Zeitenscherben
(Extended Version)

Autor: DarkVelvet (jacky666)

Titelbild: www.dark-velvet666.beep.de

Vorwort (an alle):

Ich hab mich also entschlossen (hat lange gedauert, der Entschluss, sorry *g*) eine erweiterte Version von „Zeitenscherben" zu schreiben.

 Das heißt, eigentlich habe ich vor, die bisher geschriebenen Kapitel zu überarbeiten und gegebenenfalls abzuändern, da ich eine völlig neue Idee zu der Story habe und noch wesentlich mehr einfließen lassen will.

An die Leser der alten Story:

Tut mir Leid, dass ich es auf diese Art verändern musste – in den ersten Kapiteln, die bereits hier online waren, habe ich einige Veränderungen vorgenommen.

Besonders das erste Kapitel ist stark verändert (wenn auch nicht unbedingt vom Sinn), das zweite wiederum weniger. Ab dem dritten Chap ist dann auch die Reihenfolge anders...glaub ich ;-)

Bitte lest es aber nochmal! *liebgugg*

Ich hätte nämlich auch gerne mal euer Urteil, ob diese Version besser oder schlechter ist!

Disclaimer: Nix is mir. Garnix...was auch schon...*schnüff* Ja, doch, ich hab mir da was
                    ausgedacht! Das is mir! Oder? Hmmm... ;-)

Warnings: In manchen Chaps n bissl slash...oder auch mal mehr *fg* Also, wem das nich passt: Ich trauere, dass ich euch als
                  Leser verlieren muss!
                  Das Rating ist auch noch nicht wirklich klar. Ich denke, ich werde es einfach zu Beginn eines Kapitels anmerken,
                  wenn ich dafür das Rating mal erhöhen muss...

Pairing:    Hmmm...hab Probleme, diese Story nem Pairing zuzuordnen. Aber irgendwohin muss sie ja...
                  Ist halt Problematisch, da es ja ausnahmsweise *g* (jo, ich hab mich ma um Handlung gekümmert!) mal keine reine
                  Lovestory ist... Also: Lasst euch mal überraschen *hrrhrrr*

Widmung:  Für Sirius. Ja....für Sirius. :-)
                   Und für den Mann, der in Wetzlar mit dem Hackbraten um sich geschmissen hat! Danke!!! Auf den Zeitungsartikel
                    hab ich nen ganzen Nachmittag gelacht :-)))

                   Ach, ja, und an dieser Stelle danke ich Blind Guardian, In Extremo und

                   Dream Theater, weil die alle so tolle Musik machn ;-P Das sorgt für die richtige Inspiration! *gg* uh, ich hab
                   Subway to Sally vergessen! *räusper* Muss ja alles mal gesagt werden...irgendwann :-D

So, jetzt hab ich genug Müll verzapft...also,

                   Viel Spaß beim Lesen!!!

~*~

Die Zeit liegt im Nebel

Schreie verhallen in der Dunkelheit

Am Boden liegt Trauer

kalt und flüssig im grauen Tag

Der Sturm wütet kaum hörbar in unsichtbaren Sphären

Stille.

Der Wind reißt an den Welten

Regen verschwemmt den Schmerz

Tränen in der Nacht.

Scherben.

~*~

~* Kapitel 1: Trauer *~

Das Zimmer lag in einem sommerlichen, leichten Licht, das rasch wechselte, als fiele es durch Bäume, und unverschämt unpassend auf Harry´s Gemüt lag.

Allein die dunklen Momente, in denen das Licht sich hinter raschen Wolken verlor, die niemand bemerkte, passten zu seinen Gefühlen und Gedanken.

Die Gedanken, die ihn zu Boden drückten, Gefühle, die ihn kriechen ließen vor allem.

Angst. Schmerz.

Ein Wind ging durch die Welt und Harry zitterte.

Es war Sommer.

Und es war zu spät.

Das kalte Licht war geblieben und Harry wusste für sich, dass es nur so tat als könne es wärmen.

Er spürte nichts von seiner Wärme. Die dunkle Kälte war in seinen Körper eingezogen in der Nacht, da er es begriffen hatte, dass es zu spät war. Dass es vorbei war.

