The Vampires Student Teil VIII:
„The Lord of the Shadows"
Oh Gott! Meine Seele ahnt Unheil kommen.
Mir ists, wenn ich dich so da unten sehe,
als lägest du bereits tot in deinem Grabe…
Shakespeare - Romeo & Julia
Kapitel 1: " Phantome"
In der Kanalisation herrschte dämmriges Zwielicht.
Hier und da schoß ein Sonnenstrahl wie eine Pfeilspitze durch Öffnungen in den Gullydeckeln, doch je weiter die Vampire in die Tunnel vordrangen, desto mehr entfernten sie sich von der Oberfläche und umso dunkler wurde es.
Die Jäger hetzten wahllos die Gänge herab, darauf bedacht so viel Abstand wie möglich zwischen sich und dem Polizeirevier, von dem sie vor wenigen Minuten geflohen waren, zu bringen.
An einer Abzweigung hielt Vancha March, der wild aussehende Vampirfürst mit dem Fellumhang und den grünen Haaren, inne und warf einen Blick in beide Richtungen.
„Wir müssen ruhen. Die Sonne steht zu hoch." Mr Creplsey war außer Atem. Schweiß stand ihm auf der Stirn und er zog ein Bein nach von dem Sprung aus dem fünften Stock ihres Hauptquartiers.
„Nein. Weiter. Wir sind noch zu dicht." Vancha entschied sich für den rechten Tunnel und wollte weiter, doch Crepsley hielt ihn am Arm.
„Darren hält nicht mehr lange durch", flüsterte er dem Fürsten zu.
Vancha wand den Kopf und sah zu dem jungen Vampirfürsten.
Darren Shan schwankte auf seinen Beinen und rieb sich die Augen. Er sah aus, als könne er jeden Moment in Ohnmacht fallen.
„Er muß durchhalten. Wenn wir uns hier zur Ruhe legen, finden sie uns vielleicht, während wir schlafen wie die Toten."
Mr Crepsley rieb sich sorgenvoll das Gesicht.
Dann nickte er. „Ich werde Darren tragen."
Er drehte sich zu seinem ehemaligen Assistenten um, und bedeutete ihm, auf seinen Rücken zu klettern.
Darren riß die Augen auf.
„Auf keinen Fall. Ich kann selber laufen. Und ihr seid verletzt!"
„Nicht der Rede wert", knurrte Crepsley. „Spring auf, ich nehm dich Huckepack, du schläfst ja gleich im Stehen ein."
Darren hatte tatsächlich keine Kraft mehr, und so protestierte er nicht, als sein Lehrmeister seinen Arm packte und ihn auf seinen Rücken zog.
Es war lange her, dass Larten Crepsley ihn Huckepack genommen hatte.
Damals war er noch ein Halbvampir gewesen, und hatte noch nicht gelernt, zu flitten.
Er schlang seine Arme um seinen Hals, und hielt sich fest.
Mr Crepsley humpelte mit Darren auf dem Rücken dem grünhaarigen Vampirfürsten hinterher, tiefer in die Tunnel und weiter fort von dem Ort, von dem sie geflohen waren.
Keiner von ihnen bemerkte den Schatten, der ihnen folgte.
Nach einer halben Stunde blieb Larten Crepsley erschöpft stehen.
„Es tut mir leid, euer Gnaden. Ich bin am Ende meiner Kräfte."
Vancha blieb stehen und sah ihn an.
Der orangehaarige Vampir war bleich und atmete schwer.
Darren auf seinem Rücken war inzwischen in Tiefschlaf verfallen, und wog schwer.
Vancha nickte. „Gut. Wir bleiben hier." Er sah sich um.
„Wenn sie uns finden, dann ist dieser Ort so gut, wie jeder andere."
Erleichtert nahm Mr Crepsley den schlaffen Darren von seiner Schulter.
Er hob ihn hoch und trug ihn vorsichtig zu einer Wandnische, wo er ihn sanft ablegte.
Dann sah er sich nach einem Platz um, an dem er sich hinlegen konnte.
