Unglaublich. Es war einfach nur unglaublich. Dass Caterina Sforza immer mal wieder ganz besonderer Aufmerksamkeit bedurfte, das kannte er ja schon. Aber dies schlug dem Fass nun wirklich den Boden aus. Gerade vor zwei Wochen hatte Ezio Auditore da Firenze, der berüchtigte und gefürchtete Meisterassassine, es geschafft, diese Frau aus den Fängen der Borgia zu befreien und dennoch standen sie nun alle hier zusammen und hatten nur ein Thema: Caterina Sforza.
Innerlich verdrehte er die Augen. Vor zwei Stunden in etwa hatte einer von La Volpes Spähern ihnen berichtet, dass die Herrin von Forli auf ihrem Heimweg erneut in die Hände der Borgia gefallen war. Wer war eigentlich auf die Idee gekommen, sie ihre Heimreise alleine antreten zu lassen?
Der Späher hatte ihnen mitgeteilt, dass Caterina Sforza vorerst in das Castello Estense in Ferrara verbracht worden war und dies war auch der Grund, warum sie nun hier im Kreis standen und sehr zu seinem Ärger, Pläne schmiedeten, denn der, in seinen Augen, liebeskranke Ezio wollte Caterina natürlich wieder einmal sofort befreien. Natürlich vergaß er damit auch sofort alles andere um sich herum. Zum Beispiel, dass Cesare und Rodrigo Borgia immer noch am Leben waren.
Aber das war ja unwichtig. Denn wenn der Herr Auditore was sagte oder unbedingt seinen Kopf durchsetzen wollte, dann wurde das auch so gemacht. Egal, was die Vernunft sagte. Doch dieses Mal wurde selbst der große Assassine vor ein schier unlösbares Problem gestellt.
Selbst in die Engelsburg einzudringen war für ihn schon verdammt schwierig gewesen und dort wieder herauszukommen erst recht. Diese Mission hätte dem Meisterassassinen beinahe das Leben gekostet und genau da lag das Problem, denn das Castello Estense war in diesen Zeiten sogar noch stärker bewacht als die Engelsburg, denn sowohl Lucrezia Borgia die zweite Frau des Alfonso I. d'Este als auch Cesare und Rodrigo Borgia befanden sich derzeit gleichzeitig in der Burg.
Ohne Hilfe war es also auch für Ezio unmöglich, in diese Festung einzudringen. Da der Liebeskranke jedoch keine Sekunde verlieren wollte, um seine geliebte Caterina aus den Fängen dieser Barbaren zu befreien, stritten sich er, La Volpe, Bartolomeo d'Alviano und selbst Claudia Auditore darum, ob und wie man am besten in das Schloss eindringen konnte. Nur Pentesilea, welche dank ihres Mannes ebenfalls anwesend war, hatte sich bisher zurück gehalten. Genauso wie er. Nicht, weil er nichts zu sagen gehabt hätte, oh er hätte einiges zu dieser Misere zu sagen gehabt, doch seine Bemerkungen wären sowieso nur auf taube Ohren gestoßen, denn er hielt nichts von den Befreiungsplänen, gar nichts.
Doch als die Pläne immer wirrer und verrückter wurden, musste er endlich sprechen, denn das, was die da ausgearbeitet hatten, konnte niemals funktionieren. Nie im Leben. Also öffnete er endlich, nach beinahe einer Stunde des Pläne Schmiedens, seinen Mund. Das war auch der Grund, warum ihn nun alle anstarrten und auf weitere Ausführungen seinerseits warteten.
"Was? Was habt ihr gesagt?"
La Volpe sah ihn, wie in letzter Zeit so oft, aggressiv an. Er wusste nicht wieso und fragte sich oft, was er falsch gemacht hatte. Doch in diesem Moment war keine Zeit, darüber zu sinnieren. Also löste Niccolò Machiavelli sich endlich aus seiner typischen Haltung von der er in der letzten Stunde keine Sekunde abgewichen war und deutete mit einem Nicken auf die Karte, die ausgebreitet auf dem Tisch lag. Nach einem tiefen Atemzug, welcher mehr nach einem Seufzer klang, antwortete der Jüngste unter den Assassinen endlich.
