Zwei Freunde
Das Meer war für den salzigen Geruch in Aiglano verantwortlich. Jenen Geruch, der sich sanft mit den vielen Blütendüften der riesigen Parkanlage vermischte, durch die die beiden Kinder gerade tobten.
Das Mädchen hatte lange orangene Haare, der Junge kurze zerstrubbelte schwarze… weit hinter ihnen schlenderten ihre Mütter mit dem Zwillingsbruder des Mädchens.
Rowan Aigsch genoss es wieder einmal mit ihrer alten Freundin Athena Potter plaudern zu können, ein seltenes Privileg, denn Mrs Potter hatte selten Zeit. Sie war eine jener wenigen Frauen, die in der Politik Karriere machten, und sie gehörte als Außenzauberin zum Kabinett der Zaubereiministerin Millicent Bagnold.
Bernard war ein braver Junge, er hatte einen immer ernsten Gesichtsausdruck und schien schon weit erwachsener zu sein, als er das mit seinen 6 Jahren sein sollte.
Seine Schwester war sein krasses Gegenteil. Merja Aigsch, von ihrem Vater Raven liebevoll Schnatz genannt (Raven war der Sucher der walisischen Quidditchmannschaft), was er damit begründete das Merja schwer zu fangen und noch schwerer zu bändigen war, gleichzeitig besaß das Mädchen die absolute Narrenfreiheit. Was sich auch darin begründete, dass ihre Patin (die Zwillingsschwester ihres Vaters Ibiza) und ihre Großmutter Mijona einen Narren an der lebhaften Hexe gefressen hatten.
Die einzige, die immer wieder Erziehungsversuche machte, war die Mutter Rowan Aigsch, die von ihrer Familie in einem von Leistungen geprägten Umfeld in dem man keine Fehler machen durfte aufgezogen worden war. Darin glichen sich Rowans Stammfamilie, die Dumbeldores und die Aigschs. Sie hingen dem Gedanken der Leistung an. Die Kinder hatten Narrenfreiheit bis zum sechsten Geburtstag, aber dann wurde von ihnen im Ausgleich zu Liebe und Fürsorge erwartet, dass sie sich ihrer Familie würdig erwiesen. Das heißt sie hatten sich unter Kontrolle zu halten und nach Außen die Fassade des Perfekten zutragen.
Merja
„Fang mich doch!", rief ich lauthals und flitzte los über jenes saftige grüne Gras, das es nur in Wales gab…, „kriegst mich ja doch nie!"
Das ließ sich mein bester Freund, und Begleiter durch alle unmöglichen und möglichen Situationen in die man als junge Hexe geraten konnte, niemals zweimal sagen. „Ach ja, Kleine?", ertönte seine Stimme viel näher bei mir als ich das erwartet hatte… Mist, jetzt hieß es wohl beide Beine in die Hand nehmen…
Und genau das tat ich und gab Vollgas…
Aber gegen James hatte ich nun mal nur eine Chance, wenn ich einen guten Vorsprung oder den Überraschungseffekt auf meiner Seite hatte…
Wild und frei tobten wir durch die Parkanlage meiner Heimat. Aiglano, das weiße Schloß, eine der Hochburgen des guten Geschmacks, Zentrum eines blühenden High Society Lebens, blickte gelassen zu uns herunter. Das Schloß hatte in seiner fast tausendjährigen Geschichte schon so viel gesehen... Geschichten die sogar James und mich zur Ruhe brachten, wenn meine Oma oder meine Patin sie uns erzählten.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis James mich gefangen hatte… egal wie sehr ich mich streckte, wenige Meter vor dem Löwenkäfig fing er mich. Schlang seine langen sehnigen Arme um mich und grinste mich frech von der Seite an: „Keine Chance, Mere …"
Ja, dieses dumpfe Gefühl hatte ich auch…
Ich drehte mich in seinen Armen so um, dass ich Mrs Potter, Mom und natürlich meine Spaßbremse von Zwillingsbruder sehen konnte…
Die beiden Frauen waren in ein ernstes Gespräch verwickelt und mein Zwillingsbruder lief neben ihnen her, den Kopf gesenkt, als würde ihn das alles brennend interessieren… Schleimer!
