-1Freiheit im Dreck

Als sie fertig waren, zündete Jack sich ein Zigarette an. Er blickte zu dem Blonden herüber, der gerade seine Hose zumachte. Sie hatten es plötzlich sehr eilig gehabt und waren auf dem staubigen Boden zwischen Geschirr, Sattelfett und leeren Bohnendosen übereinander hergefallen wie verdammte Tiere.

Die nahende Trennung war allgegenwärtig gewesen. Spürbar in jedem gierigen Kuss, jeder hastigen Berührung, jedem Atemzug.

Jacks Blick wanderte zu den Bergen, die im Abendlicht in allen erdenklichen Rottönen zu leuchten begannen; durchzogen von dunklen Schatten, dort, wo Schluchten sich in ihre Eingeweide gruben. Auch nach all den Jahren hatte diese Gegend ihre Schönheit für ihn nicht verloren, wenn es auch immer schwerer geworden war, sie zu ertragen. Er liebte den Brokeback. Und er hasste ihn mitsamt all seinen Geheimnissen - und Wunden, die die Zeit nicht heilt, sondern schlägt.

Er ist alles, was wir haben.

Jack sprach es nicht laut aus, denn er hatte aufgehört zu hoffen, dass Ennis ihm jemals mehr würde zugestehen können, als diese kurzen Augenblicke in der Wildnis.

Stattdessen sah er schweigend zu, wie der Blonde nach seiner Hand griff, einen Zug von der Zigarette nahm, die er gerade angezündet hatte, und ihm kurz über die Finger strich, ehe er sie wieder losließ.

Die Sonne ging unter und ließ größer werdende Schatten zurück. Keine Wolke war am Himmel zu sehen und erste Sterne blinkten gegen die letzten roten Strahlen an.

Noch zwei Tage...

Als es merklich kühler wurde, rappelte Jack sich auf und entfachte ein kleines Feuer für die Nacht. Er kramte in seinem Rucksack nach einer Flasche Whisky und setzte sich zu Ennis, der gedankenverloren hinaus in die Dunkelheit starrte.

"Auch nen Schluck?", fragte der Dunkelhaarige und hielt dem anderen die Flasche hin.

"Da fragst du?", erwiderte Ennis, ein leichtes Grinsen um die Mundwinkel

Er griff nach der angebotenen Flasche, nahm einen großen Schluck und reichte sie zurück. Das Feuer knisterte leise. Wind kam auf, der es niederdrückte, um es gleich darauf wieder auflodern zu lassen. Jack und Ennis saßen da, ihre Blicke gefangen von dem Spiel der beiden Elemente, und hüllten sich in die viel zu lange entbehrte Nähe des anderen.

In ihrem ersten Sommer auf dem Brokeback waren eben solche seligen Momente das Kostbarste gewesen, das sie gehabt hatten, ungetrübt von Vergangenheit und Zukunft, denn es war es ihnen gelungen, für wenige Wochen zu vergessen: Wer sie waren, was sie zu tun hatten, wie unmöglich in der Welt da draußen war, was sie verband.

Doch mit den Jahren hatte der Schmerz langer Trennungen, ungesagter Worte und begangener Fehler sich hinzu geschlichen zu ihren geheimen Treffen. Er war ein ständiger Begleiter geworden, manchmal leichter zu ertragen als sonst, aber immer da. Die Freude darüber einander wieder zu sehen wurde stets überschattet von der Gewissheit, dass ihnen niemals genug Zeit blieb und dass sie schon bald zurückkehren würden in das ewige Schauspiel, das sie ihr Leben nannten.

Und so waren selbst Augenblicke wie dieser nicht mehr ungetrübt, die Freiheit der Wildnis zu einem ebensolchen Trugbild verkommen wie der Rest ihres Lebens. Es war unmöglich geworden zu vergessen. Und für Jack war es unmöglich geworden, zu hoffen.

Nach 17 Jahren wusste er längst, dass sie niemals zusammen aufwachen würden in einem gemeinsamen Bett, ohne die Gewissheit, dass man nur wenige Tage hatte, um verlorene Monate nachzuholen. Er wusste, ihnen beiden war ein Schlafsack vorbehalten, in einem kleinen Zelt umgeben von Wildnis, die unendlich zu sein scheint. Und er fragte sich wie lange man aushalten konnte, was nicht zu ändern war.