"Ich sagte, ich weiß, wie wir in das Schloss eindringen können und zwar ohne irgendwelche wahnwitzigen Verkleidungen und Tricks sie da rauszulocken und was ihr nicht alles vorgeschlagen habt."
"Achso natürlich. Der große Niccolò Machiavelli weiß natürlich mal wieder alles besser. Na dann schlagt doch einen besseren Weg vor, wenn es denn einer ist."
Schon wieder dieser Sarkasmus und Hass in La Volpes Stimme und Blick. Was bitte hatte er nur getan?
Niccolò versuchte La Volpe zu ignorieren und trat einen Schritt näher an die Karte heran.
"Seitdem Lucrezia mit dem Herzog d'Este liiert beziehungsweise verheiratet ist, verbringt Cesare oft seine Zeit im Castello Estense. Er kann wohl nicht von seiner Schwester ab."
Niccolò beobachtete die Runde. Auf seine sarkastische Anspielung hin konnte er teils angewiderte, teils belustigte Blicke in der Runde ausmachen. Wobei vor allem die Männer eher angewidert, die Frauen belustigt ob des Klatsches waren, den man von der angeblichen Intimität der Borgia so hörte.
Nur Ezio schien überhaupt keine Miene zu verziehen. Er war wohl zu besorgt um Caterina, weshalb der Philosoph auch keine Pause einlegte und schnell weiter sprach.
"Nun, zumindest war ich dadurch in jüngster Zeit öfter dazu gezwungen meine Geschäfte mit ihm" Niccolò konnte den gereizten Seitenblock La Volpes spüren, welcher bei diesen Worten auf ihm lag, "in das Castello zu verlegen. Dabei hatte ich die Gelegenheit das Schloss ein wenig kennen zu lernen. Nicht nur von innen. Cesare hat irgendwie die Wahnvorstellung, dass man ihn im Castello belauschen würde, deshalb wollte er bei unseren Besprechungen immer draußen spazieren gehen und zwar nicht nur im Hof, sondern auch um die Burg herum. Also konnte ich sie ebenso gut von außen wie auch von innen kennenlernen. Zweimal war ich auch im Kerker. Cesare wollte mich bei der Vernehmung eines Gefangenen dabei haben. Bei unserer ersten Vernehmung wurde er jedoch abberufen und ließ mich dort unten ziemlich allein zurück, weshalb ich die Gelegenheit genutzt habe, mich ein wenig umzusehen. Viele Wachen gab es in den Verließen nicht, denn sie bewachen größtenteils nur den Eingang zum Kerker und laufen nur vereinzelt in bestimmten Zeitabständen durch die Flure. Ich konnte nicht alles anschauen, weil eine Wache mich vorher aufgegriffen hat. Ich meinte zu ihr, dass ich mich verlaufen hätte. Sie glaubte mir und hat mich rausgebracht. Aber ich denke das Wesentliche konnte ich mir merken."
"Achso ihr erkundet einfach mal so aus Spaß einen Kerker und die Wache glaubt es euch also, ja?"
Niccolò ignorierte den Drang seinen Kopf zu schütteln und blickte auf La Volpe, welcher ihm die Frage gestellt hatte.
"Ja das ist korrekt, Gilberto. Den Kerker habe ich mir angesehen, weil ich der Meinung bin, dass es immer gut ist, seine Umgebung zu kennen und die Wache hat mir geglaubt, weil sie noch sehr jung war und wie sie mir beim Herausgehen erzählte, sich an ihrem ersten Tag auch dort unten verlaufen hatte."
Bevor La Volpe noch weiter darauf eingehen konnte mischte sich nun Ezio mit ein.
"Das heißt, ihr könntet uns in den Kerker bringen Machiavelli?"
