Desclaimer: I do not own anything

D E F I A N T

BUCH I

I.

‚Risianische Grippe! Ausgerechnet risianische Grippe! Konnte sie nicht einfach die einheimische Variante bekommen wie jeder andere auch? Nein, mit Kleinigkeiten geb ich mich doch gar nicht erst ab.' Hope seufzte. Sie war nie krank und warum es sie diesmal erwischte, wollte ihr einfach nicht in den Kopf. Daß der Arzt ihr gesagt hatte, daß er noch nie so eine milde Variante dieser Krankheit, die in 30 der Fälle tödlich war, gesehen hatte, war ihr kein Trost. Schon in der Früh hatte sie sich nicht besonders gut gefühlt, das aber auf den Arbeitsstreß der letzten Tage geschoben.

Sie war Software- und Computertechnikingenieurin und in den letzten Tagen war sie einem Computervirus auf der Spur, der in völlig unberechenbaren Zeitabständen die Stromversorgung der Stadt partiell lahm legte. Immer betraf es einen anderen Bezirk und kein Ausfall dauerte länger als 10 Minuten. Das reichte allerdings, um sensible Systeme durcheinander zu bringen. Alarmanlagen, Sicherheitssysteme.

Bislang war der Bezirk, in dem das Hochsicherheitsgefängnis lag, noch nicht betroffen gewesen, aber das war nur eine Frage der Zeit, wenn sie diesen verflixten Virus nicht bald fand und eliminierte. Sie mochte sich die Konsequenzen gar nicht erst vorzustellen. Das Gefängnis war eines der ältesten HSGs des Quadranten und bis dort die Notstromversorgung anlief konnte wer weiß was geschehen. Noch dazu wohnte sie im genau daran angrenzenden Bezirk - von ihrem Balkon aus konnte sie die Wachtürme sehen.

Als sie in der Softwarefirma anfing konnte sie sich keine Wohnung in einer besseren Gegend leisten und irgendwie hatte sie sich dann an die kleine Wohnung gewöhnt. Vor allem an den großen Balkon, auf dem sie jede Menge Blumen, Kräuter und sogar ein wenig Gemüse zog. Das bot ihr den notwendigen Ausgleich zu ihrer Arbeit die sie dazu zwang, jeden Tag 10 oder mehr Stunden im 3. UG der Softwarefirma oder in dem geschlossenen Hangar, in dem der Prototyp eines neuen Raumschifftyps gebaut wurde, zu verbringen.

Der pfeifende Wasserkocher, ein Relikt, das sie von ihrer Heimat mitgebracht hatte und von dem sie sich einfach nicht trennen konnte, riß sie aus ihren Grübeleien.

Die Medikamente, die ihr der Arzt mitgegeben hatte, halfen zwar ein wenig gegen die Kopf- und Gliederschmerzen, aber der Tee würde ihre Laune beträchtlich verbessern. Es war eine alte Tradition in ihrer Familie, dass bei jedem Kummer und bei fast jeder Krankheit Tee getrunken wurde. Das musste bis auf ihre englischen Urahnen zurückgehen. Sie hatten auf Terra gelebt und ihre Vorfahren waren bei den ersten, die es in den Weltraum zog. Allerdings hatte sie sich nie daran gewöhnen können, Milch in ihren Tee zu gießen. Allein bei dem Gedanken daran schüttelte sie sich. Davon abgesehen war diese traurige Entschuldigung von Milch, die man hier bekam, ohnehin kaum mit der aus ihrer Kindheit auf Aurelius III zu vergleichen. Ein Agrarplanet, auf dem es vor tierischem und pflanzlichem Leben nur so wimmelte.

