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Schattenprinz
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Disclaimer für diese Geschichte: Die Welt von Harry Potter gehört J. K. Rowling. Alle Rechte verbleiben bei ihren Inhabern.
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Anmerkungen: Danke an meine Beta-Leserinnen für die ersten drei Kapitel, Fanny Jute, venatora und Schwarzleser, ohne die ich diese Geschichte weder gepostet noch zu Romanlänge weiterentwickelt hätte.
Slash.
Warnungen: Folter, Vergewaltigung und Mord; allgemein düster.
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Kapitel 1
Anders
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Es war ein warmer Sommerabend. Das Sonnenlicht tanzte über die kleinen Wellen des Sees. Lachen und Rufen Dutzender Hogwarts-Schüler, die das gute Wetter nutzten, um zu schwimmen oder am Ufer zu sitzen, erfüllten die Luft.
Gut versteckt hockte Severus in den Zweigen einer alten Weide. Weit unter ihm tobte eine Gruppe von Siebtklässlern durch das Wasser, Gryffindors, Ravenclaws, Hufflepuffs – nur Slytherins fehlten, blieben abseits der anderen unter sich. Wie immer.
Aber heute war ihm das egal. Er war nicht gekommen, um hier Freunde zu finden. Wozu auch.
Nein, er saß weit oben in den schwankenden Ästen, um zu beobachten, um die Jungen und jungen Männer anzusehen, die da unten schwammen, am Ufer lagen, rauften, lachten. Er kam sich krank dabei vor, abartig, pervers. Eine Menge hässlicher Ausdrücke für ihn selbst und für das, was er da tat, gingen ihm durch den Kopf, wann immer er diesen Baum erkletterte. Genauso wie jedes Mal, wenn seine Augen in den Duschräumen etwas zu lange auf dem Körper eines seiner Mitschüler haften blieben. Und wie jeden Abend, wenn er die anderen Slytherin-Fünftklässler, mit denen er sich den Schlafraum teilte, unauffällig beim Ausziehen beobachtete.
Er war anders. Und seine Mitschüler wussten das. Vielleicht war ihnen nicht klar, was mit ihm nicht stimmte, aber sie hatten Severus zielsicher zum Opfer ihres Spotts und ihrer Streiche erkoren. Die ganze Schule lachte über ihn. Dabei war er ein guter Schüler, hatte in vielen Fächern echtes Talent und strengte sich wirklich an. Aber es half nichts. Wie viel Mühe er sich auch gab: Er würde immer anders sein.
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„Wer will sehen, wie ich Schniefelus die Unterhose ausziehe?"
Verzweifelt ruderte Severus mit Armen und Beinen, versuchte, wider besseren Wissens gegen Potters Schwebezauber anzukämpfen.
Diesmal hatten sie ihn wirklich übel erwischt. Seine Robe war ihm über den Kopf gerutscht, er konnte nicht sehen, was um ihn her vorging, aber er hörte das zustimmende Grölen der Schülerschar.
„Zeig's dem fettigen Bastard, Krone!", brüllte Black über den allgemeinen Jubel hinweg.
Severus spürte ein Zerren an seiner Unterhose und packte entsetzt nach dem angegrauten Stück Stoff.
Das kann er doch nicht machen! Das nicht!
„Potter – stopp!", schrie er, panisch und wütend zugleich.
Ein höhnisches Lachen war die einzige Antwort, die er bekam.
„Potter!", wiederholte Severus, jetzt schon deutlich leiser und mehr bittend als drohend.
Mach, dass er nur blufft ... So mies kann selbst Potter nicht drauf sein ...
Sein für ihn unsichtbarer Gegner blieb stumm. Doch dann wurde das Zerren stärker. Severus kämpfte verzweifelt, aber er hatte keine Chance. Langsam, aber sicher wurde die Unterhose seinen Fingern entwunden.
„Potter ... bitte!", flüsterte er ein letztes Mal. Die Angst schnürte ihm die Kehle zu.
Doch sein Flehen war vergeblich. Unaufhaltsam rutschte das Kleidungsstück seine bleichen, haarigen Beine hoch. Ein allgemeines Johlen und Pfeifen übertönte seinen gequälten Aufschrei.
„NEIN!"
Die Scham brachte ihn fast um.
Potter schien durch seinen Erfolg in eine fast versöhnliche Stimmung geraten zu sein. Zumindest ließ er Severus nur einige Sekunden lang entblößt in der Luft baumeln, ehe er ihn aus zwei Metern Höhe zu Boden stürzen ließ.
