Edit 2018-06-11: Ich haderte mit dem Gedanken, hier einmal zu Grundsanieren, allerdings werde ich das erstmal sein lassen. Ich update einige der Kapitel, damit störende Fehler beseitigt werden.
13. Mai 1940
Ihre Tochter war gerade einmal fünf, als sie den Brief zur Deportation erhielten. Die SS war nicht gerade feinfühlig mit ihnen umgegangen, aber sie selbst konnte das verkraften. Mit ihrer Tochter war das so eine Sache. Man brachte sie in ein Endlager. Ihre Unterkunft war kläglich, doch was konnte man denn schon erwarten?
Über ihre Tochter machte sie sich allerdings Sorgen. Ihr Mann hatte zwar versprochen, dass ihrer Tochter nichts passieren würde, doch sicher konnte sie sich nicht so ganz sein. Katherine war doch erst sechs Jahre alt! Und bei der Situation gerade…
„Arbeit macht frei" hatte sie das metallische Schild spöttisch gegrüßt. Die Wachen jedoch waren das schlimmste; sie nutzten keine Waffen, nein. Nebenan hörte sie laute, schmerzerfüllte Schreie. Die Wachen hatten allesamt merkwürdige Stöcke. Sie konnten damit grelle Blitze feuern. Sie wussten nicht, ob das eine neuartige Erfindung aus Berlin war. Sie wussten gar nichts hier drin.
Natürlich beließen diese Menschen es ja nicht einfach nur dabei, sie zu quälen. Sie führten auch noch Versuche mit ihnen durch. Diese armen Kinder. Sie benutzten Kinder für ihre kranken Experimente! Und das war noch nicht einmal das Schlimmste! Jedes Jahr kamen Leute in seltsamer Kleidung. Die Geschichten davon, dass sie einfach Kinder mitnahmen, jagten ihr Schauer über den Rücken. In ihrem neuen... "zu Hause", spürte Katherina nur Angst und Hunger.
Katherina spielte gerade mit einer ihrer Puppen. Sie fanden sie ab und an mal irgendwo im Müll oder auf der Straße. Sie spielte gerade mit ihrer Lieblingspuppe. Ihre Mutter lächelte. Sie fand noch Freude unter diesen Bedingungen.
Es dauerte nicht mehr lange, bis sie zusammengerufen wurden. Jede Familie mit Kind musste das Kind zu einem kleinen „Park" bringen. Als sie an einem Schild zu einer vermeintlichen Schule vorbei gingen, stieß Katherina eine Wache mit der Faust in den Rücken. Katherina fiel zu Boden. Ihre Mutter versuchte, sie aufzurichten. Spöttisch beobachtete die Wache sie. „Machen sie mal, dass das Schlammblut schneller läuft!"
„Sie ist doch nur ein Kind!"
Diese Antwort verdiente offenbar eine harte Rückhand. Ihr Mann konnte sich nur gerade so im Griff halten. Er durfte sich nicht mit den Wachen anlegen. Das hatte üble Folgen.
Die Kinder wurden in einer Reihe aufgestellt. Katherine, als eine der Kleinsten, stand vorne. Weitere Männer stießen zu ihnen. Ihre schwarze Kleidung, die die junge Mutter eher an eine Mischung zwischen Mantel und Jacke erinnerte, flatterte in einem unnatürlichen Wind.
Und das, obwohl es windstill war. Katherina wurde langsam ungeduldig. Die Männer standen einfach nur vor ihnen und schienen sie anzugrinsen. Der einzige Mann, von denen sie das Gesicht erkennen konnten, hatte kurzes, blondes Haar. Er wirkte wie ein russischer Soldat. Nicht, dass sie viele gesehen hätte. Doch das bösartige Grinsen unter diesen kalten Augen wirkte irgendwie fehl am Platz. Irgendwie emotionslos und doch erschreckend freudig.
Alle schauderten, als diese hohle, kalte Stimme in der Morgenluft hallte. Ein unnatürlicher Klang.
„Wie unhöflich von uns. Wie wäre es, wenn wir uns vorstellen? Masken runter!" befahl er noch zur Seite hin.
Als die anderen wie synchron die Masken abnahmen, welche silbrig ihre Gesichter verdeckten, erschrak die Mutter. Das waren doch selbst Großteils noch Kinder! Johan!
Sie hätte fast geschrien. Der siebenjährige, vor einem Jahr noch hier und voller Lebensfreude, sah sie nun unter gebrochenen, kalten Augen aus an. Was war hier los? Sie hatte nicht gemerkt, dass er weg war, aber... Viele Menschen verschwanden hier.
„Kontrollprobe!" befahl der Anführer. Der mittlerweile Achtjährige ging großen Schrittes auf die anderen Kinder zu. Jedes von ihnen zuckte zusammen, als er die Hand auf die Schulter eines legte.
Nichts passierte. Der Junge ging langsam die Reihe ab. Er legte ein paar Momente die Hand auf die Schulter eines Kindes, dann ging er zum nächsten. Bis er schließlich an Katherina angelangt war. Als er die Hand auf ihre Schulter legte, schrak sie zusammen.