Der Raum war still und der Sommer spielte vor dem Fenster, durch das er noch nie hinaus gesehen hatte.

Es war ein kleines, leichtfüßiges Lied, dass wie eine winzige Blume sich wiegend im aufkommenden Sturm stand.

Es war ruhig.

Unendlich.

Harry starrte seit Stunden vor sich. Im Wechsellicht des kleinen Raumes sah er den Tod.

Er ahnte ihn im Schatten und fühlte ihn auf seiner Haut und doch wusste er, dass er selbst unerreichbar sein würde. So lange, bis er ihm alles genommen hatte.

Und im Schatten, der tiefer wurde, dunkler und wilder flackernd im warmen Licht der untergehenden Sonne, sah er Sirius sterben.

Er war verschwunden.

Lange Zeit hatte Harry es nicht begriffen.

Die Sommerferien waren fast zu Ende, seit zwei Tagen war er wieder in Sirius´ Haus und immer noch versuchte er zu begreifen, dass Sirius hier nicht mehr lebte, weil er überhaupt nicht mehr lebte.

Bei der Frage nach dem Tod hatte sich Harry darüber gewundert, was das Leben eigentlich war. Er hatte festgestellt, dass er es nicht begreifen konnte und an irgendetwas wie eine Ameise gedacht, die es sicher auch nicht wusste.

Was war eigentlich Hoffnung?

Harry bewegte sich. Es war ein ungewohntes Gefühl. Er hielt seinen Zauberstab vor sich in der Hand.

Sehnsucht.

Und was war jetzt Hoffnung?

Er dachte an sein Fotoalbum und an das Bild von der Hochzeit seiner Eltern, auf dem er Sirius erkannt hatte.

Und er dachte, dass Sirius nicht tot sein konnte, wenn das Bild sich noch bewegte. Er überlegte, ob es stehen bleiben könnte...doch seine Eltern lachten auch noch immer.

Er stellte sich vor, das Bild zu zerstören, es zu zerreißen oder zu verbrennen...doch was danach kommen sollte, sah er nicht.

Der abendliche Sommerwind schlug einige dünne Äste gegen das Fensterglas.

Harry hörte sie an der alten, einfachen Scheibe kratzen.

Er ließ den Blick müde durch das spärlich eingerichtete Zimmer gleiten.

Es war nicht sonderlich groß, sogar fast kleiner als sein Zimmer im Ligusterweg.

Und alles, was darin zu finden war, war das Bett, auf dem er saß, ein Schränkchen in der Ecke und ein Regal unter dem Fenster – alles aus einfachem Holz und nicht so besonders wie der Rest des alten Hauses.

Kein Laut drang aus den unteren Räumen zu ihm hinauf, obwohl sie vollgestopft von Leuten sein mussten.

Er hatte keinen angesehen, als er hergekommen war. Einige hatten ihn gegrüßt, doch er hatte nicht gesehen, wer sie waren.

Molly Weasley, die ihn abgeholt hatte, hatte ihn in das Zimmer geführt, in dem er das letzte Mal zusammen mit Ron geschlafen hatte.

Doch Ron würde erst in der nächsten Woche kommen und Harry war geflüchtet vor der Einsamkeit, vor dem Gefühl, dass hier etwas fehlte, und vor den Erinnerungen, geflüchtet ins stumme Alleinsein.

Er hatte das kleine Zimmer direkt unter dem Dachboden gefunden, fünf Treppen weiter oben.

Es war leer gewesen und nichtssagend, ohne einen Gegenstand, an den man Erinnerung hätte heften können.

Hier konnte er allein sein, sich zurückziehen vor den tröstenden Worten der anderen. Konnte flüchten vor ihrer künstlichen Fröhlichkeit und vor ihren kläglichen Versuchen, ihn damit anzustecken.

Es gab in diesem Haus wohl nur einen, der noch wirklich trauerte: Lupin.

Er zog sich noch extremer zurück als Harry es tat und schon mehrmals in den letzten beiden Tagen hatte Harry entfernt seine enormen Wutausbrüche mitbekommen, wenn ihm jemand etwas gesagt hatte wie, dass das Leben auch ohne Sirius weiter ginge.

