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Herbst
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Disclaimer für diese Geschichte: Die Welt von Harry Potter gehört J. K. Rowling. Alle Rechte verbleiben bei ihren Inhabern.
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Anmerkungen: Diese Geschichte ist eine Fortsetzung zu „Jenseits von Hogwarts". Für die von euch, die „Jenseits" nicht gelesen haben, hier eine kurze Einführung in „Herbst":
Der Dunkle Lord ist gefallen, der Krieg vorbei. Doch er hat tiefe Wunden geschlagen.
Dracos Vater ist tot, Draco selbst schwer traumatisiert, nachdem er von Kingsley, Remus und Tonks gefoltert wurde. Zwischen Draco und Harry, der ihn aus den Händen seiner Peiniger befreite, hat sich im Laufe des verstrichenen Sommers eine brüchige Freundschaft entwickelt. Doch Draco spürt, dass diese Freundschaft nicht von Dauer sein kann, besonders, als Ginny zunehmend wichtiger für Harry wird.
Severus hat sein Leben gegeben, um seine Schuld zu sühnen. Aber er konnte keinen Frieden finden und ist als Geist nach Hogwarts zurückgekehrt. Die Schatten seiner Opfer lassen ihn auch dort nicht zur Ruhe kommen. Und dann ist da noch diese Sache mit Lucius ... Dagegen ist sein enervierender Kollege, der neue Hausgeist von Gryffindor, eine kaum nennenswerte Belästigung – auch wenn sie den Namen Sirius Black trägt.
Remus ist wieder als Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste eingestellt worden. Doch die Dämonen des vergangenen Krieges machen auch ihm schwer zu schaffen. Seine Schuldgefühle Draco gegenüber treiben ihn zu ungewöhnlichen Maßnahmen.
Ein herzliches Dankeschön an meine Betas Mrs Lucia Malfoy, silvermoon1987 und Kathrina CH!
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Kapitel 1
Schatten der Vergangenheit
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„Mr Malfoy?"
Verdammt, da war es schon wieder – dieses leichte, kaum wahrnehmbare Zittern, das den Körper des Jungen jedes Mal überlief, sobald er ihn ansprach.
Meine Schuld, dachte Remus Lupin. Er hatte ein Gefühl, als läge ihm ein Stein im Magen. Meine Schuld.
Nun, vielleicht nicht allein seine, so überheblich war er nicht. Auch Tonks und Kingsley hatten ihren Anteil an Dracos bleibender Nervosität.
Unsicher sah Draco zu ihm auf. „Entschuldigung, Sir?"
Offensichtlich war der Junge mit seinen Gedanken gerade ganz woanders gewesen. Und natürlich hatte Remus ihn ausgerechnet dann ansprechen müssen. Er fluchte innerlich.
Andererseits, Draco war meistens ziemlich geistesabwesend in seinem Unterricht. Dabei hätte er sicher einiges zu Verteidigung gegen die Dunklen Künste beitragen können.
„Werwölfe, Mr Malfoy. Können wie abgewehrt werden?"
Draco wurde aschfahl.
Das war offensichtlich die falsche Frage ...
Remus wusste nie, womit er eine unangenehme Erinnerung bei Draco auslösen würde. Ähnlich wie Harry stand dem Jungen eine große Auswahl davon zur Verfügung, angefangen beim Freitod seines Vaters über seine Zeit bei den Todessern, in der er gefoltert und gemordet hatte, bis hin zu seiner eigenen Folterung im Ministerium.
Dracos vorherrschende Reaktion auf solche aufsteigenden Erinnerungen war Wut, zumindest Remus gegenüber. Auch jetzt starrte er seinen Lehrer in einer Mischung aus eben diesem Gefühl und Schock an.
Er denkt, ich würde das absichtlich machen. Merlin, wie oft soll ich mich denn noch bei ihm entschuldigen?
„Verzeihung, Sir, mir ist nicht gut. Darf ich kurz vor die Tür gehen?"
Dracos Augen schwammen von unterdrückten Tränen – und funkelten vor Zorn.
„Sicher, natürlich", sagte Lupin hastig, schuldbewusst. „Möchten Sie, dass jemand mitgeht?"
