Weil ich so unglaublich kreativ bin, was Titel angeht *ähem* ist diese Story sehr leicht als Fortsetzung einer anderen, sehr leicht erkennbaren Story mit ebenfalls fragwürdigem Titel zu erkennen. *hüstel*
Wer Titeln gerne irgendeinen Sinn verleiht, wird sich im Verlaufe der Story vermutlich denken können, warum diese Fortsetzung so heißt, wie sie heißt ... ich verwende diese Titel eigentlich nur als Platzhalter :D
sternenhagel: Zählt es auch, wenn zumindest Ian vorkommt? *hoffnungsvoll blinzel* Nein? Naja, man kann mir nicht vorwerfen, dass ich es nicht zumindest versucht hätte. Und was meinen Laptop angeht: Der ist vollkommen in Ordnung. Ich glaube nur, dass die 1,5 l-Flasche ihm etwas zugesetzt hat, die auf den Bildschirm gefallen ist. Jaja, auch Unmöglichkeiten passieren hin und wieder, nur sieht die sonst niemand. Und wer sich keine Donauwasserpumpen leisten kann, hat auch kein Geld für einen neuen Laptop ... man wurschtelt sich halt durch. _ hingegen hat wohl einfach die Luken dicht gemacht, als dein Monsterreview angerauscht kam :D Dass Rhode nicht tot ist, war klar, aber bei Kanda bin ich mir da traurigerweise sehr sicher ... Oh, du bist auch ein Narutard mit zanpakuto? One Piece ist nicht so mein Fall, aber die anderen beiden werden mit offenen Armen empfangen. Raffael macht ihnen Cocktails, während wir warten. Heeeyyy, sag nichts gegen Metal. Ich hör auch Metal, während ich meine Leberkäsesemmel esse (auf dt.: Ich höre Metal und bin keine Vegetarierin. Frage beantwortet?) Tut mir leid, wenn ich dich enttäuschen muss, aber für Kanda und Ian hab ich mir schon was anderes ausgedacht, das ähm ... kommt aber erst später. Sind halt meine beiden Nullchecker, meine Spätzünder.
Rated: T
Disclaimer: Das gehört alles nicht mir, sondern ist nur von Katsura Hosino geborgt und wird nach nicht allzu schlimmer Folter wieder glimpflich entlassen. Sie bekommen auch Bepanthen und Hansaplast für die Heimreise mit, versprochen.
SIE 1.0 Unwissenheit und Gewissheit
London, Hauptquartier, 02.09 Uhr
Allen gähnte hinter vorgehaltener Hand. Er und Ian waren die einzigen beiden, die noch wach waren –von den Mitarbeitern abgesehen. Von den anderen Exorzisten war außerdem niemand da; gestern Abend waren Kanda und Linali nach St. Petersburg abgereist. Damit, Lavi und Jack in Deutschland, Linali und Kanda in Russland, Krory und Miranda in Asien, blieben nur noch sie beide übrig –und natürlich hatten sie nichts Besseres zu tun, als bis spät in die Nacht zu pokern.
Irgendwann wurde aber auch das langweilig, zumal sie zu müde waren, um richtig betrügen zu können.
„Sollten wir nicht langsam schlafen gehen?" fragte Allen von seiner Ecke auf dem Sofa aus, während er das Blatt in seiner Hand betrachtete. Schlechte Karten, extrem schlechte Karten, aber es war ihm egal; er war viel zu müde, um sie gegen bessere auszutauschen.
Ian blickte von seinen Karten hoch, als er angesprochen wurde. Er hatte es sich auf dem gegenüberliegenden Sofa bequem gemacht, den Kopf auf die breite Lehne gelegt, die Füße –ohne Stiefel- auf der anderen Lehne. „Vielleicht." Er war selbst müde und brauchte dringend Schlaf. Jetzt wusste er, wie es Jack gegangen war, als er in Venedig gewesen war. Ständig musste er daran denken, wie es Jack jetzt ging, was er gerade machte und ob alles in Ordnung war. Sein halbwacher Verstand fantasierte sich bereits die unmöglichsten Dinge zusammen, von angreifenden Riesentomaten über die Übernachtung in einer Schuhschachtel bis hin zu der Vorstellung, dass ihr Zug sich verfahren hatte, und sie jetzt in Mali saßen. Tausend Versionen von ein und derselben Szene schossen durch seinen Kopf, und keine einzige davon ergab auch nur irgendeinen Sinn. Dazwischen war aber ein Gedanke immer klar und gestochen scharf; ein unbestimmtes Gefühl, vorsichtig um Linali herum zu sein. Aber er konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was das bedeutete, oder warum dieser Gedanke immer wieder auftauchte.