Sein Schmerz musste unglaublich tief sitzen und Harry fühlte sich ihm gegenüber grausam schuldig.

Für ihn musste Sirius viel mehr gewesen sein. Für ihn musste der Verlust noch unerträglicher sein.

Harry fühlte sich, wenn er ihm begegnete, wie er über den Flur schlich, blass und verloren, als habe er nicht das Recht um Sirius zu trauern, weil es für ihn lange nicht so schlimm sein konnte.

Sirius... 

Wie taub stand er auf und trat langsam ans Fenster heran. Das Glas war fast blind.

Er sah die Äste, die vor dem Fenster hingen und als ihm gerade der Gedanke kam, wie mächtig ein Baum sein musste, der bis in diese Höhe reichte, bemerkte er, dass es Efeuranken waren.

Er sah die Sonne sinken. Sie blendete durch das Glas.

Mit einem hefteigen Ruck löste er das Fenster aus seiner Verkeilung im Rahmen und öffnete es.

Harry sog die warme Abendluft in sich ein und versuchte nicht an Sirius zu denken.

Er sah ihn mit der Sonne untergehen und wusste, dass die Sonne wieder kommen würde. Sirius?

Es roch nach Sommer und er musste die Trauer mit beiden Händen in seinem Herzen halten, damit die warme, leichte Luft sie nicht mit sich nehmen konnte.

Er lehnte sich aus dem Fenster hinaus und sah die steile Hauswand nach unten. Doch was er sah, ließ ihn überrascht Luft einziehen.

Es war nicht die Hauswand, die er erwartet hatte: Es schien viel eher, als lehnte er sich aus dem Fenster eines mächtigen, alten Turms. Die aus groben Steinblöcken gemauerte Wand bog sich zu den Seiten aus seinem Blickfeld – eine Rundung, von der im Raum nichts zu sehen war. Sie war mit dichten Efeuranken bewachsen und ragte so hoch in den blassroten Abendhimmel, dass man das Ende nicht ausmachen konnte. Nur ein Fenster konnte er neben dem seinen sehen und er wusste, dass dort noch ein Zimmer lag. Doch auch über ihm gab es weitere Fenster, obwohl es dort keine Räume mehr geben konnte, lag doch sein Zimmer direkt unter dem Dachboden.

Harry überlegte, dass das einfach daran liegen mochte, dass dies eine magische Illusion war und dass sie bloß zur Verschönerung diente. Denn der Turm selbst wirkte auch nicht wirklich gewaltig hoch. Er hörte bloß nirgends tatsächlich auf.

Und als Harry wieder nach unten blickte, sah er, dass am Fuße des Turms ein Garten lag, wie er ihn hier auf keinen Fall erwartet hätte. 

Zwar lag unter ihm verwahrlostes Gestrüpp, doch es erschien in einem derart mystischen Zauber, als sei es schon immer so gewesen.

Die Sonne sank hinter den hohen Bäumen, die mit Ranken, deren Blüten weiß und rosa im werdenden Dunkel schimmerten, umwachsen waren. Das Gras stand wild und hoch und in der Luft lag ein Schwirren wie von Hunderten von feinen Flügeln.

Auch der Garten schien unendlich, so dass sich Harry fragte, ob man ihn betreten könne. Denn wenn man es konnte, würde man auch weiter gehen können, immer weiter...

Im verträumten Bild, in dem er versank, brauchte er eine Weile, um die Bewegung in seinem Augenwinkel zu registrieren. Er lehnte sich weiter vor und sah, dass das Fenster neben seinem geöffnet worden war.

Er hörte leise Geräusche aus dem Zimmer, doch er sah niemanden.

Er versteifte sich innerlich und wartete einen Moment wie ein Raubtier. Doch er wartete voll von einer seltsamen Angst. Er wollte nicht, dass jemand hierher kam. Er wollte niemanden sehen, mit niemandem sprechen, wollte nicht lachen oder weinen müssen, nur weil es jemand für das beste hielt.