Severus landete unsanft auf Schultern und Hinterkopf. Einen Moment lang betäubten ihn Schmerz und Schock, ehe ihn Scham und Wut wieder auf die Beine brachten. Totenblass und zitternd raffte er sich auf, bedeckte sich hastig mit seiner Robe und packte seine unansehnliche Unterhose.
„Dafür zahlst du, Potter, das schwör' ich dir!", krächzte Severus mühsam. „Eines Tages wirst du dafür zahlen!"
Dann floh er vor dem Lachen seiner Feinde in Richtung Schloss, hochaufgerichtet, mit raschen und scheinbar sicheren Schritten, während alles in ihm schrie und er fast erstickte an seinen gewaltsam zurückgehaltenen Tränen.
„Bis zum nächsten Mal, Schniefelus!", gellte Potters Stimme hinter ihm her.
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Drei Tage später befand Severus sich einmal mehr auf einer seiner rastlosen Wanderungen durch die labyrinthartigen Korridore von Hogwarts. Es war Samstag Nachmittag, draußen herrschte strahlendes Sommerwetter, und folglich war das Schloss so gut wie ausgestorben. Wenn das Wetter schlechter wurde, wenn es regnete und stürmte, dann floh Severus in seiner Freizeit vor seinen Mitschülern auf die Ländereien von Hogwarts. Doch für heute konnte er hier, innerhalb der Schule, am Besten allein sein.
Ohne es zu bemerken war er auf den Gang geraten, von dem die Treppe zu Dumbledores Büro abging, und stand jetzt vor dem Wasserspeier, der den verborgenen Eingang bewachte. Severus verzog das Gesicht. Wann immer er die dahinter liegende Treppe betreten hatte, war es um eine seiner „Verfehlungen" gegangen. Und jedes Mal war er mit einer saftigen Strafarbeit versehen wieder hinunter gestiegen.
Unwillkürlich regte sich in Severus wieder die noch frische Wunde seiner letzten, ultimativen Demütigung am See.
Potter. Black. Lupin. Pettigrew. Zur Hölle mit dem Pack!
Feindselig starrte er die Steinfigur an. Da sprang sie plötzlich zur Seite. Die Wand tat sich auf, eine schwarz gekleidete Gestalt stürmte aus dem Durchlass und prallte heftig mit dem verdutzten Severus zusammen.
„Verflucht nochmal!", fauchte der Neuankömmling, griff Halt suchend nach dem Wasserspeier – und riss seine Hand mit einem Schmerzensschrei zurück. Der Wächter hatte ihn grollend in die Finger gebissen und verzog sein Gesicht nun zu einer triumphierenden Fratze.
Severus starrte. Er kannte den jungen Mann, der ihn fast über den Haufen gerannt hätte. Und seine Erinnerungen an ihn waren durchweg negativer Natur.
„Scheiße!", knurrte der andere, indem er die roten Abdrücke auf seiner Haut betrachtete. „So ein Mistvieh." Er warf dem Wasserspeier einen tödlichen Blick zu. Dann sah er verärgert zu Severus hinüber. „Kannst du nicht besser aufpassen, du dummes Gör, du?" Doch schon war sein Blick wieder anderswo, und er strich sorgfältig seine in Unordnung geratene Kleidung glatt. Severus beobachtete ihn stumm. Schließlich sah der andere wieder auf. „Du bist ja immer noch da." Seine Brauen zogen sich grüblerisch zusammen. „Kenn ich dich nicht irgendwoher?" Er wischte sich einige Strähnen silberblonden Haars aus dem Gesicht und musterte den Jüngeren aus eisgrauen Augen.
„Na klar – Schniefelus!", stellte er nach einigen Sekunden mit einem herablassenden Lächeln fest.
„Lucius", entgegnete Severus kalt. Es war weit unter seiner Würde, die Verwendung seines Spottnamens durch seinen ehemaligen Mitschüler zu kommentieren.
„Bist ja ganz schön gewachsen, Halbblut." Lucius taxierte ihn abschätzig. „Aber schöner bist du nicht geworden."
Arschloch!, dachte Severus wütend.
„Danke. Komplimente hört man immer gern." Er schaffte es, seine Stimme ruhig klingen zu lassen – Gleichmut mit einem Hauch von Ironie.