Dracos Blick huschte über die Bankreihen, weg von den beiden in seinem Jahrgang verbliebenen Slytherins, hin zu den Gryffindors. Lupin sah den raschen Blickwechsel zwischen Harry und Draco.
Harry erhob sich. „Ich gehe mit."
Remus nickte knapp. „In Ordnung."
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Aufatmend lehnte Draco sich gegen die kühle Steinwand des Korridors.
„Alles okay?", fragte Harry besorgt.
„Nein. Nichts ist okay." Draco blitzte ihn hinter halb geschlossenen Lidern an.
Harry verdrehte innerlich die Augen. Sie waren Freunde seit den Ereignissen des letzten Sommers – nach der Vernichtung Voldemorts, nach dem Tod von Dracos Vater, nach Dracos Zusammenbruch in Reaktion auf seine Folterung im Zaubereiministerium. Freunde, irgendwie. Aber es war verdammt anstrengend, mit Draco befreundet zu sein.
„Entschuldigung. Das fragt man halt so", verteidigte er sich halbherzig.
„Entschuldigung, ich denke nach, bevor ich eine Frage stelle."
Draco ließ sich an der Wand zu Boden gleiten und sank in die Hocke. Er war immer noch bleich.
„Remus hat's nicht böse gemeint", sagte Harry beschwichtigend. „Bestimmt nicht."
„Denken Gryffindors eigentlich nie?", zischte Draco giftig zurück. „Wenn er sein Gerhirn bemüht hätte, dann" –
„Mr Potter, Mr Malfoy", erklang einer klirrend kalte Stimme aus der Wand vor ihnen.
Verblüfft sahen sie beide auf.
Eine silbrige Hand glitt durch die Steine, ein Arm. Dann tauchte ein durchscheinendes Gesicht auf.
„Oh, Severus ...", sagte Harry grinsend.
Er war dazu übergegangen, seinen ehemaligen Lehrer zu duzen, seitdem eine dauerhafte, nervtötende mentale Verbindung zwischen ihnen bestand. Er tat es, weil er wusste, dass es Severus auf harmlose Weise ärgerte, und obwohl er niemals eine offizielle Erlaubnis dazu bekommen hatte. Doch bisher hatte Severus es stets geduldet – oder vielleicht auch nur erduldet.
„Nicht ganz so eindrucksvoll, dein Auftritt heute. Steckst du fest?"
„Das ist nicht witzig, Potter", fauchte Severus gereizt.
Er zog Gesicht und Arm zurück, tauchte Sekunden später an einer anderen Stelle der Wand wieder auf und durchquerte sie diesmal ganz.
„Es gibt magische Verdichtungen in diesen Wänden, durch die man als Geist nicht passieren kann. Es wird Jahre dauern, bis ich diesen neuen Aspekt des Schlosses ausreichend untersucht habe, um mich perfekt durch seine Mauern bewegen zu können. Und ich würde es vorziehen, Mr Potter, wenn Sie mich in der Öffentlichkeit nicht mit meinem Vornamen ansprechen würden."
„Welche Öffentlichkeit?" Harry sah sich gespielt verwirrt zu Draco um, der ihn schief anlächelte. „Ich sehe hier nur Draco und mich."
„Richtig, Mr Potter. Das macht genau eine Person mehr als Sie und mich, und das bedeutet, dass wir uns in der Öffentlichkeit befinden. Außerdem sehe ich hier exakt zwei Personen, die sich derzeit nicht an diesem Ort aufhalten sollten. Haben Sie beide nicht gerade Verteidigung gegen die Dunklen Künste bei unserem allseits geschätzten Professor Lupin? Sollten Sie beide sich nicht auf der anderen Seite dieser Tür befinden?" Er deutete mit einem Kopfnicken auf die Tür zum Klassenraum.
„Äh ...", machte Harry.
Er wollte Severus nicht unbedingt auf die Nase binden, dass Draco in Remus' Unterricht fast zusammengebrochen wäre – wieder einmal. Sein Freund hätte ihm dafür wahrscheinlich einen netten kleinen Fluch auf den Hals gejagt, der Harry die nächsten Stunden in Atem gehalten hätte.
„Mir geht's nicht gut", sagte Draco leise. „Deshalb hat Lupin uns rausgeschickt."
„Professor Lupin, Mr Malfoy. So, Ihnen geht es nicht gut?"