„Was heißt ‚Vielleicht'?"
„Keine Ahnung." Ian überlegte eine Weile und entschloss sich dann für das einfachste. „Wahrscheinlich, dass ich schon so müd bin, dass mir keine richtige Antwort mehr einfällt."
Sie lachten schlaftrunken; eigentlich war es nicht lustig, aber ihren schlafumnebelten Geistern erschien es irgendwie komisch.
„Okay, jetz brauchn wir wirklich Schlaf", entschied Ian und legte die Karten beiseite, ohne sie sich noch einmal anzusehen. Sie konnten die Runde genauso gut jetzt beenden, auch wenn sie keinen Gewinner entschieden hatten.
Allen folgte seinem Beispiel; müde streckte er sich, als er aufstand. „Ich glaube, ich werde bis zum Mittagessen durchschlafen."
„Wenn du nich vorher wieder Hunger bekommst…" Ian grinste und wünschte ihm eine gute Nacht.
Der weißhaarige Exorzist rieb sich verschlafen die Augen, als er sich auf den Weg zu seinem Zimmer machte. Es war immer langweilig, wenn sie nicht unterwegs waren; besonders, wenn alle anderen weg waren. Nie waren die Tage und Stunden länger.
Der andere Junge wäre auf dem Weg zu seinem Zimmer fast die Stufen hinunter geflogen. Er konnte sich noch gerade rechtzeitig am Handlauf festhalten, ansonsten läge er jetzt wohl am anderen Ende der Treppe. Wenn er Glück gehabt hätte, wäre er im Fallen eingeschlafen; dann hätte er wenigstens nichts mehr mitbekommen.
So viel Schwachsinn kann auch nur mir einfallen.
Er öffnete seine Zimmertüre und ließ sich, so wie er war, auf sein Bett fallen. Bis zum Mittag durchzuschlafen wäre jetzt genau das Richtige, dachte er noch; dann schlief er ein.
Friesack, Gut Briesen, selbe Zeit
Mitten in der Nacht wurde Lavi unsanft geweckt, als Jacks Hand ihn mit einem satten Klatschen im Gesicht traf. Als er die Hand beiseite schob, wurde ihm erst bewusst, dass der jüngere Exorzist schlief, es also nicht mit Absicht getan hatte. Er hatte sich im Schlaf herumgeworfen und die Hand war einfach zufällig auf seinem Gesicht zum Liegen gekommen.
Keine zwei Sekunden später ertönte von draußen ein leises Poltern. Lavi schoss alarmiert in die Höhe und griff nach Nyoibo. Er schlich zur Tür und spähte nach draußen, sah aber zu seiner Erleichterung nur eine dicke Katze, die erschrocken vor ihm davonrannte. Mit einem leisen Lachen schloss er die Tür wieder und drehte sich um, um zu seinem Bett zurückzugehen.
Abrupt blieb er stehen. Das Mondlicht schien durchs Fenster genau auf die andere Seite des Bettes; die, auf der Jack auf dem Rücken lag und schlief. Wie der Zufall es so wollte, beleuchtete es seinen Oberkörper, aber das war es nicht, was ihn zum Stehen bleiben gebracht hatte.
Jack hatte unter dem hochgeschobenen Hemd einen Verband um die Brust gewickelt. Das ließ nur zwei Schlüsse zu, die beide in die Kategorie ‚Unfassbar' gehörten. Ersterer, nämlich, dass er eine Verletzung hatte, die er verschwiegen hatte, gefiel ihm immer noch besser als der zweite.
Langsam näherte er sich dem Bett, während er versuchte, herauszufinden, welche der beiden Lösungen zutraf. Als seine Schienbeine die Bettkante berührten, blieb er erneut stehen. Vorsichtig, um Jack nicht aufzuwecken, zog er am unteren Rand des Hemdes und hob es leicht hoch.