„Tja, leider habe ich keine Zeit für Smalltalk mit ... dir", sagte Lucius mit gespieltem Bedauern. „Ich bin hier als Gast des Direktors, habe gleich noch einen wichtigen Termin, und meine Gesprächspartner sind etwas ..." – wieder wanderte der abwertende Blick über Severus – „ ... bedeutender als du. – Mach's gut, Schniefelus."
Lucius drehte sich abrupt um und eilte in Richtung der nächsten Treppe.
Einen Moment lang stand Severus wie erstarrt. Dann durchfuhr ihn ein wilder Gedanke.
„Lucius? He, Lucius, warte mal!"
Der Angesprochene blieb stehen und drehte sich halb zu Severus um. Auf Lucius' Gesicht war deutlich die Irritation darüber zu lesen, dass Severus es gewagt hatte, ihn zurückzurufen. Dann verzogen Lucius' Lippen sich zu einem spöttischen Lächeln. Severus kannte dieses Lächeln und ihm war klar, dass Lucius ein altes „Spiel" wieder aufnehmen wollte, das er als selbstsicherer Siebtklässler so gerne mit dem Erstklässler Severus gespielt hatte.
„Wie heißt das, Halbblut?"
Severus biss sich auf die Unterlippe, bis er Blut schmeckte.
„Bitte ... bitte warte einen Moment, Lucius."
„Und wieso sollte ich das tun? Wieso sollte ich mich mit dir abgeben, kleiner Giftmischer, hm?"
Obwohl sie nur ein Jahr gemeinsam in Hogwarts verbracht hatten, wusste Lucius, dass Severus eine herausragende Begabung fürs Tränkebrauen besaß. Severus war damals von ihrem Hauslehrer Slughorn als „der begabteste Erstklässler seit hundert Jahren" gepriesen worden. Daraus hatte Lucius dann „der mickrige Giftmischer" gemacht.
Severus schluckte nervös, während er sich dazu zwang, dem verächtlichen Blick seines Gegenübers standzuhalten.
„Du hast es gerade gesagt ...", flüsterte er beklommen.
„Was habe ich gesagt? Du träumst wohl! Wenn du mich verarschen willst" –
„Nein!", unterbrach Severus ihn hastig. „‚Giftmischer' hast du gesagt. Du weißt, dass ich gut bin in Zaubertränke. Ich kann euch alles brauen, was ihr wollt, ob schwarz- oder weißmagisch, das ist mir egal! Ich weiß, dass ihr mich brauchen könnt. Bitte!"
Lucius erbleichte. Dann erstarrten seine Züge. Er sah Severus eisig an. „Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Und jetzt verzieh dich, Snape, oder" –
„Lucius!", flehte Severus verzweifelt. „Bitte! Der Dunkle Lord" –
Lucius schoss vor und packte ihn am Kragen. „Hast du den Verstand verloren!", fauchte er Severus ins Gesicht. „Halt' dein verfluchtes Schandmaul oder ich schneid' dir die Zunge raus!"
Severus kroch geschlagen in sich zusammen. „Tut mir leid", hauchte er.
„Sprich mich nie wieder auf dieses Thema an, hast du verstanden?! Nie wieder!"
„Nein, ich ... Bestimmt nicht, Lucius."
Lucius gab ihm einen heftigen Stoß, der Severus rücklings gegen die Wand prallen ließ. Dann wirbelte der Ältere herum und stürmte wütend den Gang hinunter.
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Traurig saß Severus über seinem schmutzigen Glas Butterbier. Mit dem Fingernagel kratzte er ein Muster in die klebrige Dreckschicht, die die Tischplatte überzog.
Er war der einzige Hogwartsschüler, der sich derzeit im Eberkopf aufhielt. Wahrscheinlich kannten die meisten von ihnen die zwielichtige Kneipe ohnehin nur vom Hörensagen. Er dagegen kam oft her, immer allein. Er hatte keine Freunde. Und es gab sonst nichts für ihn zu tun in Hogsmeade. Zonkos zog ihn nicht an; er war in der Lage, weit phantasievollere magische Gemeinheiten zu bewirken als diese lächerlichen Scherzartikel. Auch für den Honigtopf hatte er nichts übrig, er mochte keine Süßigkeiten. Er aß überhaupt sehr wenig. Manchmal stöberte Severus in einem der anderen Läden nach Zauberbüchern oder Tränkezutaten, aber die Dinge, die ihn wirklich interessierten, fand er dort ohnehin nicht. Und er durfte seine Benutzererlaubnis für die verbotene Abteilung der Schulbibliothek, die er Slughorn verdankte, nicht überstrapazieren ...