Severus sackte bis zur Taille im Boden ein, so dass er sich auf Augenhöhe mit dem kauernden Draco befand. Der Anblick des gefürchteten Slytherin-Hausgeistes, der zur Hälfte aus dem Steinfußboden ragte wie unterm Bauchnabel abgesägt, war so absurd, dass Harry unwillkürlich zu kichern begann. Verärgert ließ Severus sich wieder in die Höhe steigen, sank dann vor Draco auf ein Knie nieder.
„Es ist nicht so einfach, wie Sie sich das vielleicht vorstellen, meine Herren", zischte er missmutig.
Harry prustete vor unterdrücktem Lachen, und die Geräusche, die Draco von sich gab, klangen, als ob er kurz vorm Ersticken wäre.
Endlich wanderte auch über Severus' Gesicht ein dünnes Lächeln. „Sie scheinen sich ja schon ganz gut erholt zu haben, Mr Malfoy", stellte er trocken fest.
„Ein bisschen, ja", bestätigte Draco glucksend. „Äh, danke, Sir."
„Glauben Sie bloß nicht, dass ich hier in Zukunft den Clown für Sie mache, um Sie aufzuheitern. Da müssen Sie schon Black bemühen." Das Lächeln verschwand und er sah Draco ernst an. „Wenn Sie reden möchten, Draco, können Sie heute Abend zu mir kommen. So gegen acht Uhr vielleicht? Sie finden mich in meinem alten Büro in den Kerkern."
Draco zögerte kurz, dann nickte er. „Danke, Sir. Ich werde kommen."
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Gedankenverloren starrte Draco auf den See hinaus.
Der Unterricht bei Lupin hatte ihn wie üblich ziemlich mitgenommen. Es war ihm freigestellt worden, ob er die Stunden besuchen oder sich lieber mit Unterstützung der Professoren Flitwick und McGonagall auf die Abschlussprüfung in Verteidigung gegen die Dunklen Künste vorbereiten wollte. Niemand hatte von ihm verlangt, sich seinem ehemaligen Peiniger auszusetzen.
McGonagall war ohnehin sehr skeptisch gewesen, was die Frage der Wiedereinstellung Lupins betraf, aber es hatte schlicht keinen anderen Bewerber für die Stelle gegeben. Dennoch hatte sie Draco gefragt, ob er damit einverstanden wäre, wenn der Werwolf wieder in Hogwarts unterrichtete. Diese Geste der Direktorin hatte Draco positiv überrascht, und nach einigem Zögern hatte er seine Zustimmung gegeben und sich schließlich sogar zur Teilnahme an Lupins Unterricht entschieden. Aber das hieß nicht, dass die Begegnungen mit dem Werwolf ihn kalt ließen – jede Konfrontation wühlte ihn aufs Neue auf.
Nun saß er seit Stunden hier draußen und versuchte, mit seinen Erinnerungen an den vergangenen Sommer fertig zu werden. Der Tod Dumbledores ... Dracos Gefangenschaft beim Dunklen Lord ... Der Mord, den er unter Anleitung durch Severus begangen hatte ... Der Sturz des Dunklen Lords ... Dracos Folterung im Zaubereiministerium durch Lupin, Tonks und Shacklebolt ... Die Selbsttötung seines Vaters ... Die Sommerferien mit Harry, Danny, Hermine und den beiden jüngsten Weasleys ...
Draco hatte sich inzwischen dazu durchgerungen, Potter zumindest von Zeit zu Zeit mit dessen Vornamen anzusprechen. Das Gleiche galt für Granger. Beide hatten die ganzen Sommerferien über hartnäckig darauf bestanden, ihn mit „Draco" anzureden. Bei Weasley sechs und sieben war er jedoch bislang nur dahin gekommen, auf Beleidigungen zu verzichten und sie stattdessen mit ihrem Nachnamen anzureden. In Gedanken nannte er sie nach wie vor des Öfteren Wiesel und Wieselette, während er von Potter meist als Harry und von Granger abwechselnd als Granger und Hermine dachte – je nachdem, ob sie ihm gerade auf die Nerven ging oder nicht.
Es dunkelte bereits. Kühl wurde es auch. Wenn er rechtzeitig zum Abendessen kommen wollte, würde er sich bald auf den Weg zurück zum Schloss machen müssen.