Eine unglaubliche Wut stieg bei diesem Gedanken in ihm auf. Immer behandelten sie ihn wie ein kleines Kind. Nicht nur das. Sie behandelten ihn, als sei er geisteskrank. Sie sahen alle mit Mitleid auf ihn herab und gingen mit ihm um, als sei er aus Glas und all das, weil er ja der Junge war, der aus irgendeinem unerklärlichen, bescheuerten Grund überlebt hatte und schon so viele schreckliche Dinge erleben musste. 

Sie waren alle so scheinheilig. Besonders Dumbledore. Harry dachte fast mit Abscheu an ihn. Er konnte sich nicht erklären, warum er diesen Mann einmal gemocht hatte.

Die Naivität eines kleinen Kindes wahrscheinlich.

Dieser Mann machte ihn wahnsinnig mit seiner möchtegern-weisen Art, die ihm immer wieder sagte: „Mach du nur, du armer, kleiner, verirrter Junge. Ich kann ja verstehen, dass du minderbemittelt bist...bei deiner verkorksten Kindheit..."

Etwas kitzelte ihn am Arm und riss ihn aus seinen Gedanken. Er zuckte zusammen, weil er glaubte, ein Tier, vielleicht eine Schlange, sei ins Zimmer geglitten.

Doch dann sah er, dass es eine Ranke des Efeubuschs war, die sich eilig an ihm vorbei über die Fensterbank ins Zimmer quetschte.

Ohne zu überlegen griff Harry nach der etwa fingerdicken Ranke und versuchte sie von der Wand zu reißen, doch er konnte sie keinen Millimeter bewegen. Sie schien sich durch seine Bemühungen eher noch ermuntert zu fühlen, denn sie begann schneller zu kriechen, erreichte die Innenkante der Fensterbank und machte sich munter auf den Weg ins Zimmer und die Wand innen wieder hinunter.    

Harry gab es nach einigen Versuchen auf, wie panisch an der Pflanze zu reißen und wollte gerade zu denken anfangen, als sein Blick nach oben schweifte und er zu seinem Schrecken feststellte, dass bereits vier andere Ranken an der Decke den halben Weg durch sein Zimmer zurückgelegt hatten.

Ihm kam die irrwitzige Idee, die Pflanze mit dem Fenster einzuquetschen, doch er merkte gleich selbst, dass das Schwachsinn war.

Die Pflanze tat ja nichts. Sicher würde sich auch irgendwann wieder mit dem Wachsen aufhören.

Doch dann spürte er einen Druck um sein Fußgelenk, der langsam sein Bein aufwärts wanderte und ihm wurde klar, dass dieser Busch war wie der Rest des Hauses: bösartig.

Er starrte nach unten und beobachtete wehrlos, wie sich die Ranke an seinem Bein nach oben schlängelte und mit ihren Widerhaken in seine Hose wuchs.

Sie drückte sich immer fester um ihn und Harry war sich sicher, dass sie ihm früher oder später das Bein brechen würde.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht beugte er sich nach unten und griff erneut entschlossen nach der Ranke, doch seine Kraft würde nicht reichen. Er zwang sich zu einem sarkastischen Grinsen und dachte, dass er ohne sein Pech nicht er selbst wäre.

Doch nur Pech schien er doch nicht zu haben, denn noch bevor er daran denken konnte um Hilfe zu rufen, hielt die Pflanze plötzlich inne und begann sich zu lockern und immer eiliger rückwärts zu kriechen.

Harry stellte fest, dass es bei den Zweigen an der Decke genauso war.

Kaum hatte ihn die Pflanze freigelassen, stürzte er zu Fenster, um zu sehen, was sie dazu veranlasst hatte.

Die Ranken hatten sein Zimmer bereits verlassen und kringelten sich eiligst zusammen. Der ganze Efeubusch schrumpfte in sich zusammen, als wolle er sich ganz klein machen.

Über Harry´s Gesicht huschte ein Lächeln. Und dann geschah etwas, was schon seit Wochen nicht mehr geschehen war: Harry lachte. Er fing einfach an zu lachen, ohne zu wissen, warum. Er atmete den Sommer, die Leichtigkeit tief in sich ein und genoss es einfach, da zu sein, am Leben zu sein.