"Si."
"Gut, wie würde das aussehen?"
Mit einem Nicken trat der Angesprochene an die auf dem Tisch ausgebreitete Karte heran und ließ seine Hand seinen Worten folgen.
"Das Schloss an sich ist von der Straße aus nur über Brücken erreichbar, da es von einem Wassergraben umgeben ist. Diese Straßen werden gut bewacht und es gibt keine Möglichkeit einfach so von der Mauer aus in den Graben hinein zu springen. Das Wasser für den Graben wird jedoch vom Po aus hineingeleitet und dort könnten wir ansetzen. Vom Fluss aus könnte man unter der Brücke hindurch schwimmen. Wenn man dies leise und des nachts täte, dann würden die Wachen nichts bemerken.
Die Fenster zu den Kerkern befinden sich nur etwas über dem Wasserspiegel. Viele davon, also zumindest jene in den Fluren sind aber eher morsch. Der Herzog kümmert sich lieber um die Fenster in den Verließen, damit die Gefangenen nicht durch diese fliehen können. Die in den Fluren hat er wohl außen vorgelassen. Wahrscheinlich glaubt er nicht, dass jemand durch diese fliehen könnte, weil in den Fluren ja immer Wachen dabei sind. Außerdem können die Meisten dort sowieso nicht schwimmen.
Wenn wir dieses Fenster hier auf der rechten Seite erreichen könnten, dann würden wir in einem recht verlassenen Gang landen. Er wird nicht so sehr bewacht, da es dort keine Gefangenen gibt. Die Wachen kommen vielleicht ein oder zwei Mal am Tag dort entlang. Dort würde es also die wenigsten Probleme geben und soweit ich das vorhin verstanden habe, dürfte Caterinas Zelle nicht weit von diesen Gängen entfernt sein. Also könnten wir diese schnell erreichen."
Niccolò beendete seine Ausführungen und sah abwartend in die Runde. Vor allem Ezio schien noch nicht ganz zu frieden, denn er sah den Jüngeren fragend an.
"Da tut sich aber mindestens ein Problem auf, Niccolò. Was ist, wenn Caterina verletzt ist, dann kann sie nicht mit uns nach draußen schwimmen und so, wie ich Lucrezia kenne, hat sie Caterina sicher schon irgendetwas angetan."
Ezio knurrte bei seinen letzten Worten beinahe und nun war es an Machiavelli ratlos da zu stehen. Denn daran hatte der sonst so scharfsinnige Denker in diesem Falle nicht gedacht. Ein Glück für ihn, dass sich Bartolomeo nun einmischte.
"Wenn wir an der vorderen Brücke eine Unruhe, beispielsweise durch meine Söldner, starten, dann könntet ihr doch hintenrum fliehen, da sich die Meisten der Wachen dann wohl auf die vordere Seite der Burg konzentrieren würden."
"Das ist eine gute Idee Bartolomeo." Ezio schien auf eine Idee gekommen zu sein. "Als ich aus der Engelsburg floh, gab es eine riesige Explosion im Inneren der Burg, wodurch die meisten Wachen sofort wieder zurück in die Burg gelaufen sind. Wenn wir so etwas organisieren könnten und ihr auf eine ausgemachte Zeit hin den Tumult startet, dann könnten wir solange unerkannt verschwinden.
Volpe, seid ihr in der Lage uns das benötigte Schwarzpulver zu besorgen?"
"Natürlich. Das sollte kein Problem für meine Diebe darstellen."
"Gut, dann ist ja alles geklärt. Wir treffen uns morgen Abend am Castello und dann befreien wir Caterina."
Ezio schien zufrieden mit dem Plan, La Volpe nicht.
"Da gibt es aber noch ein Problem, Ezio."
Fragend blickte der Meisterassassine auf.
"Welches?"
"Ihn."