Was er sah, schloss eine der beiden Möglichkeiten eventuell aus, aber ganz sicher war er nicht. Er ließ das Hemd wieder los und richtet seine Aufmerksamkeit weiter südlich.
Nur ein Weg, das herauszufinden.
Und in beiden Fällen, wenn er Recht hatte und wenn nicht, würde Jack ihn umbringen, sollte er das mitbekommen. Er wäre seines Lebens nicht mehr sicher –und vor Ian erst recht nicht. Jacks Bruder würde ihn zurück ins Leben holen und gleich noch mal umbringen, dessen war er sicher.
Trotzdem, er brauchte Gewissheit. Also hob er die Hand erneut und… Sofort zuckte er wieder zurück. Der Beweis war erbracht, denn was dort sein sollte, war definitiv nicht dort.
Jack war kein Jack.
Im selben Moment, als er ihn berührte und wieder zurückzuckte, schoss Jack plötzlich aus dem Bett hoch. Seine linke Hand griff nach Lavis Kragen, seine rechte glitt unter seinen Kopfpolster. Mit einem Ruck zog er den Exorzisten nach vorne und schleuderte ihn rücklings aufs Bett. Im nächsten Moment war er über ihm, seine Linke immer noch an seinem Kragen, mit der Rechten drückte er den kalten Stahl seines Dolches gegen seine Kehle. Die eben erst gefasste Erkenntnis wurde von dem Bild verdrängt, das sich Lavi bot. Das war nicht der Jack, den er kannte; das war ein Fremder –eine Fremde, korrigierte er sich, die keine Sekunde zögern würde, ihn zu töten. Obwohl er Nyoibo noch in der Hand hielt, hatte er vollkommen auf den Hammer vergessen. Wie gelähmt starrte er das Mädchen an. Das war derselbe Blick, mit dem Ian Allen im Zug angesehen hatte; genauso hatte Allen ihn beschrieben.
Jack blinzelte, dann riss sie die Augen auf. „Lavi?" Sofort lockerte sich der Druck der Klinge an seinem Hals, verschwand aber nicht. Hatte sie die Augen eben noch aufgerissen, verengte sie sie jetzt misstrauisch. „Wieso hast du mich geweckt?"
Er brachte kein Wort über die Lippen; stattdessen starrte er sie nur stumm an. Irgendwie musste sie an seinem Blick erkannt haben, dass ihre Tarnung aufgeflogen war, denn sie verstärkte den Griff um seinen Kragen und drückte mit dem Messer wieder fester zu. „Ich sollte dich…" Sie musste nicht weiter sprechen, er verstand auch so. Sie wollte ihr Geheimnis bewahren.
Ich sollte wirklich… Aber sie konnte es nicht. Sie konnte nicht den Druck auf seine Kehle verstärken, sodass Blut floss. Binnen weniger Minuten wäre er tot, ohne etwas dagegen unternehmen zu können; es war so einfach. Aber sie brachte es nicht fertig. Das war Lavi.
Wut verdunkelte ihr Gesicht, dann stieß sie sich von ihm ab und sprang auf die Füße. Mit einem Fluch schleuderte sie den Dolch von sich; er flog quer durchs Zimmer und drang zentimetertief in die Holzvertäfelung der gegenüberliegenden Wand ein. Heftig atmend vor Zorn blieb sie stehen und starrte auf den mit Leder umwickelten Griff, der immer noch zitterte.
Langsam tauchte Lavi aus seiner Starre auf. Ausschlaggebend war wohl das Gefühl der Leere gewesen, das entstanden war, als ihre Knie sich nicht mehr gegen seine Hüften gepresst hatten, um ihn ruhig zu halten. Auf einmal war ihm kalt geworden, was seinen Verstand dafür zurückbrachte. Wie in Zeitlupe setzte er sich auf und starrte sie an.
