Sanft, fast schon zögerlich schloss sich seine große, raue Hand um ihre klammen Finger. Ob es die Berührung oder der kalte Windhauch war, was sie erschaudern ließ wusste sie nicht, aber er schien es auch bemerkt zu haben, denn er blickte sie mit sorgenvoller Miene an. „Möchtest du lieber wieder hinein?", fragte er mit nachdenklich schief gelegtem Kopf und legte ihr die Hand, die eben noch die ihre gehalten hatte um die Taille, um sie ein Stück näher an sich heranzuziehen. Leise seufzend lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter und blickte zu ihm hoch. „Du weißt ganz genau, dass das nicht geht."

Resigniert ließ Hermine Granger den Blick über den Rand des Verbotenen Waldes streifen. Etwas anderes blieb ihr und Remus Lupin nicht für ihre heimlichen Treffen. Während man die Beziehung zwischen einem Werwolf und einer Muggelgeborenen vielleicht noch ohne zu Murren toleriert hätte, so würde es doch spätestens daran haken, dass sie Lehrer und Schülerin waren. Blicklos starrte sie weiterhin auf den Waldrand, tief versunken in den Gedanken an jenen verhängnisvollen Abend, als ihre Gefühle für Remus das erste Mal aufflammten.

Harry, Ron und sie hatten die Schüler des Abschlussjahrganges immer wieder hinter vorgehaltener Hand über ihre Alkoholezesse tuscheln gehört und waren deshalb auf die Idee gekommen, sich von der Neugier getrieben, von den Weasley-Zwillingen eine Flasche Feuerwhiskey besorgen zu lassen. Da die Abschlussprüfungen vorbei waren, hatte Hermine sich dazu bereit erklärt die Flasche mit ihren zwei Freunden zu leeren und so hatten sie sich nachts im Gemeinschaftsraum getroffen und sich am Feuerwhiskey gütlich getan. Während der Pegel der Flasche immer weiter sank, stieg der des Alkohols im Blut der drei Jugendlichen immer weiter und so waren sie irgendwann auf die Idee gekommen eine so genannte „Mutprobe" durchzuführen, was nichts weiter hieß, als sich zur Bibliothek zu schleichen und mit einem Buch wieder zu kommen.

Ein verächtliches Lächeln zuckte über Hermines Gesicht, als sie daran zurückdachte. Als hätte jeder einzelne von ihnen nicht schon wesentlich heiklere und sinnvollere Dinge getan. Aber was tat man nicht alles unter dem Einfluss von Alkohol.

So machte sich Hermine - sie hatte noch nie wirklich viel Losglück besessen - also als Erste auf, um diese wahrhaft heldenmutige Aufgabe zu bewältigen. Erschwerend dazu, dass sie beschlossen hatten, um des Nervenkitzels willen, ohne Tarnumhang loszuziehen, kam ihr nicht geringer Alkoholpegel. So passierte es, dass sie das ein oder andere Mal die Orientierung verlor und sich durch mehr Glück als Verstand schließlich vor der Bibliothek wieder fand. In die Bibliothek zu gelangen, ein Buch an sich zu nehmen und sie wieder zu verlassen erwies sich als nicht weiter schwer. Doch dann stellte sich ein anderes Problem: In ihrem alkoholisierten Zustand schien es ihr unmöglich sich an den Rückweg in den Gryffindorturm zu erinnern. Einen Augenblick lehnte sie sich an die Wand gegenüber der Bibliothek und schloss die Augen, um ihre Umgebung davon abzubringen sich zu drehen.

Nachdem das Schwindelgefühl abgeklungen war, öffnete sie die Augen wieder und wand sich entschlossen in eine Richtung. Vom tatenlosen Herumstehen würde sie den Weg nie finden. Während sie also von einer zur anderen Wand schwankend durch die Schule lief, musste sie sich auf die Zunge beißen, um sich davon abzuhalten lauthals irgendwelche Trinklieder zu grölen. Ein kleiner Teil ihres Unterbewusstseins war noch so weit nüchtern, dass er sich über ihr alkoholisiertes Verhalten lustig machen konnte. Sie war so konzentriert darauf einen Fuß vor den anderen zu setzen, möglichst ohne über einen von beiden zu stolpern, dass sie das Unheil nicht kommen sah und so plötzlich in etwas hineinlief.

