A/N: "Earl Gray" ist das Sequel zu "Opium". Obwohl ich hoffe, dass "Earl Gray" auch in sich selbst interessant sein könnte - und möglicherweise macht es Spaß, "Earl Gray" zu lesen ohne die Vorgeschichte genau zu kennen, denn damit ist man selbst auch grob auf dem Stand einiger Figuren - empfiehlt sich die Lektüre von "Opium" doch vorher. Es sind auch nur neun Kapitel.

Ich habe noch nie ein Sequel geschrieben, aber "Earl Gray" hat mich nicht mehr losgelassen. Weiterführende Kapitel sowie eine Storyline existieren bereits. Dennoch kann ich keine allzu regelmäßigen Updates garantieren, möchte aber mein bestes tun, um neben der Übersetzung von "Opium" hier weiterzuschreiben. Übrigens: Reviews. Ihr kennt das. Täglich Brot und so weiter.. füttert meine Eitelkeit, beschleunigt die Updates und lasst mich wissen, was ihr mögt und was nicht.

Disclaimer: J.K.R. alles, mir nichts.

Rating: Irrelevant.


Earl Gray

Darjeeling

Der "Tagesprophet" hatte recht gehabt, und das geschah selten genug. Zwischen all der Skandalberichterstattung und den Verschwörungstheorien, die alles außer Voldemort verdächtigten, hatte er einen Jahrhundertsommer prophezeit, und Recht behalten. Es war nicht nur warm, es war heiß. Drückend heiß. Selbst die Nächte kühlten selten ab, machten jeden Schlaf beinahe unmöglich, und jede Bewegung zur Qual. Bis in die letzten Spalten des alten Gemäuers war die Hitze gezogen, und Hogwarts kauerte auf seinem Hügel wie ein müdes Tier, dass nicht mehr weiterlaufen wollte.

Aber mit der Hitze war auch die Freiheit gekommen, einfach einmal nicht zu arbeiten. Statt dessen war der See entdeckt, der Verbotene Wald als schattenspendender Zufluchtsort seiner gefährlichen Aura beraubt und die Kerker als Wohnraum aufgewertet worden. Jedenfalls für diejenigen, die sich dorthin verirrten, was selbst unter der erheblich geschrumpften Population des Schlosses nur wenige waren.

Remus Lupin jedenfalls mied die Kerker vorerst. Dazu hatte er auch allen Grund, denn den hauptsächlichen Bewohner dieser verzweigten Keller zu erpressen war keine gute Idee. Und doch hatte Remus es gewagt, hatte sein Wissen gezielt eingesetzt, sich drei Minuten lang mutig gefühlt, und die Drohung ausgesprochen. Hinterher kam er sich wie ein Fünfjähriger vor. Wenn Du nicht tust, was ich sage, gehe ich zu Papa! Aber sein Hauptproblem war eigentlich ganz anders gelagert. Wer erpresste tat es in der Regel, um etwas zu bekommen. Remus wollte etwas, soweit war er sich sicher, nur war "etwas" eben keine allzu genaue Definition. Gib mir "etwas" und ich schweige? Das ging nicht. Das konnte man noch nicht mal aus ausgeschnittenen Zeitungslettern kleben. Viel zu ungenau.

Die Tage nach der letzten Begegnung in den Kerkern hatte Remus damit verbracht, dieses "etwas" ein wenig genauer zu formulieren. Falls er doch irgendwann Buchstaben aus dem Propheten ausschneiden wollte. Etwas. Wie formulierte man das?

'Ich will…' fingen alle Gedanken an, aber sie endeten in einer grauen Masse der Ungenauigkeit. 'Ich will, dass Du mir alles aus deiner Vergangenheit erzählst, damit ich Mitleid mit dir haben kann.' Er hätte noch genau drei Minuten zu leben. Vielleicht auch kürzer. Wahrscheinlich kürzer.

Was wollte er?