Sie wusste genau, was er jetzt dachte. Wie sie ihn und alle anderen getäuscht hatte, aber ihn ganz besonders. Schließlich hatte sie behauptet, sein Freund zu sein, aber das war natürlich auch gelogen, nicht wahr? Wie belogen und betrogen er sich jetzt vorkommen musste, nachdem er herausgefunden hatte, dass sie ein Mädchen war. Er war bestimmt wütend auf sie, hasste sie. Das tat weh; das wollte sie nicht. Sie wünschte, einfach alles rückgängig machen zu können, aber das war nicht möglich. Jetzt konnte sie nur das Beste aus der Situation machen. Die Devise hieß: Rette, was noch zu retten ist. 1) Beschütze Ian. 2) Sichere dir sein Schweigen. 3) Gewinne sein Vertrauen zurück; werde wieder sein Freund.
Letzterer Punkt entsprang purem Eigennutz, aber das war ihr egal. Sie wollte diese Freundschaft um jeden Preis retten –oder was davon noch übrig war.
Falls überhaupt noch etwas davon übrig war.
Nur wusste sie absolut nicht, wie sie das anstellen sollte. Wie konnte sie ihn überzeugen, wie ihm klarmachen, dass sie- dass sie was? Dass sie, um sich selbst zu retten, alle anderen getäuscht hatte? Das konnte sie nicht sagen. Aber wenn sie nicht sagte, warum sie es getan hatte, würde er ihr nie wieder vertrauen. Diese Tatsache schmerzte sie mehr als alles andere.
Schritt Nummer Eins. Er musste jetzt rational denken, wenn er Antworten haben wollte, wenn er bei Verstand bleiben wollte. „Wie heißt du wirklich?"
„Jack." Sie sah ihn nicht an, als sie antwortete. „Ich hab meinen Namn abgelegt; jetz bin ich nur noch Jack."
Schritt Nummer Zwei. „Wie viel davon war wahr?"
Sie wussten beide, was gemeint war. Wie viel von ihr war wahr? Von ihrer Freundschaft? „Bis auf die Tatsache, dass ich kein Junge bin… alles."
Jetzt sah sie ihn an. Bevor er zu Schritt Nummer Drei übergehen konnte, sprach sie weiter; allerdings nicht, ohne vorher tief durchzuatmen. Das würde jetzt viel Mut erfordern und mehr Ehrlichkeit, als sie in ihrem Versteckspiel gewohnt war. „Alles… alles, was ich über… meinen eignen… meinen eignen Körper weiß, weiß ich aus Gesprächn von Huren, die ich mit angehört hab." Es stimmte; das war alles, was sie über Frauen wusste. Als sie das letzte Mal kein Junge mehr gewesen war, war sie neun Jahre alt gewesen; zu jung, um etwas über die Dinge zu erfahren, die sie Jahre später erwarteten.
Jetzt war es heraus. Sie hatte ihm eine Sache über sich, von der niemand außer Ian wusste, auf dem Silbertablett präsentiert. Sie hatte die Hand nach ihm ausgestreckt; jetzt lag es an ihm, ob er sie ergreifen würde. Ob er ihr vertraute.
Lavi hatte vollkommen vergessen, was Schritt Drei gewesen war, als sie das gesagt hatte. Sie war wieder in ihr altes Muster zurückgefallen; sie erzählte ihm etwas über sich, er ihr über sich. Sie wollte immer noch sein Freund sein, bat ihn, ihr zu vertrauen. Natürlich war es ein harter Brocken, zu erfahren, dass Jack nicht war, wofür sie sich ausgab; das musste erst verdaut werden. Aber seltsamerweise glaubte er ihr. Dass sie nicht gelogen hatte; dass sie ihn mochte, ihm vertraute; dass sie für Schokolade sterben könnte; dass sie den Zauberlehrling auswendig aufsagen konnte- was sie mehrmals unter Beweis gestellt hatte.
Noch vor wenigen Stunden hatte sie ihm das Leben gerettet. Sie hatte ihren Stolz heruntergeschluckt und sich bei ihm entschuldigt. Sie hatte darauf vertraut, dass er sie beide vor den Kugeln der Akuma beschützen würde. Und sie hatte ihn am Leben gelassen, als sie ihn umbringen hätte können, um sich selbst zu schützen.
Er wollte ihr vertrauen; noch wichtiger, er tat es bereits. Es hatte sich nichts daran geändert, dass er, wären jetzt Akuma ins Zimmer gestürmt und hätten sie angegriffen, sie ohne darüber nachzudenken beschützt hätte. Er vertraute ihr immer noch, obwohl sie ihn so getäuscht hatte.
