in das Paket legen, ein paar Worte auf einem Fetzen alten Zeitungspapiers..
An jemanden, der es braucht.
Ich kann dir keinen Engel senden, keine Probleme lösen und dir kein besseres Leben verschaffen. Ich kann dir nur eine Decke und einen vollen Magen schenken. Ich bin kein guter Mensch geworden.
Aber ich wünsche mir zu Weihnachten, dass du einer wirst.
Weit in der Ferne würde bald ein kleiner Junge in eine neue Decke gewickelt lächelnd einschlafen. Der Brief des Mensches, der ihm sein erstes Weihnachtsfest beschert hatte, würde an der Tür des Schranks unter der Treppe hängen.
A/N: Der Rest der Story wird eher in meinem gewohnten Stil, aber ich hoffe trotzdem, ihr habt diese Szene so gemocht wie ich.. Piano Boy wird bis Ende Jänner fertig.. PS: Severus kommt hier erst viiel später wieder vor.
Frohes Fest,
Claire.