„Ist hier noch frei?"
Severus zuckte zusammen, dann rückte er wortlos ein Stück zur Seite, um dem Neuankömmling Platz zu machen. Seiner Vermummung nach zu schließen, schien der Fremde zu der Sorte von Eberkopf-Besuchern zu zählen, die lieber unerkannt bleiben wollten. Er trug einen schwarzen Reiseumhang, sein Gesicht lag im Schatten einer weiten Kapuze.
Severus schnupperte und rümpfte die Nase. Wenn man den unangenehmen Geruch als Indiz nahm, musste der Mann schon ziemlich lange unterwegs sein – oder sehr wenig Wert auf Hygiene legen.
Verstohlen beobachtete Severus den Neuankömmling aus den Augenwinkeln, während dieser sich etwas Hochprozentiges bestellte, und versuchte, einen Blick auf dessen Gesicht zu erhaschen.
Unvermittelt drehte der Fremde sich zu ihm und sah ihm direkt in die Augen.
Severus erschrak: Wo er ein Gesicht erwartet hatte, fiel sein Blick auf eine schwarze Maske. Durch die Sehschlitze funkelten kalte, gelbliche Augen.
„Ganz recht, ich will nicht erkannt werden. Weder von dir, noch von sonst jemand", knurrte der Fremde. „Ich suche einen Jungen namens Severus Snape. Du kennst ihn nicht zufällig?"
Ein unangenehmes Kribbeln überlief seinen Körper. Die Frage war rein rhetorisch, soviel war klar. Mit Sicherheit wusste der Fremde genau, wen er vor sich hatte.
„Ich ... ich bin ... Severus Snape", stammelte er.
Mühsam zwang er sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen, erlaubte seinem Körper nicht, zu zittern oder seine Angst auf andere Weise zu verraten.
Er hatte also Recht gehabt. Lucius gehörte tatsächlich zu ihnen. Und jetzt hatten sie jemanden geschickt, der Severus für seine Dreistigkeit bestrafen würde – wahrscheinlich so gründlich, dass er nie wieder einen der ihren in Gefahr bringen konnte.
„Soso", brummte der Fremde. „Siehst aber ein bisschen mickrig aus, Bürschchen. Wie alt bist du denn?"
„Sechzehn", flüsterte Severus unglücklich.
„Sechzehn ... Das wäre allerdings sehr früh ... Aber wir werden sehen. – Du willst dich also dem Dunklen Lord anschließen?", fragte der Todesser unvermittelt.
Severus sog überrascht die Luft ein. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet.
Hastig sah er sich nach den anderen Gästen um. Aber niemand schien auf sie zu achten.
„Ja", hauchte er.
„Wir sind kein Kindergarten, weißt du. Bisher machst du auf mich nicht gerade den Eindruck, als ob ... Aber wir werden sehen", wiederholte der Fremde. Er sah Severus forschend an. „Ist dir klar, was das bedeutet? Zum Orden zu gehören, meine ich?"
„Ich ... ich denke schon."
„Du bist bereit, zu töten?"
Severus starrte ihn an, halb fasziniert, halb ungläubig.
„Du bist bereit, zu töten?", wiederholte der Fremde ruhig. „Jeden? Jederzeit? Deine eigenen Eltern, wenn es der Dunkle Lord befiehlt?"
Severus spürte, wie sich seine Lippen zu einem unguten Lächeln verzerrten. Der Mann hatte ja keine Ahnung!
„Ja, das bin ich", erwiderte Severus fest. „Jeden. Jederzeit."
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Severus war noch nie nachts im Verbotenen Wald gewesen. Auch wenn der Wald ihn verlockte und er ihm tatsächlich den ein oder anderen unerlaubten Besuch abgestattet hatte, war er intelligent genug gewesen, dies nie nach Einbruch der Dunkelheit zu tun. Doch der Fremde aus dem Eberkopf schien keinerlei Furcht zu empfinden. Geschickt wand er sich zwischen Wurzeln, Dornen und Zweigen hindurch, als wäre er hier zu Hause.
Der Mann sah sich nicht nach ihm um und Severus hatte Mühe, Schritt zu halten. „Warten Sie!", keuchte er atemlos.
Abrupt drehte der Todesser sich zu ihm um. Seine Augen glommen im dämmrigen Dunkel wie die eines Raubtiers.
„Ich glaube, ich erwähnte bereits, dass es sich hier nicht um eine Kindergartenveranstaltung handelt. Beeil dich oder bleib zurück und lass dich von irgendwas fressen, mir egal, aber halt mich nicht auf. Unser Herr wartet nicht gern."