Lavi stand auf und Jack musste den Impuls unterdrücken, ängstlich einen Schritt zurück zu machen. Auch als er näher kam und direkt vor ihr stehen blieb, so nah, dass sie aufsehen musste, um nicht auf seinen Mund zu starren, wich sie nicht zurück. Sie würde nicht davonlaufen, nicht jetzt, wo so viel für sie auf dem Spiel stand. Was auch immer kam, sie würde es ertragen, wenn er sie beschimpfte, sie schlug oder Schlimmeres tat. Aber zum ersten Mal hatte sie Angst vor ihm. Jetzt, da er wusste, dass sie ihn belogen hatte, konnte sie nicht einschätzen, wie er reagieren würde. Die Sicherheit der letzten Wochen war weg.
Langsam hob er die Hand, aber sie zuckte nicht zurück. Ich werde es ertragen.
Zum ersten Mal sah er sie wirklich an. Bisher hatte er immer gedacht, einen Jungen zu sehen, aber jetzt erkannte er, wie blind er gewesen war. Die Lippen, die Augen, die Wimpern, die Gesichtszüge –alles so eindeutig weiblich, dass Bookman ihn wahrscheinlich getreten hätte, weil ihm das nicht sofort aufgefallen war.
Sanft legte er die Fingerspitzen an ihr Kinn, direkt unter ihrem Ohr. Er fuhr über ihr Kinn, bis zu seinem tiefsten Punkt und war fasziniert von der weichen Haut, die er das letzte Mal an seiner eigenen Wange gespürt hatte. Als er mit den Fingern unter ihrem Kinn verharrte, fiel sein Blick auf ihre Lippen. Ohne einen Moment darüber nachzudenken, hob er ihr Kinn sacht an und legte seinen Mund auf ihren.
Jacks Augen weiteten sich einen Moment, dann schloss sie sie. Der Kuss war sanft und zärtlich; nicht grob und rau, wie sie erwartet hatte. Unwillkürlich lehnte sie sich näher an ihn.
Als Lavi spürte, dass sie ihm entgegenkam, wurde sein Puls noch schneller. Wie von selbst legte er den anderen Arm um ihre Mitte und zog sie noch enger an sich, um den Kuss zu vertiefen. Er legte die Hand, mit der er ihr Kinn gehalten hatte, in ihren Nacken und verstärkte leicht den Druck seiner Lippen. Dann schob er seine Zungenspitze zwischen seinen Lippen hervor und berührte vorsichtig die Spalte zwischen ihren.
In dem Moment, in dem sie seine Zunge auf ihrem Mund spürte, fühlte, sie sich, als hätte ihr jemand einen Kübel eiskalten Wassers über den Kopf geschüttet. Was zum Teufel mach ich da? Mit einem Ruck riss sie sich los und schob ihn von sich.
Heftig atmend standen sie sich gegenüber, beide verwirrt über das gerade Geschehene. Jack berührte mit den Fingern ihre Lippen, aber als sie bemerkte, wie ihre Hand zitterte, ließ sie sie hastig sinken, versteckte sie hinter ihrem Rücken, damit er es nicht sah. Noch immer war sie fassungslos über das, was sie getan hatte. Sie hatte es zwar nicht begonnen, aber zugelassen; Himmel, sie hatte es genossen! Das war ein absolutes Tabu –Ian würde sie umbringen, wenn er das jemals herausfand. Dennoch konnte sie die Vorstellung nicht loswerden, es noch mal zu tun.
Und Lavi auch nicht, wie es aussah. Auf einmal kam ihr ein Gedanke. Nach allem, was sie wusste, waren Männer ziemlich begierig auf das –und auf mehr. Immerhin gab es eine eigene Wirtschaft dafür, dieses Verlangen der Männer gegen Geld zu stillen. Allein auf Londons Straßen tummelten sich wohl gut und gerne tausend Prostituierte und in den Bordellen noch mal so viele. Vielleicht konnte sie sich das ebenfalls zunutze machen. Sie hatte gesehen, wie Lavi auf Frauen reagierte, und nachdem er sie geküsst hatte, schien sie ihm wohl auch zu gefallen –auch, wenn sie nicht wusste, wieso. Es kam auf einen Versuch an.
