Prolog: Der Drohbrief

Seit geschlagenen 10 Minuten starrte er ungläubig auf die wenigen Worte, die der Brief enthielt. Eine sehr elegante, schöne Schrift. Geschwungene Buchstaben, in aller Ruhe geschrieben, bildeten diese Drohung. Dem Papier haftete ein stechender Feuergeruch an, und die Ränder waren leicht verkokelt, zweifellos um der Drohung Ernsthaftigkeit zu verleihen. Oder der Schreiber war unvorsichtig gewesen.

Wortlos ließ er den Brief auf seinen säuberlich geordneten Schreibtisch fallen. Er beugte sich in seinem Stuhl nach vorne, als wolle er ihn erneut lesen, doch in diesem Moment klopfte jemand und öffnete die Tür.

Der Stallmeister Seiner Eminenz, des Kardinal-Herzogs von Richelieu, zog seinen pechschwarzen Hut und verneigt sich höflich.

"Ihr wolltet mich sprechen, Eminenz?"

Der Kardinal musterte den etwas müde wirkenden Rochefort und schob ihm statt einer Antwort den Brief zu. Rochefort runzelte die Stirn, und zerbrach sich den Kopf was die rätselhafte Miene seines Herrn zu bedeuten hatte.

"Der Brief wird euch alles erklären" fügte Richelieu hinzu und lehnte sich zurück.

Rochefort griff nach dem Schriftstück, und je länger er las, desto mehr war die Veränderung in seinem Gesicht erkennbar. Seine Augen weiteten sich und nahmen einen Ausdruck stiller Empörung an, zu dem sich bald auch ein Anflug von Besorgnis mischte. All dies entging Richelieus wachsamen Augen nicht. Es war beinahe eine Berufskrankheit von ihm, dass er nie die Augen vom Gesicht seines Gegenübers abwandte. Die Augen sind der Spiegel zur Seele, und können jeden verraten. Rochefort hob den Kopf, und sein Blick begegnete dem des Kardinals, zwei Augenpaare, die einander alles andere als fremd waren.

"Wann ist diese Botschaft eingetroffen, Monseigneur?"

Rocheforts Stimme klang bei weitem nicht so ruhig wie man es von ihm gewohnt war. Doch es war selbst für den Herzog schwer zu sagen, ob diese dunkle Stimme vor Wut zitterte oder ob es tatsächlich Furcht war, die in seiner Stimme mitschwang. Der Kardinal hoffte auf ersteres.

"Es ist keine zwei Stunden her. Man hatte ihn direkt vor die Schwelle der Tür gelegt, durch die ihr eben dieses Zimmer betreten habt", antwortete er leise. "Und niemand will etwas unauffälliges gesehen haben." Seiner Stimme war anzuhören, dass er nur durch eine gehörige Portion Selbstbeherrschung einen Wutanfall vermeiden konnte.

"Eminenz … " begann Rochefort mit einer Stimme, die seine Zweifel verriet "bei allem gebührenden Respekt, aber wenn es niemand bemerkt hat … die einzige Schlussfolgerung wäre, dass einer meiner Männer den Brief vorsätzlich dort abgelegt hat!"

"Haltet ihr das für so unmöglich?"

Rochefort war die Empörung anzusehen. "Die Männer sind Euch treu ergeben, und wenn ich auch nur den geringsten Zweifel an ihrer Loyalität hätte, würde ich Euch davon in Kenntnis setzen!" Seine Stimme klang lauter als beabsichtigt und seinem Tonfall war eine deutliche Kränkung zu entnehmen.

"Ich werfe Euch keine Nachlässigkeit vor, Rochefort, davon bin ich, wie ihr sicher wisst, weit entfernt. Aber auch einem wachsamen Blick wie dem Euren mag ein Verräter entgehen, wenn er es klug anstellt."

"Aber die Männer die heute morgen hier waren … ich würde meine Hand für diese Männer ins Feuer legen, es fällt mir schwer, die Option eines Verrates ihrerseits überhaupt in Betracht zu ziehen."