'Ich will mehr Zeit mit dir verbringen!' Das wollte er. Obwohl es wie aus einem schlechten Roman ausgeschnitten klang, eines dieser Bücher mit halb entkleideten Schönheiten und vor Kraft strotzenden Kämpfern mit entblößten Bauchmuskeln auf dem Cover. Remus bezweifelte stark, dass seine Bauchmuskeln sich zur Entblößung eigneten und ob Severus mit der Rolle der halbentblößten Schönheit zufrieden wäre. Oder war er lebensmüde? Nachdenklich ließ Remus seine Augen über den See schweifen. Wie meistens in den letzten Tagen hatte die Abenddämmerung ihn aus dem Schloss gelockt, und er saß auf seinem Lieblingsplatz auf der kleinen Anhöhe am See, Hogwarts und den Rand des Verbotenen Waldes fest im Blick. Die Sonne malte ein wundervolles Farbenspiel an den Himmel, aber der sprichwörtliche kühle Nachthauch ließ wieder auf sich warten.

"Wenn ich wüsste was ich wollte wäre mein Leben leichter." Unbedacht sprach er seine Gedanken laut aus und schaute sich dann erschrocken um. Hatte jemand ihn gehört? Es war niemand in seiner Nähe, aber am großen Portal zeichnete sich die Silhouette von Sirius ab, die sich dem See und damit auch seinem Feldherrenhügel näherte. Bestimmt suchte er ihn. Remus hatte seinen besten Freund in den letzten Tagen etwas gemieden. Nicht nur hatte er Angst vor seinen dummen Scherzen, nein, es war mehr die Furcht davor gewesen, dass Sirius etwas entdecken könnte, das er nicht sehen sollte.

Seit dem nächtlichen Ausflug fühlte Remus sich wie ein Fünfzehnjähriger, inklusive Hormone und Stimmungsschwankungen. Er war sich nicht sicher ob das Opium oder ein gewisser Slytherin daran schuld waren, oder die Hitze, aber irgendwas hatte ihn kräftig verunsichert, und das wiederum verunsicherte ihn weiterhin, und stürzte ihn in ein komplettes Gefühlschaos. Die letzten Abende hatte er der Introspektion gewidmet, und es hatte ihn gar nicht gestört das Sirius durch den Orden den Auftrag erhalten hatte, sich öfters in der Nähe von Harry herumzutreiben und ein Auge auf die Situation zu halten. Die meisten Stunden verbrachte der schwarze Hund nun also auf seinen vier Pfoten, und Remus hatte reichlich Zeit zum Grübeln.

Dabei waren seine Gedanken stärker auf die Vergangenheit gerichtet als auf die Zukunft. Eine nagende Gewissheit in ihm hatte bereits Severus als Quelle allen Übels ausgemacht, und Remus suchte seine Erinnerungen nach ähnlichen Vorkommnissen oder Erklärungen ab. Warum interessierte er sich ausgerechnet jetzt für den verschlossenen Mann? Immerhin hatten sie sieben Jahre an der gleichen Schule verbracht, waren also eigentlich gemeinsam aufgewachsen, und hatte dabei genug voneinander gesehen. Immerhin hätte Remus ihn vor Jahren beinahe getötet. Kannte man jemanden besser, weil man ihn einmal beinahe gefressen hätte? Was wäre geschehen wenn die Rivalitäten der Häuser zu überwinden gewesen wären? Und was war mit Severus in den Jahren nach Hogwarts und vor Hogwarts geschehen? In Remus Erinnerungen verschwammen die Bilder seiner Jugend ineinander. Severus war mal elf und schnippisch, mal fünfzehn und wütend, und dann mal siebzehn und arrogant. Was wussten sie eigentlich voneinander?

"Wer weiß was von wem? Hogwarts an Remus!"

Sirius hatte die Anhöhe erreicht und sich neben Remus ins Gras fallen lassen. Es war ihm aber nicht gelungen, die Gedankengänge seines Freundes zu unterbrechen, bis offensichtlich Gedanken zu Worten geworden waren und Remus unsanft zurück in die Wirklichkeit holten.

"Was, wer? Oh, entschuldige. Ich hab' dich gar nicht bemerkt."

Sirius lachte. "Das habe ich allerdings bemerkt. Worüber denkst Du so eifrig nach? Du brütest ja schon seit Tagen."

Freunde hatten keine Geheimnisse voreinander, oder? Mit mulmigem Gefühl entschloss er sich zu einer Art Halbwahrheit.

