Schön, dachte Emma, ihre Mum und sie mussten umziehen, nach Mystic Falls, als wäre die Tatsache, dass sie umziehen musste nicht schon schlimm genug, musste sie ausgerechnet in ein Dörfchen namens Mystic Falls ziehen. Es gab viele Städte mit schönen Namen Los Angeles, New York (natürlich dachte sie da eher an die Stadt an sich und nicht ihren Namen), aber nein sie mussten ja nach ‚Mystic Falls'. Was zog ihre Mutter nur dahin? Und jedes Mal, als Emma nachfragte, bekam sie dieselbe Antwort von ihrer Mutter: „Mystic Falls sagt man, ist ein Ort, wo unglaublich große Schwingungen herrschen er soll mystisch sein und die Einwohner dort haben uralte Traditionen, der perfekte Ort für meinen Antiquitätenladen! Ende der Diskussion!" Immer wieder der gleiche Wortlaut, Emma konnte ihn schon immer mitsprechen, wenn sie ihre Mutter umstimmen wollte, sie konnte sich so sehr anstrengen wie sie wollte, ihre Mum war begeistert von der Idee dort hinzuziehen.
Liebes Tagebuch,
ich hatte ja schon des Öfteren die Befürchtung, dass meine Mum ein wenig verrückt ist, doch heute hat sie alldem noch die Krone aufgesetzt. Aber von vorne:
Heute war der Tag des Umzuges gekommen, mittlerweile habe ich mich auch ein wenig damit anfreunden können, meine Freunde und das Haus, in dem ich groß geworden bin, hinter mir zu lassen und in ‚Mystic Falls' noch einmal neu anzufangen. Doch als ich im besagten Dörfchen (ja ich nenne es Dörfchen, im Gegensatz zu früher, erscheint hier alles viel viel kleiner) ankam, viel mir schon fast die Kinnlade runter, nun ich war endgültig entsetzt, als ich unser neues zu Hause sah. Sprachlos bin ich aus dem Auto ausgestiegen und stand vor einem dieser Häuser, wie sie immer in Filmen gezeigt wurden, wo eine typisch amerikanische Familie mit einem Hund und tausend Katzen ein schönes Familienleben führt. Das Problem ist, wir sind keine typisch amerikanische Familie, mein Vater ist abgehauen und nachdem ich es geschafft hatte meinen Wellensittich umzubringen, kam ein Hund, geschweige denn tausende von Katzen nicht in Frage.
Zurück zum Haus. Ein Weg führte durch den kleinen Vorgarten zu ein paar Stufen, die wiederum zu einer kleinen Veranda führten. „Das ist nicht dein Ernst?", hatte ich meine Mutter entsetzt gefragt sie konnte von mir doch nicht erwarten, dass ich hier wohne, wie gesagt verrückt, aber sie, natürlich überglücklich, musste mich missverstanden haben: „Hübsch, nicht?", meinte sie strahlend. „Ja ganz toll", meinte ich in einem bitteren sarkastischen Ton, den meine Mum wohl überhört haben musste.
Mir hatte unser altes Haus viel besser gefallen, als dieses… dieses Bauwerk. Dem alten Haus hatte man wenigstens noch ansehen können, das es alt war, es sah schön aus, mit den Pflanzen, die kunstvoll über die Frontseite drapiert waren. Aber dieses Haus in Mystic Falls, nun ja, es war bestimmt auch alt aber es sah so… ‚normal' aus!
Das einzig Positive, dass ich dem Umzug bis jetzt abringen kann ist, dass mein Zimmer größer ist, als das vorherige. Es liegt im ersten Stock und ich hab einen kleinen Balkon, der über der Veranda und der Haustür liegt, also werde ich immer einen guten Überblick darüber haben, wenn uns jemand besuchen kommt.
Ich muss jetzt Schluss machen, meine Mum ruft gerade zum ersten Abendessen im neuen Haus. (Kaum zu fassen, dass die Küche schon komplett eingerichtet ist!)
Emma klappte ihr Tagebuch zu, versteckte es, wie immer leicht kindisch, unter dem Kopfkissen und lief die Treppe runter in die neue, ungewohnte Küche, doch blieb sie in der Tür stehen. „Was ist DAS?", fragte sie ihre Mutter und deute auf eine Schüssel mit etwas, dass nach einem schimmligen Hundeköttel aussah.
„Brokkoli mal anders", flötete sie und stellte noch ein paar Schüsseln mit Fleisch und Sauce dazu. „Ich würde mal ‚ganz' anders sagen", brummelte Emma und setzte sich wiederwillig an den Tisch.
„Ich dachte mir, da wir schon mal umgezogen sind, könnte ich auch mal wieder was Neues kochen!" ‚Oder sie kennt einfach noch keine Nummer für den Pizza-Service', dachte sie grimmig und nahm sich etwas zu Essen, doch den Hundeköttel-Brokkoli ließ sie außen vor. Ihre Mum war vielleicht eine der tollsten, die sie haben konnte (abgesehen von der Sache, dass sie umgezogen waren) aber das einzige, was sie nicht konnte, war kochen!
„Morgen fängt die Schule an, das ist dir klar?", fragte ihre Mum nun etwas spitz, weil sie offensichtlich gemerkt hatte, dass ihr Essen nicht so gut bei ihr ankam. Prompt verschluckte sich Emma an einer Pommes und bekam nur durch würgen und husten wieder genug Luft. „Schule?", krächzte sie. Darüber hatte Emma ja noch gar nicht nachgedacht. Dass sie zur Schule musste, war durch den Umzug in weite Ferne gerückt, doch nun konfrontierte sie ihre Mutter so plötzlich damit, als ob sie mit dem Auto gegen eine Mauer gefahren wäre. „Ja Schule", meinte ihre Mutter streng. „Morgen wirst du dort hingehen ich habe schon mit dem Direktor telefoniert, alles geregelt." Aha, um die Nummer des Direktors rauszusuchen hatte ihre Mutter also genug Zeit, aber um die des Pizza-Services ausfindig zu machen nicht? Doch gab sie keine Wiederworte und versuchte es noch einmal mit den Pommes, mit einem unguten Gefühl in der Magengegend, sie war noch nie die ‚Neue' gewesen, zwar war sie noch nie richtig beliebt gewesen aber neu zu sein musste doch schrecklich sein.
Nach dem Abendessen half sie ihrer Mutter mit dem Abwasch (es wurde mal Zeit, dass sie sich eine Spülmaschine zulegten) und ging dann wieder nach oben. Es war schon spät und morgen musste sie früh raus, wie sie nun eben erfahren hatte. Also machte sie sich bettfertig und schlüpfte unter die Bettdecke. Nachdem sie die Hand unter ihr Kissen gesteckt hatte, um sich noch einmal zu vergewissern, dass ihr Tagebuch noch an der gleichen Stelle war, löschte sie das Licht ihrer Nachttischlampe, drehte sich auf die Seite, zog die Beine an (ihre Lieblingsschlafstellung) und versuchte zu schlafen.