Dann setzte er seinen Weg eilig fort.
Severus schluckte und folgte ihm, so schnell er eben konnte.
„Wir sind da!", zischte sein Führer plötzlich und streckte einen Arm aus, um Severus zum Stehenbleiben zu zwingen. „Warte hier!"
Mit einem Satz sprang der Mann aus dem Dickicht, hinaus auf eine kleine Lichtung.
Neugierig und auch ein wenig furchtsam lugte Severus durch die Zweige.
Ein Kreis aus Fackeln erhellte die Szenerie. Rasch zählte er die Anwesenden, die alle in schwarze Kapuzenumhänge gehüllt und maskiert waren. Dreiundzwanzig, stellte er fest. Sie standen in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich mit gedämpften Stimmen. Severus' Führer trat zielsicher zu einem der Grüppchen und sprach leise mit einer der verhüllten Gestalten. Sie hob den Kopf und blickte in Severus' Richtung.
Eine Weile betrachteten sie sich gegenseitig. Dann machte der Todesser eine auffordernde Geste, und Severus trat zögernd aus dem Schutz der Bäume heraus.
Alle wandten sich ihm zu. Sie waren nicht voneinander zu unterscheiden, gesichtslos durch ihre Masken und geschlechtslos durch die weiten schwarzen Umhänge.
Der Todesser, der ihn aufgefordert hatte, winkte Severus näher zu sich heran.
Unsicher schritt Severus über die Lichtung, vorbei an zahlreichen flüsternden schwarzen Gestalten, über die der Schein der Fackeln tanzte. Er sah und hörte alles überdeutlich. Er konnte sie sogar riechen, die einzelnen Menschen, an denen er vorbeistolperte. Sein Geruchssinn war schon immer sehr sensibel gewesen, was ihm beim Tränkebrauen zugute kam, und als er durch die Reihen der Todesser schritt, verteilte er Sympathien und Antipathien nach ihrem Geruch. Es waren auch einige Frauen dabei, da war er sich sicher, und eine davon trug ein ziemlich aufdringliches Parfüm.
Als Severus zu dem Mann aus dem Eberkopf und dem Todesser neben ihm trat, rümpfte er unwillkürlich die Nase. Sein Führer roch wirklich heftig nach Raubtier – wahrscheinlich hatte er sich seit mindestens einer Woche nicht mehr richtig gewaschen.
Kaum, dass er seinen Gedanken beendet hatte, lachte der Mann dröhnend los, so unvermittelt und laut, dass Severus zusammenzuckte.
„Vorsicht!", raunte ihm der zweite Todesser zu. „Einige von uns können Gedanken lesen ..."
Legilimentiker!
Severus riss erschrocken die Augen auf und starrte seinen immernoch lachenden Führer an. Der streifte sich mit einem Ruck die Kapuze vom Kopf, ehe er sich mit der anderen Hand auch noch die Maske herunterzog.
„Mich kennt hier ohnehin jeder", knurrte er amüsiert, während Severus verblüfft sein narbiges, wettergegerbtes und bärtiges Gesicht, den Mund mit den spitzen gelben Zähnen und die verfilzte schwarzgraue Haarmähne musterte. „Und das Zaubereiministerium kennt und liebt mich auch. Das Einzige, was die Herrschaften vom Ministerium an mir stört, ist, dass sie mich noch nicht erwischt haben. – Mein Name ist Fenrir Greyback. Und du warst ziemlich nah dran mit deiner Vermutung. ‚Nicht gewaschen' trifft es allerdings nicht ganz, ‚Raubtier' schon eher."
Er lachte erneut, als er Severus' verständnislosen Gesichtsausdruck sah.
„Ich bin ein Werwolf, mein Kleiner", grollte er gut gelaunt, indem er sich zu dem Jungen hinüberbeugte.
Severus stolperte instinktiv zurück. Doch da schlossen sich von hinten zwei Arme um seinen Oberkörper und hielten ihn unbarmherzig fest.
„Weglaufen gilt nicht, Halbblut!", zischte Lucius Malfoy in sein Ohr. „Diesen Ort verlässt du entweder als Todesser oder als Leiche. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht."
Severus blieb stumm und wehrte sich nicht gegen den harten Griff, und so ließ Lucius ihn nach einigen Augenblicken wieder frei.
