I bought your soul for god

von Michelle Mercy

Die schon traditionelle Weihnachtsgeschichte.

Mit Entschuldigung an die Herren Dickens und Capra.

Javert, Valjean und ein Geist

Vielleicht schon crackfic, und die Handschellen haben einen klitzekleinen Auftritt.

1.

Es war dieselbe Brücke, natürlich war es dieselbe verdammte Brücke, wie vor genau zweihundert Tagen! Javert wußte nicht, warum er genau auf diese Brücke zurückgekehrt war, Paris hatte schließlich ausreichend Auswahl an Brücken, von denen man sich stürzen konnte. Aber unter dieser rauschte das Wasser besonders wild, so daß die Chancen, den Sprung zu überleben, minimiert wurden.

Allerdings setzte das voraus, daß man zum Springen überhaupt kam.

In jener Nacht, als Javert das erste Mal fest entschlossen gewesen war, von dieser Brücke zu springen, war natürlich dieser Sträfling aufgetaucht, um es zu verhindern. Manchmal hatte Javert das Gefühl, als würde dieser Kriminelle ihn verfolgen anstatt umgekehrt. Für den Heiligen, für den alle Welt Jean Valjean zu halten schien, war es ein wenig netter Zug gewesen, Javert mit seiner enormen körperlichen Kraft zu überwältigen, und diesen dann mit dessen eigenen Handschellen an die nächstgelegene Straßenlaterne zu ketten.

Ungeachtet Javerts Flüche hatte Valjean – auf einer aus Javerts Notizbuch herausgerissenen Seite! – eine Nachricht geschrieben, sie zusammen mit einer Münze einem vorbeikommenden Arbeiter in die Hand gedrückt und solange gewartet, bis Javerts Kollegen anrückten. Dann war er in die Dunkelheit abgetaucht.

Die Kollegen hatten Javert zwar befreit, aber Valjeans Nachricht im Zusammenhang mit den absurden Brief, den Javert vor seinem Weg auf die Brücke geschrieben hatte, brachten dann den Präfekten M. Gisquet dazu, Javert für mehrere Monate in ein Sanatorium zwangseinweisen zu lassen.

Nach der Entlassung aus dieser Einrichtung fühlte Javert sich permanent unter Beobachtung. Seine Kollegen hatten ein wachsames Auge auf ihn, und er hatte auf Anweisung von Gisquet in die Kaserne ziehen müssen. Gelegentlich jedoch gelang es ihm, sich den Blicken zu entziehen; im Leben hätte er jedoch nicht zugegeben, daß er von einem bestimmten Sträfling den einen oder anderen Trick im Verschwinden abgeschaut hatte.

Der Weg führte ihn dann unweigerlich zu dieser Brücke. Selbstverständlich hätte es auch andere Möglichkeiten gegeben, sein Leben zu beenden, aber Ertrinken erschien ihm am Richtigsten. Es hinterließ keinen Schmutz durch Blut oder andere Körperflüssigkeiten, und außerdem haßte Javert es, eine Niederlage zuzugeben, weil es ihm nicht gelungen war, seinen Plan in die Tat umzusetzen.

Jedoch jedes Mal, wenn es ihm gelang, in einer dunklen Nacht es bis zu dieser Brücke zu schaffen, war irgendwo aus der Finsternis eine Polizeipfeife zu hören, die sofort seine Kollegen alarmierte. Am demütigsten war vielleicht, daß Javert seit jeder Nacht, in der Valjean ihn an die Laterne gekettet hatte, seine eigene Pfeife vermißte.

Ganz offensichtlich hatte dieser Dieb wieder einmal die Finger von fremdem Eigentum nicht lassen können, und die Pfeife entwendet. Jetzt verfolgte er ihn und rief jedesmal, wenn Javert sich dieser Brücke näherte, mit der Pfeife die Polizei.

Die Ironie dieser Situation war nicht vollständig verschenkt bei Javert. Er hatte versucht, mit Valjean zu reden, ihm zu befehlen, ihn in Ruhe zu lassen, das war jedoch daran gescheitert, daß der Sträfling nicht unter der Anschrift in der Rue de l'Homme-Armé aufzufinden war. Er hatte dort zwar gewohnt, wie man Javert erklärte, doch im Sommer sei der alte Mann zusammen mit seiner Tochter fortgezogen.

Nach all diesen Fehlschlägen war Javert jedoch fest entschlossen, es in dieser Nacht endgültig zu beenden. In der heiligen Nacht würde Valjean bestimmt nicht draußen herumschleichen, sondern sie mit seiner Tochter zu verbringen. Und er würde auch nicht denken, daß Javert es tatsächlich wagen würde, ausgerechnet in dieser Nacht…

Mit einem triumphierenden Grinsen kletterte Javert mit einem Bein über die Balustrade der Brücke. Kaum hatte er den Fuß auf der anderen Seite abgesetzt, räusperte sich jemand hinter ihm vernehmlich.

„Oh, nein, nicht schon wieder", stöhnte Javert auf und wandte sich um.