Dann erstarb jedes Lachen auf seinem Gesicht.

Er hatte sich zur Seite gewandt, weil er einen Blick gespürt hatte. Das Fenster neben seinem stand offen.

Remus Lupin sah müde lächelnd zu ihm herüber.

~*+*~*+*~*+*~*+*~

Der Abend schlug sich an der trüben Scheibe nieder und Harry saß wieder allein und dachte nach.

Doch nicht über Sirius.

Er dachte an Lupin. Er versuchte nachzufühlen, wie es ihm wohl ging und was er dachte, doch es gelang ihm nicht.

Jedes Mal schweiften seine Gedanken ab zu Sirius und er spürte, wie der Schmerz und die Trauer ihren Weg über diese Gedanken zurück zu ihm suchten.

An Lupin konnte er nicht denken, doch er begann zu verstehen, wie es den anderen ging.

Sirius war auch für sie ein Freund gewesen, für die meisten jedenfalls, doch sie hatten sich der Gegenwart zugewandt, weil noch viel schwerere Prüfungen und Herausforderungen vor ihnen lagen.

Harry war müde. Er wollte sich diesen Herausforderungen nicht stellen, wollte Voldemort nicht noch einmal gegenübertreten, wollte nicht noch einen seiner Freunde verlieren.

Als es dunkel wurde, spürte er sich aufstehen und das Zimmer verlassen.

Der Flur lag still und ohne Licht, die Treppen atmeten ruhig.

Bahrfuß schlich er fast hinüber zu der Tür, hinter der er Lupin vermutete.

Niemand antwortete auf sein Klopfen. Nach langer Stille trat er ein.

Lupin saß zusammengekauert auf einem alten, halb zerfetzten Sofa an der Wand neben dem Fenster.

Er saß im Schatten, nur seine Augen leuchteten seltsam intensiv durch das Halbdunkel zu Harry hinüber. Ein gefährlicher Ausdruck lag in ihnen, traurig, aber fast wahnsinnig.

In eine dünne Decke gehüllt, die Arme um die angezogenen Beine geschlungen, saß er da und wartete, als sei der Werwolf im Begriff auszubrechen.

Harry gab sich einen Ruck, trat ein und schloss behutsam die Tür.

Dann blieb er stehen. Sagen konnte er nichts. Ihm fiel nichts ein; wusste er doch nicht einmal, warum er hierher gekommen war.

Er fiel stumm mit dem Rücken gegen die Tür.

Eine seltsame Übelkeit stieg in ihm auf.

In Lupins Anwesenheit hatte er sich eigentlich immer wohlgefühlt, er hatte ihn gemocht, doch nun fühlte er sich in die Enge getrieben.

In diese Situation hatte er sich selbst gebracht, das wusste er. Doch welchen Ausweg gab es noch?

Wenn er jetzt etwas sagen würde, wäre es mit Sicherheit falsch, egal, was es wäre....

Lupin hob den Kopf von seinen Knieen.

Für einen Moment hielt Harry den Atem an. Was er erwartete, wusste er selbst nicht.

Lupin löste seine Anspannung und bedeutete ihm, sich zu setzen.

Harry tat es mit einem sehr mulmigen Gefühl im Magen.

Er würde mit ihm über Sirius sprechen müssen, denn deshalb war er wohl gekommen. Aber er wollte nicht sehen, wie er reagierte. Er wollte nicht sehen, wie er vor ihm zusammenbrach, und er war sich fast sicher, dass es geschehen würde.


"Warum bist du hier, Harry?" Lupins Stimme klang stumpf und trocken.

„Ich..." Die Wahrheit war, dass er es wirklich nicht sicher wusste. Vielleicht hatte er gehofft, jemanden zu finden, der ihn verstand...oder er suchte nach ein wenig Sicherheit, nach dem Halt, den ihm dieser Mann allerdings mit Sicherheit im Moment nicht geben konnte. 

„Ich...ich wollte nur...sehen, wie es Ihnen geht..."