Nicht dass Monsieur de Rochefort ein gutgläubiger Mensch gewesen wäre, im Gegenteil. Aber die Gardisten die sich heute Morgen im Palais aufgehalten hatten waren ihm so vertraut, dass er sich für sie hätte erdolchen lassen. Und sie würden sich für ihn und Seine Eminenz in Stücke reißen lassen, daran hatte er keine Zweifel. Umso schmerzhaftes war die Erkenntnis, dass Richelieu mit seiner Vermutung vielleicht doch Recht haben könnte.

"Eminenz, Ihr … " begann er, doch er verstummte sogleich als der Kardinal ihm mit einer kurzen Handbewegung Einhalt gebot.

"Ich nehme den Drohbrief nicht weniger ernst als alle vorherigen, und aus diesem Grund werdet Ihr auch die Maßnahmen ergreifen, die Ihr für angebracht haltet. Aber ohne großes Aufsehen, die Drohung sollte vorerst ein Geheimnis bleiben. Ein solches Gerücht wäre ein gefundenes Fressen für ganz Paris."

Trotz der Ruhe in Richelieus Stimme blieb seinem Stallmeister nicht verborgen, dass der Brief den Kardinal doch etwas mehr beschäftigt als er es offen eingestand. Rochefort schwieg darüber, und gab dem Kardinal wortlos das Schriftstück zurück.

"Ich werde alles Notwendige in die Wege leiten, Eminenz", versicherte er seinem Herrn, der ihn mit einem zufriedenen Nicken und einer Bewegung seiner Rechten entließ.

Kaum dass die Tür hinter Rochefort ins Schloss gefallen war, sank der Kardinal mit einem Seufzen etwas tiefer in seinen Stuhl. Als würde der momentan doch etwas störrische König und die täglichen verlustreichen Raufereien zwischen Musketieren und seiner Garde ihm nicht schon genug Stoff zur Aufregung gaben, erfolgte jetzt auch noch diese Drohung. Geistesabwesend stütze er das Kinn auf die gefalteten Hände und warf einen Blick auf den Brief. Zum zehnten Male – mindestens – las er die Worte und versuchte, sie irgendeinem Ereignis in seiner Vergangenheit zuzuordnen, was ihm aber, vielleicht wegen der Kopfschmerzen, die sich gerade ausbreiteten, nicht so recht gelingen wollte. Wie eine Hiobsbotschaft hob sich die schwarze Schrift vom Papier ab.

Hochgeschätzte Eminenz,

unser Zusammentreffen mag einige Jahre zurückliegen, doch ich habe nichts vergessen. Es gibt Momente im Leben, die einem immer in schmerzhafter Erinnerung bleiben.

Es wäre sinnlos, auf Gerechtigkeit zu HOFFEN, denn die werdet Ihr erst zu spüren bekommen, wenn Ihr vor den Richterstuhl des Herrn treten werdet und Euch für alles verantworten müsst. Aber da ich in meinem irdischen Leben Rache nehmen will, werde ich tun, was zu tun ist.

Seht Euch vor! Misstrauen ist der einzige gut gemeinte Rat, den ich Eurer Scheinheiligkeit geben kann! Wie mag ich Euch töten können … vielleicht mit Gift? Oder doch ein Scharfschütze, der Euer kaltes Herz treffen soll? Vielleicht ein tragischer Unfall der Frankreich von euch befreit …

Statt einer Unterschrift, Herzog, hinterlasse ich Euch etwas zum Nachdenken.

Im Land unserer Väter vollzieht sich ein Wandel,

die blutige Rache den Gottlosen ereilt.

Wenn einst sich entfaltet die Stärke der Mandel,

der zweite König nicht mehr unter uns weilt.

Dieser vier Zeilen kreisten immer wieder im Kopf des Kardinals. Er hatte sie nie zuvor gehört, und doch ließ ihn der Gedanke nicht los, dass ein versteckter Hinweis in diesem kurzen Poem lag, der ihm verborgen blieb, bis es vielleicht zu spät war.