„Wenn… wenn ich dich das tun lasse… bewahrst du dann mein Geheimnis?"
Die Worte trafen ihn wie ein Hammerschlag. Wenn ich dich das tun lasse… Sie bot sich ihm an, im Austausch für sein Schweigen. War er ihr so zuwider? Er hätte schwören können, dass ihr der Kuss gefallen hatte, aber nach ihren Worten zu schließen, war wohl eher das Gegenteil der Fall.
Er wich noch weiter von ihr zurück, dann drehte er sich um, nahm Nyoibo vom Bett und stieg einfach über die Decken auf seine Seite. Dort ließ er sich auf die Matratze fallen und zog sich die Decke über. Wenn ich dich das tun lasse… Der Satz würde ihn wohl bis in alle Ewigkeit verfolgen.
Jack verstand nicht, was mit ihm los war. Wollte er das vielleicht doch nicht? Oder wollte er es schon, aber von einer anderen? Einer Schöneren? Sie kniete sich auf das Bett und stützte sich auf die Handballen, um ihn sehen zu können. Nur noch die roten Haare waren unter der weißen Decke zu sehen. „Lavi?" Keine Reaktion. „Ich muss wissen, ob du schweigen wirst. Bitte." Noch immer reagierte er nicht. Nervös und ungeduldig packte sie seine Schulter und drehte ihn herum. Wenigstens sah er sie jetzt an, das war doch schon mal was. „Bitte, das ist sehr wichtig für mich. Bitte antworte mir, Lavi", betonte sie jedes Wort.
Lavi sah Jack lange an, dann drehte er sich wieder um. „Geh schlafen. Ich muss nachdenken."
Zumindest hatte er ihr geantwortet; mehr konnte sie im Moment wahrscheinlich nicht verlangen. Sie seufzte leise, dann schlüpfte sie unter ihre eigene Decke. Ein paar Sekunden lang betrachtete sie seinen Rücken unter der Decke. Schließlich wandte sie sich Richtung Tür. Sie musste selbst nachdenken, wie sie ihn dazu bringen konnte, sie nicht zu verraten. Aber Jack war viel zu müde nach der ganzen Aufregung; sie gähnte noch einmal, dann schlief sie ein.
Lavi hatte nicht so viel Glück; er lag noch eine ganze Weile wach und ging jede Minute, jede Sekunde, die er mit Jack in den letzten Wochen verbracht hatte, im Geiste durch. Zwischendurch schalt er sich selbst immer wieder einen Idioten und noch Schlimmeres, dass er es nicht bemerkt hatte. Und so was schimpfte sich Bookman. Er wetterte gegen sich, aber kein böses Wort fiel gegen Jack, seltsamerweise.
Viel später begann er, darüber nachzudenken, wieso sie sich verkleidet hatte, wieso sie geheim gehalten hatte, dass sie ein Mädchen war. Sie musste irgendeinen triftigen Grund gehabt haben, um sich so eine Scharade auszudenken, und das war sicher nicht ihr Eintritt in den Orden. Aus ihren Worten schloss er, dass es mindestens sieben Jahre her sein musste, denn alles, was sie ihm erzählt hatte, war erst danach passiert.
Aber nichts, was er wusste, gab ihm irgendeinen Aufschluss darüber, was dieser Grund gewesen sein mochte.
Irgendwann, mitten in seinen Überlegungen, schlief auch er ein und wachte erst wieder auf, als gerade die Sonne aufging. Ihr Fenster lag Richtung Osten, sodass das rötliche Licht der Morgensonne das ganze Zimmer beleuchtete. Lavi, der mit dem Gesicht zum Fenster geschlafen hatte, wurde von dem gleißenden Licht geblendet und musste sich umdrehen, um seine Sehkraft zu behalten. Erst als sein freies Auge sich an die Helligkeit gewöhnt hatte, sah er zwischen den Fingern hindurch.
Sein Blick fiel auf Jack, die sich ebenfalls im Schlaf umgedreht hatte. Einen Arm unter dem Kopfpolster, lag sie mit dem Gesicht zu ihm; ihre linke Hand fast schon neben seinem Kopf. Ihre Stirnfransen bedeckten mal wieder ihre Augen, die leicht gewellten Strähnen, die eigentlich hinter ihr Ohr gehörten, lagen auf ihrer Wange.