Lupin zwang sich zu einem müden, ausdruckslosen Lächeln.

„Du siehst doch wie es mir geht, jeder sieht das! Wie soll es mir schon gehen!?"

Harry sah die Wut und die unbegreifliche Trauer in seinen Augen und seinen Worten aufflammen.

Es machte ihm nichts aus.

Er verstand ihn. Hatte er selbst doch Dumbledore angeschrieen und sein Büro zerlegt, als dieser angefangen hatte, in seiner verdammt verständnisvollen und allwissenden Art mit ihm zu sprechen.

Er sah die Tränen in den Augen eines verletzten Werwolfes, der den letzten seiner einst besten Freunde für immer verloren hatte.

Er weinte um Sirius. Er weinte noch immer um ihn.

Diese Tränen waren für Harry ungeheuerlich. Erschütternd.

„Tut mir Leid..." Harry schluckte. Dieser Satz würde die Welt nicht heilen. Nichts würde er ändern.

„Harry? ...vermisst du ihn?"

Er hörte, dass er weinte. Das hatte er nicht gewollt.

„Ja...natürlich vermiss ich ihn...er...er war irgendwie....ich hab mir immer vorgestellt, irgendwann bei ihm zu leben...das hat mir geholfen bei meinen Verwandten..."

Harry konnte seine Gedanken und Gefühle nicht ordnen. Alles flog in ihm durcheinander, ein Gewirr von Stimmen und Erinnerungen, von unausgesprochenen Wünschen und Hoffnungen.

Er sah Lupin an, dass er etwas sagen wollte, dass etwas auf seinen Lippen lag, doch es sollte unausgesprochen bleiben.

„Professor, ich weiß nicht..." Weiter kam er nicht. Weiter wusste er auch nicht. Lupin lachte leise. Leise und wahnsinnig.

„Warum machst du das? Das ist irre, Harry...Ich bin schon seit über zwei Jahren nicht mehr dein Lehrer und sonst bin ich auch nichts mehr...du musst nicht an irgendwas Irrsinnigem festhalten, das längst vergangen ist..."

Harry schwankte innerlich. Die Distanz zwischen ihnen war für ihn immer selbstverständlich gewesen. Erst jetzt fiel ihm auf, wie absurd es war.

Lupin war genau wie Sirius ein Freund seines Vaters gewesen, er war Sirius´ Freund gewesen. Warum also sollten sie sich so fremd sein?

Sie waren sich nicht fremd. Nur die Situation war es.

Und es war nicht nur die Distanz.

Harry roch nahezu die Verbitterung in seinen Worten und er wusste, dass Lupin alles verloren hatte.

Das Ministerium meinte es nicht gerade gut mit Werwölfen. Lupin würde wahrscheinlich nie mehr Arbeit finden, wenn es nicht noch mehr Menschen wie Dumbledore gab, die sich aus irgendeinem verdammten Grund dazu berufen fühlten, alles richtig zu machen und allen ein besseres Leben zu ermöglichen. Und die gab es sehr wahrscheinlich nicht....

Lupin hatte sich weggedreht. Harry sah halb seine müden Augen schimmern, die zum Fenster blickten.

Er fühlte, wie seine eigenen Tränen langsam in ihm aufstiegen.

Er konnte dagegen nichts tun, keinen einzigen tröstenden Gedanken dagegen setzen.

Der Tränenschleier blendete ihn schnell, das Zimmer verschwamm wie ein Traum vor seinen Augen.

Er hörte sich schluchzen, ohne zu wissen, warum. Er hatte keine Kontrolle mehr.

Er hatte sie nie gehabt. Das Einzige, was ihn gerettet hatte, war Glück gewesen, reines Glück, sonst nichts.

Warum, warum überlebte er?! War er wirklich nur zum Überleben geboren worden?

Gerade als sein unkontrollierter Tränenstrom ihn zu ertränken drohte, spürte er, dass er nicht allein war. Er war noch da.

Remus hatte seine Arme um Harry gelegt und hielt ihn fest. 

Nein, er würde nicht sterben.

Niemals.

~*~

Revievs?