Der Planet war wunderschön, aber das war ihr nie genug gewesen. Sie wollte andere Planten sehen, Abenteuer erleben und da Computer und ihr Innenleben sie schon als Kind so sehr begeistert hatten, dass sie über Schaltplänen und Programmen völlig vergaß, mit ihren Freunden draußen zu spielen, war es nur einlogischer Schritt, auf der technischen Universität von Karolos V zu studieren. Sie schloß sämtliche Fächer summa cum laude ab und die Softwarefirmen rissen sich um sie.

Und so war sie hier gelandet. Auf diesem kleinen Planeten, der das Zentrum der Computer­technologie der gesamten Galaxie war. Ihr Augenblickliches Projekt bestand aus der Entwicklung eines völlig neuen Raumschifftyps. Fertig gestellt würde es das beste Raumschiff aller Zeiten sein. Es würde schneller sein durch den Warpantrieb, es würde unsichtbar sein durch Tarntechnologie und es würde noch eine ganz Menge mehr technischer Neuentwicklungen haben, die die Raumfahrt schneller, sicherer und einfacher machen würde. Der Warpantrieb war bereits funktionstüchtig und sie hatte gerade einen großen Fortschritt bei der Entwicklung der Tarntechnologie gemacht, als die Stromausfälle anfingen. Und so war eines morgens ihr Vorgesetzter vor ihr gestanden und hatte sie vorübergehend von ihrem Projekt abgezogen, da sie die einzige zu sein schien der er zutraute, diesen Virus zu finden.

Und jetzt lag sie zu Hause und konnte nur hoffen, dass die anderen Mitarbeiter, die ihrem Team zugeteilt waren, auch ohne sie zurecht kamen. Obwohl sie das ehrlich gesagt bezweifelte. Sie hatte sich schon fast bis zum Ursprung des Sabotageprogrammes vorgearbeitet und trotz des Fiebers noch versucht, weiter zu machen. Aber sogar ihr Boss, der normalerweise niemanden so leicht nach Hause schickte, hatte eingesehen, dass sie in diesem Zustand möglicherweise alles nur noch schlimmer machen würde. Sie hatte vor, von zu Hause aus an dem Problem weiter zu arbeiten. Sobald sie nicht mehr so müde war. Und ihr nicht mehr jeder einzelne Knochen weh tat.

Sie gähnte, nahm ihre Tasse Tee und schlurfte ins Schlafzimmer. Mit einem erleichterten Seufzer kroch sie ins Bett, lehnte den Kopf an die Wand, genoß deren Kühle und nippte langsam an ihrem Tee. Sie war jetzt müde genug, um trotz der Glieder- und Kopfschmerzen schlafen zu können. Nachdem sie die Teetasse auf den Boden gestellt hatte kuschelte sie sich in ihre Polster und entspannte sich.

Als sie das laute Rumpeln hörte, war sie sich zuerst nicht sicher, ob es zu ihrem Traum gehörte (sie wurde von einem Computer mit dessen Bauteilen beworfen, weil sie ihn mit der Grippe angesteckt hatte?!) oder real war. Als sie das Geräusch noch einmal hörte wurde sie endgültig wach und ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es fast Mitternacht war. Sie fühlte sich ein wenig besser und war direkt froh, dass das Geräusch sie aus ihrem verrückten Traum gerissen hatte. Neugierig machte sie sich auf den Weg zum Fenster, konnte allerdings nichts sehen. Eigentlich war das Geräusch auch eher vom Balkon gekommen und so ging sie ins Wohnzimmer. „Licht 10 auf dem Balkon" wies sie den Hauscomputer an. Angst, dass draußen eine Gefahr lauern könnte, hatte sie nicht - das „Glas" war eigentlich durchsichtiges Aluminium, wie es auch auf Raumschiffen verwendet wurde und sie hatte außerdem ein Gitter aus Duranium anbringen lassen. Sie hatte ihre ganze erste Prämie für diese Sicherheitsmaßnahmen ausgegeben, aber das war es wert. So konnte sie in ihrer geliebten Wohnung bleiben und sich trotz der Nähe zum Gefängnis sicher fühlen.