Gedankenverloren betrachtete er sie. Das Mondlicht hatte gezeigt, wie wenig sie eigentlich wie ein Junge aussah; die Morgensonne beleuchtete die ganze Jack. Noch vor wenigen Wochen hatte er sie schon einmal so gesehen, allerdings hatte sie ihm da den Rücken zugedreht. Außerdem war sein Blick von ihrer Kehrseite abgelenkt worden, das gab er offen und ehrlich zu. Jetzt fiel ihm der sanfte, unter der Decke verborgene Schwung ihrer Taille und Hüfte auf, genauso wenig männlich wie ihr Gesicht. Erneut schimpfte er sich einen blinden Idioten, dass ihm das nicht aufgefallen war. Jetzt, wo er es wusste, war es so offensichtlich, dass es schon wehtat.
Noch immer wusste er nicht, wie es weitergehen sollte; er war vor wenigen Stunden genau an diesem Punkt seiner Überlegungen eingeschlafen. Auf jeden Fall musste sie ihm immer noch ein paar Fragen beantworten, bevor er sich entschied.
Im Moment begnügte er sich aber damit, ihr beim Schlafen zuzusehen. Wer wusste schon, wann er wieder die Gelegenheit dazu haben würde.
Ganz in seine Betrachtungen versunken, wanderte sein Blick zu ihrer verschnürten Brust. Ungeniert überlegte er, wie groß sie wohl war; allzu groß konnte sie nicht sein, sonst wäre sie nicht so leicht zu verstecken. Nichtsdestotrotz war es sicher unangenehm, tagelang mit so einem Verband herumzulaufen; noch unangenehmer, damit zu kämpfen. Wenn er sich vorstellte, dass sie das jahrelang gemacht hatte… Alles, um ihr Geheimnis zu bewahren.
Und jetzt musste er das tun. Für Lavi stand es außer Frage, dass er ihr weiterhin vertraute, aber die wichtigste Sache war für ihn trotzdem, dass sie es auch tat. Sicher, nachdem er es herausgefunden hatte, hatte es keinen Sinn mehr, weiter so zu tun, als ob nichts geschehen wäre, aber sie hätte ihm trotzdem nicht von sich aus ein weiteres Geheimnis anvertrauen müssen. Alles, was ich über meinen eignen Körper weiß, weiß ich aus Gesprächn von Huren, die ich mit angehört hab.
Ein Mädchen, das sein ganzes Leben lang versteckt hatte, wer es war, das in einer Höhle im Wald gelebt hatte, zusammen mit Räubern, wusste so gut wie nichts über Frauen, so viel war sicher. Egal, wie vielen Huren es beim Tratschen zugehört hatte. Jack wusste besser, wie man ein Junge war, als, wie man sich als Frau verhielt.
Wenn ich dich das tun lasse… Und über Gefühle bestimmt noch weniger. In der Prostitution ging es nicht darum, jemanden zu lieben oder auch nur zu mögen. Wahrscheinlich kannte Jack gar keine andere Liebe als die zu ihrem Bruder, außer aus Büchern. Die hielt sie bestimmt für erfunden.
Jetzt überdachte er seine Gefühle; jetzt, wo er wusste, dass Jack kein Junge war. Auf einmal erschien ihm der Gedanke, verliebt zu sein, gar nicht mehr so abwegig. Wie sonst sollte er sich all die seltsamen Empfindungen erklären, die ihn in letzter Zeit heimgesucht hatten?
Damit war sein Entschluss gefasst: er würde ihr helfen, ihr Geheimnis zu schützen.
Andere Mädchen bestachen durch ihr Aussehen, aber das hatte Jack auch; noch dazu waren Frauen in ihrer Zeit nicht viel mehr als Zierpüppchen, aber sie konnte kämpfen, offen und laut lachen; sie hatte eine eigene Persönlichkeit und eigene Gedanken. Und sie mochte ihn.
Lavi lächelte. Bald würde sie ihn lieben.
Erinnert ihr euch an meine Challenge an mich selbst? 7 Kapitel in 7 Tagen? Ich halte sie ein - wir sehen uns morgen. Und ein Kapitel von Here by me gibts heute als Startzugabe.
Bleibt mir gewogen.
