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Eure Schreiberlinge

1. Dezember

von Pima

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Midnight Sky

(R: T / P: HGSS / G: Drama; Romance / W: none)

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Es schneite. Sie sah es nicht, aber sie wusste es ohnehin. Es schneite seit Tagen, Wochen, und kein Ende war in Sicht. An die Kälte hatte sie sich mittlerweile gewöhnt, nicht aber an die Stille. Die Stille des Winters und das Warten, das einsame Warten.

Sie drehte sich wieder zur Seite und verschwand fast gänzlich unter der riesigen Daunendecke. Zumindest war es weich hier, weich und bequem. Mit einem Blick auf die Uhr schloss sie wieder die Augen.

02:22 Uhr

Und er war immer noch nicht da. Kein knarrendes Aufgehen der Eingangstür, kein dumpfes Widerhallen seiner Stiefel auf dem alten Holzboden, kein Mann, der sich neben sie legte, sie in die Arme zog und ihre Stirn gute Nacht küsste.

Es war ein elendiges Warten und es war jede Nacht dasselbe. Er sagte ihr, sie solle versuchen zu Schlafen, ließ ihr Tränke da, die er selber braute, denn nichts, was man in den Apotheken heutzutage noch bekam, war wirklich sicher.

Eigentlich hatte er nicht die Zeit zum Brauen, aber er tat es dennoch. Als sie ihn einmal darum bat, es nicht zu tun antwortete er ihr nur „Es gibt mir Ruhe." und als er dachte, sie habe das Zimmer schon verlassen, flüsterte er leise, „Ich brauche es. Ich brauche Ruhe."

Es gab keine Nacht in der ihr Herz nicht um ihn weinte, in der sie nicht um ihn litt. Er ließ sich nie etwas anmerken. Wenn er spät in der Nacht kam, mit Wunden, unter Schmerzen, würde er sie vor ihr verstecken, würde Lächeln und ihr sagen, es sei nichts Schlimmes. Und wenn er dann einschlief und sie seine Verletzungen sah, würde sie ihre Arme um ihn legen und sich wünschen, man würde ihr das Leid antun, das er schon so lange ertragen musste.

Sie liebte ihn.

Wie es gekommen war konnte sie nicht sagen. Es war irgendwann geschehen. In einem Winter, in einer verschneiten Nacht, wie der heutigen. Sie hatte jemanden gebraucht, jemanden, der sie in den Arm nahm, der ihr sagte, es sei noch nicht verloren, jemanden, der ihr versprach, es gäbe noch Hoffnung. Hoffnung in einer Welt, die nunmehr nur noch Schwarz war - in der hin und wieder kleine weiße Flecken auftauchten, wie die Sterne am Himmel einer bitterschwarzen Nacht.

Er war ein Stern, er war ihre Hoffnung.

Sie hatte sonst niemanden mehr. All jene, die noch übrig waren, waren verstreut. Einige waren gefangen genommen worden, andere versteckten sich wie sie. Viele hatten einfach aufgegeben und sich dem Schicksal gebeugt - dem Schicksal, das keinen Namen mehr trug, denn man sprach nicht einmal mehr von dem Unnennbaren. Er war wie ein Schatten, der überall lauerte. Die Angst vor ihm kannte keine Grenzen mehr.

02:24 Uhr

Es war schon komisch. So oft war ihr die Zeit schon davongerannt, erbarmungslos aus den Händen geglitten, so oft hatte sie um jede Sekunde gebangt, die ihr verloren ging. Doch jetzt, jetzt – jetzt war alles anders. Die Zeit war zu ihrem Feind geworden.

Sie drehte sich wieder um und zog die Decke noch enger um sich. Der Mond schien ins Zimmer. Ja, da waren die Schneeflocken und sie fielen so dicht wie eh und je.

Gerne hätte sie ein Feuer im Kamin gemacht. Doch man hätte es von außen gesehen, hätte das Licht bemerkt, den Rauch aus dem Sims steigen sehen. Das Risiko war zu groß. Würde man sie finden, wäre es nicht nur ihr eigenes Leben, das ein Ende finden würde. Lieber frieren.