„Wir sollten uns verteilen", sagte Vancha. „Wenn einer von uns angegriffen wird, haben die anderen noch eine Chance aufzuwachen. Und im Zweifelsfall, zu entkommen", schloß er kalt.
Larten warf einen Blick auf Darren.
Er ließ ihn ungern außer Sichtweite zurück.
Aber er sah ein, dass es besser so war.
Er drückte noch einmal Darrens Schulter bevor er Vancha zunickte und einen der angrenzenden Tunnel betrat.
Er fuhr sich über die Augen.
Er war so müde und alle Knochen im Körper taten ihm weh.
Er fand eine Wandnische in die er sich, halb sitzend, halb liegend zwängte.
Dann seufzte er und schloß die Augen.
Vancha March legte sich nicht schlafen.
Er hielt Wache.
Der Fürst der Vampire hockte am Eingang des Tunnels, der dorthin führte, wo seine beiden Gefährten schliefen.
Er stemmte seine Füße gegen die Mauer, und trotzte dem Schlaf.
Seine Augen suchten immer wieder die vor ihm liegende Dunkelheit ab, und er lauschte angestrengt.
Außer dem Tropfen von Wasser, dem Rauschen des Straßenverkehrs über ihm und dem gelegentlichen Huschen und Rascheln einiger Ratten in der Nähe, hörte er nichts.
Sein Körper signalisierte ihm mit jeder Faser, dass die Sonne draußen bereits heiß am Himmel glühte und dass er ruhen musste. Nur das Blut in seinen Adern hielt ihn wach.
Dafür verbrannte er mit jeder Minute, die er sich zwang wach zu bleiben, mehr davon.
Er würde nicht lange durchhalten.
Dafür hatte er zu wenig getrunken.
Irgendwann verlor Vancha March den Kampf gegen die Müdigkeit und schloß die Augen.
Gillian wartete noch weitere zehn Minuten.
Schlief er tatsächlich, oder tat er nur so?
Warum hatte er sich auch ausgerechnet in den Durchgang gelegt?
Sie musste an ihm vorbei, wenn sie zu Larten wollte.
Gillian zog die Kapuze vom Kopf und schlüpfte aus dem grünen Umhang.
Sie knüllte ihn zusammen und stopfte ihn in eine Nische.
Dann zog sie die Dunkelheit fester um sich zusammen und trat in den Gang, auf den Eingang zu, den Vancha March mit seinen Füßen versperrte.
Auf Zehenspitzen schlich sie näher und betete, dass er nicht aufwachte.
Der Vampirfürst war in seinem Fellumhang zusammengesunken, und sein Kopf war zur Seite gerollt. Er atmete nicht.
Vorsichtig stieg Gillian über seine Beine.
Er rührte sich nicht.
Erleichtert huschte Gillian durch den Gang, an der schlafenden Gestalt Darren Shans vorbei und bog in den Gang, in den sie Larten Crepsley hatte verschwinden sehen.
Ihre Augen brauchten einen Moment, um in dem dunklen Gang die Umrisse des Mannes im roten Mantel ausfindig zu machen.
Larten Crepsley lag in einer halb aufgerichteten Position gegen eine Mauer gelehnt in einer Wandnische, und hatte die Augen fest geschlossen.
Gillians Puls beschleunigte sich, als sie sich ihrem alten Lehrmeister näherte.
Sie ging neben ihm in die Hocke und zwang sich, ruhiger zu atmen.
Sie betrachtete das Gesicht Larten Crepsleys, das im Schlaf friedlich aussah.
Beruhige deinen Herzschlag, Gillian, oder er wird dich wahrnehmen!, ermahnte sie sich selbst, und blieb ein paar weitere Minuten einfach nur neben ihm sitzen.
Sie war ihm seit Ewigkeiten nicht mehr so nah gewesen.
Wie sie ihn vermisste!
Als sie ganz ruhig war, rutschte sie näher an ihn heran und legte langsam und vorsichtig ihren Kopf auf seine Brust.
Sie hielt den Atem an.
Als er sich nicht rührte, traute sie sich näher, zog die Knie an den Körper und legte sich langsam, ganz langsam zusammengerollt auf seinen Oberkörper.
Sie schloß die Augen.