Ihre Mutter bekam fast einen Herzinfarkt. „Nein, meine Süße, bleib ruhig!" dachte sie angestrengt. Sie sollte Ruhe bewahren! Doch ihre Tochter schien unter großen Schmerzen.
Dann geschah etwas Wunderliches. Ein grelles Licht schien kurz auf. Ihre Mutter musste die Augen verdecken. Sie erstarrte, als sie die Rückmeldung des Jungen hörte. „Stichprobe 8 als magisch Begabt erkannt."
„Mitnehmen!"
Was? Erst als die Männer Anstalten machten, Katherina anzufassen, erwachte sie aus ihrer Starre. Sie versuchte, ihre Tochter zu holen, aus diesen Klauen dieser Monster heraus. Sie wagten es, ihren Engel anzufassen!
Doch die Männer grinsten nur. Der älteste fragte, „Thomas?"
Die Kreatur würde die junge Mutter nie vergessen. Ein junge, gerade einmal sechzehn, trat vor. Der kalte Blick traf sie wie einen Schlag. Ein eisiges Zischen rauschte durch die Luft, wie eine Welle. Wie eine Welle fegten auch die Schmerzen über sie. Sie krümmte sich am Boden.
In einem kurzen Augenblick konnte sie sehen, wie es allen anderen auch so ging. Mindestens achtzig Menschen krümmten sich vor diesem Jungen in elenden Schmerzen, welcher dabei nicht einmal eine Miene verzog.
Der Schmerz war schnell vorbei. Dumpf hörte die Mutter, wie der Älteste die Zähne fletschte und rief „Nehmt sie mit. Sie soll zusehen."
Dann wurde die Mutter ohnmächtig. Als sie aufwachte, schmeckte sie Blut in ihrem Mund. Der kalte Boden rieb ihre Haut aus, als sie sich bewegte. Bei dem Versuch, ihren Arm zu bewegen, fiel ihr auf, dass man sie angekettet hatte.
Die Ketten scheuerten ihre Hand auf. Sie konnte sich nicht viel bewegen. Schließlich machte sie die Augen auf. Dann schloss sie sie wieder. Es war kein Unterschied. Eine bedrückende, kalte Dunkelheit herrschte hier.
Während sie versuchte, sich zu befreien, hörte sie die Stimme ihrer Tochter.
„Mami?"
„Ja, mein Schatz, ich bin da!"
„Es ist so dunkel. Ich hab Angst. Wo bin ich?"
„Alles wird gut, Schatz." Genau genommen war sie sich dabei nicht so sicher.
Langsam schienen sich ihre Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Die bedrückende Schwärze lichtete sich etwas und sie konnte ihre Umgebung eingeschränkt wahrnehmen. Sie befanden sich in einer Art Kerker. Es erinnerte sie mehr an ein Verließ aus dem Mittelalter. Die Kette, an die sie gebunden wurde, war rostig und sehr schwer.
Die Handschellen an ihrem Handgelenk waren groß. Eigentlich müsste sie ihre Hand befreien können, doch war sie wie fixiert an dem alten Metall gebunden. Ihre Tochter lag einige Meter von ihr entfernt. Sie waren in einer Zelle gefangen. Mehr konnte die Mutter nicht erkennen, es war immer noch unheimlich dunkel.
„Mami, wo sind wir?" Ihre Tochter fing an zu weinen.
„Ich weiß es nicht, Schatz. Mach einfach die Augen zu und denk an zuhause." Ihre eigene Stimme klang unglaublich schwach und verzweifelt. Sie brach ab. Ihre Tochter wurde plötzlich stumm. Ihr Herz blieb beinahe stehen, als diese kalte, hohle Stimme durch den Raum klang.
„Guten Morgen, meine lieben Freunde."
Die Stimme klang so unglaublich jung, dass es der Mutter schauderte. Der Mann war wahrscheinlich noch nicht einmal zwanzig. Doch dieser kalte Klang ließ ihren Kopf einfrieren. Nicht nur dass; Sie spürte die Kälte in seiner Stimme körperlich. Sie sah kleine Wolken aus ihrem Mund emporsteigen.
Um ihrer Tochter willen fasste sie den Mut zu sprechen. „Was wollen sie von uns, lassen sie uns frei!"
Der Mann schien sie zu ignorieren. „Ein bisschen dunkel hier. Wollen wir nicht Licht in die Bude bringen?"
Als sich der Raum erhellte. Blieb der Mutter das Herz stehen. Hier saßen Kinder, so viele Kinder. In anderen Zellen, ihre Blicke völlig ausdruckslos. Teilweise schliefen sie, teilweise waren sie wach. An den steinigen Wänden klebte Blut. Sie musste einen Würgreflex unterdrücken. Die Tochter hatte immer noch die Augen geschlossen.
„Mami, was ist da los?" Sie weinte, hielt jedoch ihre Augen geschlossen.
„Mach nicht die Augen auf! Hörst du, lass deine Augen zu!" Ihre Stimme versagte. Die Mutter wandte ihren Blick ab, weg von den Dingen, die sie sah.
„Wer will denn das Schauspiel verpassen? Lasst die Spiele beginnen!" Kaum als er dies sagte, zuckte ein gewaltiger Schmerz durch ihren Körper.