In den wenigen Momenten der letzten Jahre, in denen sie gezweifelt hatte, gezweifelt daran, ob sie dies alles überleben würden, ob es das Kämpfen noch wert war, ob es wirklich noch ein Ziel gab, ein Ziel, das hellere, schönere Tage prophezeite – in diesen Momenten hatte ausgerechnet er ihr in die Augen gesehen und gesagt, dass er noch glaubte, dass es noch was gab in dieser Welt, für dass es sich lohnte, zu glauben, zu kämpfen. Er war ihre Rettung gewesen. Sie wäre längst in der Dunkelheit dieser Tage untergegangen, wäre er nicht gewesen.

Er war zu ihrer Welt geworden.

Und sie hatte Angst, so große Angst ihn zu verlieren. Sie konnte nicht mehr leben ohne ihn an ihrer Seite, konnte nicht einschlafen ohne ihn, nicht atmen ohne ihn. Nur er vermochte noch ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern, nur er konnte ihre Sorgen vergessen machen.

Jede Nacht, jede Nacht war es dasselbe. Nicht zu wissen, ob er wiederkommen würde, nicht zu wissen, ob er überleben würde, damit sie überleben konnte.

02:25 Uhr

Sie konnte ein Seufzen nicht unterdrücken. Wenn es wenigstens nicht so Still wäre. Sie konnte diese drückende leere im Haus nicht ertragen, dieses absolute nichts. Es machte sie nervös und unsicher. Da war keine Beschäftigung, keine Ablenkung. Kein Licht, kein noch so leiser Ton. Manchmal bildete sie sich ein, der Tod würde in einer Zimmerecke lauern, in seiner schwarzen Kluft und mit der überlangen Sense in einer knochigen Hand.

Würde sie ihm davon erzählen, würde er sie sicher auslachen. Dann würde er ihr sagen, dass der Sensemann im Grunde ein berühmter Zauberer gewesen sei, der irgendwann im Mittelalter gelebt hatte. Er würde erzählen, dass dieser Zauberer sich einen Spaß daraus gemacht hatte, Muggel des Nachts aus dem Schlaf aufzuschrecken. Eines Nachts sei dann ein Bauer aufgesprungen und habe ihm einen Stock auf den Kopf schlagen wollen. Der Zauberer hatte vor lauter Überraschung nach einer Sense gegriffen, die am Boden lag und dem Bauern den Kopf abgeschlagen. Dann habe er den Körper des Mannes in die Arme genommen, den Kopf in eine Hand, und sei desappariert. Seitdem gäbe es den Sensemann.

Sie würde wissen, dass er die Geschichte erfunden hatte. Und dennoch würde sie lachen und er würde lächeln – und sie würde sich fühlen, als hätte er ihr mit diesem Lächeln die Welt geschenkt.

Draußen sah sie kurz eine Straßenlampe flackern. Unwillkürlich schreckte sie zusammen. Sie wartete mit angehaltenem Atem. Gleich – gleich, wenn er es war, würde die Tür aufgehen, gleich würde sie ihn hören und die Stille hätte ein Ende. Jetzt, jetzt musste es so weit sein.

Bitte lass ihn gesund sein, bitte lass ihn heil sein.

Die Tür im Erdgeschoss ging knarrend auf. Ein, zwei Sekunden, dann ging sie wieder zu. Dann hörte sie die dumpfen Schritte auf dem alten Holzboden. Seine Schritte. Er war zu Hause. Er war bei ihr.

Sie setzte sich auf, wartete, wartete darauf, dass er die Zimmertür langsam öffnete, um sie nicht zu wecken, sollte sie schlafen. Und dann würde er sie sehen und hereinkommen, die Tür hinter sich schließen und sagen, was er jede Nacht sagte, seitdem sie in seinem Bett schlief.

„Du solltest mittlerweile wissen, dass ich immer zu dir zurückkommen werde, Hermione, jede Nacht, bis ans Ende."

Und sie würde antworten…

„Und ich werde jede Nacht auf dich warten, bis ans Ende, Severus. Bis ans Ende …"

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