Greyback kam spöttisch lächelnd auf sie zu. Diesmal blieb Severus stehen, auch wenn sein Herz ihm bis zum Hals schlug.
„Diese Nacht wird kein Spaß werden für dich, Bürschchen. Vielleicht werde ich dein Blut kosten, ehe die Sonne aufgeht", brummte der Werwolf. Trotz seiner drohenden Worte war der Klang seiner Stimme freundlich. „Fürs Erste aber bin nicht ich es, vor dem du dich fürchten solltest ..."
Wie auf ein geheimes Stichwort verstummte das Flüstern der Todesser. Sie wichen vom Zentrum der Lichtung zurück, formten hastig einen Kreis, in dessen Mitte sich Greyback, der von ihm angesprochene Todesser, Lucius und, zu seinem großen Unbehagen, Severus befanden. Der Severus unbekannte Mann legte ihm beide Hände auf die Schultern und zog ihn so dicht zu sich heran, dass der Junge seinen Atem im Nacken spüren konnte. Er erschauerte unwillkürlich.
„Kein Wort jetzt!", raunte ihm der Todesser ins Ohr.
Severus nickte nervös.
Wenige Meter vor ihnen begann ein schwarzer Rauch aus dem Waldboden zu quellen. Der Rauch wurde rasch dichter, wand sich und schien im Fackelschein zu tanzen. Dann tauchte lautlos eine menschliche Gestalt daraus auf.
Der Dunkle Lord, kein Zweifel. Er war groß und schlank, hatte ein bleiches, ebenmäßiges Gesicht und kurzes, lockiges schwarzes Haar. Überraschend jung sah er aus, nicht älter als Mitte Zwanzig. Eine teuer wirkende und perfekt sitzende schwarze Robe, ein ebensolcher Umhang, mit silbernen, zu Ornamenten verwundenen Schlangen bestickt. Und die berüchtigten, rötlich glimmenden Augen ...
Alles in allem war der Dunkle Lord eine beeindruckende, aber durchaus menschlich wirkende Erscheinung. Bis auf die ungewöhnliche Augenfarbe fand Severus keine Spur von dem Monster an ihm, das er nach den Berichten des Tagespropheten und den zahllosen Gerüchten unter der Zaubererschaft angeblich sein sollte.
Severus spürte einen kräftigen Druck auf seine Schultern, sah irritiert zu den Todessern und stellte fest, dass sie ausnahmslos auf die Knie gefallen waren. Hastig sank er ebenfalls zu Boden.
„Meine treuen Todesser", grüßte der Dunkle Lord in die Runde. Seine Stimme klang angenehm in Severus' Ohren, relativ hoch für einen Mann, kühl, aber sanft. „Erhebt euch. Ich erwarte eure Berichte."
Fasziniert beobachtete Severus, wie eine schwarze Gestalt nach der anderen auf den Befehl ihres Herrn nach vorne trat, vor dem Dunklen Lord niederkniete und ihren Bericht begann. Die meisten entließ er mit einem knappen Nicken. Für einige hatte er auch ein kurzes Lob bereit. Zwei allerdings waren weniger glücklich, und Severus sah mit schreckgeweiteten Augen zum ersten Mal in seinem Leben, wie Menschen mit dem Cruciatus-Fluch gefoltert wurden.
Zuletzt, nach über einer Stunde, wandte sich der Dunkle Lord Severus und seinen drei Begleitern zu.
„Und hier", sagte er mit seiner sanften Stimme, die wie ein kühler Windhauch durch Severus' Geist fuhr, „haben wir also einen neuen Anwärter für unseren Orden. Severus Snape, tritt vor."
Mit weichen Knien folgte Severus der Aufforderung. Drei Schritte vor dem Dunklen Lord ließ er sich zu Boden sinken, kroch das letzte Stück auf Knien und küsste den Saum seiner Robe, so wie er es bei den Todessern beobachtet hatte.
Ein dünnes Lächeln stahl sich auf die Lippen des Dunklen Lords.
„Ein höflicher junger Mann. Das ist gut. – Wie ich höre, besitzt du einiges Talent im Umgang mit Zaubertränken?"
Severus nickte stumm.
„Ich möchte, dass du für mich einen Trank braust. Einen tödlichen Trank. Es ist mir egal, welchen, aber er sollte sich möglichst rasch zubereiten lassen, denn wir haben nur diese eine Nacht."
Severus verbeugte sich, äußerlich ruhig, aber innerlich kribbelig vor Aufregung, Stolz und Furcht.
„Wie Ihr wünscht, Herr."
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