Als sie die Scheibe erreichte sah sie, dass ein Großteil der Blumentöpfe umgeworfen und einige davon zerbrochen waren. Zorn stieg in ihr auf. Sie hatte schon alles für die neuen Pflanzen vorbereitet und jetzt war die ganze Mühe umsonst gewesen! Aber was hatte das Chaos verursacht? Während sie noch an ihrer Unterlippe kaute und überlegte, ob sie nach draußen gehen sollte, sah sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung im hinteren Teil des Balkons. Sie hatte dort einen großen, immergrünen Strauch stehen, dessen Blätter das Licht nicht bis in die Ecke fallen ließ, wo die Schattenpflanzen wuchsen.

„Verdammt, für eine Katze ist das zu groß." Während sie noch ratlos nach draußen starrte hörte sie die Alarmsirenen aus dem Gefängnis. Ein Ausbruch? Wahrscheinlich war, während sie schlief, der Strom wieder ausgefallen und diesmal genau dort. Aber ihre Wohnung lag im 5. Stock, wer sollte schon hier heraufkommen? Sie wusste nicht recht, was sie tun sollte - die Cops rufen, einfach wieder ins Bett gehen und die Angelegenheit vergessen, bis sie fit genug war, das Chaos da draußen zu beseitigen? Nach draußen zu gehen war keine Option mehr- dafür hatte sie jetzt doch zu viel Angst, obwohl sie sich für ihre Feigheit selbst schimpfte. „5. Stock und sie hat Angst vorm „schwarzen Mann". Wie alt bist du eigentlich? Fehlt ja nur noch, dass du nach Mami heulst!".

Unwillig schüttelte sie den Kopf und wollte schon wieder ins Bett gehen, als sie die Bewegung erneut sah. Und diesmal kam - was immer da draußen war - näher zu Türe. Sie starrte gebannt nach draußen - vor lauter Aufregung hielt sie den Atem an und merkte es erst, als ein Hustenanfall sie schüttelte. „Wenn das keine Fieberhalluzination ist, dann ist da draußen tatsächlich jemand auf meinem Balkon. Auch, wenn es eigentlich unmöglich ist." Das Licht auf dem Balkon war nur schwach und so hatte sich die Gestalt fast bis zur Türe geschleppt, bis sie endlich Einzelheiten erkennen konnte.

Ein Mann, groß, muskulös, glatt rasierter Kopf. Die Kleidung war schmutzig und zerrissen und so wie es aussah, war er verletzt, auch wenn die Wunde wie es schien aufgehört hatte zu bluten. Sie hatte keine Ahnung, warum sie noch immer wie gebannt nach draußen starrte und nicht schon längst die SiPo verständigt hatte, als der Mann den Kopf hob und ihr direkt in die Augen sah. Der Mann starrte sie aus silbernen Augen an und sie hatte das Gefühl, er könne damit bis in ihr Innerstes sehen.

„Hol die SiPo", befahl sie sich selbst. „Sofort! Mach jetzt bloß nichts Unüberlegtes!". Aber es war schon zu spät. Sie hatte den Computer bereits angewiesen, das Licht am Balkon zu löschen sowie das Schloß zu entriegeln und die Hand nach dem mechanischen Schloß ausgestreckt. Irgend etwas in diesen Augen versicherte ihr, dass sie das Richtige tat. Daß sie nicht in Gefahr war. Ein letzter Zweifel ließ sie kurz innehalten. Sie musste dieses Schloß nicht aufmachen. Sie musste ihm nicht helfen. Vielmehr - sie durfte es doch gar nicht. Sie würde alles auf Spiel setzten für ein Gefühl aus dem Bauch heraus! War ihr Instinkt völlig übergeschnappt? Wo war ihre Vernunft geblieben? Mit einer raschen Bewegung, damit sie sich nicht doch noch anders entscheiden konnte, entriegelte sie die Türe.