Ein letztes Mal ließ Draco seinen Blick über den See und die umliegende Landschaft schweifen. Fast über Nacht war der Herbst gekommen und hatte den Bäumen ein buntes Kleid angelegt – ein letztes Aufflackern der Lebensfreude vor der langen Kälte und Stille des Winters. Auf dem See sammelten sich die Wildgänse zu ihrer weiten Reise. Ihr aufgeregtes Schnattern erfüllte die Luft.
Draco strich mit den Fingern durch das vergilbte Gras. Seine Augen folgten einem schwarzroten Käfer, der sich mühsam durch das Gestrüpp arbeitete.
Necrophorus vespillo. Der Totengräber.
Draco seufzte leise. Im Moment erinnerte ihn alles an Abschied und Tod: die hereinbrechende Nacht, die zunehmende Kälte, das rotflammende Herbstlaub ... Die aufbrechenden Gänse, das ausgedörrte Gras, der Aaskäfer ... Nun, der zumindest zu Recht.
Knacken. Rascheln. Schritte erklangen in seinem Rücken.
Langsam drehte Draco sich um. Er hatte nicht mit Gesellschaft gerechnet, im Gegenteil: Er hatte sich extra an einen Ort zurückgezogen, der so gut wie nie von anderen aufgesucht wurde.
Ein heller Fleck tanzte durch die Schatten des Gebüsches. Der Störenfried näherte sich. Ein Kopf tauchte aus dem dichten Gestrüpp auf. Grüne Augen, kurze, dunkelbraune Locken ...
„Danny!"
„Hallo Draco!" Danny lächelte breit und befreite mit sichtlicher Mühe seinen Umhang aus den dornigen Zweigen. „Mann, du hast dir aber Mühe gegeben, dich zu verstecken. – Reparo!" Mit einem Schwenk seines Zauberstabes ließ der junge Mann mehrere Risse und Löcher in seiner Kleidung verschwinden.
Draco grinste. „Was dich offensichtlich nicht davon abgehalten hat, mir zu folgen."
„Stör' ich dich? Im Ernst, wenn du lieber allein sein willst ..."
„Nein." Draco schüttelte den Kopf. Im Verlauf des vergangenen Sommers war Danny als sein persönlicher Heiler und Therapeut zu einem der wenigen echten Freunde geworden, die Draco jemals gehabt hatte. „Ich freue mich, dich zu sehen. Was machst du hier in Hogwarts?"
„Oh, so allerlei – dich besuchen, zum Beispiel." Danny grinste schief und irgendwie wenig überzeugend, wie Draco fand. Dann schwieg der junge Mann sekundenlang. „Nun ja ... um die Wahrheit zu sagen ...", setzte Danny schließlich stockend hinzu, „... ich bin hier, weil ich versuchen will, mit Severus zu reden."
„Versuchen?"
„Na, du kennst ihn ja. Ich fürchte, es wird nicht ganz leicht werden für mich. Ich ... habe vor, mich bei ihm zu entschuldigen."
„Entschuldigen? Wofür?"
Draco war nicht bewusst gewesen, dass Danny nach seiner Schulzeit noch mit Severus in Kontakt gestanden hatte. Seines Wissens war der Heiler auch niemals den Todessern beigetreten. Die Prydes, Verwandte der Malfoys, hatten sich immer demonstrativ neutral verhalten, auch wenn jeder Reinblüter wusste, dass sie insgeheim zum Dunklen Lord tendierten.
„Na ja, sein Freitod war nicht so ganz ... frei. Ich habe ziemlich großen Anteil daran gehabt."
Draco starrte Danny verständnislos an. „Aber – du bist Heiler ... Habt ihr nicht einen Eid geleistet, Menschenleben zu retten? Und Severus – wieso ..."
Danny seufzte leise. „Mein Bruder, Draco. Severus ist verantwortlich für den Tod meines Bruders."
„Dein Bruder? Ich wusste nicht, dass du einen Bruder hattest?"
Danny sah Draco traurig an. „Ich fürchte, ich werde dir das nicht länger ersparen können. Du kanntest meinen Bruder. Sein Name war Marcus."
Marcus.
Draco lief es eiskalt über den Rücken. Vor seinem inneren Auge stieg wieder das Bild der düsteren Kerkerzelle auf. Blakende Fackeln, eine zusammengekrümmte nackte Gestalt in der hintersten Ecke ...