Mit einer Kopfbewegung deutete er auf Machiavelli, welcher die weitere Planung stillschweigend beobachtet und sich innerlich gefreut hatte, dass seine Rettungsaktion und die damit verbundene Explosion in der Engelsburg so positiv in Ezios Gedächtnis geblieben waren. Obwohl dieser natürlich nicht wusste, wer ihm da geholfen hatte.
Nun jedoch sah der Politiker fragend und verwirrt auf. Okay es war eindeutig, Gilberto traute ihm nicht über den Weg und das wollte er jetzt scheinbar ganz öffentlich, da sie ja einmal hier zusammen standen, ausdiskutieren. Gut sollte er es tun. Dann konnten sie das Thema endlich abhacken. Niccolò war für alles bereit. Doch Ezio schien überhaupt nicht begeistert, was sein drohendes "Volpe!" widerspiegelte.
Doch der Fuchs hob abwehrend die Hände.
"Er sagt zwar, dass er uns zur Zelle führen kann, doch wenn die Wachen ihn dort erkennen, dann ist euer bester Spion Ezio" mit einer eher verächtlichen Handbewegung deutete der Mann auf Niccolò "enttarnt. Und dann ist sowohl sein Leben zerstört als auch eure Informationsquelle versiegt."
La Volpe schien sich entgegen seiner Worte nicht viel um das Leben des Politikers zu scheren, denn sein Ton war eher gleichgültig, doch er hatte recht.
"Dann tragt doch eine Novizenuniform und verdeckt euer Gesicht mit einer Maske."
Claudias Vorschlag fand schnell allgemeine Zustimmung und so wurde der Plan für den nächsten Tag festgemacht. Bald darauf verabschiedeten sich sowohl La Volpe, der mit seinen Dieben noch das benötigte Schwarzpulver besorgen musste, als auch Bartolomeo und Pentesilea und ließen Ezio, Claudia und Niccolò allein im Versteck zurück.
Als endlich Ruhe eingekehrt war, packte auch Machiavelli, tief in Gedanken versunken, seine Sachen zusammen, wurde jedoch bald von Ezio unterbrochen, welcher ihm eine Hand auf die Schulter legte.
"Ist alles in Ordnung mit euch? Wenn ihr Bedenken wegen der Mission morgen habt, dann müsst ihr nicht mitkommen. Ich kann verstehen, wenn ihr eure Position nicht gefährden wollt."
Der Meisterassassine hatte also die Sorge in Niccolòs Gesicht gelesen. Sie jedoch vollkommen falsch interpretiert. Es war nicht die Mission, die ihn beschäftigte. Er war sich ziemlich sicher, dass Claudias Plan aufgehen würde. Nein es war La Volpe, der ihn immer noch beschäftigte. Niccolò versuchte immer noch Antworten zu finden. Doch es wollte einfach nicht in seinen Kopf.
Mit einem erzwungenen Lächeln sah der Philosoph auf und blickte Ezio in die Augen.
"Nein ich habe kein Problem mit der Mission. Ich bin mir sehr sicher, dass der Plan funktionieren wird."
"Gut."
Mehr oder weniger zufrieden nickte Ezio und ließ den Politiker ziehen, nachdem dieser seine Sachen zusammen gepackt hatte.
"Du hältst ihn nicht auch für einen Verräter?"
Claudia blickte in das besorgte Gesicht ihres Bruders, nachdem Machiavelli das Versteck verlassen hatte.
"Ich habe meine Zweifel an La Volpes Theorie. Doch leider gibt es ein paar Beweise, die gegen ihn sprechen."
Beruhigend legte Claudia ihrem Bruder die Hand auf die Schulter.
"Niccolò hat sich bisher uns gegenüber niemals schlecht verhalten. Ja ihr hattet eure Differenzen aber ich glaube nicht, dass er ein Spion der Borgia ist. Wenn er es wöllte, dann hätte er unser Versteck schon lange verraten und dafür sorgen können, dass die Borgia uns hier zerschlagen. Ich glaube nicht daran, dass er uns verrät. Er wird das Richtige tun."
"Darauf können wir nur hoffen."