"Wenn Du von jemandem alles haben könntest, aber nicht weißt was, was würdest Du wollen?"

Für einen Moment überlegte Sirius, ob Hitze für Werwölfe in irgendeiner Weise schädigend war. "Wie, alles? Von wem? Wieso? Was hast Du ausgefressen?"

Remus errötet und verfluchte sich dafür. "Nichts hab ich ausgefressen. Es ist eine rein theoretische Frage. Was würdest Du wollen?"

Sirius glaubte ihm sichtlich nicht. "Rein theoretisch, ach so. Das sagen sie ja immer. Hm. Ich kann nichts Gegenständliches wollen, einen schicken Besen, oder so? Kann ich Sex wollen?"

"Nein. Sowas nicht." Obwohl der Gedanke ihn ein wenig unruhig machte. Fünfzehn, er wußte es doch.

Nach kurzem Nachdenken fällte Sirius sein Urteil. "Ich würde etwas wissen wollen, denke ich. Von Dir würde ich zum Beispiel wissen wollen warum Du solche Fragen stellst. Oder ich würde ein Geheimnis wissen wollen. Oder ob ein Gerücht wahr ist. Willst Du mir gar nicht sagen, worum es hier eigentlich geht?"

"Um gar nichts, das ist alles nur theoretisch." Vermutlich klang das so überzeugend wie ein das Angebot eines Besenverkäufers, dass ein Probeflug zu überhaupt gar nichts verpflichtete.

Sirius streckte sich. "Na gut. Aber Du weißt ja, wir können über alles reden. Übrigens wollte ich Dir eigentlich sagen, dass ich die nächsten Wochen noch öfters unterwegs bin. Albus ist ein bisschen misstrauisch gegenüber den Dursleys geworden, und überlegt, ob Harry den nächsten Sommer nicht besser bei den Weaslys verbringt. Ich bin da ja sowieso dafür, aber erstmal soll geprüft werden, ob das überhaupt geht." Er verdrehte die Augen. "Immer diese Überkorrektheit. Egal, jedenfalls muss ich da noch ein bisschen rumschleichen. Wahrscheinlich schaffe ich's nicht vorm nächsten Vollmond zurück, aber Du bist mit dem Wolfsbann ja gut versorgt… hat das mit dem Opium eigentlich geklappt? Die Fledermaus ist doch noch in Hogwarts, oder? Ich habe die alte Kellerassel in den letzten Tagen gar nicht gesehen."

Remus zuckte die Schultern. "Severus ist bestimmt da, und den Wolfsbann braut er sicher wieder. Und nochmal brauche ich kein Opium, auf diese Kopfschmerzen kann ich wirklich verzichten."

"Ja, ein Kater ist nie schön. Aber wir werden alle irgendwann erwachsen. Solange dein Trank kommt.. stört dich diese Abhängigkeit von der Kellerassel eigentlich nicht? Mich würde das nerven."

Wenn Geistesblitze sichtbar würden, hätte nun der Blitz neben Sirius eingeschlagen. In allerkürzester Zeit schienen in Remus' Gehirn neue Nervenverbindungen zu wachsen, und auf einmal wurde ihm deutlich bewusst, was er wollte. Und am schönsten war noch: Es machte Sinn. Es war unverfänglich. Und besser als 'Erzähl mir alles'. Er strahlte Sirius an.

"Du, mein Freund, bist ein Genie."

Völlig entgeistert starrte Sirius zurück. Hitze und Werwölfe war also wirklich nicht gut. "Bist Du verrückt geworden oder sowas?"

"Mal sehen. Was gibt's zum Abendessen?" Er stand auf, klopfte Sirius auf die Schulter, und trabte Richtung Portal, mit federnden Schritten, genau wie einer der genau wußte, was er wollte. Und es bekommen würde. Auch wenn sein bester Freund hinter ihm herstarrte als hätte er gerade den Verstand verloren, gründlich und für immer. Und wahrscheinlich hatte er das auch, zumindestens ein bißchen, woran aber bestimmt nur die Hitze schuld war. Zeit, sich einen kühleren Ort zu suchen. Die Kerker, zum Beispiel.


24.7.2010/Fayet