Marcus.
Zwei strahlend jadegrüne Augen – Merlin, warum war ihm das nicht früher aufgefallen! Wochenlang hatte Danny ihn behandelt, hatte mit ihm die Traumata aufgearbeitet, die Draco einerseits durch die Folter und andererseits durch seine Zeit im Dienst des Dunklen Lords zugefügt worden waren. Dennoch war ihm diese Ähnlichkeit nie aufgefallen. Dabei hatte er nur zwei Mal diese Augenfarbe gesehen: bei Marcus – und bei Danny.
Marcus war also Marcus Pryde. Dannys Bruder. Und der junge Heiler hatte Snape zum Selbstmord gezwungen, um den Tod seines Bruders zu rächen? Aber Snape hatte Marcus doch gar nicht getötet! Das hatte Draco getan ...
Eine eisige Faust ballte sich in Dracos Magen zusammen. Furchtsam sah er zu Danny auf.
„Danny ... Ich ..."
Seufzend ließ der Angesprochene sich neben ihm zu Boden sinken. „Du brauchst nichts zu sagen, Draco. Ich weiß es längst. Severus hat mir seine Erinnerungen an Marcus' Tod gezeigt – um dich zu schützen. Er wollte mir beweisen, dass du nicht aus eigenem Antrieb gehandelt hast. Und er hatte Recht."
„Aber – Danny ... Severus hat mich nicht gezwungen. Ich habe" –
„Severus hat dich geschickt manipuliert", unterbrach Danny ihn nachdrücklich, „damit er dich nicht zwingen musste. Aber die Verantwortung liegt letztlich bei ihm. Nicht nur, weil er dich dazu gebracht hat, meinen Bruder zu töten, sondern vor allem deshalb, weil Severus es war, der ihn an den Dunklen Lord verraten hat."
„Er hat was?!"
„Dumbledore wollte Marcus als zusätzlichen Spion des Phönixordens bei den Todessern einschleusen. Severus war natürlich darüber informiert. Bei der ersten Gelegenheit, die sich ihm bot, hat er meinen Bruder verraten."
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Severus ließ seine silbrig durchscheinende Hand durch Flaschen und Gläser gleiten.
Dies hier war sein Reich gewesen, so lange ...
Nichts hatte sich verändert. Nur der Staub war unaufhaltsam auf Glas, Stein und Holz herabgerieselt, hatte einen feinen grauen Pelz wachsen lassen, den Severus mit seinen substanzlosen Fingern nicht wegwischen konnte.
Seufzend wandte er sich vom Regal mit den Zaubertrankzutaten ab und schwebte zu seinem alten Schreibtisch hinüber.
Staub auch hier. Feine verschlungene Linien zogen sich durch die graue Schicht. Winzige Pfotenspuren waren darin zu erkennen.
Mäuse.
Wahrscheinlich hatten sie schon seine Bücher angenagt.
Es klopfte. Überrascht drehte Severus sich zur Tür um.
„Ja? Herein!"
Seine eigene Stimme klang fremd für ihn, flach, leblos. Und er war immer so stolz auf sie gewesen, hatte so gerne mit ihr gespielt, gelockt, gedroht ...
Die Tür schwang auf. Zögernd betrat ein schlanker junger Mann das Büro. „Severus?", fragte er unsicher.
„Danny?" Ungläubig starrte Severus den Eindringling an. „Was machst du denn hier?"
Severus hatte nicht mit Besuch gerechnet, und dass sich nun ausgerechnet sein Mörder zu ihm verirrte ...
„Soll ich ... soll ich wieder gehen?" Dannys Stimme klang rau, brüchig. Fahrig strich der junge Mann einige imaginäre Falten seiner Robe glatt, ohne den Blick von Severus zu wenden. Seine Nervosität war unverkennbar.
Severus zögerte. Eigentlich hatte er allein sein wollen, hier unten in seinem alten Reich. Doch Danny wirkte so verloren, getrieben von etwas, das Severus nicht benennen konnte ...
„Aber nein, bitte. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dich hier zu sehen. Setz dich doch."
Er deutete einladend auf einen Stuhl. Zögernd ließ Danny sich nieder. Sein Blick glitt nervös an der durchscheinenden Geistergestalt seines ehemaligen Lehrers auf und ab.