Ehe sie sich versah hatte sie einen Zauberstab in den Rippen und noch ehe sie ihrer Überraschung Luft machen konnte sah sie sich in einem Klassenzimmer wieder. „Lumos", murmelte jemand, den sie in dem aufflammenden Licht als Remus Lupin identifizierte. Ein wenig verlegen blinzelte sie in ein etwas ungehaltenes Gesicht und ließ ihren Blick fasziniert über die wohlgeschwungenen, jetzt ein wenig aufgebracht hochgezogenen Augenbraun, seine markanten, aber doch nett anzusehenden Wangenknochen und die kleinen Grübchen in seinen Wangen schweifen. Am Rande registrierte sie, dass auch der Lehrer keinen allzu sicheren Stand mehr besaß. „Miss Granger, können Sie mir erklären, was Sie um diese Uhrzeit auf dem Flur machen und warum Sie dazu noch eine Fahne haben, die man noch hundert Meter gegen den Wind riecht?" Benommen schüttelte Hermine den Kopf und brauchte einen Moment, bis die Worte durch den Alkohlnebel bis zu ihrem Gehirn vordrangen. „Falls ich Sie darauf aufmerksam machen darf, werter Herr Lupin, auch Sie scheinen mir ein wenig zu tief ins Glas geblickt zu haben."

Nach wie vor gebannt beobachtete sie nun, wie eine zarte Röte dem Lehrer in die Wangen stieg, sein Adamsapfel hüpfte, als er schluckte, seine Mundwinkel zuckten und er seine gepflegten, wohlgeformten Zähne bei einem verlegenen Lächeln entblößte. Ihr Blick wanderte hoch zu seinen rehbraunen Augen, die sie verständnisvoll anblickten. Doch plötzlich wurde er sich bewusst, dass sie als Schülerin nicht das Recht hatte ihn zurechtzuweisen und sofort strafften sich seine Schultern merklich und er zwang sich dazu ein strenges Gesicht zu machen. „Ich hoffe Ihnen ist bewusst, dass ich diesen Vorfall umgehend Ihrer Hauslehrerin melden muss oder?"

Gewiss lag es am Alkohol, vielleicht aber auch daran, dass sie ihn von dieser Drohung abbringen wollte und auch daran, dass sie ihn schon eine ganze Weile attraktiv fand. Woran es auch immer lag, ihr Verstand schaltete sich in diesem Augenblick endgültig ab und etwas anderes in ihr übernahm die Kontrolle. Sie überwand die kurze Entfernung zwischen ihren zwei Körpern mit einem großen Schritt, warf sich förmlich in seine Arme und presste ihren Mund auf seine Lippen. Sie merkte, wie sich Remus versteifte und rechnete schon fast damit, dass er sie jeden Augenblick von sich stoßen würde, doch als sich eine ihrer Hände in seinem Haar verkrallte und sich die andere sanft auf seinen Rücken legte, entspannte er sich plötzlich und schlang seinerseits die Arme um sie.

Zaghaft erbat sich seine Zunge Einlass, den sie ihr gerne gewehrte und schon versanken sie für eine ganze Weile in einen leidenschaftlichen Kuss, in dem zwei Paar Hände und zwei Zungen auf ausgiebige Erkundungstour gingen. Erst Schritte, die vor dem Klassenzimmer auf dem Flur erklangen, brachten Lehrer und Schülerin dazu sich schwer atmend voneinander zu lösen. Vor lauter Verlegenheit wagte es keiner den anderen anzublicken oder ein Wort zu sprechen und so griff Hermine das Buch aus der Bibliothek, das irgendwann während des stürmischen Kusses oder davor aus dem Boden gelandet war und verließ, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die Luft rein war, fluchtartig den Raum.