In seiner Brust rührten sich kein Herzschlag und keine Atmung.
Gillian versuchte konzentriert, es ihm gleich zu tun.
Was sie da tat, war mehr als gefährlich.
Genauso gut hätte sie sich an einen schlafenden Tiger kuscheln können.
Wenn er ihr Blut und ihre Nähe wahrnahm, konnte es sein, dass er sie angriff.
Er war erschöpft und höchstwahrscheinlich hungrig.
Aber Gillian war auch nicht gerade ein Miezekätzchen.
Und sie hielt es einfach nicht länger aus, sehnte sich zu sehr nach ihm.
Oh, Larten.
Obwohl der Mann unter ihr sich nicht rührte, sondern da lag mit kalter Haut und ohne Herzschlag oder Atmung, erschreckte Gillian das nicht.
Sie kannte das, hatte sie sich doch in der Vergangenheit, als sie noch eine Halbvampirin gewesen war, manchmal heimlich an ihren Meister gekuschelt, wenn sie Angst gehabt, oder sich einsam gefühlt hatte.
Wenn sie sich nach der Nähe gesehnt hatte, die er ihr im wachen Zustand nicht gewährte.
Ein Klumpen bildete sich in ihrer Kehle, und Gillian musste sich zwingen, ruhig zu bleiben.
Sie war vollgepumpt mit frischem, menschlichem Blut, und sie glaubte ihren eigenen Herzschlag überlaut hören zu können.
Was du da machst, ist verrückt!
Doch Larten hatte sich nicht gerührt, und Gillian hatte gelernt, ihre Atmung und ihren Herzschlag zu kontrollieren. Sie fuhr sie noch mehr herunter, bis sie so leblos und tot wirkte, wie der Vampir.
Eine ganze Weile blieb sie einfach nur so auf der Brust des Mannes liegen und genoß seine Nähe und seinen Geruch, die Wange am glatten Stoff seiner Weste, eine Hand in den Aufschlag des roten Mantels gekrallt.
Lehrmeister und Schülerin lagen kalt und tot beieinander wie in einem Grab.
Larten, es tut mir so leid.
Ich hätte nie gehen dürfen, hätte bei dir bleiben sollen, ich war ja so dumm, du hättest mich aufhalten müssen… aber ich wollte ja unbedingt herausfinden, wer ich bin…was hat es mir gebracht? Ich wünschte, ich hätte die Wahrheit nie erfahren... Wir hätten nie nach Vampire Mountain aufbrechen dürfen… Larten, du hattest Recht, du kannst mir nicht vertrauen; da ist etwas…ist etwas in mir… ich habe einen Fehler gemacht… da ist dieser Schatten, ich weiß nicht. Ich kann nicht. Es zerreißt mich! Ich wünschte ich wäre bei dir geblieben wünschte du würdest mich lieben…wenn Darren nicht gekommen wäre…will dass du mich liebst warum kannst du nicht? Oh Gott!
Du wirst mich töten müssen !
Sie schluchzte auf und erschrocken riß sie sich von Larten Crepsley los, und presste ihre Hände vor den Mund, und unterdrückte mit aller Macht einen wimmernden Laut.
Tränen schossen aus ihren Augen.
Larten Crepsley zuckte im Schlaf.
Gillian sah auf ihn herab, hob eine Hand und strich so sachte über die Narbe in seinem Gesicht, als würde Madam Octa mit ihren weichen haarigen Beinen über ihn krabbeln.
Dann fing sie mit einem Finger eine ihrer eigenen blutigen Tränen auf, und benetzte seine Lippen damit.
Träum von mir.
Wenn du erwachst, wirst du an mich denken, Geliebter….
Plötzlich war es ihr unerträglich, ihn so kalt und tot daliegen zu sehen.
Gillian stand rasch auf, wich von Larten Crepsley zurück, und wirbelte auf dem Absatz herum mit fliegenden Haaren.
Ihre dunkle Gestalt huschte wie ein Phantom den Gang herab, streifte im Gehen die schlafende Gestalt Vancha Marchs und verschwand in den Katakomben, als wäre sie nicht mehr als ein Lufthauch in dunkler Nacht.
