Entführt

Es war Abend. Inu Yasha und Kagome saßen schweigend und müde um ein prasselndes Feuer. Wieder waren viele Dämonen zu bekämpfen gewesen. Zwar nur kleine Fische, aber seit sie alle wie die Ratten aus ihren Löchern gekrochen kamen, waren es so viele, dass sie kaum mit ihrer Bekämpfung nachkamen.

Es war total finster, kein Licht war am Himmel zu sehen. Es war Neumond. Inu Yashas schwarze Haare waren in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Er war sehr müde und hing wie immer im Sitzen über seinem Schwert. Sango und Miroku waren mit Shippou im Dorf geblieben. Als Dank für die Vertreibung der Dämonen hatten sie dort alle zusammen ein großzügiges Essen bekommen und das Angebot, dort zu übernachten. Nur Kagome und Inu Yasha waren weiter gezogen um die Verwandlung des Halbdämonen zu verbergen.

Kagome war noch wach, die Arme hatte sie um die Knie geschlungen und schaute ins Feuer. Sie saß direkt neben Inu Yasha und hatte sich nur leicht an ihn gelehnt, sie wollte ihn nicht beim Dösen stören. Diese Neumondabende liebte sie so. Inu Yasha war an diesen Abenden immer viel ruhiger und freundlicher als sonst. Sein menschliches Herz kam zum Vorschein und da sie seit Monaten an diesem Abend meist alleine waren, musste er auch vor niemanden mehr den frechen Helden spielen um seine Scheu und Schüchternheit zu tarnen.

Kagome hatte Sango einmal nebenbei erzählt wie anders und nett Inu Yasha zu ihr bei Neumond war, und seither „ergab" es sich immer, dass sie diese Nacht mit ihm alleine verbringen konnte. So schöne Nächte genoß sie, weil sie mal Zeit hatten, miteinander zu reden. Inu Yasha hatte ihr viel über sein früheres, sehr einsames Leben erzählt, das er führte nachdem er aus dem Schloss seines Vaters weggelaufen war. Der Tod seiner Mutter hatte ihn des einzigen Menschen beraubt, der liebvoll und freundlich zu ihm gewesen war. Die verbliebenen Bediensteten im Schloss hatten Angst vor ihm und seiner Wildheit. Und sie hänselten ihn wegen seines Mischlingsblutes, bis er es nicht mehr ausgehalten hatte. Danach war er viele Jahre, wohl Jahrzehnte durch die Gegend gesteift, hatte sich in Höhlen und einsamen Tälern versteckt und versucht, den Kontakt mit Menschen zu meiden.

So viele Abende hatten sie gemeinsam verbracht. Oft lag er mit seinem Kopf in ihrem Schoß und gab ihr Antwort auf ihre vielen Fragen. Sie streichelte ihn dabei meist oder spielte mit seinen Haaren, etwas, das er sonst nie zulassen würde. Oder sie gingen baden, wenn ein See oder Bach in ihrer Nähe war. Sie planschten und spielten im Wasser, ließen sich treiben während sie am Himmel die Sterne beobachteten. Sonst gab es nie Zeit für solche einfachen aber schönen Dinge, und sie waren ja sonst auch nie alleine. Danach saßen sie meist am Feuer um ihre langen Haare wieder zu trocknen.

Aber sie waren auch sonst viel vertrauter geworden. Nur in diesen Nächten, alleine und in seiner Menschengestalt, traute sich Inu Yasha ihr auch nahe zu sein. Er hielt sie stundenlang in den Armen, neckte und streichelte sie und schlief an ihrer Seite. Kagome lächelte selig bei dem Gedanken an die ersten scheuen Küsse, die Umarmungen und wie schön es war, neben ihm am Morgen aufzuwachen. Diese schönen Nächte halfen ihr über seine wilde, ruppige Art und die vielen Streitereien, die sie sonst miteinander hatten, hinweg. Na ja, sie war auch ein ziemlicher Sturschädel und sie sah nicht ein, dass sie nachgeben sollte wenn sie doch Recht hatte.

Kagome lehnte sich noch etwas dichter an Inu Yasha. Sie legte ihren Kopf nach hinten auf seine Arme und sah in die Sterne. Was für eine schöne Nacht!

Ein seltsames Gefühl ließ sie aufhorchen. Irgendetwas näherte sich schnell ihrem Feuer, aber es war kein Dämon mit Scherben, die hätte sie deutlich gespürt. Sie stand vorsichtig auf und ging ein paar Schritte vom Feuer weg auf die Wiese hinaus. Am Waldrand schien etwas leicht zu leuchten. Seltsam, es war doch vollkommen dunkel, nur ihr Feuer erhellte zuckend ein wenig die Umgebung.

„Komm wieder her, Kagome!" brummelte Inu Yasha im Halbschlaf. „Gleich!", meinte sie nur und ging noch ein paar Schritte auf das seltsame Leuchten zu.

Auf einmal fuhr Inu Yashas Kopf hoch, er zog heftig die Luft durch die Nase und schrie auf einmal: "Komm schnell her, er ist da! Mist, ich habe ihn nicht früher gerochen. Schnell, lauf!" und kam auch schon mit einem riesigen Satz auf sie zugestürzt.

„Wer ist da?" fragte Kagome und starrte auf das sanfte Schimmern, dass sie nun direkt vor sich sah. Da erkannte sie die Umrisse auf einmal. Der Schimmer kam von langen, silbernen Haaren, den Haaren von Inu Yashas Bruder Sesshoumaru, der auf einmal vor ihr auftauchte. Er war sehr groß, sie musste aufschauen um in sein Gesicht blicken zu können. Sie sah ihn nur schemenhaft im prasselnden Licht des Feuers. Er sah sie unbeweglich an, legte auf einmal einen Arm um sie und sie fühlte sich in die Luft gehoben. Gerade hatte Inu Yasha die Stelle erreicht, an der sie gerade noch gestanden hatte, als sie schon weit über ihm schwebten. Sie war so verblüfft, dass sie sich nicht einmal wehrte.

„Hey, was soll das? Lass sie sofort los, du Mistkerl!" brüllte Inu Yasha, aber ohne seine Kräfte hatte er keine Chance seinen Bruder einzuholen. Sie sah nur noch wie er immer kleiner wurde und als winziger Punkt hinter ihr in der Dunkelheit verschwand.

„Hör auf, lass mich runter! Was soll denn das? Was willst du denn von mir?" schrie sie entsetzt  und trommelte mit ihren Fäusten gegen Sesshoumarus Brust. Aber sie prallten nur gegen seine Rüstung und sie tat sich damit nur selbst weh. Sie begann sich zu winden und versuchte, trotz der großen Höhe in der sie sich befand, sich loszureißen. Doch plötzlich durchzuckte sie etwas wie ein Stromschlag, ihr wurde schwindelig und sie konnte sich nicht mehr rühren. „Gib Ruhe, Weib. Ich werde dir nichts tun!" hörte sie nur noch Sesshoumarus leise Stimme, dann wurde sie ohnmächtig.