James
Merja ist in Ordnung, echt in Ordnung… klingt jetzt zwar idiotisch und tussenhaft, aber sie ist eine echte Freundin… was natürlich nicht hieß, dass ich es ihr durchgehen lassen würde, dass sie sich jetzt nach den Erwachsenen umdrehte… um Himmelswillen… sollte sie etwa so werden wie ihr Zwillingsbruder?
Vor allem jetzt, wo doch heute, der letzte Tag war den wir komplett frei verbringen sollten…
Morgen würde ich einen Hauslehrer bekommen… kein Kommentar, ich weiß, dass das ätzend ist, aber Mum hat mich überzeugt… sie meinte, wenn ich wirklich Auror werden will, dann muss ich die beste Ausbildung der Welt bekommen… Ja, ich will Auror werden, genau wie Merja… auch wenn ich nicht verstehen kann, weshalb sie eine Muggelgrundschule besuchen muss…
Ich beschloss sie gleich noch mal zu fragen oder stopp… noch besser ihre Mutter zu fragen… wer wenn nicht Rowan sollte mir denn bitte erklären, weshalb ich ab morgen jeden Vormittag damit verbringen sollte allein meinen Lehrer, der mir obendrein noch fliegen beibringen sollte (wenn ich nicht Auror werde, dann werde ich Quidditchprofi!), in den Wahnsinn zu treiben, wenn das gemeinsam mit Merja erstens bestimmt viel lustiger war und zweitens garantiert auch schneller!
„Duuu, Rowan…", schnell überprüfen, ob der Gesichtsausdruck stimmte… diese Mischung aus großen Augen und Schmollmund, auf die jede Mutter anspringt…
… außer Rowan: „Ja, James…"
Treuherziger Dackelblick in ihre Richtung…: „Warum kann Merja nicht mit mir zusammen unterrichtet werden?"
Rowan seufzte leise… Mist, offenbar hatte sie nicht vergessen, dass Merja und ich, seit sie und Mum uns erklärt hatten, dass wir im September verschiedene Ausbildungen erhalten würden, alles daran gesetzt haben sie umzustimmen… leider erfolglos…
Merja
Oh Mann, ich kannte diesen Gesichtsausdruck meiner Mutter… den setzt sie immer auf, wenn sie bereits absolut entschlossen ist und keiner von uns mehr etwas daran ändern kann…
Also… Muggelelitegrundschule…
Oder so ähnlich… die meisten Zaubererfamilien unterrichten ihre Kids entweder selbst oder lassen sie von Privatlehrern unterrichten… immerhin besteht ja die Gefahr, dass wir magischbegabten Kids unsere Kräfte nicht unter Kontrolle haben könnten und es zu irgendwelchen peinlichen Zwischenfällen kommen könnte für die wir verantwortlich sind, wegen denen die Vergiss-Mich im Zaubereiministerium dann Sonderschichten schieben müssen um die Gedächtnisse aller Muggel die zu dem Zeitpunkt in der Nähe waren zu ändern… ganz großes Kino….
Aber ich bin ja eine Aigsch und wir sind aus Prinzip schon mal ein bisschen besser als alle anderen… will heißen das wir unsere magischen Kräfte bereits im Grundschulalter so weit kontrollieren können um auf eine der besten und exklusivsten Schule Londons zu gehen…
Moms Stimme war total weich: „Sieh mal James… das ist eine alte Familientradition
Und es heißt ja nicht, dass ihr eure Nachmittage nicht weiter gemeinsam verbringen könnt… du musst das verstehen…"
James Gesichtsausdruck war nicht zu entschlüsseln, aber ich war mir sehr sicher, dass mein bester Freund fieberhaft daran arbeitete eine Lösung zu finden und ganz weit davon entfernt war zu verstehen was Mom von ihm wollte…
Meine Mutter richtete sich auf, es ist ein echter Tick von ihr immer in die Knie zu gehen, wenn sie mit uns Kindern spricht…: „Was ist… wollen wir Bananas Kuchen einfach da stehen lassen, oder sollen wir ihn essen…"
Damit wandte sie sich zum Schloss zurück und Mrs Potter und Bernard folgten ihr wie zwei Hündchen…
James trat neben mich und blickte ihnen verächtlich nach…: „Schöner Scheiß… wie soll ich denn den Typen jetzt in die Hölle jagen ohne dich…"
Ich nickte: „Und ich soll wohl bis zum jüngsten Gericht unter Muggeln versauern…"
Düstere Aussichten, verdammt düstere sogar!