„Severus, ich ... ich bin gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen. Als ich ... als ich deinen Tod verlangt habe ... Mir war nicht klar, was das für dich bedeuten würde. Ich dachte, es wäre dann alles vorbei für dich. Ich wusste nicht, dass" –
Mit einer raschen Handbewegung schnitt Severus ihm das Wort ab. Er wollte keine Entschuldigungen. Er konnte sie nicht ertragen.
Und außerdem, dachte er bitter, habe ich sie nicht verdient.
Nach einer längeren, angespannten Pause sagte Severus: „Ich wäre nicht hier, wenn ich auf der anderen Seite keine Hilfe bekommen hätte. Ich wäre hängen geblieben in einem Zwischenreich, das nichts als Angst und Schmerz für mich bereitgehalten hätte."
Einen Moment lang konnte er nicht weitersprechen. Mühsam unterdrückte er die aufsteigende Kälte, die Furcht.
„Man hatte dort bereits auf mich gewartet. – Und einige sind mir gefolgt und haben mich seitdem nicht mehr verlassen", setzte er leise hinzu.
Danny sah sich beklommen in dem düsteren Raum um.
Severus lächelte dünn. „Du kannst sie nicht sehen. Nicht, wenn sie es nicht wollen. Und sie haben kein Interesse an dir. Der Einzige, der sie interessiert, bin ich. Sie begleiten mich auf Schritt und Tritt und lassen nicht zu, dass ich vergesse, wer ich war und was ich getan habe."
Der junge Heiler schluckte sichtbar. Seine Lippen zitterten. „Das habe ich nicht gewollt", flüsterte er. „Wirklich nicht."
Severus schüttelte abwehrend den Kopf. „Es ist gut so. Es ist richtig. Jeder muss irgendwann für seine Schuld bezahlen. Der eine früher, der andere später. Ich bin ganz zufrieden mit meinem neuen ‚Leben'."
Das ist keine Lüge, dachte er. Ich glaube nicht, dass ich in meinem Leben jemals näher an den Zustand herangekommen bin, den man gemeinhin mit ‚Akzeptanz' bezeichnet.
Severus verzog seinen Mund zu einem spöttischen Lächeln.
„Immerhin bin ich nicht mehr gezwungen, Jahr um Jahr mit dem nutzlosen Versuch hinzubringen, ein bisschen Wissen in vermauerte Schülerhirne einzuhämmern. Und niemand kritisiert mich, wenn ich diese grässlichen pubertierenden Bälger zu Tode erschrecke. Im Gegenteil: Das ist genau das, was man von einem anständigen Slytherin-Hausgeist erwartet. In gewisser Weise ist meine jetzige Existenz angenehmer als mein vorheriges, wirkliches Leben. Abgesehen vielleicht davon," – sein Lächeln wurde grimmig, als er sich zum wohl hundertsten Mal fragte, warum er geholfen hatte, seinen alten Feind hinter dem Schleier hervorzuholen – „dass ich jetzt wieder Black auf dem Hals habe. Und das auch noch als Kollegen, sozusagen."
Danny sah ihn verständnislos an.
„Minerva hat uns beide als Hausgeister eingestellt. Ihn für Gryffindor, mich für Slytherin – logischerweise." Er lachte leise.
Danny schüttelte sich.
„Was ist?", fragte Severus interessiert.
„Deine Stimme ... Sie klingt irgendwie seltsam. Und dein Lachen ..."
Severus sah ihn forschend an. „Wie klingt mein Lachen?"
„Na ja ..." Danny schluckte nervös. „Ich kann's nicht richtig beschreiben ... Wie flüssiges Eis vielleicht ..."
Flüssiges Eis ...
Ein leises Glücksgefühl schlich sich in Severus' Herz.
„Hm. Das ist besser, als ich erwartet hatte. Du findest also, dass meine Stimme immer noch furchteinflößend klingt?"
„Oh Merlin, ja! Noch viel schlimmer als früher."
Noch schlimmer als früher ...
Severus spürte, wie ein zufriedenes Lächeln über sein Gesicht huschte, obwohl er es eigentlich hatte unterdrücken wollen.
„Danke. Das ist genau die Art von Kompliment, die ich im Moment gebrauchen kann."
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